Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktdetails
Trackliste
CD
1Psychological00:04:11
2The Sodom And Gomorrah Show00:05:20
3I Made My Excuses And Left00:04:53
4Minimal00:04:21
5Numb00:04:43
6God Willing00:01:18
7Luna Park00:05:32
8I'm With Stupid00:03:24
9Casanova In Hell00:03:14
10Twentieth Century00:04:39
11Indefinite Leave To Remain00:03:09
12Integral00:03:54
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.2006

Verflixter Retroschick
"Pet Shop Boys" wie üblich

Dem Produzenten Trevor Horn verdanken wir eine der schönsten Liedzeilen der jüngeren Popgeschichte: "But in the back of my head I heard distant feet / Che Guevara and Debussy to a disco beat." Geschrieben hat sie Neil Tennant von den "Pet Shop Boys", doch er verewigte damit einen Traum von Horn, den dieser nie verwirklichen sollte, auch wenn sich die "Pet Shop Boys" alle Mühe gaben und eine siebenminütige Improvisation von dem, was sie für Debussy hielten, über einen Acid-House-Rhythmus legten. Doch Horn hatte als Arrangeur ein zu gutes Gespür: Er schnitt diese Passage, die unmittelbar nach dem zitierten Vers den Mittelteil des Liedes "Left to My Own Devices" bilden sollte, wieder heraus, und erhalten hat sich deshalb nur ein fünfminütiger Rest, der unter dem kryptischen Titel "The Sound of the Atom Splitting" auf einer der unzähligen Maxisingles der "Pet Shop Boys" landete.

Das war 1988, und das gescheiterte Experiment gehörte zur Produktion der meisterhaften Platte "Introspective". Auf ihr trieben die "Pet Shop Boys" die Liebe der achtziger Jahre für Maxiversionen auf die Spitze, denn das Album bestand nur aus sechs Remix-Fassungen von Stücken, die in ihrer ursprünglichen Version gar keiner kannte. Das schadete nicht: "Introspective" avancierte zur bestverkauften Platte eines Duos, das ohnehin schon zu den erfolgreichsten Popgruppen zählte.

Trevor Horn war damals das Äquivalent hinter den Reglern: ein Produzent, der alles, was er betreute, zu Gold machte. Mit "The Look of Love" von "ABC" hatte er 1982 die musikalische Grundstruktur eines ganzen Jahrzehnts vorgegeben: Zitatkunstwerke über tanzbaren Rhythmen, die vor allem auf die neuen Möglichkeiten elektronischer Musikproduktion setzten. Horn war der erste Großmeister des Samples in einer Zeit, als man noch Tonbänder aneinanderkleben mußte, und seine Fingerfertigkeit ("Trevor Horn thumbed along" steht bezeichnenderweise auf "Daft", dem legendären Debüt von "The Art of Noise") machte selbst aus einer Retortenband wie "Frankie Goes to Hollywood" noch einen Welterfolg.

Seine Arbeit mit den "Pet Shop Boys" brachte 1988 also alle Beteiligten auf dem Gipfel ihrer Karrieren zusammen. Aber Horn produzierte für "Introspective" nur zwei Songs: Neben "Left to My Own Devices" noch das nach House-Vorbild rhythmisierte "It's Alright" - immerhin waren das Auftakt und Abschluß des Albums. Die "Pet Shop Boys" bedauern bis heute, daß es damals nicht zu einer intensiveren Kooperation kam, und fast zwanzig Jahre später haben sie nun versucht, diesen Fehler zu korrigieren. Für ihre neue Platte "Fundamental" haben sie Trevor Horn erneut als Produzenten engagiert - und diesmal fürs Ganze.

Also ein Legendentreffen, aber die "Pet Shop Boys" sind nur noch moderat erfolgreich, während Horn, der als letzte Arbeit eine Platte des Sängers Seal abgeliefert hatte, seit Jahren gar nicht mehr in Erscheinung getreten war. Beim Anhören von "Fundamental" versteht man, warum. Er verpaßt der Musik einen derart impertinenten Achtziger-Jahre-Stil, daß man, so fundamentalistisch diese Rückbesinnung auch ist, als Titel besser "Retrospective" gewählt hätte.

Dabei hat der spezifische Charme der "Pet Shop Boys" nicht einmal gelitten. Die Fähigkeit von Tennant und Chris Lowe, Lieder zu komponieren, die sich sofort im Ohr fest- und die Beine in Bewegung setzen, ist immer noch bemerkenswert, und ein Stück wie "Twentieth Century" ist in seiner Reduktion auf bloßen Rhythmus geradezu ein Geniestreich. Doch das Unglück mancher Produzenten will es, daß sie ihr Engagement unbedingt aufällig rechtfertigen wollen, und so wird über die grandios-monotone Baßlinie des Stücks eine melodiöse Arabeske gelegt, die den Dub-Charakter zerstört. Und wenn in "Casanova in Hell" Frauenstimmen ein ansteigendes "Uh-uh-uh-uh" trällern, das geradewegs aus "Mirror Man" von "Human League" stammen könnte, dann werden sich wohl nur Poparchäologen an solchen Überresten einer glücklich vergessenen Vergangenheit erfreuen.

Aber es gibt auch Erfreuliches zu berichten: "Indefinite Leave to Remain" etwa beginnt mit einem Englischhornsatz, der wie der Auftakt zu einem Weihnachtschoral klingt. Anne Dudley, eine Hälfte von "The Art of Noise", hat die orchestralen Arrangements übernommen, und sie hat nicht nur bei dem bedauerlich kurzen Bläser-Entree ganze Arbeit geleistet. Dazu haben Tennant und Lowe wieder einmal ihr glückliches Händchen bei der Auswahl von Fremdkompositionen bewiesen; diesmal haben sie sich "Numb" von der amerikanischen Sängerin Diane Warren angenommen: ein Lied über den verzweifelten Wunsch, doch abzustumpfen angesichts all des Schreckens in der Welt.

Viel bemerkenswerter aber als die von der Plattenfirma groß herausgestellte angebliche Politisierung von "Fundamental", die bestenfalls drei Lieder betrifft, ist das deutliche Signal, das in einem unscheinbaren Satz des Booklets steckt. Mahmoud Asgari und Ayaz Marhoni waren zwei Achtzehnjährige, die im vergangenen Jahr wegen ihrer homosexuellen Beziehung in Iran hingerichtet wurden; ihnen ist "Fundamental" gewidmet. Das hebt manche wohlfeile Einseitigkeit der Texte auf. Und läßt verschmerzen, daß das meiste wieder mehr nach zersplitternden Atomen als nach dem von Trevor Horn ersehnten Debussy über Discorhythmen klingt.

ANDREAS PLATTHAUS

Pet Shop Boys, Fundamental, EMI 3628592.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr