Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 8,00 €
  • Gebundenes Buch

Erst in den sechziger Jahren erholte sich die Lyrik in Spanien vom Schock des Bürgerkriegs und vom Druck der alles erstickenden Franco-Diktatur. Langsam, aber unüberhörbar erhoben sich die Stimmen junger Autoren, deren Gedichte mit kraftvollen Sprachbildern ästhetische Paradigmen und ethische Grundmuster für die Lyrik unserer Gegenwart entwerfen. Heute sind diese Stimmen unverwechselbar geworden; jede einzelne kann den Status eines Klassikers der Moderne beanspruchen. Ob mit leicht zugänglicher Alltags- und Gedankenlyrik oder mit hermetischen, auf den ersten Blick schwer erschließbaren Texten:…mehr

Produktbeschreibung
Erst in den sechziger Jahren erholte sich die Lyrik in Spanien vom Schock des Bürgerkriegs und vom Druck der alles erstickenden Franco-Diktatur. Langsam, aber unüberhörbar erhoben sich die Stimmen junger Autoren, deren Gedichte mit kraftvollen Sprachbildern ästhetische Paradigmen und ethische Grundmuster für die Lyrik unserer Gegenwart entwerfen. Heute sind diese Stimmen unverwechselbar geworden; jede einzelne kann den Status eines Klassikers der Moderne beanspruchen. Ob mit leicht zugänglicher Alltags- und Gedankenlyrik oder mit hermetischen, auf den ersten Blick schwer erschließbaren Texten: Diese Lyriker erdichten den Standort für den Menschen aufs neue - in immer wieder überraschenden Wendungen.

Die Anthologie versammelt ein Dutzend dieser poetischen Stimmen, herausragende Beispiele der spanischen Gegenwartslyrik, die selbstbewußt das Erbe der international bekannten Großen der ersten spanischen Moderne - Antonio Machado, Federico García Lorca, Luis Cernuda, Pedro Salinas - antreten: José Ángel Valente, Jaime Gil de Biedma, Leopoldo M. Panero, José Agustín Goytisolo, Carlos Barral, José Hierro, Pere Gimferrer, Ángel González, Juan-Eduardo Cirlot, Antonio Gamoneda, Ángel Crespo, Clara Janés.
Autorenporträt
Brovot, Thomas
Thomas Brovot, geboren 1958 in Köln, studierte Romanistik und Politikwissenschaft. Er lebt als Übersetzer (u.a. Reinaldo Arenas, Juan Goytisolo, Federico García Lorca) in Berlin.

Lange, Susanne
Susanne Lange, geboren 1964 in Berlin, studierte Komparatistik, Germanistik und Theaterwissenschaft. Seit 1992 ist sie als freiberufliche Übersetzerin spanischsprachiger Literatur tätig. Susanne Lange lebt in München und bei Barcelona.

Strien, Petra
Petra Strien, geboren in Solingen bei Düsseldorf, ist Romanistin. Sie gibt regelmäßig Seminare für spanische und lateinamerikanische Literatur und literarisches Übersetzen an verschiedenen Universitäten. Außerdem ist sie seit vielen Jahren als freie Übersetzerin spanischer und lateinamerikanischer Prosa und Lyrik tätig.

täten. Außerdem ist sie seit vielen Jahren als freie Übersetzerin spanischer und lateinamerikanischer Prosa und Lyrik tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2005

Fotos aus Nachkriegseuropa
Ruiniert in den Ruinen: Eine Anthologie spanischer Lyrik

Als die Grablegung der spanischen Dichtung mag man sich vorstellen, wie Hispanistikstudentinnen im Hinterzimmer einer Flamencoschule in Berlin-Friedrichshain zum Klang einer Vertonung von Federico García Lorcas "Romancero gitano" ihre Selbstfindung zelebrieren. Dieses Szenario würde aber die traurige Realität spanischer Lyrikrezeption in hiesigen Gefilden recht treffend beschreiben. Ganz im Gegensatz zu Lateinamerika, wo Autoren wie Pablo Neruda oder Ernesto Cardenal in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts einen Siegeszug weit über die Grenzen ihres eigenen Kontinents hinaus erlebten, schien die Iberische Halbinsel aus der Sicht eines deutschsprachigen Publikums nach dem Bürgerkrieg jahrzehntelang nur unter dem finsteren lyrischen Nachklang des "Ich bin der Bräutigam des Todes" der Franco-Truppen zu zittern. Während hierzulande die Figur Lorcas monolithisiert und verkitscht wurde, erhielten allenfalls noch die Größen des spanischen Exils wie Vicente Aleixandre, Rafael Alberti, Luis Cernuda oder der mit einem späten Nobelpreis geehrte Juan Ramón Jiménez Anerkennung.

Welche Ungerechtigkeit das darstellt, macht eine einzigartige Anthologie von Javier Gómez-Montero und Petra Strien greifbar, die anhand von zwölf ausgewählten Dichtern ein lebhaftes und facettenreichen Porträt spanischer Lyrik der Nachkriegsmoderne bietet. In einer erfrischend unchronologischen Anordnung gelingt es dem Band, die Vielschichtigkeit und Brisanz eines dichterischen Schaffens nachzuzeichnen, das sich um 1950 nach mehr als einem Jahrzehnt faschistischer Kultursubventionspolitik aus dem Mittelmaß der oratorischen Gleichschaltung erhebt.

Zu ersten selbstbewußten Ergebnissen führen Texte wie Juan-Eduardo Cirlots lyrischer Nachruf auf den 1951 verstorbenen Arnold Schönberg. Der Versuch, durch eine lyrische transposition d'arts die Klänge des Komponisten in sprachliche Form zu bringen, gerät zur poetischen Selbstpositionierung gegen ein dominierendes Epigonentum: "Und die Harmonie tönt, sich lösend / von leidenden Stoffen, / von toten Formen, / von traurigem Licht, / nackt in der Liebe." Fernab der Vorbilder der vorausgehenden Generation schweift der Blick der jungen Lyriker über die Grenzen des faschistischen Spanien, aber auch der Literatur hinaus. So etwa verwandelt Clara Janés (geboren 1948) die Skulpturen Constantin Brancusis in Worte: "Schwerelos der Stein, / Parenthese der Zeit / und Altar / tiefer Einsamkeit der Menschenseele."

In ebenso sprachen- und sprachtranszendierender Weise sammelt Jaime Gil de Biedma (1929 bis 1990) unter Evozierung von Préverts und Kosmas Chanson "Les feuilles mortes" seine lyrischen "Photos aus Nachkriegseuropa". Innerhalb dieses "verwahrlosten" Kontinents, "wo der Mond im zerbrochenen Fenster erscheint, / Europa vor dem deutschen Wirtschaftswunder", spiegelt sich Ernüchterung nach der Vernichtung der Republik wider und wird doch auch zu einem in perverser Weise heimeligen Ort der dichterischen Inspiration. Die ironische und paradoxe Erfüllung einer "Vita Beata" lautet für Gil de Biedma: "In einem alten, schlecht regierten Land, / etwa wie Spanien zwischen zwei Bürgerkriegen / hausen wie ein ruinierter Edelmann / in den Ruinen meines Denkvermögens."

Daß solche politischen Seitenhiebe und mehr noch Tabubrüche wie die ikonoklastische Umformung eines Klassikers der Troubadourlyrik zum unverhohlen homosexuellen Großstadt-Schäferstündchen ("Albada/Taglied") unter Franco nicht als gesellschaftlich wertvoll erachtet wurden, muß kaum verwundern. Darüber hinaus aber werden die urbanen und intellektuellen Ruinen auch zur existentiellen poetischen Metapher zweier ganzer Generationen. Als "stumme Runenruinen" aus apokryphen Palimpsesten des Mittelalters konzipiert etwa Cirlot seine Dichtung. "Es regnet immer in den Ruinen", verkündet der 1948 geborene poète maudit Leopoldo María Panero und berichtet "sagenhafte Geschichte über Dinge, die es niemals gab / in dem eingestürzten Palast". Ein Zusammenbruch, der jedoch nicht allein politisch oder gesellschaftlich, sondern auch sprachlich begründet ist. Schreiben ist für Panero ein Akt der "Liebe zu den Silben und den Buchstaben, / die die Welt zerstören, / die sie entlasten, / gewiß zu sein."

