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Silvester in einer kleinen Stadt: Vera geht schwimmen. Es ist ihr 46. Geburtstag, zu Hause warten wie jedes Jahr ihr Mann, ihr Sohn und ihre Freunde, um gemeinsam zu feiern. Da findet sie im Schwimmbad den Ausweis einer anderen Frau und haut ab. Nach London, wo sie sich mehr erhofft, als ihr bisheriges Leben ihr bieten konnte. Am selben Tag feiert Friedrich Wünsche die Wiedereröffnung seines Warenhauses. Er hat es geerbt und hegt große Träume. Was wäre ein besserer Ort für Utopien als das »Haus Wünsche«?'Wünsche' erkundet, ob ein besseres Leben möglich wäre. Ob man nach dem Neuanfang ein…mehr

Produktbeschreibung
Silvester in einer kleinen Stadt: Vera geht schwimmen. Es ist ihr 46. Geburtstag, zu Hause warten wie jedes Jahr ihr Mann, ihr Sohn und ihre Freunde, um gemeinsam zu feiern. Da findet sie im Schwimmbad den Ausweis einer anderen Frau und haut ab. Nach London, wo sie sich mehr erhofft, als ihr bisheriges Leben ihr bieten konnte. Am selben Tag feiert Friedrich Wünsche die Wiedereröffnung seines Warenhauses. Er hat es geerbt und hegt große Träume. Was wäre ein besserer Ort für Utopien als das »Haus Wünsche«?'Wünsche' erkundet, ob ein besseres Leben möglich wäre. Ob man nach dem Neuanfang ein anderer ist - oder nur um eine Lebenslüge leichter. Vera und die anderen Geburtstagsgäste, die sich einen Silvesterabend lang Sorgen um sie machen, erwartet ein Jahr voller Veränderung.
Autorenporträt
Judith Kuckart, geboren 1959 in Schwelm (Westfalen), lebt als Autorin und Regisseurin in Berlin und Zürich. Sie veröffentlichte bei DuMont den Roman 'Lenas Liebe' (2002), der 2012 verfilmt wurde, den Erzählband 'Die Autorenwitwe' (2003), die Neuausgabe ihres Romans 'Der Bibliothekar' (2004) sowie die Romane 'Kaiserstraße' (2006), 'Die Verdächtige' (2008), 'Wünsche' (2013), 'Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück' (2015) und 'Kein Sturm, nur Wetter' (2019). Judith Kuckart wurde mit zah
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Geduldig lässt sich Rezensentin Meike Fessmann auf diesen neuen Roman Judith Kuckarts ein. Sie schildert seinen Blick auf London, und mehr noch auf die deutsche Provinz, seine Klugheit in Lebensfragen, seine zärtlichen Momente, sie stellt alle sechs Protagonisten vor und deutet manches über die nicht unkomplexen Verwicklungen und -strickungen an - aber so ganz glücklich wird sie mit all dem nicht. Zu unverbunden steht es ihr da, zu gekittet und unwahrscheinlich scheinen ihr manche unfertige Handlungsstränge. Viel Schönes, viele Ansätze, aber kein sinnvolles Ganzes liefert ihr die Autorin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2013

