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Seit dem Erscheinen seines Meisterwerkes Expressive Vernunft gilt Robert B. Brandom als einer der wichtigsten Philosophen der Gegenwart. In Begründen und Begreifen widmet er sich nun in konziser Form seinem wichtigsten Thema, nämlich der Klärung des Gebrauchs und Gehalts von Begriffen. Ausgehend von der These, daß sich der Gehalt von Begriffen durch deren Rolle im Schlußfolgern bestimmt, gelingt Brandom eine überraschende Klärung solch wichtiger philosophischer Probleme wie unter anderem des Problems der Normativität, der Intentionalität und Repräsentationalität des Denkens und Sprechens oder…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem Erscheinen seines Meisterwerkes Expressive Vernunft gilt Robert B. Brandom als einer der wichtigsten Philosophen der Gegenwart. In Begründen und Begreifen widmet er sich nun in konziser Form seinem wichtigsten Thema, nämlich der Klärung des Gebrauchs und Gehalts von Begriffen. Ausgehend von der These, daß sich der Gehalt von Begriffen durch deren Rolle im Schlußfolgern bestimmt, gelingt Brandom eine überraschende Klärung solch wichtiger philosophischer Probleme wie unter anderem des Problems der Normativität, der Intentionalität und Repräsentationalität des Denkens und Sprechens oder der Objektivität begrifflichen Gehalts. Begründen und Begreifen kann als Prolegomena zu Brandoms Philosophie gelesen werden.
Autorenporträt
Robert B. Brandom ist Distinguished Professor of Philosophy an der University of Pittsburgh und Fellow sowohl der American Academy of Arts and Sciences als auch der British Academy.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Da soll noch mal einer sagen, das sei rot
Robert Brandom, knapp abgepackt / Von Wolfgang Kersting

Brandoms Abhandlung über Begründen und Begreifen ist ein schlanker Band von gerade einmal 270 Seiten. Hält man ihn neben seinen backsteinschweren Wälzer "Making It Explicit" von 1994, dann könnte man sich an Kant erinnert fühlen, der der dickleibigen "Kritik der reinen Vernunft" zwei Jahre später die "Prolegomena" folgen ließ, oder an David Hume, der dem sogar noch umfangreicheren "Treatise" rund zehn Jahre später handliche "Philosophical Essays Concerning Human Unterstanding" hinterherschickte. Aber da ist ein großer Unterschied. Anders als Kant und Hume hatte Brandom keinerlei Anlaß, sich über sein philosophisches Publikum zu beklagen. Die, so der Titel der deutschen Übersetzung, "Expressive Vernunft" (F.A.Z. vom 7. August 2000) ist nicht "dead-born from the press" gefallen, wie Hume angesichts des schweigenden Publikums verbittert schrieb. Sie fügte ihrem Autor auch nicht die "Kränkung" zu, die Kant wegen der unaufhörlichen Unverständlichkeits- und Dunkelheitsklagen über sein "allen gewohnten Begriffen widerstreitendes und überdem weitläufiges" Werk empfand. Brandoms gewichtiges Buch ist auf überaus wohlwollendes Interesse, gelegentlich sogar auf Begeisterung gestoßen.

Brandom hatte es also nicht nötig, die Verständigungsverhältnisse zwischen sich und seinem Publikum zu verbessern. Gleichwohl ist diese knappe Einführung in die Grundgedanken seines "normativen Pragmatismus" und "semantischen Inferentialismus" hochwillkommen. Denn weitläufig ist auch die "Expressive Vernunft"; die Gefahr, die Orientierung zu verlieren und sich in ihr zu verlaufen, ist erheblich. Da kommt eine zupackende, verschlankte Fassung gerade recht.

Hume und Kant begründeten jeder eine gänzlich neue philosophische Sichtweise. Brandom hingegen kann sich auf eine wohletablierte Tradition mit Routinen und Üblichkeiten stützen. Die philosophische Gemeinde ist durch Sellars, Dummett und Rorty auf eine inferentielle Theorie des Begrifflichen vorbereitet worden - also auf eine Theorie, die das Schlepptau von berechtigten Behauptungen betrachtet, das mit jeder Aussage verbunden ist. Brandom ist beileibe nicht der erste, der den sprachphilosophischen Präsentationalismus kritisiert und die empiristische Traditionslinie der analytischen Philosophie verwirft, die das ganze logische und semantische Raffinement nur entwickelt hat, um alten fragwürdigen humeanischen Überzeugungen ein neues Outfit zu verpassen.

