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Leonard Cohens Vermächtnis. »Die Flamme« ist Leonard Cohens sprachmächtiger Abgesang, eine Abschiedsrede, bestehend aus Songtexten, Gedichten, Notizbucheinträgen und Illustrationen.
2016 starb im Alter von 82 Jahren der große Sänger und Dichter Leonard Cohen - und »die Welt wurde dunkler«, wie es in einem der unzähligen Nachrufe hieß. Mit Songs wie »Hallelujah« oder »Suzanne« wurde er in den späten 1960ern weltberühmt. In seinen letzten Lebensjahren wuchs seine Popularität noch einmal. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete er an diesem Buch, seinem literarischen Vermächtnis. Wenige Wochen vor…mehr

Produktbeschreibung
Leonard Cohens Vermächtnis. »Die Flamme« ist Leonard Cohens sprachmächtiger Abgesang, eine Abschiedsrede, bestehend aus Songtexten, Gedichten, Notizbucheinträgen und Illustrationen.

2016 starb im Alter von 82 Jahren der große Sänger und Dichter Leonard Cohen - und »die Welt wurde dunkler«, wie es in einem der unzähligen Nachrufe hieß. Mit Songs wie »Hallelujah« oder »Suzanne« wurde er in den späten 1960ern weltberühmt. In seinen letzten Lebensjahren wuchs seine Popularität noch einmal. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete er an diesem Buch, seinem literarischen Vermächtnis. Wenige Wochen vor seinem Tod, gab Leonard Cohen dem New Yorker ein Interview, in dem er sagte, er sei bereit zu sterben. Er brauche nur unbedingt noch genug Zeit, um sein allerletztes Buch fertigzustellen. Glücklicherweise wurde er erhört.

Entstanden ist eine Kartographie seines einzigartigen Lebensweges. Neben noch unbekannten Gedichten und Zeichnungen finden sich in diesem Buch zum ersten Malausgewählte Notizbucheinträge Cohens, die dem Leser das Innenleben dieses Ausnahmekünstlers erstaunlich nahe bringen.
Autorenporträt
Leonard Cohen, geboren 1934 in Montreal, gestorben 2016 in Los Angeles, war ein kanadischer Schriftsteller und Musiker. Songs wie 'Hallelujah', 'Suzanne' oder 'Dance Me to the End of Love' machten ihn zu einem Weltstar. Cohen erhielt unter anderem einen Grammy für sein Lebenswerk und einen Platz in der Rock and Roll Hall of Fame.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2018

