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Presents an account of the rise and fall of Purgatory as both a belief and a lucrative institution - as well as a capacious new reading of the power of Hamlet. This book explores the adventure narratives, ghost stories, pilgrimages, and imagery by which a belief in a grisly "prison house of souls" had been shaped and reinforced in the Middle Ages.

Produktbeschreibung
Presents an account of the rise and fall of Purgatory as both a belief and a lucrative institution - as well as a capacious new reading of the power of Hamlet. This book explores the adventure narratives, ghost stories, pilgrimages, and imagery by which a belief in a grisly "prison house of souls" had been shaped and reinforced in the Middle Ages.
Autorenporträt
Stephen Greenblatt is the John Cogan University Professor of the Humanities at Harvard University. His many books include Will in the World: How Shakespeare Became Shakespeare and The Swerve: How the World Became Modern , which won a National Book Award and Pulitzer Prize. He is a general editor of The Norton Shakespeare and The Norton Anthology of English Literature
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2001

Der Tod, ein unentdecktes Land
Stephen Greenblatt holt Hamlets Vater aus dem Fegefeuer

"Wer da?" Die berühmte Eingangsfrage zu William Shakespeares skeptischer Tragödie "Hamlet" drängt auf Antwort, denn in Elsinore gehen die Toten um. Das Trauerspiel hat kaum begonnen, da tritt schon das Gespenst des alten Königs in Erscheinung. Die Heimsuchung verheißt nichts Gutes. Zur Mitternacht ist deshalb ein Gelehrter aufgefordert, das "Ding", wie die Soldaten sagen, fachgerecht zu befragen, um herauszufinden, wer es sei. Doch die Erscheinung schweigt. Und selbst als sie in der nächsten Nacht sich gegenüber Hamlet als des Vater Geist erklärt, bleibt ihre Identität irritierend ungewiß. Soll man dieser Offenbarung trauen? Spricht hier ein Teufelsspuk, der nur den Sinn verwirren will, oder ein Mordopfer, das zu Recht Rache fordert? Und wenn es denn der Geist des Toten sein soll, wo kommt er her? An welchem Ort hält er sich unterdessen auf?

Geisterscheinungen sind theologisch so brisant wie politisch aufschlußreich, denn die Heimsuchungen der Nacht sagen womöglich mehr über die epochalen Umbrüche einer Gesellschaft aus als ihre Tagesgeschäfte. Auch 1601 war in England, zum absehbaren Ende der langen glorreichen Tudor-Herrschaft, eine Epochenschwelle spürbar, und kein Drama gestaltet die Ungewißheit dieses Umbruchs wirksamer als "Hamlet". Zwar gehörte Geisterspuk zum populären Repertoire, mit dem die Bühne gern ihr breites Publikum bediente. Shakespeare jedoch hat als einziger der großen Autoren jener produktiven Krisenzeit, wie viele seiner Stücke zeigen, das Geisterpersonal so ernst genommen, daß er ihm moralisch wie historisch richtungweisende Rollen zuteilt. Vierhundert Jahre lang haben die Gelehrten daher über seine Bühnengeister nachgedacht. Jetzt fragt Stephen Greenblatt, der seit zwei Jahrzehnten meistdiskutierte Renaissance-Forscher, nach ihrer Identität.

Bis zum letzten Kapitel des neuen Buches muß man warten, bevor Hamlets Geist hier seinen großen Auftritt hat. Allerdings sorgt schon die kunstgerechte Dramaturgie von Greenblatts bewährter Selbstinszenierung dafür, daß seine stärkste These gleich im Titel steht: "Hamlet in Purgatory" meint nichts Geringeres, als daß dieser tote Vater, der den Sohn so unerbittlich zum Gedenken mahnt, aus dem Fegefeuer komme. Dies aber wäre Hochverrat. Im protestantischen England ist seit 1563, auf Anordnung von höchster Macht, das Purgatorium abgeschafft. Derlei papistischer Aberglaube wird von der anglikanischen Staatskirche nicht geduldet und steht, wie alle katholischen Umtriebe im Land, unter strenger Strafe. Wenn deshalb der gepeinigte Geist eines Verstorbenen auf der Bühne Anerkennung und Erinnerung fordert, könnte ausgerechnet das Theater toten Seelen einen Raum bieten. So spielte die Tragödie, ein Lebensalter nach den Kämpfen der Reformation, mit vertriebenen Figuren des verbotenen Glaubens.

Über Shakespeares angeblichen Katholizismus, dem er heimlich und in verschwörerischer Absicht zugetan gewesen sei, ist immer wieder spekuliert worden. An solchem biographischen Enthüllungswahn beteiligt Greenblatt sich indessen nicht. Sein Buch ist eine ruhige, philologisch genaue und daher in ihrer Substanz um so gewichtigere Studie über die soziale und politische Karriere von Jenseitsvorstellungen vom zwölften bis zum siebzehnten Jahrhundert. Die Geisterbegegnungen in "Hamlet" sind ihm nur das letzte und zentrale Beispiel, um zu untersuchen, wie das Verhältnis zu den Toten die Ordnung der lebendigen Gesellschaft prägt. Greenblatts Untersuchung geht auf Spurensuche nach der umkämpften Geschichte des Fegefeuers. Sie verfolgt, wie es aus poetischen Figuren in soziale Wirklichkeiten eingegangen ist und was geschieht, wenn es daraus verbannt wird.