Was sucht Joseph Conrad im Retro-Kaufhaus?
Judith Kuckart träumt in ihrem Roman „Wünsche“ vom Film – und verliert den Erzählfaden
Was ist das nur für eine merkwürdige Geschichte, die Judith Kuckart in ihrem neuen Roman erzählt? Da lässt eine Frau am Morgen ihres sechsundvierzigsten Geburtstags Handy und Schlüssel zu Hause liegen, als sie ins Schwimmbad geht, sieht dort eine Frau, die ihr ähnelt, aber zehn Jahre jünger ist, ergaunert deren Sporttasche nebst Ausweis und Klamotten und fliegt noch am selben Tag mit geborgter Identität von Köln nach London, um ein neues Leben zu beginnen.
  Zur gleichen Zeit kehrt ihr Jugendfreund in die westfälische Kleinstadt am Rand des Ruhrgebiets zurück, um dort einen Lebenstraum zu verwirklichen. Seine Ehe mit einer Italienerin ist gescheitert, aber als Manager hat er viel Geld verdient. Nun übernimmt er nach dem Tod der Mutter das Kaufhaus der Familie. Er will es zurückverwandeln in das, was es einmal war: das einzige Kaufhaus im Herzen der Stadt, in dem junge Frauen ihren ersten BH kaufen, wie ihre Mütter, Großmütter und Urgroßmütter zuvor. Ein Tante-Emma-Kaufhaus im Retro-Stil soll es werden, die alte Drehtür aus dem Jahr 1932 wird wieder eingebaut. Waren, die das Kaufhaus nicht führt, können dort im Internet bestellt werden. Es trägt den Namen der Familie, die passenderweise „Wünsche“ heißt.
  Wie in allen Büchern der 1959 im westfälischen Schwelm geborenen Judith Kuckart geht es auch in diesem Roman um Wünsche, Sehnsüchte und Begierden. Doch bilden Erotik und Nostalgie dieses Mal nicht das Fluidum, das die Geschichte zusammenhält. Auch dieser Roman evoziert wie sein Vorgänger, „Die Verdächtige“, Bilder des italienischen Neorealismus und allerlei Hitchcock-Reminiszenzen. Aber die Zitate aus der Film- und Musikgeschichte wollen sich nicht so recht amalgamieren. Wie eine Patina schieben sie sich zwischen Stoff und Erzählung. Das macht die Geschichte undeutlicher, als sie ohnehin schon ist.
  Nicht allein die Fluchtbewegung Veras und die Rückkehr Friedrichs werden miteinander verschränkt. Es sind insgesamt sechs eng miteinander verbundene Lebensläufe, denen Kuckart Gerechtigkeit widerfahren lassen will. Im Mittelteil bekommt jede Figur ein eigenes Kapitel, während der erste und der letzte Teil die Figuren gemeinsam in Augenschein nimmt, einmal an Silvester 2011, das andere Mal im darauffolgenden September.
  Wie jedes Silvester, das zugleich Veras Geburtstag ist, hat Veras Mann auch dieses Jahr Freunde in den Bungalow eingeladen, um den immer gleichen Film vorzuführen. Vera, die als Berufsschullehrerin arbeitet, spielt darin ihre einzige Filmrolle. Sie war damals gerade zwölf und wurde als „räudiges“ Mädchen von der Straße weg engagiert, um ein Arbeiterkind darzustellen. Der 1977 gedrehte Film spielt im Jahr 1944 und zeigt eine Szene, in der sie mit dem nicht ganz gleichaltrigen Friedrich Wünsche ein Liebespaar beobachtet und ihn schließlich, das stand nicht im Drehbuch, zum Stolpern bringt.
  Sie rollt auf ihn, er blickt sehnsüchtig zu ihr empor wie ein liebestoller Hamster. Der Regisseur war geistesgegenwärtig genug, die Kamera laufen zu lassen und die Liebespose einzufangen. Kein Wunder, dass Vera die Filmvorführung peinlich ist. Aber reicht das schon, um sich sang- und klanglos aus dem Staub zu machen?
  Bevor Vera die Frau von Franz-Josef Kreitel, den alle nur Karatsch nennen, geworden ist, war sie seine Pflegetochter. Als seine Frau im Sterben lag, haben sie sich im Bett über den drohenden Verlust hinweggetröstet. Nach sieben Monaten kam Jo zur Welt, den Karatsch vielleicht auch deshalb etwas penetrant stets mit „Sohn“ anredet, weil er sich nicht sicher ist, der leibliche Vater zu sein. Womöglich ist es Hannes Hungerland? Er war einmal Veras Schüler und taucht ausgerechnet in dem Moment wieder auf, als sie verschwindet. Karatsch hat ihn zufällig im Flugzeug kennengelernt und ihn angeheuert, um seiner Jazzagentur einen zeitgemäßen Internet-Auftritt zu verpassen.
  Neben Vera, dem neunzehnjährigen Jo, der in Kiel studiert und den wir in dem ihm gewidmeten Kapitel auf hoher See erleben, neben dem fünfundsechzigjährigen Karatsch, Friedrich und Hannes ist Meret Wünsche die sechste Hauptfigur. Sie ist Friedrichs nur wenig ältere Schwester und war einst Veras beste Freundin, ein aufgekratztes Huhn, das gleichermaßen bezaubernd wie ekelhaft sein kann. Lange Jahre lebte sie in Kiel mit einem Imbissbudenbesitzer, bis sie von Vera, als sie ihren Sohn zur Immatrikulation begleitete, aus ihrer entspannten Verwahrlosung aufgestöbert wurde. Nun ist sie zurückgekehrt in die Heimatstadt, um ihren Bruder bei seinem Retro-Projekt zu unterstützen.
  Trotz seiner disparaten Gestaltung lassen sich die Fragen, die den Roman antreiben, erkennen: Wie lebt es sich in der Provinz? Ist es besser, in mittleren Jahren noch einmal neu zu beginnen, oder womöglich klüger, bei denen zu bleiben, die man kennt? Und wie kommt man mit dem Alter zurecht, vor allem als Frau? Meret und Vera kämpfen mit der Angst, ihre Attraktivität zu verlieren. Sie sehnen sich danach, diesen Kampf aufzugeben, um sich in Jogginghose und T-Shirt hinter „keiner Pose“ mehr verstecken zu müssen. Merets Kieler Imbissbudenbesitzer findet in London sein Pendant. Dort hat Vera eine Affäre mit einem Afghanistan-Soldaten, der eine „schöne Trägheit“ in ihr zu enthüllen vermag. Als sie in ihre Heimatstadt zurückkehrt und Meret wieder begegnet, würde sie die Freundin am liebsten in den Arm nehmen und sagen: „man muss nur noch ein wenig geduldig sein, bis einen das wirkliche Alter von dieser ganzen Schinderei hier erlöst“.
  Präzise Wahrnehmungen und Gesten sind die Stärke des Romans. Etwa, wenn Vera, die in London in einem Altenheim arbeitet, eine alte Frau in „zärtlicher Verschworenheit“ auf die Toilette begleitet, oder wenn Friedrich Wünsche dem autofahrenden Karatsch vom Rücksitz aus die Hände auf den Kopf legt, als dieser auf der Suche nach Vera einen Schlaganfall erleidet und gestoppt werden muss: „Bitte bremsen“, sagt er leise. „Bitte, Franz-Josef, halt an!“
  Doch trotz dieser Vorzüge wird man mit dem Roman nicht froh. Es geht um das Glück, das ist klar, und darum, dass Glück auch darin bestehen kann, die hohen Erwartungen an sich selbst aufzugeben. Vera träumte stets davon, doch noch Schauspielerin zu werden. Nun findet sie sich damit ab, nichts Besonderes zu sein. Viele Bilder sind stark. Aber die Figuren sind nicht durchgestaltet, wirken oft wie verpackte Präsente, an denen bedeutsame Sätze baumeln. Auch die Handlungslogik bleibt häufig auf der Strecke und wird durch absurde Zufälle und überdeutliche Winke ersetzt. Muss die Frau, der Vera die Identität raubt, wirklich Salomé heißen? Und was nützt es, dass Jo, nach dem Großvater mütterlicherseits, mit vollem Namen Joseph Conrad heißt? Die Phantasie der Autorin ist filmisch und szenisch geprägt. Allzu oft erspart sie sich das Erzählen und ersetzt es durch den Fingerzeig.
  Von Hannes, der Fotografie, Film und Design studiert hat, heißt es einmal, er hege eine „fatale Leidenschaft für Bilder“. Dass deren Montage noch keine Geschichte ergibt, wird ihm bei seinem Film über Friedrichs Kaufhausprojekt zum Problem. Der glückt ihm erst, als er eine Erzählerin erfindet. Judith Kuckart muss gemerkt haben, woran ihr Roman krankt. Es fehlt ihm eine innere Haltung, eine starke Erzählerin, die all die Bilder und Posen, all die bedeutsam und oft auch schön klingenden Sätze zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügt.
MEIKE FESSMANN
An jedem Silvestertag führt der
Mann denselben alten Film vor –
bis die Frau das Weite sucht
Manchmal wirken die Figuren
wie verpackte Präsente, an denen
bedeutsame Sätze baumeln
  
  
  
  
  
  
Judith Kuckart: Wünsche. Roman. DuMont Verlag, Köln 2013. 300 Seiten,
19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2013

Am nicht enden wollenden Silvestermorgen

Judith Kuckarts neuer Roman "Wünsche" erzählt auf angenehm zurückhaltende Weise vom Versuch einer Frau, aus dem eigenen Leben auszubrechen.

Dass man sein altes Leben an einem Silvestermorgen verlässt, beruht auf einer gewissen Logik. Diese merkwürdig gedämpften, aus der Zeit gefallenen Stunden scheinen wie ein Schlupfloch, durch das man verschwinden kann, um gerade noch rechtzeitig mit Beginn des neuen Jahres in einem besseren Leben anzukommen.

Im Falle von Vera, der Protagonistin von Judith Kuckarts neuem Roman "Wünsche", mag es noch einen anderen Grund dafür geben, dass sie diesen Moment wählt, um ihrem westdeutschen Heimatstädtchen den Rücken zu kehren. Es ist Veras sechsundvierzigster Geburtstag, und sie entgeht auf diese Weise dem immer gleichen Ritual, das ihr Mann am Silvesternachmittag zelebriert und das - in bedrückender, womöglich auch in zynischer Weise - Veras Vergangenheit spiegelt. Jahr für Jahr versammeln sich Bekannte und Freunde in dem kleinen Bungalow, man isst Hackepeterbrötchen und schaut gemeinsam den immer gleichen Film.

Vera hat als Jugendliche eine Hauptrolle in diesem mittlerweile mehr als drei Jahrzehnte alten Streifen gespielt: ein struppiges Mädchen aus einer ärmlichen Randsiedlung der Stadt. Als dieses mit dem Charme des Verwilderten behaftete Wesen wurde sie vom Regisseur auf der Straße entdeckt - und als dieses Mädchen wurde sie damals auch von Karatsch und seiner Frau Suse als Pflegekind aufgenommen. Mittlerweile ist Suse gestorben, und mittlerweile sind Karatsch und Vera ein Paar, der gemeinsame Sohn ist unlängst zwanzig geworden. Wie und vor allem wann genau es zu dieser Liaison zwischen Pflegevater und Pflegekind gekommen ist, bleibt im Dunkeln.

Judith Kuckart ist eine angenehm zurückhaltende Erzählerin, deren reduzierter Gestus nur allzu gut zu der Stille und bisweilen trüben Stimmung einer Kleinstadt passt (ohne dass der Ton dadurch selbst trübe würde). Und so wird nie ausgesprochen, noch nicht einmal wirklich angedeutet, was sich unheilvoll im Hintergrund abzeichnet oder zumindest abzeichnen könnte.

Womöglich ist Vera auch gar nicht so irrsinnig unglücklich mit ihrem Leben, und dass sie beim Schwimmbadbesuch die Tasche einer anderen Frau, samt deren Kleidung und Ausweis, stiehlt und den nächsten Flug nach London nimmt, beruht womöglich auf nicht viel mehr als einer Eingebung, die ihr angesichts des Silvestermorgens und der monotonen Aussicht auf die Hackepeterbrötchen und die von Karatsch inszenierte Filmsichtung gekommen ist.

Genauso wenig wie Kuckart wirklich Einblicke in Veras Vergangenheit und in ihre Motivation zum Fortgehen gewährt, lässt sie den Leser an ihrem Versuch teilhaben, in London ein neues Leben zu beginnen. Nur kurz erfährt man davon, wie Vera, durch einen Zufall, bei einem jungen Soldaten Unterschlupf findet. Stattdessen erzählt Judith Kuckart von den Menschen, die in der kleinen Stadt zurückbleiben und die alle etwas mit Veras Vergangenheit zu tun haben. Oder, um es genauer zu sagen: von denjenigen, die ihren Ausbruchsversuch schon hinter sich haben.

Friedrich Wünsche etwa, der seit Kindertagen heimlich für Vera schwärmt, ist nach gescheiterter Ehe zurückgekehrt, um das leidlich florierende Kaufhaus seiner Familie zu übernehmen. So wie Karatsch in seinen alljährlichen Filmvorführungen die Zeit für eine Weile zurückdreht, versucht auch Friedrich, eine alte Zeit heraufzubeschwören: Wenn das Kaufhaus erst wieder so aussieht wie früher, mit einer Drehtür und antikem Verkaufstisch, dann werden die Geschäfte wieder besser laufen, glaubt er. Friedrichs Schwester Meret, ehemals eine enge Freundin von Vera, hat ebenfalls bereits versucht, in ein anderes Leben überzuwechseln: als Frau und Compagnon eines Imbisswagenbesitzers vor dem Kieler Hauptbahnhof. Diese von außen betrachtet wenig attraktive Alternative passt zu der extrovertierten Meret, von der man nie recht weiß, ob sie ihren Eigensinn und eine gewisse Verrücktheit nur spielt, um sich selbst ein wenig zu unterhalten. Aber auch sie kehrte schließlich zurück. Vermutlich ist man deshalb kaum überrascht, dass auch Veras Flucht nur ein vorübergehendes Intermezzo darstellt.

Judith Kuckart arbeitet, auf unaufdringliche Weise, mit den Mitteln des Provinzromans, oder eher: des Romans aus der mittleren Provinz. Die sozialen Beziehungen sind in dieser Kleinstadt nicht unerträglich eng, aber verwoben ist man doch irgendwie miteinander, man kennt sich von früher, man hat mal füreinander geschwärmt, man arbeitet sich und seine Konflikte aneinander ab. Viele wollen hinaus aus diesen engen Bindungen, zugleich aber sind sie die eigentliche Basis, die das Leben grundiert und stabilisiert.

"Weg bin ich", sagt Vera gegen Ende des Romans, "wegen all der Leute hier, die ich schon so lange kenne. Aus dem gleichen Grund bin ich wieder zurückgekommen. Ich dachte immer, das ist schlimm, dass ich bei uns nur die sein kann, die alle kennen. Jetzt weiß ich, genau die kann ich nur sein."

Das melancholische Flair, das über alldem liegt, entsteht dadurch, dass Kuckart eben nicht über das Ausbrechen erzählt, sondern über dessen Scheitern. Nicht nur ein Provinzroman also ist "Wünsche", sondern eine Art später Entwicklungsroman: Die Möglichkeiten, die den jungen Helden solcher Romane für gewöhnlich offenstehen, hat eine sechsundvierzigjährige Frau wie Vera nicht mehr. Die Männer, die ihr begegnen, sind alle ein wenig zu jung, um mit ihr in ein Abenteuer oder gar einen Neuanfang zu wagen. Und auch in allen anderen Belangen sind die Aussichten begrenzt, und Vision ist kaum vorhanden. Diese Einsicht hat für Vera nicht eigentlich etwas Verzweifeltes, wohl aber begleitet ein Hauch Resignation die Einsicht, dass Aufbegehren zunächst einmal eines macht: einsam. Und dass die Möglichkeiten begrenzt sind.

Genauso wähnt Friedrich Wünsche, der die Hoffnung auf die Erfüllung des anderen doch sogar im Nachnamen trägt, sein Glück und das Glück seiner Kunden nicht im Fortschritt, sondern in der Simulation einer heilen Vergangenheit. Vielleicht ist es diesem allenfalls diffusen Streben ins Zukünftige geschuldet, dass Judith Kuckarts Roman phasenweise ein wenig zerfasert erscheinen mag, zerdehnt, wie ein nicht enden wollender Silvestermorgen. Diese Langsamkeit aber, genauso wie der Blick auf das Nebensächliche, das sich nicht zum Bedeutsamen auswachsen wird, fängt nur allzu gut das traurige Lebensgefühl einer Zeit ein, in der das Wünschen nicht mehr sonderlich viel hilft.

WIEBKE POROMBKA

Judith Kuckart: "Wünsche". Roman.

DuMont Buchverlag, Köln 2013. 301 S., geb., 19,99 [Euro].

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