Quell der
Finsternis
Leonard Cohen wollte mit seinem
letzten Buch offenbar vor allem eines
verhindern: naive Beweihräucherung
VON GEORG KLEIN
Nur wenige Männer dürfen erleben, was es heißt, für das andere Geschlecht Schönheit zu verkörpern. Der kanadische Lyriker, Sänger und Songwriter Leonard Cohen gehörte zweifellos zu denen, die diese Erfahrung machten und denen das Vermögen, vielen Frauen auf den ersten Blick ein Wohlgefallen zu sein, eine lange Weile wie in einem libidinösen Automatismus zu Gebote stand.
Noch heute lässt sich leicht ein Bild hiervon machen. Denn die analoge Schwarzweißfotografie des vorigen Jahrhunderts war das ideale Medium, um Cohens Gesicht, markant und weich zugleich, auf den großformatigen Covern der Vinyl-LPs so zu inszenieren, dass intime Nähe mit ikonischer Distanz verschmolz. Um es mit Cohens Worten zu sagen: „Is this my destiny to be so attractive & unavailable?“
„Anziehend & unverfügbar“ – diese Selbstbestimmung findet sich in einem der vielen Notizbücher, die der Dichter hinterlassen hat. Und Auszüge aus diesen Kladden, meist poetische Fragmente unterschiedlicher Länge, bilden zusammen mit bislang unveröffentlichten Gedichten und Songtexten aus den späten Alben den Textkörper eines letzten Buches, an dem Cohen bis zu seinem Tod im November 2016 gearbeitet hat und das nun, herausgegeben von Cohens Sohn Adam und den Literaturwissenschaftlern Robert Faggen und Alexandra Pleshoyano, auch in einer Ausgabe mit deutschen Übersetzungen vorliegt.
Noch bevor der erste Vers in eine Zeile findet, eröffnet ein Selbstporträt den Band. Mehr als 60 weitere werden folgen, ausgewählt aus den mehr als 300, die Cohen mit Stift, Feder und Pinsel von sich angefertigt hat. Sie zeigen in großer serieller Ähnlichkeit den Kopf eines alten Mannes. Gelegentlich verrät eine Datierung, wann sich Cohen hierfür vor den Spiegel gesetzt hat. Die Miene ist erschlafft, der Blick meist leer. Dem, der hier die Faltenlinien zog und den Zügen nicht den Anflug eines Lächelns gönnte, scheint es darauf angekommen zu sein, kaum mehr als eine vage, gerade in ihrer Ermattung ausweglos wirkende Negativität Gestalt werden zu lassen.
Wer Leonard Cohen auf einer seiner letzten Tourneen als bezaubernd charmanten, dezent heiteren und stilvoll selbstironischen Greis erlebt hat, muss über diese gnadenlosen Selbstporträts erschrecken: „Can’t look in the mirror / I’m burning with shame“ heißt es in den Notizbüchern über den Abbildungsprozess, den sich Cohen immer aufs Neue zugemutet hat. Und die Texte lassen keinen Zweifel an dem, was ihr Verfasser schmerzlich entbehrt. Es sind Momente, deren Kostbarkeit erst vollends aufleuchtete, als sie zu raren Ausnahmen geworden waren: „You were the last young woman / to look at me that way“. Oder: „You smiled at me / as I was young / It took my breath away“.
Was dem alt gewordenen Erotomanen hier ein allerletztes Mal den Atem raubt, muss sein Lebenselixier gewesen sein. „I fell in love with everyone who fell in love with me“ heißt es in den Notizbüchern. Und mit „Liebe“ ist in der Regel auch Sex gemeint. Das romantisch maskierte Verlangen wird von dem, was die Körper alsbald vollziehen, nur selten geschieden.
Die Notizbücher, die reich an drastischen, gelegentlich sogar rohen Formulierungen sind, sprechen sogar von „pussy hunting“. Und wenn der Dichter im Frühling 2012 schreibt, dass ihm weder das Geld noch der Ruhm, weder die Familie noch die Kunst im Leben am meisten bedeutet hätten, dann kann sich der Leser ohne Mühe zusammenreimen, was jene fünfte Sache ist, die Cohen damals, in seinem 78. Lebensjahr, mehr als alles andere entbehrte.
Der Greis wird nun in seinen Träumen von der Wiederkehr seiner „favourite lovers“ geplagt und sieht sich noch einmal in schauriger Reihung selbst als einen jener „hundred lovers“, die er in den vergangenen Jahrzehnten verkörpert hat.
Das hört sich schlimm an. Und besonders beschämend muss es um jenes noch nicht ganz so hinfällige männliche Ich gestanden haben, welches eine junge Frau mit dem Versprechen zu ködern versuchte, man hätte da ein paar Tricks auf Lager, welche die Begehrte vergessen ließen, dass die fraglichen Kunstfertigkeiten von einem alten Kerl praktiziert würden: „I am very skillfull / You will forget that I’m old.“
Sogar in den fernen Momenten, in denen alles zeitlos schön erschien, als das jeweilige Paar zu gleichen Teilen „den raren Nektar der Zweisamkeit schlürfen“ durfte und „für einige Sekunden alle Sünden vergeben“ schienen, verweilte wie ein ungebetener Dritter etwas Dunkles auf den vom Liebeskampf zerwühlten Laken: „The troubles followed me from bed to bed.“
Was in einem anderen Vers „brother trouble“ heißt, taucht auch als „sorrow“, „despair“, „burdon“, „sickness“, „shame“ und immer wieder unter dem Namen „darkness“ auf. Mehr als 50 Mal kommt dem Leser die Silbe „dark“ in diesem Buch entgegen, und wer sich von einem naheliegenden psychologischen Kalkül leiten lässt und nach dem Wort „depression“ fahndet, wird es zwar nur zweimal entdecken, allerdings bereits in der dritten Zeile des ersten Gedichts mit dem bestechend bündigen Titel „Happens to heart“: „I was always working steady / But I never called it art / I was funding my depression / Meeting Jesus reading Marx /“.