Nur hat keiner vor ihm die Motive des Pragmatismus und des Inferentialismus systematisch so dicht miteinander verknüpft. Brandom hat aus zumeist Sellarsschen Einsichten und Einfällen eine wuchtige Theorie gemacht, die den nicht geringen Anspruch erheben darf, das Programm systematischer Metaphysik unter den einschränkenden Bedingungen des sprachphilosophischen Paradigmas aufzunehmen. Beherzt wendet sie sich den alten Problemen der Vernunft, der Wahrheit und der Begründung ebenso zu wie den neuen der Intentionalität, der Repräsentationalität und der Objektivität des Gehalts von Sätzen und übersetzt sie in die Sprache des Pragmatismus und der inferentiellen Semantik. Dadurch entsteht eine Konzeption von imponierender theoretischer Einheitlichkeit und thematischer Reichhaltigkeit. Mit dieser Integrationsstrategie schlägt der Rortyschüler Brandom einen Weg ein, der dem seines Lehrers genau entgegengesetzt ist. Macht der Brachialdesillusionierer Rorty den Pragmatismus geradezu zu einem Synonym für metaphysischen Ausverkauf, in dem die Ladenhüter Wahrheit, Vernunft, Objektivität unter Selbstkostenpreis verschleudert werden, so werden in der Brandomschen Philosophie diese alten philosophischen Güter abgestaubt und sorgfältig in die pragmatistischen Regale eingeräumt.

Nicht zuletzt in dem Systemanspruch ist die Wertschätzung begründet, die Brandoms Philosophie in der analytischen Philosophieszene genießt. Die Geschichte der analytischen Philosophie ist eine Geschichte der Destruktion, des Ikonoklasmus. Die Kirchen der Metaphysik wurden gestürmt, die Altarbilder zertrümmert, die Portale verfeuert. Aber Destruktionsbewegungen vermögen aus eigener Kraft nicht zu überleben. Sobald der letzte grammatische Hexenbann gelöst wurde, Hegel, Husserl und Heidegger gründlich diskreditiert waren, blieben der analytischen Philosophie nur Semantik und Wissenschaft. So kam es zur Verfeinerung der Sprachphilosophie und zu den neuen Bastardbildungen wissenschaftsgesättigter Philosophie wie "Neurophilosophy" und ähnlichem. Wie die Hegelsche Spekulation ist die analytische Destruktion an ihrem Erfolg zugrunde gegangen. Das Resultat ist Zukunftslosigkeit, die Reaktion darauf die Wendung zur Autobiographie. Aber seit geraumer Zeit ist die analytische Philosophie mit dieser demutsvollen Selbsthistorisierung nicht mehr zufrieden. Statt eines analytischen J. E.Erdmanns und Kuno Fischers gibt es einen MacDowell und vor allem einen Brandom.

Diese Entwicklungen im analytischen Lager müssen auch jene aufhorchen lassen, die sich der kontinentalen Tradition zugehörig fühlen. Sie können die neue Aufgeschlossenheit der analytischen Philosophie der Sprache und des Bewußtseins für traditionelle Problemstellungen nur begrüßen. Auch wenn sie sich sicherlich die Augen reiben, wenn sie lesen, daß Brandom ausgerechnet Hegel zu seinem philosophischen Ahn erklärt hat. Daß der Sittlichkeitsphilosoph aus Berlin einem modernitätsskeptischen Kommunitaristen interessant vorkommen kann, wird niemand erstaunen, daß aber der absolute Idealismus auch als Bezugspunkt und Selbstverständigungsfolie für einen semantischen Expressivismus und rationalistischen Pragmatismus gelten kann, ist doch einigermaßen verwunderlich. Geistige Verwandtschaftsbekundungen sind immer auch Vereinnahmungen, die die Frage aufwerfen, inwieweit die bekundete Nachfolgebereitschaft und die behauptete Vorläuferschaft wirklich bestehen. Mehr als gröbste Gemeinsamkeiten kann denn auch der Brandomsche Hegelianismus nicht als Abstammungsnachweis aufbieten. Gleichwohl sind diese Versuche, über sich selbst Klarheit zu gewinnen, indem Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu den philosophischen Heroen der Neuzeit benannt werden, nicht uninteressant. Sie tauchen die Klassiker in ein ungewohntes Licht, das für die systematische Würdigung ihrer Lehren neue Sichtweisen eröffnet.

