Produktdetails
Trackliste
CD
1Born free00:05:14
2Slow My Roll00:04:19
3Care00:04:12
4Purple Sky00:04:06
5When It Rains00:04:46
6God Bless Saturday00:03:35
7Collide00:04:49
8Flyin' High00:04:03
9Times Like These00:05:57
10Rock On00:05:23
11Rock Bottom Blues00:03:51
12For The First Time (In A Long Time)00:05:45
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2010

Der Cowboy aus Detroit
Kid Rock, der Messias des Hardrock und Hip-Hop, ist erwachsen geworden

Und Rick Rubin sprach zu Kid Rock: "Du bist der, der das nächste große Rock-'n'-Roll-Album aufnimmt; es könnte das letzte sein." Das hatte sich der Meisterproduzent schlau ausgedacht. Aber warum gerade Kid Rock? Der Bier trinkende, Blondinen verschlingende Messias des poor white trash, der noch keine Platte ohne einen Warnhinweis vor anstößiger Lyrik veröffentlicht hat, galt bisher als Versöhner von Hip-Hop und Heavy Metal; und das war eigentlich auch immer Rubins Spezialität. Und nun richtigen Rock' n' Roll? Doch Moses fühlte sich auch nicht unbedingt dazu berufen, das Volk Israel ins gelobte Land zu führen. Vorsorglich nannte Kid Rock sein letztes Album schon mal "Rock'n'Roll-Jesus" (F.A.Z. vom 8. Dezember 2008).

Kid Rock hat die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. "Born Free" ist ein großes Rock'n'Roll-Album geworden. Ob es auch das letzte ist? Das wurde schon oft gefragt. Doch die Zeiten, in denen so getan werden konnte, dass man dieses oder jenes "heute" nicht mehr machen könne, sind vorbei, weggefegt von ebendem Rock'n'Roll, bei dem es noch nie darauf ankam, ob sich mit ihm etwas Neues mitteilen ließ. Es geht um die Kraft dieser Musik, "Fortschritt" muss anderswo erzielt werden. Trotzdem ist in dem Ausdrucksreservoir immer noch eine Nische frei, in der man sich in dem Gefühl einrichten kann, dieses Riff oder jene Gesangsphrase so eben doch noch nicht gehört zu haben, was natürlich auch daran liegen kann, dass man die Vorbilder nicht kennt.

Sehr streng genommen, ist jede Form der Wiederholung reaktionär. Aber oft findet man sein Genüge, sein Glück in der minimalen Abweichung vom Hergebrachten. Bei einer Great American Novel fragt man ja auch nicht immer, ob auch alles schön avantgardistisch ist; man freut sich schon, wenn der neue Franzen oder Ford gelungen ist. Oder, Kid Rocks Lieblingsthema, wenn man eine Flasche Bier aufmacht, tut man das ja auch nicht in der Erwartung, gleich eine noch nie dagewesene Erfahrung zu machen. Es gibt einfach Dinge, die sind Lebenselixier.

So ist denn auch absolut nichts neu oder originell an dieser Platte. Sie besticht vielmehr durch den Mut, mit dem hier auf alles zurückgegriffen wird, was man schon kennt und das, als Essenz von Rockmusik, eigentlich auch nicht mehr weiterentwickelt werden kann: der spontane Ausdruck von Lebensfreude; Bilanzen, in die sich Bitterkeit und Einverständnis mit dem Erreichten die Waage halten; der eigene Ansporn zum Weitermachen; dazu pure, übermütige Aggression, die sich gegen niemanden persönlich richtet.

Das sind im Wesentlichen die Themen, denen Kid Rock unter dem Eindruck der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Amerikas und besonders seiner Heimatstadt Detroit eine Note des Abgesangshaften verleiht. Dass die Platte dennoch nicht in Pessimismus versinkt, sondern im Gegenteil mitreißenden Schwung entwickelt, hängt auch mit dem strikt hedonistischen Temperament dieses Musikers zusammen, der nicht dafür bekannt ist, sich unterkriegen zu lassen.