Wer Cohens Texte schätzt, kennt dieses subtile Wechselspiel aus prosaischer Demut und steiler spiritueller Überhebung. Gerade mal ein einziges Wort trennt die triste Allerweltsvokabel „depression“ vom Namen des Erlösers. Auch die anschließenden Verse sind bei aller eingängigen Schlichtheit raffiniert kunstvoll gemacht. Dennoch soll dem Poeten dasjenige, wofür ihn seine Fans seit Jahren lieben, die Bezeichnung „Kunst“ nicht wert sein.
Auf den folgenden Seiten lässt sich noch eine ganze Reihe von Herabwürdigungen des eigenen Schaffens finden: „I call my work acceptable decoration“. Sich selbst nennt Cohen „a second-rater by any estimation“, also zweitrangig in jeder Hinsicht.
Cohen weiß natürlich, dass seine Möglichkeiten als Sänger, Gitarrist und Erfinder simpler Melodien immer arg begrenzt gewesen sind. Aber spielt das noch eine Rolle, wenn das poetische Ich mit stupender Beiläufigkeit erwähnt, keinen Geringeren als Jesus getroffen zu haben und uns als das imaginäre „You“ des Eröffnungspoems auffordert, „dem jungen Messias“ von ihm, dem alt gewordenen Dichter, bei Gelegenheit auszurichten, was dem Herzen in dieser Welt zustoßen könne?
Dass sich eine solche spirituelle Inszenierung noch steigern lässt, zeigt das Eingangslied von Cohens letzter Platte „You Want It Darker“, dessen Text sich nun als Gedicht im vorliegenden Band findet. Derjenige, der hier spricht, wendet sich an einen Gott, der ihm Refrain traditionell ehrerbietig „my lord“ genannt wird, sich aber zugleich vom Dichter sagen lassen muss, dass dieser ihn für den Quell jener Dunkelheit hält, die seine Erdentage immer aufs Neue verfinstert hat und ihm nun den allerletzten Funken Lebenslicht abverlangt.
Wie fromm muss ein Erdenbürger sein, um seinen Gott mit derartiger Erbitterung lästern zu können? Cohens Verse suchen wie in einer steten Suchbewegung nach einem Ansatzpunkt, von dem aus sich die obskur übermächtige Größe dieses dunklen Gottes fixieren ließe, der für die fatale Falschheit der Welt, die mörderische Bosheit vieler Zeitgenossen und die Ausweglosigkeit der ganz persönlichen, intim isolierten Misere verantwortlich ist. Eingebunden in den streng geformten Textkörper des großartigen Songs „Almost like the Blues“ heißt es: „There is no G-d in Heaven / And there is no Hell below / So says the great professor / Of all there is to know / But I’ve had the invitation / That a sinner can’t refuse / And it’s almost like salvation / It’s almost like the blues“. In der Übersetzung von Ron Winkler, die das Risiko von Reim und festem Metrum nicht scheut, klingt das so: „Es gibt keinen G-tt da oben / und keine Hölle nicht / Sagt der Professor alles wissend / Was zu wissen ist / Aber ich bin dahin eingeladen / (Was ich als Sünder annehmen muss) / Und finde beinahe Erlösung / Fast ist es ein Blues“. „Salvation / Erlösung“ ist eine jener hochkarätigen spirituellen Vokabeln, die Cohen, der „man of flesh“, herbeizitiert, um sie dann im Binnenraum des jeweiligen Textes mit dem allzu Irdischen, dem gedemütigten Leib und einem sich selbst verspottenden Gemüt zusammenzuspannen. In einer grausam schonungslosen Prosaskizze über zwei alte jüdische Freunde und deren kümmerliche religiöse Praxis wird vom auslaufenden Leben der beiden als einem „wreck of failed spiritual adventure“ gesprochen.
Cohens letztes, nun postum erscheinendes Buch „The Flame“ ist, vor allem in den Auszügen aus den Notizbüchern, überreich an Selbstkritik, ja Selbsterniedrigung und randvoll mit Bitterkeit und Finsternis. Die Stimme, die hier mehr oder weniger gekonnt maskiert oder brutal entblößt spricht, nennt sich sogar „Scharlatan“, „Hure“ oder „Junkie“. Cohen hat mit diesem Band wirklich einiges aufgeboten, um einer naiven Beweihräucherung seiner irdischen Existenz und seines poetischen Schaffens zu widersprechen.
Auf eine rechtschaffene, ja noble Art, scheint mir dieses Verfahren zu Cohens besten Gedichten passen. In „Mary full of grace“ wird keine Geringere als die Gottesmutter um Bestand im Hier und Jetzt angerufen. Gleich einem Gebet könnten die Verse auf eine fast katholische Manier demütig fromm klingen, wenn jene „Maria voll der Gnaden“ nicht gleich eingangs duftend wie eine Blume aus der Duschkabine stiege: „You step out of the shower / Oh so cool and clean / Smelling like a flower / From a field of green / The world is burning Mary / It’s hollow dark and mean“.
Vielleicht lässt sich nur so, für einen sinnenschwer schwebenden Augenblick, mit dieser Finsternis und ihrem göttlich gnadenlosen Fürsten ein Waffenstillstand schließen?
Leonard Cohen: Die Flamme / The Flame. Zweisprachige Ausgabe. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2018. 352 Seiten, 30 Euro.
Wer Cohen auf seinen letzten
Tourneen als bezaubernden
Greis erlebte, erschrickt hier
„Es gibt keinen G-tt da oben / und
keine Hölle nicht“ – Leonard Cohen 2011 im spanischen Gijón.
Foto: REUTERS
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018