Die sechs Kapitel von "Articulating Reasons", so der Originaltitel, sind so konzipiert, daß sie unabhängig voneinander gelesen werden können. Das hat den Nachteil, daß sich die Erläuterung der Brandomschen Grundideen oft wiederholt und dieselben Beispiele immer wieder auftauchen. Aber angesichts des hohen Abstraktionsgrades der Konzeption und des massiv eingesetzten technischen Vokabulars ist dieser Nachteil zugleich auch ein didaktischer Vorteil. Das Beispiel vom Papagei und vom Thermostaten ist Brandoms Lieblingsbeispiel. Mit Recht, denn es ist hervorragend geeignet, den Kerngehalt der inferentiellen Semantik zu veranschaulichen. Wenn ein Papagei angesichts einer hochgehaltenen roten Papptafel sagt: "Das ist rot", meinen wir nicht, daß der Vogel irgend etwas begriffen hätte. Und wenn ein Thermostat bei hinreichend abgesunkener Raumtemperatur anspringt, meinen wir auch nicht, daß er wüßte, was "warm" und "kalt" bedeuten. Papageien verfügen wie auch Thermostate, Photozellen und Getränkeautomaten über die Fähigkeit zur "responsiven Klassifikation". Aber wenn sie sagen "Das ist rot", hat das keinerlei Implikationen und Folgen. Sie wissen nicht, daß "rot" die Bezeichnung einer Farbe ist und "farbig" impliziert, noch daß "Rot" "Blau" ausschließt, noch daß jemand mit Rotgrünblindheit einen anderen Bericht abgeliefert hätte.

Menschliche Protokollanten der sinnlichen Gewißheit unterscheiden sich von Papageien und responsiven Maschinen, weil sie Begriffsverwender sind. Begriffe sind inferentiell gegliedert; ihre inferentielle Gliederung macht ihren Gehalt aus. Dabei geht es nicht um logische Folgerungsbeziehungen, sondern um materiale Inferenzen, um das Insgesamt dessen, was zusammen mit dem Behaupteten ebenfalls behauptbar ist. Der Bereich der inferentiellen Gliederung steckt also Verträglichkeitsfelder ab, die je nach Wissensstand größer und kleiner sind.

Wie schon Wittgenstein im ersten Paragraphen der "Philosophischen Untersuchungen" ausführte, irrte sich Augustinus mit seiner Erzählung darüber, wie er sprechen lernte. Wäre die Geschichte wirklich so abgelaufen, wie er es in den "Confessiones" darstellt, hätte er nur Bezeichnungen aufgeschnappt, dann wäre er nur wie ein Papagei abgerichtet worden. Das Bild des Spracherwerbs als einer Inventarisierung ist darum falsch, weil es nicht deutlich zu machen vermag, wie je das Niveau der Begriffsverwendung erreicht werden kann. Denn um nur einen Begriff verwenden zu können, das ist die Pointe des Inferentialismus, müssen wir schon über viele Begriffe verfügen. Eine Überzeugung gewinnt nur im Zusammenhang mit anderen Überzeugungen Bedeutung. Das Netz ist der Anfang, nicht das Ende.