Letztes Ziel der Dichtung in einer geborstenen Welt ist das Schweigen. Zur poesía del silencio wird das Werk von Autoren wie Cirlot, Antonio Gamoneda und José A. Valente. Neben die zuweilen parodistisch-grotesk gebrochene Tragik tritt aber gerade in Barcelona, der heimlichen Hauptstadt im dichterischen Bereich, eine virtuose Leichtigkeit. Sie nährt sich, so bei Pere Gimferrer (geboren 1945), aus "alten Liebes- und Spionagefilmen" ebenso wie dem "Rausche der kreisenden Planeten" und den Werken von Bach, Hölderlin und Octavio Paz.

Unterstützt wird eine derartige Stimmenvielfalt von der geglückten Entscheidung der Herausgeber, das Buch als Kollektivunternehmen der wichtigsten spanisch-deutschen Lyrikübersetzer zu konzipieren. Ein wenig schade ist allein, daß es dennoch den Anspruch des Titels verfehlt, die "Spanische Lyrik der Gegenwart" zu kondensieren. Zum einen beschränkt sich die Auswahl auf Gedichte in kastilischer Sprache und schließt damit etwa die eindrucksvolle Renaissance katalanischer Lyrik nach dem Tode Francos völlig aus.

Dies führt zu so bizarren Ergebnissen wie der Ausblendung von Gimferrers gesamten, da nunmehr rein katalanischen Publikationen nach 1969. Zudem ist der jüngste Autor, Leopoldo Panero, bereits Mitte Fünfzig und veröffentlicht, dauerhaft in einer Heilanstalt lebend, praktisch nicht mehr. Sechs der elf weiteren Dichter sind tot. Sähe so die "Gegenwart" aus, wäre Spanien eine Art Geisterhaus. Dennoch läßt die exzellente Qualität der ausgewählten Texte eine fortlebende Tradition erahnen, welche die wechselhafte Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht abzubrechen vermochte.

FLORIAN BORCHMEYER.

"Du kamst, Vogel, Herz, im Flug". Spanische Lyrik der Gegenwart. Gedichte 1950- 2000. Spanisch und deutsch. Herausgegeben von Javier Gómez-Montero und Petra Strien. Nachwort von Javier Gómez-Montero. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 210 S., geb., 14,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Vermutlich betreiben Hispanikstudenten in Flamencoschulen mit Lorca-Versen Selbstfindung, spottet Florian Borchmeyer, doch darüberhinaus friste die spanischsprachige Lyrik hierzulande ein höchst kümmerliches Dasein. In Spanien und Lateinamerika habe die Lyrik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dagegen eine große Renaissance in Rezeption und Produktion erlebt, so dass es Borchmeyer zufolge höchste Zeit war für eine Anthologie, wie sie nun, von Javier Gomez-Montero und Petra Strien auf erfrischend unorthodoxe Weise betreut, vorliegt. Die Herausgeber hätten gut daran getan, lobt Borchmeyer, die wichtigsten spanisch-deutschen Lyrikübersetzer in ihr Unternehmen einzubeziehen, so dass wirklich eine große Stimmenvielfalt in der mit dem Jahr 1950 einsetzenden Anthologie zustande gekommen sein soll. Zwei kleine Kritikpunkte äußert der Rezensent: die Beschränkung auf Dichter des Kastilischen schließe leider die nach Francos Tod wiederaufgeblühte katalanische Dichtung aus; außerdem seien viele der vertretenen Dichter für eine "Anthologie der Gegenwart" zu alt. Sähe so die Gegenwart spanischer Lyrik aus, spöttelt Borchmeyer, dann wäre Spanien ein Geisterhaus. Immerhin lasse sich so dank der Anthologie eine lebhafte Tradition wenigstens erahnen.

© Perlentaucher Medien GmbH