Dem allen korrespondiert eine Sammlung von Stilelementen, die sich rückstandslos zusammenfügen. Die kristalline Klarheit ist reiner West Coast, die Sentimentalität Country- und Barpiano-Blues, der Freiheitsdrang harter Rock'n'Roll. Das ergibt eine hochimitative Mischung, der alles Schroff-Scharfkantige, das früher Kid Rocks Markenzeichen war, aber auf den letzten beiden Platten schon merklich zurückgefahren wurde, fehlt.

Der Auftakt und Titelsong schnurrt in mittlerem Tempo ab wie ein schweres amerikanisches Auto an der Pazifikküste, und dem Fahrer wehen die Echos von Bands wie den Eagles und Poco gewissermaßen durch die langen Haare. Man wippt nicht nur aus lauter Gewohnheit mit, weil man so einen Rhythmus ja schon einmal gehört hat; es ist vielmehr die Selbstverständlichkeit, mit der Kid Rock seine Daseinsfreude in einem Korsett herausröhrt, in dem nicht eine Note zu viel ist. "Slow My Roll" setzt, mit vorzüglichem Harmoniegesang, diese luftig-unbeschwerte Tonlage fort, bevor dann die Soulballade "Care" verhalten Sozialkritik übt. Ein absoluter Kracher ist "God Bless Saturday", der seine Eingangsakkorde bei "It's a Long Way to the Top (If You Wanna Rock'n'Roll) von AC/DC geborgt hat, wie Kid Rock überhaupt viel von den Australiern gelernt hat, vor allem, wie man Gitarrenriffs so schnörkellos wie effektvoll einsetzt. Der swingende Country von "Collide" hätte wohl auch ohne Bob Seger am Klavier geklungen wie dessen Aufnahmen im Studio von Muscle Shoals, Alabama. Kid Rock hat dafür seine Freundschaft zu Sheryl Crow aktiviert, die schon vor zehn Jahren für ihn gesungen hat und mit der er hier wieder wunderbar harmoniert. Der ausladende Slow-Blues von "Rock On", das kratzige R&B-Stück "Rock Bottom Blues" und der im Falsett gesungene Mittempo-Song "For the First Time (In a Long Time)", bei dem wohl eine kleine Überweisung an die Rolling Stones wegen der doch stark an "Happy" erinnernden Gesangslinie fällig wird, beschließen dieses üppige Album, auf dem es keinen Moment gibt, den man missen möchte.

Allerdings waren sich auch einige unter den Besten des amerikanischen Mainstreams der vergangenen fünfunddreißig Jahre nicht zu schade dafür, bei dem ehemaligen Rüpel mitzumachen, der hier nun sein absolutes Meisterwerk abliefert: außer den Erwähnten Benmont Tench (Keyboards), Matt Sweeney, Smokey Hormel und David Hidalgo (Gitarre), der Red Hot Chili Pepper Chad Smith (Schlagzeug), dazu Mary J. Blige, T.I. und Zac Brown (Gesang). Bei dem Personal, könnte man sagen, ist es auch keine Kunst, eine Platte mit so makelloser Instrumentierung zu machen. Aber Promi-Projekte sind auch schon schiefgegangen. Was man zusätzlich braucht, ist eine ordnende Hand.

Die hat Rick Rubin. Und Kid Rock, der seine Platten bisher selbst produziert hat, tat gut daran, das Vertrauen, welches Rubin in ihn als erstklassiger Rockinterpret und Songschreiber gesetzt hat, zu erwidern. Kid Rock, könnte man sagen, ist erwachsen geworden. Das war bei jemandem mit diesem Talent absehbar. Geisterte doch immer schon der Cowboy als Leitidee durch sein Repertoire und waren das Country- und Hardrockriff seine bevorzugten Ausdrucksmittel. Man musste nur hinhören.

EDO REENTS

Kid Rock,

Born Free

Atlantic 83339 (Warner Music)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr