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Produktdetails
  • Nexus Bd.83
  • Verlag: Stroemfeld
  • Seitenzahl: 568
  • Erscheinungstermin: Januar 2009
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 872g
  • ISBN-13: 9783861091837
  • ISBN-10: 3861091836
  • Artikelnr.: 23427547
Autorenporträt
Stephan Gregory studierte Medizin in Marburg und Berlin, Philosophie und Literaturwissenschaft in München und Wien, arbeitete für den Bayrischen Rundfunk in München und lehrte an der Merz-Akademie in Stuttgart. Seit 2010 ist er Juniorprofessor für Mediale Historiographien an der Bauhaus-Universität Weimar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009

Die Vernunft wird das alleinige Gesetzbuch der Menschheit sein

Wenn sich die Tugend zur Richterin über alle Dogmen aufschwingt, um ein patriarchalisches Idyll ohne Fürsten und Nationen zu errichten: Stephan Gregory hat viel vom Geheimbund der Illuminaten zu erzählen.

Von Lorenz Jäger

Der Illuminatenorden wirkte nach seiner Gründung in Ingolstadt 1776 durch Adam Weishaupt, einen Professor für Kirchenrecht und Philosophie, für ein knappes Jahrzehnt, dann wurde er verboten. Die Illuminaten sind, nicht zuletzt durch den unvermeidlichen Dan Brown, zur Legende geworden. Je weiter sie sich historisch entfernen, umso näher schauen sie uns an, und sei es nur in den Konspirationsforen des Weltnetzes, in den Spekulationen über das freimaurerische "allsehende Auge" auf der Dollarnote oder in anderen Pop-Versionen. Eine ausführliche kulturwissenschaftliche Analyse der Illuminaten, die mit allen Wassern der neueren französischen Theorie gewaschen ist, hat nun Stephan Gregory veröffentlicht. In gewisser Weise ist dies eine Pionierarbeit, weil hier ein sehr avanciertes Analyseinstrumentarium auf die Thematik der Geheimgesellschaften appliziert wird, während die einschlägige Publizistik im besten Falle gediegen-historisch vorgeht, oft genug aber zur bloßen Apologie der aufklärerischen "Toleranz" neigt.

Es mag sein, dass die Fragen, die durch die Freimaurerei ebenso wie von den Illuminaten aufgeworfen wurden, uns heute wieder mit neuer Brisanz entgegentreten. Sie lauten: Was ist eine Republik? Was Laizismus? Was "Zivilreligion"? Und was, angesichts der Europäischen Union und der zunehmenden Internationalisierung des Rechts, ist der "Kosmopolitismus", den sich die Illuminaten des Adam Weishaupt auf die Fahnen geschrieben hatten?

Allen Geheimgesellschaften der Aufklärungsepoche ging es, durchaus mit Nuancierungen im Detail, um zwei Dinge: zum einen um die Fiktion einer überkonfessionellen Religion der Gebildeten und zum andern um eine politische Kritik am Absolutismus. Beide Motive waren eng verzahnt. Wenn die "Tugend" sich im achtzehnten Jahrhundert zur Richterin der "Dogmen" aufschwingen konnte, so wurde sie im gleichen Maß zum Habitus einer praktischen, gemeinwohlbezogenen Aufklärung, die den "Despotismus" (ein Lieblingswort damals, so radikal wie vage und deshalb juristisch nie zu belangen) als ihren Gegensatz statuierte. Die Geheimgesellschaften standen ihrer inneren Tendenz nach für Deismus und Republik. Carl Schmitt hat deshalb mit großem Recht von "Geheimbünden und Geheimorden, Rosenkreuzern, Freimaurern, Illuminaten" als Vorzeichen der Französischen Revolution gesprochen.

Aber hier beginnen zugleich die Unterschiede. Auch die Rosenkreuzer fühlten sich dem "Zeremoniell des Gottesdiensts, insonderheit dem äußerlichen Gottesdienst" intellektuell überlegen. Weishaupt, und nicht nur er, hielt sie indes für eine Tarnorganisation der Jesuiten. Mit ihnen hatte er in Ingolstadt den Kampf aufnehmen wollen, die Avantgarde dieser religions- und am Ende staatspolitischen Schlacht sollten die Illuminaten sein. Weishaupts Ordensname war "Spartacus". Der Bund radikalisierte das in der regulären Freimaurerei meist latent gebliebene Potential der Staatskritik. Weishaupt spricht sehr martialisch, wie Gregory anführt, davon, dass zur Verwirklichung des menschlichen Glücks "Fürsten und Nationen von der Erde verschwinden müssen". Nach der Abschaffung der Staaten herrscht dann das patriarchalische Idyll, die "Vernunft wird das alleinige Gesetzbuch der Menschen sein".

