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Mario Vargas Llosa gehört zu den frühen Lesern Onettis; bereits 1967 hat er emphatisch auf ihn als den "eigentlichen Meister" hingewiesen. Seine lebenslange Faszination hat er in diesem Essay mit der ihm eigenen Klarheit dargelegt, als Gang durch Leben und Werk des großen Autors aus Lateinamerika.
Er schreibt über Onettis Erzählkosmos Santa María, sein Verhältnis zu Roberto Arlt, den Einfluß von Faulkner und Céline, die ambivalenten Bezüge zwischen der Literatur Borges' und Onettis. Vargas Llosa taucht ein in das Werk Onettis und zeigt, auf welch subtile und zugleich kraftvolle Weise dort
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Produktbeschreibung
Mario Vargas Llosa gehört zu den frühen Lesern Onettis; bereits 1967 hat er emphatisch auf ihn als den "eigentlichen Meister" hingewiesen. Seine lebenslange Faszination hat er in diesem Essay mit der ihm eigenen Klarheit dargelegt, als Gang durch Leben und Werk des großen Autors aus Lateinamerika.

Er schreibt über Onettis Erzählkosmos Santa María, sein Verhältnis zu Roberto Arlt, den Einfluß von Faulkner und Céline, die ambivalenten Bezüge zwischen der Literatur Borges' und Onettis. Vargas Llosa taucht ein in das Werk Onettis und zeigt, auf welch subtile und zugleich kraftvolle Weise dort die parallele Welt dargestellt wird, die die Menschen sich neben dem faktischen Leben schaffen.Seine Bewunderung resümiert Vargas Llosa so: "Das ist das Geheimnis des geglückten künstlerischen Werkes: Wir genießen: leidend, werden verführt und bezaubert, während es uns eintaucht in das Böse, das Grauen. Diese paradoxe Metamorphose ist den wahren Schöpfern vorbehalten, deren Werke sich über Zeit und Raum ihres Entstehens hinwegsetzen. Onetti war einer von ihnen."
Autorenporträt
Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru, studierte Geistes- und Rechtswissenschaften in Lima und Madrid. Bereits während seines Studiums schrieb er für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen und veröffentlichte erste Erzählungen, ehe 1963 sein erster Roman Die Stadt und die Hunde erschien. Der peruanische Romanautor und Essayist ist stets als politischer Autor aufgetreten und ist damit auch weit über die Grenzen Perus hinaus sehr erfolgreich. Zu seinen wichtigsten Werken zählen Das grüne Haus, Das Fest des Ziegenbocks, Tante Julia und der Schreibkünstler und Das böse Mädchen.
Vargas Llosa ist Ehrendoktor verschiedener amerikanischer und europäischer Universitäten und hielt Gastprofessuren unter anderem in Harvard, Princeton und Oxford. 1990 bewarb er sich als Kandidat der oppositionellen Frente Democrático (FREDEMO) bei den peruanischen Präsidentschaftswahlen und unterlag in der Stichwahl. Daraufhin zog er sich aus der aktiven Politik zurück.
Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010 den Nobelpreis für Literatur. 2021 wurde er in die Académie Française aufgenommen. Heute lebt Mario Vargas Llosa in Madrid und Lima.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2009

Als letzter Fluchtweg bleibt der Traum

Juan Carlos Onetti, der heute vor hundert Jahren in Montevideo geboren wurde, ist einer der bedeutendsten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts. Sein früher Roman "Für diese Nacht" wurde nun erstmals ins Deutsche übersetzt; Mario Vargas Llosa hat Onetti einen Essay gewidmet.

Wer als Künstler am dunkelsten Punkt der Weltgeschichte steht, wird ganz von selbst auf die Frage gestoßen, in welchem Verhältnis seine Fiktionen zur Wirklichkeit stehen. Geht er von der Welt aus, einer Welt voller Katastrophen, Niedertracht, Zerstörung und Unheil, werden seine Werke Dokumente der Hoffnungslosigkeit sein, der vollständigen Verfinsterung, der unerreichbaren Horizonte. Der Ausweg, sich in der Kunst und Literatur Gegenwelten, Nicht-Orte und Phantasie-Orte zu konstruieren, liegt nahe, zu ihrer Realisierung aber bedarf es literarischer Meisterschaft, um nicht in den Verdacht des billigen Eskapismus zu geraten.

