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"Walser-Debatten" und "Grass-Geständnis" belegen es: die Öffentlichkeit ist hellhörig, wenn es um Antisemitismus-Verdacht in der Literatur geht. Jetzt ist auch die Literaturwissenschaft aufgefordert, gezielt Judenbilder und deren Verwendung in der deutschsprachigen Literatur seit 1945 zu untersuchen. Dabei geht es nicht um eine kriminalistische "Überführung" von Schriftstellern, sondern um die Funktion und Verwendung ihrer Texte in einem Diskurs, der das Literarische überschreitet. Erstmals rollt der Band das gesamte Thema systematisch auf.

Produktbeschreibung
"Walser-Debatten" und "Grass-Geständnis" belegen es: die Öffentlichkeit ist hellhörig, wenn es um Antisemitismus-Verdacht in der Literatur geht. Jetzt ist auch die Literaturwissenschaft aufgefordert, gezielt Judenbilder und deren Verwendung in der deutschsprachigen Literatur seit 1945 zu untersuchen. Dabei geht es nicht um eine kriminalistische "Überführung" von Schriftstellern, sondern um die Funktion und Verwendung ihrer Texte in einem Diskurs, der das Literarische überschreitet. Erstmals rollt der Band das gesamte Thema systematisch auf.
Autorenporträt
Klaus-Michael Bogdal, Professor an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld; Klaus Holz, Leiter des Evangelischen Studienwerks e.V. Villigst, Kuratoriumsvorsitzender des Villigster Forschungsforums zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus e.V.; Matthias N. Lorenz, wiss. Assistent für Germanistische Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik, Universität Bielefeld
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2008

Der kleine Schritt vom Klischee zur Verhetzung
Manifest, fahrlässig oder spielerisch: Literarischer Antisemitismus ist vielgestaltig. Ein Sammelband ist ihm auf der Spur

Das aktuelle Lieblingsobjekt der deutschen literarischen Antisemitismusforscher ist Martin Walser. Es verwundert daher kaum, dass der Herausgeber des Tagungsbands "Literarischer Antisemitismus nach Auschwitz", Klaus-Michael Bogdal, seine Einführung mit Erörterungen zu Walser eröffnet. Ein Jahrzehnt nach der Friedenspreisrede des mittlerweile achtzigjährigen Schriftstellers findet der umstrittene Auftritt in der Frankfurter Paulskirche auch in mehreren Tagungsbeiträgen Erwähnung.

Der Band folgt damit einer Linie, die der Literaturwissenschaftler Matthias N. Lorenz in seiner umfangreichen Studie zu Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser vorgegeben hat. Lorenz stellte darin die These auf, dass in Walsers Werken immer wieder mit Anspielungen auf antisemitische Klischees ausgestattete Figuren auftauchen und dass man angesichts der Häufigkeit des Phänomens kaum noch von einem Missverständnis ausgehen könne. Der Sammelband zum Literarischen Antisemitismus spiegelt den Status quo eines relativ neuen Forschungsfeldes wider. An verschiedenen Texten deutscher Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur wird der oft problematische Umgang mit (anti-)jüdischen Klischees aufgezeigt, um die Evidenz des Diskurses zu verdeutlichen. Die theoretischen Überlegungen rekurrieren auf bisherige wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Gegenstand. Bogdal unterscheidet in seiner Gesamtanalyse drei Formen: ein manifester Antisemitismus, ein "fahrlässiger" Gebrauch von Stereotypen und das bewusste Spiel mit dem antisemitischen Sprach- und Wissensrepertoire. Das Potential der Literatur, antisemitische diskursive Praktiken einzuleiten oder zu stützen, solle dabei nicht unterschätzt werden.

Mona Körte vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung stellt in ihrem Aufsatz programmatisch fest, dass der Begriff des Literarischen Antisemitismus sich nur von Werk zu Werk bestimmen lasse, "als Ergebnis eines immer neuen close reading unter Berücksichtigung aller textuellen Komponenten". Dabei stoßen die Wissenschaftler in der Regel nicht auf offenen Antisemitismus, sondern decken etwa die Etablierung der deutschen Opferposition auf, wenn der fortgesetzte Holocaust-Schuldvorwurf den Juden zur Last gelegt wird. Antijüdische Klischees werden auch durch negativ gestaltete Judenfiguren evoziert. Werden diese Stereotypen im Text nicht aufgelöst, liegt der Antisemitismusverdacht nahe. Nicht außer Acht zu lassen ist jedoch die Schwierigkeit, das Konstrukt Autor-Figuren-Erzähler klar zu differenzieren. Daher geht es den Herausgebern nicht um eine "kriminalistische Überführung von Schriftstellern, sondern um die Funktion und Verwendung ihrer Texte in einem Diskurs, der das Literarische überschreitet". So wird der Literarische Antisemitismus folgerichtig als ein interdisziplinäres Forschungsfeld definiert.

