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Am 14. Juli 1865 steht der fünfundzwanzigjährige Engländer Edward Whymper als erster Mensch auf dem Matterhorn, aber beim Abstieg stürzen vier seiner Begleiter in den Tod: ein Seil ist gerissen. Wenige Tage nach Whympers Aufstieg von Zermatt aus erreicht der einheimische Bergführer Jean-Antoine Carrel von der italienischen Seite aus den Gipfel. Er ist der eigentliche Held in Reinhold Messners atemberaubender Geschichte von der Eroberung eines unverwechselbaren Berges, vermutlich der erste Mensch, der eine Besteigung des Matterhorns für möglich hielt. Carrel ist das Gegenbild zu dem dandyhaften…mehr

Produktbeschreibung
Am 14. Juli 1865 steht der fünfundzwanzigjährige Engländer Edward Whymper als erster Mensch auf dem Matterhorn, aber beim Abstieg stürzen vier seiner Begleiter in den Tod: ein Seil ist gerissen. Wenige Tage nach Whympers Aufstieg von Zermatt aus erreicht der einheimische Bergführer Jean-Antoine Carrel von der italienischen Seite aus den Gipfel. Er ist der eigentliche Held in Reinhold Messners atemberaubender Geschichte von der Eroberung eines unverwechselbaren Berges, vermutlich der erste Mensch, der eine Besteigung des Matterhorns für möglich hielt. Carrel ist das Gegenbild zu dem dandyhaften Whymper: wortkarg, instinktiv und voller Verantwortung für seine Männer bis in die Stunde des eigenen Todes - fünfundzwanzig Jahre später, am Matterhorn.Das Matterhorn ist auch heute noch ein Mythos. Im Jahr 1865 war es der letzte noch unerstiegene große Alpengipfel, einer der letzten weißen Flecken auf der Landkarte - mitten in Europa. Warum bei Edward Whympers Erstbesteigung das Seil reißt, ist eine Frage, die damals halb Europa bewegt hat. Die Frage, wer dafür verantwortlich ist, lässt Reinhold Messner auch heute noch nicht los. In seiner fesselnden Erzählung von Verantwortung, Vertrauen und Verrat wird er Teil der Seilschaft von 1865: »Ich will nochmals mit den Bergsteigern hinaufsteigen. Ich will nachempfinden, was sie getragen hat - und was sie ertragen mussten.«
Autorenporträt
Messner, Reinhold
Reinhold Messner, geboren 1944, ist der berühmteste Bergsteiger und Abenteurer unserer Zeit. Als Kletterer, Höhenbergsteiger, Grenzgänger und 'Philosoph in Aktion' hat er immer wieder neue Maßstäbe gesetzt. Messner bestieg als erster Mensch alle vierzehn Achttausender, darunter erstmals den Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff und allein ('Everest Solo'). 1989/90 gelang ihm zusammen mit Arved Fuchs die Durchquerung der Antarktis zu Fuß. Heute kämpft Reinhold Messner als Autor und Filmemacher für einen ökologisch nachhaltigen Umgang mit der Natur, bewirtschaftet Bergbauernhöfe und gestaltet sein Bergmuseum, das Messner Mountain Museum, mit seinen sechs Standorten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2016

Hohe Literatur

Spätes Debüt: Der Bergsteiger Reinhold Messner hat eine Erzählung geschrieben. Über die Erstbesteigung des Matterhorns

Nachdem er alle vierzehn Achttausender bestiegen, die Wüste Gobi, Grönland und die Antarktis durchquert hat, nachdem er den Ötzi und beinah auch den Yeti gefunden, für die Grünen im Europa-Parlament gesessen und in den Alpen sechs Museen eröffnet hat, nachdem sein Leben im Kino lief und er rund sechzig Sachbücher über seine Abenteuer geschrieben hat, nach all dem also hat Reinhold Messner nun eine literarische Erzählung geschrieben.