Daß zwischen Himmel und Hölle ein dritter Jenseitsraum, eine Art Strafkolonie bestehen solle, ist eine erst im Mittelalter formulierte Einsicht. Die Bibel teilt dazu nichts mit. Deshalb muß sich die Überlieferung auf andere, oftmals strittige Quellen stützen. Zeugnisse von geisterhaften Rückkehrern aus dem Totenreich waren dafür von Interesse, wenngleich sie stets unter dem Verdacht des Heidnisch-Abergläubischen standen.

Seit Beginn des reformatorischen Eifers richtet dieser sich mit besonderer Wucht und Häme gegen die Vorstellung vom Fegefeuer. Dort muß die Seele zwar, sagt die Doktrin, die gleichen Qualen wie im Höllenfeuer leiden, allerdings auf begrenzte Zeit, bis sie ins Himmelreich eingehen kann. Die Frist der Läuterung daher so kurz wie nur möglich zu gestalten, muß jeder fromme Sünder sich auf Erden mühen. Diesem Ziel dient sowohl der Ablaßhandel wie die gesamte Praxis von Fürbitten, Wohltaten und Gedenkmessen, mit der Hinterbliebene das Schicksal der Verstorbenen lindern helfen. Die besondere Brillanz der Purgatoriums-Doktrin, so Greenblatt, liegt in ihrer doppelten Funktion, persönliche Trauerarbeit ebenso wie kirchliches Einkommen zu organisieren. Beides entfällt, wenn unser postmortales Schicksal durch göttliche Vorsehung entschieden ist. "Wenn ich wüßte, daß mein Vater sicher in der Hölle wäre", erklärt eine fromme Abhandlung im vierzehnten Jahrhundert, "würde ich für ihn nicht mehr als für den toten Hund beten." Auch beim Seelenheil muß man ökonomisch denken.

Der Tod, sagt Hamlet in seinem berühmtesten Monolog, sei ein unentdecktes Land, von dessen Bezirk kein Wanderer wiederkehre. Die Formulierung überrascht, denn sie erinnert an den großen Aufbruch jener Zeit, bei dem die Reisenden fortwährend Kunde von neu entdeckten Ländern bringen. Ihm selbst ist jener Geist doch aus dem Totenreich erschienen. Die Absage an Jenseitskenntnis wie seine zweifelnde Selbsterforschung sind daher meist so gedeutet worden, daß Shakespeares Dänenprinz klar eine protestantische Geisteshaltung verkörpere. Immerhin hat er ja auch in Wittenberg studiert, der Wiege der neuen Konfession. Der Rachegeist wäre dann bloß eine traditionelle Figur aus der römischen Tragödie, wie sie die Bühne dutzendfach genutzt hat. Und doch will Greenblatts neue Lesart des vielgelesenen Stückes zeigen, daß Shakespeare die Psychologie seines Helden aus der katholischen Theologie gewinnt und die Bühnentradition zum Gedenken an offiziell Versagtes umwidmet.

Diesem über fünf lange Kapitel entwickelten Argument zu folgen ist nicht immer leicht. Zuweilen greift der Autor sehr weit aus. Er zieht nicht nur entlegene und daher lohnende Text- und Bildbeispiele heran, sondern mustert auch den gesamten Shakespeare-Kanon nach Geisterszenen durch, deren Diskussion oft das Kursorische kaum übersteigt. Auch seine bekannten Markenzeichen - der Eigenauftritt, ganz wie Hitchcock in seinen Filmen, sowie die Ausflüge ins Assoziative, diesmal zu Prousts Laterna magica und zu Albträumen im Dritten Reich - fehlen nicht. Verehrer wie Verächter von Greenblatts Methode mögen sich daher bestätigt sehen. Doch solcher Zutaten bedarf es nicht. Das "Hamlet"-Mosaik, das dieses Buch aus dem historischen Material zusammensetzt, wirkt stimmig, weil es vielen bislang ungeklärten Textdetails Hintersinn verleiht.

"Gedenke mein!" fordert der Geist, wie eine gequälte Seele und erklärt, daß er "auf eine Zeitlang" in der "Glut" fasten müsse, bis seine Verbrechen "hinweggeläutert" seien. "Bei Sankt Patrick" schwört Hamlet darauf die Mitwisser ein, und seine Befragung der Erscheinung zitiert das Verfahren der klassischen discretio spirituum, das zwischen dämonischen und guten Geistern trennen soll. Mit solchen Versatzstücken hält das Drama Erinnerungen an die Doktrin vom Fegefeuer gerade so stark präsent, wie es sich das angesichts der Theaterzensur leisten kann. Gleichwohl ist der Dramatiker nicht als katholisch, eher wohl als kannibalisch anzusehen. In kultureller Umbruchszeit sammelt er Hoffnungen wie Ängste seiner Gesellschaft und verleibt sie den Stücken ein. Ohnehin ist die Schauspielerei dem alten Geisterglauben eng verwandt, denn auch auf der Bühne treten Tote in Erscheinung, deren Identität ungewiß bleibt. Wie gerade Shakespeares selbstreflexive Tragödie vorführt, gilt im Theater stets zuerst die Frage "wer da?"

Sein gesamtes hermeneutisches Bemühen um die alten Texte, so bekannte Greenblatt einst, sei allererst im Wunsch begründet, mit den Verstorbenen zu sprechen. Selten gewinnt man so nachhaltig den Eindruck wie bei diesem neuen Buch, daß man zu hören glaubt, was sie zu sagen haben.

TOBIAS DÖRING

Stephen Greenblatt: "Hamlet in Purgatory". Princeton University Press, Princeton und Oxford 2001. 322 S., geb., 29,95 Dollar.

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