So nah am Feuer

Heimgekehrt: "Die Flamme" versammelt Leonard Cohens lyrisches Vermächtnis.

Von Rose-Maria Gropp

Als Leonard Cohen vor zwei Jahren verstarb, war nicht einfach ein Sänger mit 82 Jahren gegangen, es war der Godfather of Song, der seine Gemeinde verließ, die er über Jahrzehnte begleitet hatte. Und bei der er, überall auf der Welt, weiterleben wird. Weil der Mann alle Himmel aufgerissen hat, während er alle Höllen kannte - und das Fegefeuer und den Garten der Lüste auf Erden durchstreifte. Es ist Cohens Domäne, das Begehren und den Frauendienst auf unerhörte Weise vereint zu haben mit dem Verlangen nach einem Gott in mannigfacher Gestalt. Das hat ihn zum "Ladies' Man" gemacht wie zum Gottsucher, im Zeichen des ständigen Schillerns zwischen Anwesenheit und Entzug.

Dieser Zauber ist in dem Buch bewahrt, das jetzt weltweit als Testament des kanadischen Poeten erschienen ist - das uralte Lieblingsspiel im immer neuen Gewand aus Worten; "New Skin for the Old Ceremony" hieß schon 1974 ein Album von Cohen. Der Titel dieses Vermächtnisses heißt "Die Flamme / The Flame", ein wunderschön gemachter Band, ganz in Schwarz mit Schnittkanten in brennendem Orangerot. Er enthält, so leitet Cohens Sohn Adam das Vorwort ein, "die letzten Arbeiten meines Vaters als Dichter". Dieses Buch war das, "wofür er versuchte, am Leben zu bleiben, am Schluss der einzige Grund für ihn weiterzuatmen". Er selbst hat noch die Anordnung seines Nachlasses in Lyrik und Prosa bestimmt. Da sind unbekannte Gedichte und Gedankensplitter, wann sie entstanden sind, ist oftmals nicht bekannt; es ging Cohen nicht um eine Chronologie, es ging um die intensive Erfahrung des Moments im Fluss der Zeit. Da sind Songtexte, dabei auch die Lieder seines letzten Albums "You Want It Darker", das im Monat vor seinem Tod erschien. Da sind Aufzeichnungen, die er über die Jahre hin für sich machte. Adam Cohen berichtet, an welch absurden Orten, bis hin zum Kühlschrank, sein Vater seine Notizzettel und Notizbücher aufbewahrte. Dazwischen eingestreut sind viele Zeichnungen und Porträts, graffitihaft und meist mit etwas Schrift daneben, die Selbstbildnisse an der Grenze zur Karikatur, Gesichter eines vom Leben gezeichneten Mannes.