Und das ist schon erstaunlich, dass Messner nach all den Jahren der Selbstinszenierung nun einen Schritt zurücktritt und als Erzähler im Hintergrund bleibt. Bisher ging es in seinen Büchern um ihn, fast immer war er auf dem Cover zu sehen, und die Titel waren mit Possessivpronomen durchsetzt: "Mein Leben am Limit", "Überlebt: Meine 14 Achttausender", "Meine heiligen Berge", "Mein langer Weg zu Nanga Parbat", "13 Spiegel meiner Seele". Nun steht da, unter einem dramatischen Matterhorn-Gemälde von Edward Harrison Compton, nur: "Absturz des Himmels".

Messner hat sich natürlich nicht irgendeinen Berg und auch nicht irgendeine Geschichte ausgesucht für sein Debüt, sondern die Bergsteigerstory schlechthin: die Tragödie um die Erstbesteigung des Matterhorns vor etwas mehr als 150 Jahren.

Mit dieser Geschichte ging 1865 das "goldene Zeitalter des Alpinismus" zu Ende, jene Phase, in der ambitionierte junge Männer, vor allem aus England, sämtliche noch unbestiegenen Gipfel der Alpen erklommen. 1854 waren 39 davon übrig geblieben. 31 davon bezwangen Engländer. Und als hätte jemand ein Drehbuch dafür geschrieben, lief der große Showdown auf diesen 4478 Meter hohen ikonographischen Keil und auf die erste große Tragödie im Alpinismus zu.

Zwei Seilschaften nähern sich dem Gipfel des Matterhorns. Die Engländer um Edward Whymper steigen von Zermatt auf, also von der Schweizer Seite aus, die Italiener um Jean-Antoine Carrel von Breuil, also von der italienischen Seite aus. Zum ersten Mal hatte Alpinismus auch eine nationalistische Dimension. Am Ende sind die Engländer einen Tick schneller und hissen die Fahne am Gipfel. Aber um welchen Preis! Beim Abstieg reißt ein Seil, und vier Männer stürzen über die Nordwand in den Tod. Einer von ihnen, Lord Douglas, wurde bis heute nicht gefunden.

So oft ist diese Geschichte schon erzählt worden: Edward Whymper selbst schrieb, nachdem er das Drama knapp überlebt hatte, ein Buch, das schnell zum Alpinklassiker geworden ist. In "Scrambles amongst the Alps" ("Matterhorn: Der lange Weg auf den Gipfel") stellt er seine Sicht der Dinge sehr detailliert und packend dar. 1928 erschien der Roman "Kampf ums Matterhorn" von Carl Haensel, der wiederum Luis Trenker zehn Jahre später als Grundlage für seinen Film "Der Berg ruft" diente. In den fünfziger Jahren folgte der Roman "Banner in the Sky" ( "Rudi der Bergführer") von James Ramsey Ullman, wenig später verfilmt als "Der dritte Mann am Berg".

Man weiß also, wie "Absturz des Himmels" ausgeht - ein Buch, das alle Anforderungen des Romans erfüllt, auch wenn Messner darauf bestanden hat, dass es "Erzählung" genannt wird und sein Verlag es merkwürdigerweise als Sachbuch führt. Messners Hauptfiguren sind, wie sollte es anders sein, Carrel und Whymper, seine Szenerie, wenig überraschend: das Matterhorn, "ein stumpfer Riesenkeil, der in die Unendlichkeit ragt", wie er schreibt. Doch es spricht umso mehr für Messner, dass sein Buch bis zur letzten Seite spannend bleibt.

Weil Messner weiß, wie man in den Bergen empfindet. Weil er das Matterhorn sehr gut kennt, er selbst auf dem Gipfel war und oft genug Steinschläge, Lawinenabgänge und Wetterstürze im Gebirge erlebt hat. Er weiß, wovon er schreibt, und er denkt, fühlt und bangt mit seinen Figuren: "Noch einmal sieht er (Carrel) nach dem Wetter. Sturmwolken treiben vom Mont Blanc her, der Himmel ist jetzt so düster wie ein aufgewühlter Ozean. Als er ein drittes Mal vor die Hütte tritt, hat das Sturmtief die Dent d'Hérens erreicht, die geläufigen Séracs und filigranen Eisgrate dort sind verschwunden, am großen Berg im Westen ist nur noch Chaos: ein expressionistisches Gemälde in Blauschwarz." Whymper erscheint "der Rand der Bergketten weiter denn je - die Gipfel von Breithorn, Liskamm, Monte Rosa, die Grajischen Alpen, die Penninische Kette - die Kulisse eines Welttheaters." Und: "Am Matterhorn selbst, wo Whymper steht, ist nur noch steiler Fels über ihm: keine Form, keine Schönheit mehr zu erkennen." So kann nur einer schreiben, der selbst schon dort oben war.

Messner hält sich zudem sehr genau an die Fakten, beschreibt reale Figuren, reale Ereignisse und zitiert reale Tagebücher, Briefe, Gästebücher und Zeitungsartikel. Und baut seine Erzählung darauf auf. "Edward Whymper en route for the Matterhorn", lautet beispielsweise ein Eintrag im Gästebuch des Hotels "Monte Rosa" in Breuil, datiert auf den 27. August 1861. Es sind meist nur kursive Halbsätze, die darauf hinweisen, dass Messner sich an Fakten hält, es gibt keine Fußnoten und keinen Anhang, was das Buch gut lesbar macht, denn da schreibt keiner, der dokumentieren muss, was er alles weiß. Basierend auf dieser kleinen Gästebuch-Notiz folgen nun über mehrere Seiten fiktive Dialoge zwischen den beiden Bergsteigern, die aber leider so gestelzt wirken, als unterhielten sich zwei Helden in einem amerikanischen Actionfilm:

"Sind Sie Carell?", fragt Whymper forsch. - " Ja, Jean-Antoine." - "Ich bin Whymper und suche einen Führer für die Besteigung des Matterhorns . . ." - "Das Matterhorn ist sehr schwierig." - "Ich weiß, deshalb bin ich ja hier. Ich brauche den besten Mann vor Ort."

Es ist die Spannung zwischen den beiden, die fortan die Geschichte trägt. Carrel hält Whymper für einen großmauligen Dandy in weißen Hosen, ein lebensferner Künstler aus London, maßlos, arrogant, geizig und naiv. Whymper hält Carrel für einen primitiven Bauern und Crétin, eigensinnig, fremdenfeindlich und abergläubisch, einer, der Angst davor hat, dass auf dem Gipfel des Matterhorns der Teufel wohnen könnte. Ihre einzige Verbindung, so scheint es zunächst, ist der Berg. Doch dann entwickeln sich beide, gehen aufeinander zu, lernen sich zu schätzen und zu respektieren. Carrel bewundert Whympers Hartnäckigkeit, Ausdauer und Furchtlosigkeit. Vielleicht auch dessen Naivität, die ihm letzten Endes den Weg zum Gipfel ermöglicht. Whymper bewundert Carrels Umsicht, sein Können, sein Gefühl für den Berg. Die Rivalen werden zu Seilpartnern und merken bald, dass sie gemeinsam größere Chancen haben, den Gipfel zu erreichen.

Doch dann, im entscheidenden Moment, im Juli 1865, klettern sie nicht gemeinsam, sondern nähern sich dem Gipfel in zwei verschiedenen Seilschaften von Norden und Süden. Carrel mit Italienern, die für den gerade erst gegründeten Alpenclub den Gipfelsieg erringen wollen. Whymper mit dreien seiner Landsleute, die er eher aus Verzweiflung und übersteigertem Ehrgeiz mitnimmt, zwei von ihnen, Hadow und Lord Douglas, sind nicht gut genug für das Matterhorn. "Sie haben ein Ziel", schreibt Messner, "aber keine gemeinsame Strategie, keine verbindende Idee." Und zu allem Überfluss entscheiden sie sich, mit nur zwei Bergführern zu gehen, Michel Croz aus Chamonix und Peter Taugwalder aus Zermatt, der seinen Sohn mitnimmt. Sie erreichen den Gipfel am 14. Juli, aber nur Whymper und die beiden Taugwalders kommen lebend ins Tal zurück, traumatisiert, weil sie soeben den "Absturz des Himmels" erlebt haben.