Die Beziehung zwischen der Ausgangsaussage und dem Schlepptau der mit ihr vereinbaren Behauptungen expliziert Brandom nun weiter mit den Mitteln der normativen Pragmatik. Wenn jemand etwas behauptet, dann, so Brandom, hat er sich darauf festgelegt, dann billigt er das Behauptete, übernimmt für es Verantwortung. Dieser Akt findet jedoch nicht isoliert statt, sondern als ein erster Zug in einem Spiel. Denn aus der mit dem Behauptungsakt eingegangenen Festlegung folgen weitere Festlegungen. Genauer: Mit der Behauptung A ist der Sprecher auf alle mit A kompatiblen Behauptungen festgelegt. Behauptungen können aber auch bezweifelt werden, bedürfen der Rechtfertigung. Die Rechtfertigung findet sich in den inferentiellen Voraussetzungen der Behauptung. Mit einer gerechtfertigten Behauptung erhält der Sprecher nicht nur die Berechtigung zu der fraglichen Behauptung, sondern auch zu allen mit der Ausgangsbehauptung material kompatiblen Behauptungen. Reden ist eine Praxis, daher normativ strukturiert und nicht folgenlos. Wenn ich einen Satz äußere, dann ist damit einiges festgelegt hinsichtlich dessen, was ich vernünftigerweise glauben, sagen und tun sollte. Derjenige, der seine Behauptungen wie absolute rhetorische Ereignisse ansieht, die keinerlei Verbindung zu vorherigen und folgenden theoretischen und praktischen Äußerungen haben, wird sich aus allen kommunikativen Bezügen ausgrenzen.

Mit den beiden Dimensionen des rationalistischen, weil die Begründungsfigur ins Zentrum rückenden Pragmatismus und des semantischen Inferentialismus besitzt Brandoms Theorie die konzeptuelle Grundausstattung, mit der sie den alten und neuen philosophischen Problemstellungen zu Leibe rücken will. Durch schrittweise Aufhellung der pragmatischen und semantischen Implikationen des Behauptungsspiels sollen die Schleusen sichtbar werden, durch die Brandom die traditionellen Fragestellungen in sein Konzept integrieren möchte. Das ist freilich nicht immer überzeugend. Auch seine Lösung des so wichtigen Objektivitätsproblems leuchtet nicht ein.

Sicherlich sind die Umstände, unter denen es einem Sprecher angemessen scheint, einen Satz p zu behaupten, eines, die Wahrheit des Satzes p jedoch etwas ganz anderes. Die der Behauptungspraxis und ihren pragmatischen Normen abgelesenen semantischen Richtigkeiten implizieren keinesfalls die Korrektheit einer Aussage. Es entsteht ein Objektivitätsproblem. Wie aber läßt sich im inferentialistischen Rahmen ein Objektivitätsbegriff gewinnen, der die Einstellungen der Diskursteilnehmer transzendiert und die Dinge berechtigt, bei der Wahrheit ein Wörtchen mitzureden?

Brandoms Antwort sieht ungefähr folgendermaßen aus: Die Sätze "p" und "Ich behaupte, daß p" stehen in unterschiedlichen Inferenzrelationen. Zwar haben beide Sätze dieselben Festlegungen im Schlepptau, jedoch verhält es sich mit den Berechtigungen anders. Es sei durchaus möglich, so meint Brandom, daß ich berechtigt bin, zu äußern, daß ich p behaupte, jedoch gleichzeitig nicht berechtigt bin, p zu äußern. In dieser Asymmetrie der Berechtigungen komme dann die Differenz zwischen Einstellungssubjektivität und Objektivität zum Ausdruck. So könne der Wahrheitsbegriff inferentialistisch zugleich gerettet und eingespart werden. Aber der Unterschied, den Brandom hier sieht, besteht gar nicht, denn mit den Sätzen "p" und "Ich behaupte, daß p" melde ich denselben Wissensanspruch an. Ich muß in beiden Fällen auch dieselben Gründe aufbieten, um diesen Anspruch zu rechtfertigen. Und diese Gründe sind Gründe für die Wahrheit des Behaupteten. Offenkundig hat sich Brandom bei seiner Analyse des Behauptungsspiels zu sehr von der pragmatistischen Üblichkeit, Wahrheit für verzichtbar zu halten, beeinflussen lassen. Daher hat er übersehen, daß ohne Wahrheitsbegriff der von ihm selbst eingeführte Begriff der Behauptungsberechtigung nicht angemessen expliziert, das Begründen also nicht begriffen werden kann.

Robert B. Brandom: "Begründen und Begreifen". Eine Einführung in den Inferentialismus. Aus dem Amerikanischen von Eva Gilmer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 264 S., geb., 40,- DM.

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