Als Juan Carlos Onetti 1942 seinen Roman "Für diese Nacht" schrieb, lag der Erdball in tiefster Finsternis. Der Faschismus beherrschte fast ganz Europa, Japan triumphierte in Fernost, und man konnte als Liberaler oder Linker ernsthaft mit der Möglichkeit einer Weltherrschaft des Bösen rechnen. Den Stoff für den Roman lieferten Onetti Augenzeugenberichte aus den letzten Tagen des Spanischen Bürgerkriegs, der für viele Intellektuelle ein Entscheidungskampf war und, nach der Niederlage der Republikaner, als Menetekel galt. Das Chaos in der Hafenstadt Valencia bei der Evakuierung der letzten Kämpfer, die Selbstzerfleischung von Kommunisten und Anarchisten, hatte Onetti, der einmal selbst mit dem Gedanken gespielt hatte, sich zu den Internationalen Brigaden zu melden, zutiefst bewegt.

"Für diese Nacht", Onettis dritter Roman, der zum hundertsten Geburtstag des Schriftstellers nun erstmals auf Deutsch vorliegt, spielt in einer ungenannt bleibenden Hafenstadt (die man eher nach Lateinamerika legen möchte) in der bitteren Endphase eines Bürgerkriegs mit unklaren Fronten. Ossorio, die Hauptfigur, ein offenbar einst mächtiger politischer Kommissar oder Agent, ist auf der Flucht vor den zukünftigen Machthabern, die die Stadt bereits infiltriert haben und die Opposition gnadenlos ausschalten. Die Handlung setzt des Abends ein, als Ossorio die Möglichkeit einer Passage auf dem letzten noch im Hafen liegenden Schiff in Aussicht gestellt wird. Zunächst noch hin- und hergerissen zwischen den beiden Optionen, heroisch bis zur letzten Patrone zu kämpfen oder sein Heil in der Flucht zu suchen, wird die Lage immer aussichtsloser.

Schon die erste Szene, eine Bar, in der sich die demi-monde der Stadt einem zynischen Verdrängen hingibt, erfährt einen für Onetti charakteristischen Einbruch schockierender Gewalt. Im Hinterzimmer liegt ein Toter, die Geheimpolizei taucht auf und verhaftet eine Frau (die später gefoltert wird), Schüsse fallen. Ossorio entkommt nur mit Glück, zunehmend resigniert, körperlich und seelisch todmüde, nur noch angetrieben durch einen Rest von Pflichtbewusstsein und antrainierte Überlebensreflexe. Zugleich flüchtet er sich in Erinnerungen, denkt an frühere Liebschaften, beschwört rare Momente des Glücks in einem schier endlosen Kampf herauf.

Halbwelt in einem höheren Sinne ist die Bühne des ganzen Geschehens, das trotz seines Settings im ideologischen Weltbürgerkrieg sich nicht zu einem politischen Roman fügt. Die Standpunkte der erbittert ringenden Parteien werden gar nicht erörtert; auch sind die Fronten nicht klar, die Gewalt auf allen Seiten und der Verrat haben sich von Zielen und Überzeugungen längst gelöst. Gefoltert wird hier aus Langeweile oder Sadismus - oder aus einer psychologisch höchst komplizierten Motivation, eine Art Selbstbestrafung des Folterers durch Vergrößerung seiner Schuld ins Unermessliche. Die interessanteste Figur ist der Geheimpolizist Morasán, Ossorios Gegenspieler, ein Sadist und Machthaber, der glaubt, alle Fäden in der Hand zu halten, doch am Ende selbst Opfer einer Intrige wird. Mit dem Verlust seiner Macht wird er auf eine private Tragödie zurückgeworfen: Seine Frau, traumatisiert von Misshandlungen, ist in eine geistige Umnachtung entkommen.