Mit jedem Höhenmeter, mit dem sich die beiden dem Gipfel nähern, wird Reinhold Messner mehr zu Jean-Antoine Carrel. Messner ist, genauso wie Carrel, Italiener und will seinen Landsmann rehabilitieren. Nachdem Carrel das Wettrennen auf den Gipfel verloren hat - er erreichte den Gipfel drei Tage später -, geriet er im Schatten Whympers in Vergessenheit. Doch Carrel war, so stellt Messner klar, eindeutig der bessere Bergsteiger, seine Route die weitaus schwierigere. Und während Messner Carrel, den vergessenen Helden, überhöht, stößt er Whymper, den gefeierten Helden, vom Sockel. Die Verantwortung im Moment des Unfalls "lag ausschließlich bei Whymper" - und später habe er ihr sich nie gestellt, sie stattdessen bei den Taugwalders abgeladen.

Carrel wiederum "weiß, er wäre vor Whymper oben gewesen, wenn er nur an sich gedacht hätte. Die Verantwortung für andere hat ihn zuletzt den Sieg gekostet", schreibt Messner. Wäre er dabei gewesen beim erfolgreichen Gipfelgang der Engländer, so klingt es zwischen den Zeilen an, wäre es nicht zur Tragödie gekommen. Entweder hätte Carrel verhindert, dass diese unheilvolle Seilschaft überhaupt aufbricht - oder er hätte sie am Berg gerettet, weil er noch jeden seiner Kunden heil heruntergebracht hat.

"Am Fuß des Großen Turms weht ein eisiger Wind. Es lässt sich schwer sagen, woher die Luftströme kommen, Carrel aber spürt, es ist kein gewöhnlicher Wind. Die Luft ist schwerer als sonst." Ein kleines Detail, eine Vorahnung, dass ein Schneesturm kommen wird, die ihm und seinen Kameraden das Leben retten wird. Unter Bergsteigern erzählt man sich gern eine Geschichte, die sich im Himalaja zugetragen haben soll: Ein Bergsteiger hatte in einer Gruppe einen hohen Gipfel besteigen wollen, doch das Wetter war ihm nicht geheuer. Im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern kehrte er um, und tatsächlich brach bald ein furchtbarer Sturm los. Da suchte er Zuflucht in einer Eishöhle, kletterte hinein - und wer saß drin? Reinhold Messner. Die Geschichte erklärt ganz gut, warum Reinhold Messner seine Abenteuer überlebt hat.

Den "blinden Fleck der Bergtour" nennt der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch den entscheidenden Moment, an den sich ein Bergsteiger nach der Rückkehr nicht erinnern kann, eine Leerstelle - und eine Projektionsfläche, die mit vielem gefüllt werden kann. Als Reinhold Messner mit Peter Habeler 1978 als erste Menschen ohne Sauerstoffgerät den Mount Everest bestiegen haben, ließ Messner non-stop ein Tonband mitlaufen, um die Gespräche zu dokumentieren. Er traute seiner möglicherweise höhenluftbeeinflussten Erinnerung nicht und versuchte, den blinden Fleck sichtbar oder zumindest hörbar zu machen. Dieser "blinde Fleck der Bergtour" erklärt, warum in der Bergsteigerliteratur Realität und Fiktion nie ganz zu trennen sind. Was genau am Matterhorn vor 150 Jahren passiert ist, kann auch Messner nicht wissen. Aber in "Absturz des Himmels" füllt er die Leerstellen auf eine Weise, die der Wahrheit vermutlich ziemlich nahe kommt.

ANDREAS LESTI

Reinhold Messner: "Absturz des Himmels". S. Fischer, 288 Seiten, 19,99 Euro

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Die Stärke von Reinhold Messners Buch ist seine Vielschichtigkeit. Bayern 1 - Rucksackradio, 18. Juli 2015/ B5 am Sonntag - für Bergsteiger