Die Aufsätze des Bandes behandeln verschiedene Texte und Autoren. Der kulturgeschichtliche Ausschnitt jüdischer Figuren in Film, Theater und Literatur umfasst unter anderem die Kontroversen um Rainer Werner Fassbinders Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod" aus den siebziger Jahren oder unterschiedliche Interpretationen des Shylock in Shakespeares "Kaufmann von Venedig". Die Debatte um Günter Grass und seine SS-Mitgliedschaft zählt ebenso zu den Gegenständen des Bandes wie das erzählerische Werk Thomas Manns nach 1945. Der Literaturwissenschaftler Yahya Elsaghe deutet die Absenz jüdischer Figuren bei Thomas Mann nach Auschwitz als spezifisch deutsche Befangenheit.

Der Soziologe Klaus Holz setzt sich dezidiert mit dem Antisemitismus nach Auschwitz auseinander. Er weist darauf hin, dass für Nationalisten die Fortsetzung des Antisemitismus als eine Art der Bewältigung verstellt und attraktiv zugleich sei: "Verstellt, weil der Antisemitismus nun unter dem Rechtfertigungsdruck steht, wie man trotz Auschwitz noch Antisemit sein kann. Attraktiv, weil man heute gerade wegen Auschwitz Antisemit werden kann." Dies mag ein Grund dafür sein, warum auch jene Nachkriegsautoren, die die nationalsozialistischen Verbrechen als einen Zivilisationsbruch werten, wiederholt in das Schema der Täter-Opfer-Inversion zurückgefallen sind, wenn sie das Verhältnis von Deutschen und Juden darstellen.

Der Ansatz des Bandes, durch eine individuelle Textanalyse dem Phänomen des Literarischen Antisemitismus näher zu kommen, scheint sinnvoll. Ein generell anwendbares Prüfverfahren, sozusagen ein Anti-Antisemitismus-TÜV, entsteht dabei natürlich nicht. Der Band bietet mit seinem breiten Themen- und Diskursspektrum vielfältige Aufschlüsse über eine durch Literatur geprägte Erinnerungspolitik.

BENJAMIN UNGER

"Literarischer Antisemitismus nach Auschwitz". Hrsg. von Klaus-Michael Bogdal, Klaus Holz und Matthias N. Lorenz. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2007. 373 S., geb., 49,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Positiv bespricht Benjamin Unger diesen von Klaus-Michael Bogdal herausgegebenen Sammelband über Literarischen Antisemitismus nach 1945. Der Band vermittelt ihm einen Eindruck des aktuellen Stands in einem noch recht jungen Forschungsgebiet. Überzeugend verdeutlichen die Beiträge seines Erachtens an verschiedenen Texten und Autoren den problematischen Umgang mit (anti-)jüdischen Klischees. Behandelt werden unter anderem die Kontroversen um Rainer Werner Fassbinders Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod", unterschiedliche Interpretationen des Shylock in Shakespeares "Kaufmann von Venedig", die Debatten um Günter Grass und Martin Walser. "Sinnvoll" findet Unger den Ansatz des Bands, dem literarischen Antisemitismus durch individuelle Textanalyse auf die Spur zu kommen. Sein Fazit: "Der Band bietet mit seinem breiten Themen- und Diskursspektrum vielfältige Aufschlüsse über eine durch Literatur geprägte Erinnerungspolitik."

© Perlentaucher Medien GmbH
"Der Tagungsband wird für alle zukünftigen Forschungen nicht nur zum literarischen Antisemitismus nach Auschwitz einen zentralen Bezugspunkt darstellen; dies vor allem, weil er den Stand der Forschung nicht nur bündig zusammenfasst und wichtige Studien an einem zentralen Ort zusammenführt, sondern weil er zugleich als Etappenziel auf dem möglichen Weg zu einer literaturwissenschaftlichen Antisemitismusforschung zu verstehen ist." www.iaslonline.de