Immer wieder zerreißen Bilder der Gewalt den Erzählzusammenhang und heben jede mögliche Begründung für das Geschehen auf in einer Plötzlichkeit, die an Ernst Jüngers "Ästhetik des Schreckens" erinnert. Auch mag man an den jüngsten Roman von Christian Kracht denken, "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten", der ja auch in einer entideologisierten und zum Spielfeld privater Obsessionen verkommenen Politkommissar-Welt spielt. Eine andere Fährte führt in die Populärkultur. Onetti war, wie Mario Vargas Llosa in seinem kenntnisreichen und tiefgründigen Essay bemerkt, zeitlebens ein begeisterter Leser von Kriminalromanen, vor allem der hartgekochten Sorte. "Für diese Nacht" erinnert in seiner Atmosphäre und in den vorherrschenden Motiven, der Welt der Prostituierten und der abgebrühten Polizisten, mehr an die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett als an William Faulkner, der Onettis großes literarisches Vorbild war.

Vargas Llosa, der "Für diese Nacht" als "besten der ersten drei Romane Onettis" einschätzt, gleichwohl aber für nicht "vollkommen gelungen" hält, stört sich vor allem an den "labyrinthischen Sätzen voller Rückbezüge", den "Metaphern und poetischen Bildern, von denen die Handlung häufig gebremst und überdeckt" werde. Das ist ein etwas merkwürdiger Vorwurf, weil ja gerade das latent Tagtraumhafte, diese überbordende Präsenz der Innenwelt, die das Realitätsprinzip außer Kraft zu setzen droht, schon vorausweist auf Onettis Hauptwerke, auf "Das kurze Leben", in dem ja aus dem imaginierten Doppelleben ein Paralleluniversum namens Santa María geboren wird, einer der großen fiktiven Orte der Weltliteratur.

Die Gegenwelten sind in diesem frühen Roman noch spontan, prekär und instabil, während die reale Fluchtmöglichkeit, die Schiffspassage, zur Obsession wird. Tatsächlich aber ist das Schiff eine weitere Falle, was Ossorio nicht weiß. Die einzige Flucht, die wirklich gelingen könnte, ist die in die Imagination.

Gerade die weitschweifigen Satzgebilde des Gedankenstroms sind daher die geheimen Pfade und Tunnel, auf denen sich das Bewusstsein davonstiehlt, etwa in der Erinnerung an die ermordete Geliebte: "Und von der Pflicht, sie lebendig zu halten, sie allein, die vorgestellte Szene ihres einsamen Todes, ging er zum Gedanken an sich selbst über, gleichfalls als eine Pflicht, der unverzüglich nachzukommen war, als einzige Form, sich zu retten und über die Nacht hinaus zu bestehen, über diese Nächte hinaus und über eine endlose Nacht danach, lind, ländlich, erdig und bewachsen, in Frieden unter den Schritten und der Hacke, allein ausgestreckt unter der Nacht mit ihrem sturen Zirpen, und Schweigen über alles gelegt." Die Übersetzung von Svenja Becker macht Onettis Verfahren äußerst sinnfällig.

Onetti hat die inneren Konflikte seiner Hauptfigur dann durch einen Kunstgriff zugespitzt; und in dieser sehr unwahrscheinlichen Konstruktion könnte man eher eine Schwäche des Buches ausmachen: Als letzten Dienst an der Partei hat Ossorio den Auftrag übernommen, Barcala, einen alten, zum Mythos gewordenen und nun abtrünnigen Kämpfer, auszuschalten. Ossorio verrät den alten Gefährten aus einer längst hohl gewordenen Parteiräson an die Gegenseite, die wie erwartet kurzen Prozess mit ihm macht. Doch dann wird ausgerechnet die dreizehnjährige Tochter Barcalas Ossorios Schutz anvertraut. An der Seite dieses Sinnbilds der Unschuld stapft der Mörder des Vaters fortan durch den Schmutz und das Blut. Das verleiht dem Geschehen bis zum apokalyptischen Ende eine sehr klischeehafte Melodramatik, die nicht zum sonst so kalten und mitleidslosen Blick passen will.

