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Nobelpreis für Literatur 2014
Jacqueline lebt in den sechziger Jahren mit Gérard in einem Hotel im Pariser Quartier Latin, schnüffelt Äther und träumt von einem Leben auf Mallorca. Zusammen mit Gérard lernt sie auf der Straße den Ich-Erzähler kennen, wird seine Geliebte, überredet ihn zu einer Diebestour und brennt mit ihm und einem Koffer voll gestohlenem Geld nach London durch. Ein polnischer Jude, der mit Immobilien handelt, vermittelt ihnen dort eine Wohnung. Doch eines Tages kommt Jacqueline nicht mehr nach Hause. Als der Erzähler sie nach fünfzehn Jahre zum ersten Mal auf einer Party…mehr

Produktbeschreibung
Nobelpreis für Literatur 2014

Jacqueline lebt in den sechziger Jahren mit Gérard in einem Hotel im Pariser Quartier Latin, schnüffelt Äther und träumt von einem Leben auf Mallorca. Zusammen mit Gérard lernt sie auf der Straße den Ich-Erzähler kennen, wird seine Geliebte, überredet ihn zu einer Diebestour und brennt mit ihm und einem Koffer voll gestohlenem Geld nach London durch. Ein polnischer Jude, der mit Immobilien handelt, vermittelt ihnen dort eine Wohnung. Doch eines Tages kommt Jacqueline nicht mehr nach Hause. Als der Erzähler sie nach fünfzehn Jahre zum ersten Mal auf einer Party in Paris wiedersieht, scheint sie ihn nicht mehr zu kennen ...

»Ein klassischer Romanstoff, und vermutlich der schönste von allen: die Erinnerung an ein für immer verlorenes (und dabei schon im Moment des Genusses zweifelhaftes) Glück, an Gerüche, Vergnügungen und Orte, die so nie mehr aufzufinden sind, an die vermeintliche Unbeschwertheit einer Jugend, die nur im Rückblick leicht erscheint und in Wahrheit belastet war von Unruhe und einem unbestimmten Leid.« Wolfgang Höbel in 'Der Spiegel', 3. Juli 2000
Autorenporträt
Patrick Modiano, 1945 geboren, ist einer der bedeutendsten französischen Schriftsteller der Gegenwart. Er erhielt zahlreiche Auszeichungen, darunter den großen Romanpreis der Académie française und den Prix Goncourt. 2012 wurde ihm der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur verliehen und 2014 der Nobelpreis für Literatur.
Rezensionen
"Ein klassischer Romanstoff, und vermutlich der schönste von allen: die Erinnerung an ein für immer verlorenes (und dabei schon im Moment des Genusses zweifelhaftes) Glück, an Gerüche, Vergnügungen und Orte, die so nie mehr aufzufinden sind, an die vermeintliche Unbeschwertheit einer Jugend, die nur im Rückblick leicht erscheint und in Wahrheit belastet war von Unruhe und einem unbestimmten Leid." Wolfgang Höbel in Der Spiegel , 3. Juli 2000

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2000

Piktogramme
Patrick Modianos Roman "Aus tiefstem Vergessen"

Wenig Text und viel Geheimnis bietet Patrick Modiano seinem Leser in diesem Romänchen, das er Roman nennt. Romanheft in der Tat scheinen die beschriebenen Existenzen zu sein, Minderjährige am Rande der Gesellschaft mit gefälschtem Studentenausweis oder Pass; Herumtreiber in Bistros, die von Spielkasino zu Spielkasino reisen, um sich Geld für eine Reise nach Mallorca zu besorgen. Schließlich beschaffen sie sich dieses Geld lieber durch einen kleinen Diebstahl, der eigentlich keiner ist, weil er unter ihresgleichen stattfindet. Sie entfliehen damit nach London und geraten in eine dubiose Prostituierten-, Zuhälter-, Drogenhändler- oder Makler-Bande - der Leser kann so recht nicht dahinter kommen, um welchen Typ von Menschen es sich handeln soll: wichtig bei alledem ist es ja gerade, dass er nicht so recht begreift, wie sie leben, warum überhaupt sie zusammenkommen und zusammenbleiben. Der Text besteht aus szenischen Schnipseln, hinter denen allen ein Fragezeichen steht; und da diese Fragezeichen nie eine Antwort finden, entsteht auch keine volle Geschichte.

Diese aber sollte denn auch am allerwenigsten glücken, denn der Erzähler im Roman, der aus seiner abenteuerlichen Jugend in die höhere Existenz eines Romanschriftstellers hineinwächst, weiß am allerbesten, dass die geschlossene Form unmodern wäre. Außer Rätseln hat die gebotene Modernität allerdings wenig zu bieten. Menschen, Gesten, Räume oder Gefühle wollen dem zur Abstraktion entschlossenen Erzähler nicht gelingen. Die Aussteiger, die sich hier zu fadenscheinigem Gerede in Cafés treffen, sind eigentlich nichts als Piktogramme. Ihre Bedeutung beschränkt sich auf die wohl bekannten Silhouetten auf Toilettentüren: männlich, weiblich, mit Lederjacke, ohne Lederjacke. Um in den Szenen zu agieren, lockern diese Spukgestalten ihre mageren Glieder ein wenig, fahren - warum? warum? - in London von einer heruntergekommenen Wohnung zur andern, verschenken - warum? warum? - Geld an Leute, die sie nichts angehen.

Auch diese Preisgabe der Individualität gehört ins Pflichtprogramm des modernen Romanautors. Die Schilderung von Charakteren in der früheren Literatur hatte sich der Mimesis der Wirklichkeit verpflichtet, die Moderne aber will den Leser auf die Machart von Kunst aufmerksam machen. Modiano allerdings setzt die Machart des Werks in seinen "gemachten" Figuren fort, die unentwegt etwas "machen" müssen, es mag so zufällig sein, wie es will.

Der Übergang vom Charakter zum Piktogramm zerstört jede Möglichkeit einer Identifikation mit den imaginären Personen. Zur Entschädigung entblößt der Erzähler sein Unterbewusstes. Die Tiefe der Erinnerung, aus der Relikte einer ahnungsvollen Vergangenheit hervorgeholt werden, soll die Oberflächlichkeit von Erzählung und Figurenkonzeption rechtfertigen. Die Ereignisfetzen entspringen angeblich den Assoziationen der sich erinnernden Phantasie. Den Gedächtnisfilm löst eine Passantin aus, die der Erzähler in den Straßen von Paris beobachtet und die der Geliebten aus der dramatischen Jugendzeit so täuschend ähnlich sieht. Das ganze Gehäcksel aus Ereignissen zeigt nur, wie erschüttert das jugendliche Herz einst war und wie unauslöschlich sich die Bilder der Vergangenheit ins sensible Gemüt des Erzählers eingegraben haben. Aber auch diese raunenden Andeutungen, die die Schnitzeljagd von Szene zu Szene als Bruchstücke einer Konfession ausgeben, machen den Roman noch nicht zur Poesie. Sollte auch das Herz des Autors bewegt sein, das des Lesers bleibt kalt.

Modianos Text ist nichts weiter als das Lehrstück eines berühmten Schülers der Moderne. Die Leser, deren Modiano nicht wenige hat, müssen in den Stundenplan ihrer freien Abende das Studium der Moderne aufgenommen haben, um Bücher dieser Art schätzen zu können. Das moralische Bewusstsein, sich informiert zu haben oder vielleicht gar am Fortschritt der Literatur beteiligt gewesen zu sein, hilft heutzutage über so manches ästhetische Missvergnügen hinweg.

HANNELORE SCHLAFFER

Patrick Modiano: "Aus tiefstem Vergessen". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Edl. Carl Hanser Verlag, München 2000. 160 S., geb., 29,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.04.2000

