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Märchen aus einer Zeit lange vor der industriellen Revolution können Aufschluss über die Ökonomie unserer Tage geben. Sie führen ganz gegenwärtig vor Augen, was Armut, Hunger und Elend bedeuten. Denn Globalisierung hebt nicht allgemein den Lebensstandard, und was bedingungslose Gewinnmaximierung in der menschlichen Seele anrichtet, auch darin geben sie Einblick: Rumpelstilzchen präsentiert eine Müllerstochter, die unter höchsten Leistungsanforderungen in den Club der Reichen und Schönen aufsteigt, aber in ihrer völligen Entfremdung beinahe unfähig wird, ein Kind großziehen zu können. Der…mehr

Produktbeschreibung
Märchen aus einer Zeit lange vor der industriellen Revolution können Aufschluss über die Ökonomie unserer Tage geben. Sie führen ganz gegenwärtig vor Augen, was Armut, Hunger und Elend bedeuten. Denn Globalisierung hebt nicht allgemein den Lebensstandard, und was bedingungslose Gewinnmaximierung in der menschlichen Seele anrichtet, auch darin geben sie Einblick: Rumpelstilzchen präsentiert eine Müllerstochter, die unter höchsten Leistungsanforderungen in den Club der Reichen und Schönen aufsteigt, aber in ihrer völligen Entfremdung beinahe unfähig wird, ein Kind großziehen zu können. Der gestiefelte Kater lässt mit klug kalkulierten Betrugsstrategien seinen Herrn zum König aufsteigen und wird selbst Minister. Was sind das für Leute, deren Unmoral und Zynismus mit Händen zu greifen sind, die uns gleichwohl regieren, dirigieren und regulieren? Die Bremer Stadtmusikanten zeigen die vom kapitalistischen System vor die Tür gesetzten vermeintlichen Unproduktiven, Alten und Verbrauchten. Die tun sich zusammen, erklären die Großeigentümer für Räuber und Diebe und schließen keinen Hilfsbedürftigen aus ihren Reihen aus; markiert das den Beginn eines neuen Wirtschaftens aus humanerem Geist?
Autorenporträt
Dr. theol. Eugen Drewermann, geboren 1940, ist wohl der bekannteste Theologe der Gegenwart. Nach Entzug seiner Lehrerlaubnis und Suspension vom Priesteramt arbeitet er als Therapeut und Schriftsteller. Zahlreiche Buchpublikationen, darunter zahlreiche Märcheninterpretationen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2007

Märchen und Wirtschaft
Die Bremer Stadtmusikanten als Vorbild für Solidarität

Die Märchen der Brüder Grimm gehören zum Allgemeingut. Den meisten gelten sie als lehrreiche, aber harmlose Geschichten aus einer fernen Vergangenheit. Mit dem gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem werden sie hingegen kaum in Verbindung gebracht. Dies sieht der katholische Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann vollkommen anders.

Er will nachweisen, dass in diesen jahrhundertealten Märchen eigentlich schon alles Wesentliche über das heutige Wirtschafts- und Arbeitsleben und dessen Schattenseiten gesagt wurde. Dies gilt beispielsweise für die Forderung des Königs an die Müllerstochter im "Rumpelstilzchen", binnen einer Nacht eine Kammer voll Stroh zu Gold zu spinnen. Sie symbolisiere den gnadenlosen Leistungsdruck und die vollkommene Ausbeutung der Arbeitskraft. Der Aufstieg des "Gestiefelten Katers" wiederum verkörpere die drei Voraussetzungen für geschäftlichen Erfolg: Existenzgründung mittels Kreditaufnahme, substanzlose Imagewerbung und Manipulation der Abnehmer. Hinzu kämen absolute Skrupellosigkeit und Bestechung.

Kurz gesagt zwinge das Wirtschaftssystem die Menschen in eine permanente Vernichtungskonkurrenz. Das kombiniert Drewermann mit tiefenpsychologischen Charakteranalysen. Den Müller aus dem "Rumpelstilzchen" erklärt er für unzurechnungsfähig. Dessen Tochter erscheint gleichermaßen als deformiert, weil dem Vater hörig und ohne eigenen Willen. Auch der Gestiefelte Kater kommt als schizoider Hasardeur kaum besser weg.

Einzig in den "Bremer Stadtmusikanten" erkennt Drewermann (viel) Positives. Die Tiere, allesamt von ihren Haltern ausgemustert, verweigern sich den Systemzwängen - und werden dafür im Märchen reich belohnt. Sie schließen sich zusammen und nehmen sich von den Räubern, was sie zum Leben brauchen. Darin bestehe die einzige Lösung, nämlich Solidarität unter den Schwachen und eine gerechtere Güterverteilung, auch wenn diese erzwungen werden müsse. Drewermann zitiert in diesem Zusammenhang Passagen aus dem Kommunistischen Manifest und zeigt damit einmal mehr seine Nähe zu sozialistischen Gesellschaftskonzepten.

Das Buch bietet teilweise originelle Assoziationen. Insgesamt wirkt die Übertragung der über 200 Jahre alten Märchen auf die Gegenwart aber überzogen. Letztlich offenbaren die Interpretationsversuche hauptsächlich eine Fundamentalkritik an der Marktwirtschaft, die in dieser Pauschalität nicht zu überzeugen vermag. Äußern kann man sie selbstverständlich trotzdem - nur sollte man sie dann aber auch als solche deklarieren.

ARNDT CHRISTIANSEN

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