Wer verfolgen will, wie aus diesen schriftstellerischen Anfängen sich eines der bedeutendsten Werke der lateinamerikanischen Literatur entwickelt, sei auf die neue und sorgfältige Werkausgabe bei Suhrkamp verwiesen, in der die wichtigsten Werke des Santa-María-Zyklus bereits vorliegen. Zum Einstieg kann man das ebenfalls pünktlich zum Geburtstag erschienene Buch von Vargas Llosa lesen, das weniger eine Biographie ist als eine Studie über das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit am Leitfaden von Onettis Werk. Vargas Llosa deutet darin von einer anthropologischen Grundlage aus den Hang zur Fiktion als Quelle der Kultur und entwickelt ein Konzept des erzählerischen Realismus, "dessen allumfassende Vision der Wirklichkeit Geträumtes und Phantasiertes als wesentlichen Teil menschlicher Erfahrung einschließt".

In "Für diese Nacht" kann man den überaus düsteren Urgrund dieser Maschinerie der Einbildungskraft deutlich erkennen. "Soldiers are dreamers" heißt es in einem berühmten Gedicht des Briten Siegfried Sassoon, der die Geburt der Phantasie aus der Angst der Schützengräben des Ersten Weltkriegs beschrieben hat. Bei Onetti weitet sich dieses Motiv schließlich zu einer Grundhaltung gegenüber dem Leben und der Wirklichkeit aus, in dem die erdachten und selbsterschaffenen Welten schließlich der Realität den Rang streitig machen. In den Worten von Mario Vargas Llosa: Bei Onetti trete "das Phantastische nicht an die Stelle des Lebens, sondern fügt ihm eine Dimension hinzu, die es intensiver oder subtiler und damit für die Menschen erträglicher macht".

RICHARD KÄMMERLINGS

Juan Carlos Onetti: "Für diese Nacht". Roman. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 232 S., geb., 22,80 [Euro].

Mario Vargas Llosa: "Die Welt des Juan Carlos Onetti". Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 224 S., geb., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.09.2009