Es gibt einen Grundwiderspruch des Illuminatenordens. Er besteht darin, die Menschen zur Vernunft, Einsicht und Aufklärung anleiten zu wollen, sie aber auf ebendiesem Weg mit dem größten Zynismus erst einmal über die wahren Absichten irrezuleiten, um nicht zu sagen: zu betrügen. Christen wurden von Weishaupt getäuscht mit einer platten Explikation des Namens "Hiram", der in der maurerischen Mythologie eine überragende Rolle spielt: Er sei nur die Kurzformel für "Hic Jesus est resurgens a Mortuis" - und bedeute so den auferstandenen Christus. Weishaupt selbst hatte sich diesen Kunstgriff ausgedacht und notierte dazu: "Hier ist schon viel zum vorhinein gewonnen, obwohl ich selbst über diese Explication im Grunde lachen muß". Und er fügte in seinem "Metadiskurs", wie Gregory sagt, noch hinzu: "Das wunderbarste ist, dass große protestantische und reformirte Theologen, die vom Orden sind, noch dazu glauben, der darinn ertheilte Religionsunterricht enthalte den wahren und ächten Geist und Sinn der christlichen Religion. O Menschen! Zu was kann man euch bereden: hätte nicht geglaubt, dass ich noch ein neuer Glaubensstifter werden sollte." Erst im innersten Kreis, dem "Areopag", wurde offen gesprochen.

Wenn man die anachronistische Übertragung auf das zwanzigste Jahrhundert nicht scheut, kann man Ähnliches in den Organisationskonzepten der kommunistischen Parteien erkennen. Auch diese nämlich schufen beständig neue Gruppierungen eines äußeren Kreises, der sich mit unverfänglichen Namen wie "Bund demokratischer Wissenschaftler" oder "Liga gegen den Imperialismus" schmückte - hier konnte man erst einmal die Spreu vom Weizen trennen. Und schon im Frühkommunismus der geheimen Gesellschaften Buonarrotis nutzte man das illuminatische Modell einer "Maurerei innerhalb der Maurerei"; auch hier nannte sich der oberste Kreis "Areopag" wie bei Weishaupt, auch hier wurde den Adepten erst peu à peu die eigentliche kommunistische Doktrin enthüllt. Alle sind aufgeklärt, aber manche sind aufgeklärter: Diese sind die Eingeweihten. Alle sollen emanzipiert werden - aber zugleich einer geheimen Leitung unterstellt sein.

Gregorys Buch ist reich, auch wenn es an manchen Stellen - etwa bei der Frage der illuminatischen Unterwanderung der "Lesegesellschaften" - die Sache durch kulturwissenschaftlich-luftige Ironie etwas verharmlost. Es gibt, das darf am Ende gesagt werden, mit diesem hochinteressanten und vielfach anregenden Werk doch ein Ärgernis. Wer das Inhaltsverzeichnis liest, findet nur träumerisch-jeanpaulische Überschriften - "Die Stunde der List - Offen und geheim - Löwe und Fuchs - Die Kraft der Schwachen - Ein doppelter Zwackh". Wie geheimnistuerische freimaurerische Wappen prangen solche Titel über einem Text, der sich nur jenen erschließt, die den Einweihungsweg der Lektüre gehen. Zur Orientierung des Lesers taugt diese allzu fröhliche Überschriften-Wissenschaft nicht.

Stephan Gregory: "Wissen und Geheimnis". Das Experiment des Illuminatenordens. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2009. 568 S., br., 58,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Lorenz Jäger weiß Stephan Gregorys kulturwissenschaftliche Abhandlung über den Illuminatenorden zu schätzen. Anders als viele andere, oft etwas platte Bücher zum Thema Geheimbünde zeichnet sich dieses Werk für ihn durch ein "avanciertes Analyseinstrumentarium" aus. Ja, er attestiert dem Autor, "mit allen Wassern der neueren französischen Theorie" gewaschen zu sein. Jäger referiert über die Gründung des Ordens durch Adam Weishaupt 1776 in Ingoldstadt und berichtet über seine politische Ausrichtung und seine Prinzipien sowie über seine Organisation. Das Buch scheint Jäger insgesamt überaus instruktiv und stimulierend. Allerdings hält er dem Autor vor, sein Thema durch "kulturwissenschaftliche-luftige Ironie" gelegentlich zu verharmlosen. Zudem wirkt das Inhaltsverzeichnis mit Überschriften wie "Die Stunde der List", "Löwe und Fuchs", "Offen und geheim" auf ihn etwas zu "träumerisch-jeanpaulisch".

© Perlentaucher Medien GmbH