Liebe am Nachmittag
Leicht und flüchtig wie das Erinnern: Patrick Modiano erzählt „Aus tiefstem Vergessen”
Das Schönste, was sich über dieses Buch sagen lässt, könnte zum Beispiel sein, dass es Filmen gleicht, wie sie schon lange nicht mehr gemacht werden. Antonionis La notte etwa, Truffauts Süße Haut, Malles Irrlicht oder Fellinis Müßiggänger. Ein Buch in Schwarzweiß, wie die Fotos aus jener Zeit, als die Mädchen lange Beine hatten und die Herren noch Anzug trugen. Ein Buch, so leicht und flüchtig wie das Erinnern selbst.
Es passiert nicht viel in diesem Buch – das sagt sich so leicht. In Wirklichkeit geht es natürlich um alles: das Vergehen der Zeit, das Verschwinden der Jugend, die Schmerzen der Erinnerung, die Schatten der Liebe. Aber es gibt kaum einen, der davon mit so leichter Hand schreiben kann, so einfach und klar und unaufgeregt. Es ist wie im Leben: Während man sich noch fragt, wann endlich etwas passiert, sind alle Entscheidungen schon gefallen. Man hat es nur nicht gemerkt. Was im Herzen so leicht wog, entpuppt sich auf einmal doch als gewichtigeres Erlebnis. Je unzuverlässiger die Erinnerungen werden, desto mehr gewinnen sie an Schwerkraft. Am Ende lasten sie umso schwerer auf der Seele, je weniger man sie fassen kann. Diese doppelte Bewegung könnte man Modianos Unschärferelation nennen.
Klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Es gibt also einen Erzähler, der sich 30 Jahre zurück erinnert, an eine Zeit mit einem Mädchen namens Jacqueline, die stets zu kühl gekleidet war, eine Vorliebe für Äther hatte und von Mallorca träumte. Erst war sie mit einem Typen namens Gérard Van Bever unterwegs, der sich mit Casinobesuchen in der Provinz über Wasser hielt, dann floh sie mit dem Erzähler nach London, wo die beiden einen Sommer verbringen, ehe Jacqueline verschwindet. Man kann nicht einmal behaupten, dass es die große verflossene Liebe ist, die den Erzähler dazu bringt, nach 30 Jahren dieser Beziehung nachzuhängen. Man hat eher den Eindruck, dass die beiden einfach nichts Besseres zu tun hatten und sich deshalb aneinander klammerten, weil Zeit damals keine Rolle spielte und die Liebe nicht viel kostete.
Patrick Modiano, der für uns von Handke – dem das Buch gewidmet ist – entdeckt wurde, kreist mit diesem Buch um dieselben Fragen, die ihn schon immer beschäftigt haben: Wie hängen Topografie und Erinnerung zusammen, was verbindet Stadt und Gedächtnis? Es sind die Bücher eines Mannes, der über einem Stadtplan wie über einem Telefonbuch gleichermaßen ins Träumen geraten kann. Und jeder Straßenname oder Telefoneintrag ist gleichsam eine Einstiegsluke in eine Vergangenheit, die es zu beleben gilt. Als könne man auf diese Weise begreifen, was einem von der eigenen Biografie abhanden gekommen ist.
Das, was man Jugend nennt
Das ist so einfach, wie Modiano erzählt, so schön, so schmerzlich: die Bars im Quartier Latin, die Stunden am Flipper, das Warten darauf, dass etwas passiert; das flatterhafte Mädchen, die stillschweigende Duldung durch ihren Begleiter, die plötzliche Anwesenheit einer neuen Bekanntschaft. Die Zusammenhänge sind so unklar wie im Leben selbst, die Beziehungen nie richtig zu durchschauen. So ziehen sie durch die Nächte, vertrödeln ihre Tage und sind, ehe sie sich versehen, mit einem gestohlenen Koffer und etwas Geld in London, wo sie sich die Zeit in Kinos, Parks, Cafés und heruntergekommenen Wohnungen vertreiben. Eine große Unverbindlichkeit liegt über allem, die dann wohl das ist, was man Jugend nennt.
Einmal sitzt der Erzähler am Bahnhof Saint-Lazare in der Salle des Pas Perdus, was eine fabelhafte Bezeichnung ist für den Raum, in dem praktisch alle Romane Modianos spielen: Saal der verlorenen Schritte. Er sitzt also da und träumt davon, ein Papier in kleine Zettel zu zerschneiden, auf die er alle Namen, Adressen und Orte notiert, die in letzter Zeit für ihn Bedeutung gewonnen haben: „Das also war mein gegenwärtiges Leben? Alles beschränkte sich auf rund zwanzig bunt zusammengewürfelte Namen und Adressen, zwischen denen ich die einzige Verbindung war? Wenn ich es beschloss, konnte ich diesen Tisch verlassen und alles würde sich auflösen, alles würde im Nichts verschwinden. ”
Im Grunde ist das Modianos Arbeitsweise: Mit jedem Roman sortiert er seine Zettel immer wieder neu, als könne er dadurch dahinterkommen, welche dünnen Fäden das, was man Leben nennt, zusammenhalten. Und dabei sind seine Geschichten stets von der Auflösung bedroht, weil sie sich so nahe am Nichts abspielen. So flüchtig sind sie, dass sie schon im nächsten Moment vom Vergessen verschluckt werden könnten.
30 Jahre sind vergangen – nichts ist geblieben außer jenem bittersüßen Geschmack von Freiheit und Jugend. Und als der Erzähler in der Metro eine Frau sieht, die ihn an Jacqueline erinnert, fällt ihm eine weitere Episode ein, die sich 15 Jahre zuvor zugetragen hat, auf halber Strecke also zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Da ist er ebenfalls einer Frau gefolgt, die wie Jacqueline aussah, hat sich auf eine Party eingeschlichen und sie angesprochen. Was dann passierte, muss man nicht unbedingt verraten – aber es trägt zu jener Gewissheit bei, dass die Vergangenheit niemals wirklich abgeschlossen ist und ihre Gespenster mehr sind als nur eine fahle Erinnerung.
Die letzten Sätze heißen: „Früher einmal war die ganze Straße voll mit Cafés, Kinos, Reparaturwerkstätten, deren Reklameschilder noch zu erkennen sind. Eines von ihnen leuchtete wie ein wachsames Nachtlicht, umsonst. ” So müssen Bücher aufhören.
MICHAEL ALTHEN
PATRICK MODIANO: Aus tiefstem Vergessen. Roman. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser Verlag, München 2000. 160 Seiten, 29,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Alexandra M. Kedves ist sehr angetan von diesem Roman des bereits mehrfach ausgezeichneten französischen Autors. Sie lobt diese "kleine Geschichte", die die Erinnerung an eine Begegnung aus dem Paris im Winter 1964 heraufbeschwört, für das Wagnis, seine Charaktere und Gefühle deutlich zu beschreiben, indem er sie lediglich mit "wenigen Strichen "skizziert. Sie preist die "klare, karge Sprache" des Autors, der damit eine ganze "Epoche" zum Leben erweckt habe. Zudem sei der Roman auch eine "Liebeserklärung" an Paris, die Modiano mit seiner "federleichten, vergangenheitsschweren Prosa" zum Ausdruck bringt, so die Rezensentin begeistert. Die Übersetzung ins Deutsche wird ihrer Meinung nach der stilistischen "Schlichtheit" des Autors völlig gerecht.

© Perlentaucher Medien GmbH