Unter Hunden
Der Bürgerkrieg ist verloren, wie lebt man weiter? „Für diese Nacht”, ein früher Roman von Juan Carlos Onetti ist erstmals auf Deutsch erschienen
Wer erschießt wen, wer flüchtet vor wem? Geht es nur darum, wegzukommen oder um das edle Ziel einer Exilregierung? Die Kommunisten einer spanischsprachigen Hafenstadt sind zerstritten. Der Bürgerkrieg ist verloren, Zwistigkeiten brechen aus, und da gibt es die „Bouwer”, ein Schiff, das morgen früh den Hafen verlässt. Es nimmt nur Kommunisten mit, aber wer ist das denn noch? Einige haben sich längst auf die andere Seite geschlagen. Wie Morasàn, jetzt Chef der politischen Polizei, also einer der „Hunde”, wie er selber meint. Ossorio, die Hauptfigur in „Für diese Nacht”, einem frühen Roman von Juan Carlos Onetti, der jetzt erstmals auf Deutsch zu lesen ist, hat es noch nicht so weit kommen lassen. Aber ist es besser, sich zwei Passagen auf der Bouwer zu sichern, und den, der sie vermittelt hat, an Morasàn zu verraten?
Glaubt man Onetti, dem neben Borges zweiten großen Paten einer international orientierten lateinamerikanischen Literatur, war der Anlass des Romans eine zufällige Begegnung. Im „Cafe Metro” in Buenos Aires traf Onetti zwei Emigranten, einen Italiener und einen Spanier, die ihm Geschichten aus Valencia, der letzten Stellung der republikanischen Truppen und internationalen Brigaden erzählten. Womit Onetti, der damals Redakteur der Kulturzeitschrift „Marche” war und nebenbei an einem surrealistischen, „byzantinischen” Roman schrieb, in die Welt zurück geholt wurde. Hatte er doch selber mit dem Gedanken gespielt, sich auf republikanischer Seite am Bürgerkrieg zu beteiligen. Im Vorwort zur ersten Auflage von „Für diese Nacht” merkt er an: 1942, als der Roman entstand, habe es „in vielen Teilen der Welt” Menschen gegeben, „die verschiedene Überzeugungen des Autors physisch verteidigten. An der Vorstellung zu kranken, dass nur sie ein wirklich bemerkenswertes Schicksal erfüllten, war erniedrigend und traurig. Dieses Buch ist aus dem - auf schäbige und risikolose Weise befriedigten - Drang geschrieben, an fremden Schmerzen, Ängsten und Heldentaten teilzuhaben. Es ist folglich ein zynischer Versuch der Befreiung.”
Die Aufdeckung dieser moralischen Zwiespältigkeit passt bestens zum Personal des Romans. Eine einzige Figur ist unschuldig: Die zwölfjährige Tochter des von Ossorio verratenen Barcala. Aber auch sie ist schon in die Geschehnisse verwickelt, war sie doch der Grund, dass Barcala Ossorio zwei Passagen für das Fluchtschiff vermittelte. Kurz nachdem Ossorio seinen Wohltäter verraten hat, bringt man Victoria zu ihm, er solle sich um sie kümmern. Ossorio kann nicht ablehnen, zieht mit dem Kind durch die Nacht, doch entwickelt er auch hier eine zwiespältige Haltung: „er sah sie an, als wollte er sich selbst sehen, seine Kindheit, was er gewesen war (…) mit abergläubischer Bewunderung für die kurze Reinheit auf dem menschlichen Antlitz, mit Bedauern über den unausweichlichen Dreck, den sie durchqueren und sich einverleiben musste.” Aber am liebsten würde er sie loswerden. Jeder, macht Onetti klar, hat das Potential, zum „Dreck” beizutragen. Am Ende lässt Ossorio das Mädchen alleine, was ihn nicht rettet.
Ursprünglich hieß der Roman, vor kurzem von Werner Schroeter unter dem Titel „Nuit de chien” verfilmt, „Auch für den Hund kommt der Tag”, ein von Yeats abgewandeltes Hamlet-Zitat, das auch für Morasàn zutrifft, wird er, der Vertreter der Macht, Folterer und Leichenschänder, doch am Ende abgesetzt und verfolgt. Noch wichtiger aber ist das generell politische Verständnis der Hunde-Metapher, die die Regierungsgewalt meint. Das war heikel: 1943 hatte sich in Argentinien gerade das Militär an die Macht geputscht. Onettis Verleger war vorsichtig.
Jahrzehnte später kam Onetti, inzwischen Leiter der städtischen Bibliotheken von Montevideo, selber ins Gefängnis, weil er einer juntakritischen Kurzgeschichte zu einem Preis verholfen hatte. Schon in seinem Werk sind Politik, Krimiplot und romantische Sinnsuche ineinander verzahnt. Das formal „Byzantinische” der Texte hat es naturgemäß schwerer, verstanden zu werden. Und so machen dieselben, die Onettis literarische Kompromisslosigkeit loben, ihm Vorwürfe, dass die Dramaturgie seiner Werke die erzählte Geschichte behindere. Dabei gehört die Dramaturgie zur Geschichte und von Behinderung kann nur sprechen, wer geometrisch außer geraden Linien nichts kennt.