"Das Schreiben war sein Lebenszweck. Das war das Feuer, das er hegte, die bedeutendste Flamme, die er schürte. Sie ist niemals erloschen", heißt es im Vorwort. Erst Leonard Cohens grandioses würdiges Abschiednehmen lautet "You want it darker / We kill the flame". Dieses "you" zielt auf den großen Anderen, den er von allem Anfang an in seinen Liedern und Gedichten gemeint hat. "Now the flames they followed Joan of Arc": So hat er ihn der heilig lodernden Jungfrau in ihrem Panzer 1971 auf dem Album "Songs of Love and Hate" aus dem Feuer heraus zusprechen lassen. "The blaze of light in every word" brennt in seinem "Hallelujah". Als er 2011 den "Prinz-von-Asturien-Preis" erhält, sagt er in seiner Dankesrede, die im Buch abgedruckt ist: "Lyrik entsteht an einem Ort, den niemand beherrscht und niemand erobert. Anders gesagt: Wenn ich wüsste, woher die guten Songs kommen, würde ich mich häufiger dorthin begeben." Jedenfalls immer dort, wo es heiß wird, manchmal zu heiß, erscheint Cohens Flamme; er ist ein Dichter, und genau das will er sein.

Für die zweisprachige Ausgabe von "The Flame" besorgten zwölf deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller die Übersetzungen. Da kommen sehr verschiedene, eigene Stimmen zusammen. Nicht jede Stelle im Konvolut dieser Passagen kann in der deutschen Übertragung glänzen, wie freilich auch nicht jedes von Cohens Bruchstücken gefeilt ist. Wie also liest man ein solches literarisches Testament? Nicht, indem man all die Seiten durchkämmt. Indem man sich vielmehr treiben lässt, innehält, an einer anderen Stelle Halt findet. Wie an einem ganz kleinen Poem, dessen Datum unbekannt ist; es heißt "What I do": "It's not that I like / to live in a hotel / in a place like India / and write about G-d / and run after women / It seems to be / what I do." Eine melancholische Selbsterkenntnis, die den Namen des Herrn - "G-d" - nicht aufzuschreiben wagt. Nora Bossong hat den Vers ins Deutsche übertragen, mit der harten Knappheit, der ihm innewohnt, zugleich den Rhythmus bewahrend für dieses "Was ich tue": "Nicht, dass es mir gefällt / in einem Hotel zu leben / an einem Ort wie Indien / und über G-tt zu schreiben / und Frauen nachzulaufen / Es scheint nur das zu sein / was ich tue."

Im Buch steht auch der E-Mail-Wechsel von September bis November 2016 zwischen dem emeritierten Berkley-Professor Peter Dale Scott, der einst sein Tutor an der Universität in Kanada war, und Cohen. Es endet mit einer letzten Nachricht Cohens an Scott, datiert auf den 16. November. Was eigentlich gar nicht sein kann, weil Cohen am 7. November gestorben ist; dennoch, hier: "Selig sind, die Frieden stiften: denn sie werden Gottes Kinder heißen." Es ist nicht das einzige Geheimnis, dass er hinterlässt. Davor, am 4. Oktober, schreibt er: "That was great fun. Be well, dear friends. Much love, Eliezer." Einer ist heimgekehrt, dorthin wo Hilfe ist. Uns hat Leonard Cohen so viel hinterlassen, dieses letzte Brevier nehmen wir dankbar an.

Leonard Cohen: "Die Flamme / The Flame".

Aus dem amerikanischen Englisch von Nora Bossong und anderen.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 352 S., Abb., geb., 30,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Leonard Cohens Können ist sichtbar, aus den schnörkellosesten Teilen des englischen Wortschatzes dunkle Walzer zu winden. Diesen Walzer, in dem sich der Körper automatisch wiegt, wenn man Cohen liest, Zeile für Zeile, Vers für Vers, beschwingt von seiner nüchternen Weisheit. Das Buch in der Hand als einziges Instrument, es genügt vollauf.« Anne Haeming spiegel.de 20181018