Das gilt besonders in „Für diese Nacht”, wo die Story klar auszumachen ist. Vor dem Hintergrund geradezu klassischer Einheit der Zeit, die Geschichte spielt in einer einzigen Nacht, arbeitet Onetti, ein Bewunderer von Céline, Faulkner und Dos Passos' „Manhattan Transfer”, mit geschickten Verwerfungen des Ablaufs der Ereignisse. Ein auktorialer Erzähler liefert über Ossorio und Morasàn zwei Perspektiven mit ausführlichen Innenansichten - zeitlich verschoben. So wissen wir schon, dass Morasàns Leute den von Ossorio verratenen Barcala getötet haben, während Ossorio und Barcalas Tochter sich gerade aneinander gewöhnen - was die innere Spannung des Texts erhöht, das Schwanken der Figuren zwischen Gut und Böse sichtbar macht. Und noch beinahe jede Nebenfigur hat einen kleineren, inneren Monolog. Das erzeugt ein nach vielen Seiten offenes Vexierbild. Auch sprachlich ist Onetti erstaunlich. Die lapidare Erzählung ist ständig einfallsreich-anschaulich durchsetzt. Wenn etwa „das dicke, haarlose Gesicht” eines Verhörten beschrieben wird, „an dem die Wangen herabhingen wie Hundeohren”, wird man das nicht vergessen.
Je weiter man vordringt in diesem Roman, desto klarer wird, wie sehr der dezidiert hoffnungsferne Onetti Ossorio auch zum Gottsucher macht, was den Text ab und an auf die schmale, aber produktive Grenze zwischen Wahrheitswillen, Kitsch und Transzendenz führt, durchaus passsend zum pathetischen Halbweltmilieu des Romans.
In seinem biographischen Essay „Die Welt des Juan Carlos Onetti”, erzählt Mario Vargas Llosa von der Irritation, die ihn erfasste, als er Onetti, der 1994 im Madrider Exil starb, in den sechziger Jahren traf: einen schüchternen Intellektuellen, so gar „nicht von der Natur verwöhnt”. War das wirklich das geheimnisumwitterte, philosophische Genie, viermal verheiratet und Experte für Bordellszenen? Anfang der vierziger Jahre sah Onetti noch aus wie der lateinamerikanische Sartre. Als hätte er spät begriffen, was die Welt erwartete, legte er seine dicke Brille im hohen Alter ab, ließ sich als Achtzigjähriger einen Bart wachsen und im Bett rauchend filmen - eine Figur aus seinen Romanen.
An Vargas Llosas Buch überzeugt vor allem die These, dass Onettis Phantomstadt Santa Maria, in der seit „Für diese Nacht” beinahe alle Romane spielen, auch vor dem Hintergrund des Niedergangs des südamerikanischen Musterstaats Uruguay gesehen werden müsse. Zur verlässlichen Biographie taugt das Buch jedoch wenig. Mit Hinweis auf Onettis Selbstaussage haben viele die Handlung von „Für diese Nacht”, deren Ort nicht genauer bestimmt ist, nach Valenica verlegt. Vargas Llosa meint, ebenso selbstherrlich: falsch. Das Spanisch des Romans sei „argentinisch”. Richtig ist wohl, dass Onetti die genaue Lokalisation absichtlich verhindert hat, weil es in dieser düsteren Parabel einer Nacht nicht nur um Uruguay oder Argentinien geht, eher um die menschliche Existenz unter den Bedingungen totalitärer Politik auf der ganzen Welt. HANS-PETER KUNISCH
JUAN CARLOS ONETTI: Für diese Nacht. Roman. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 2009. 230 S. 22,80 Euro
MARIO VARGAS LLOSA: Die Welt des Juan Carlos Onetti. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 2009. 220 S., 24,80 Euro
Juan Carlos Onetti (1909-1994) Foto: Quim Llenas/Getty Images
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eingenommen zeigt sich Richard Kämmerlings von Mario Vargas Llosas Buch "Die Welt des Juan Carlos Onetti". Er empfiehlt den Essay zum Einstieg in die Lektüre Onettis, den er als einen der "bedeutendsten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts" würdigt. Dabei hebt er hervor, dass Llosas Buch weniger eine Biografie dieses Autors ist, als vielmehr eine Studie über das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit "am Leitfaden von Onettis Werk". Auch wenn er nicht immer ganz mit Llosas Urteilen einverstanden ist, lobt er das Buch als aufschlussreich, profund und tiefschürfend. Zustimmend zitiert er indes Llosas Einschätzung, bei Onetti trete "das Phantastische nicht an die Stelle des Lebens, sondern fügt ihm eine Dimension hinzu, die es intensiver oder subtiler und damit für die Menschen erträglicher macht".

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»Lateinamerika ist für europäische Leser selbst so etwas wie eine parallele Welt, die aber wirklich existiert. ... Vargas Llosa dekliniert dieses große Thema anhand der hierzulande immer noch zu entdeckenden Welt des Juan Carlos Onetti so virtuos, als wollte er uns in die große parallele Welt der Literatur für immer entführen.« Harald Loch Aachener Zeitung 20090725