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Der Briefband dokumentiert die Jenaer Frühromantik von Friedrich Schlegels Ankunft im September 1799 bis zu seiner Abreise nach Paris im Mai 1802. Er umfasst die höchst wichtige Zeit vom Abschluss des 'Athenäums' (1800) über die 'Charakteristiken und Kritiken' der Brüder Schlegel (1801) und den 'Musen-Almanach für das Jahr 1802' bis zu den Vor-arbeiten zu den 'Nachgelassenen Werken' des Novalis (1802). Besonderen Quellenwert erhält die Edition mit dem Abdruck der Universitäts-Akten zur Habilitation Schlegels im Frühjahr 1801.

Produktbeschreibung
Der Briefband dokumentiert die Jenaer Frühromantik von Friedrich Schlegels Ankunft im September 1799 bis zu seiner Abreise nach Paris im Mai 1802. Er umfasst die höchst wichtige Zeit vom Abschluss des 'Athenäums' (1800) über die 'Charakteristiken und Kritiken' der Brüder Schlegel (1801) und den 'Musen-Almanach für das Jahr 1802' bis zu den Vor-arbeiten zu den 'Nachgelassenen Werken' des Novalis (1802). Besonderen Quellenwert erhält die Edition mit dem Abdruck der Universitäts-Akten zur Habilitation Schlegels im Frühjahr 1801.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.11.2009

Vom Wesen der Kritik
Harro Zimmermanns Biographie Friedrich Schlegels
„Wir haben an Friedrich Schlegel viel gutzumachen.” Seit Ernst Robert Curtius im Jahr 1932 diesen Satz schrieb, ist viel geschehen. Vor allem ist seit 1958 eine riesenhafte kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe in Gang gekommen, mit den gedruckten und den ungedruckten Schriften sowie einer über ganz Europa verstreuten Korrespondenz von erstaunlicher Dichte. Noch immer erscheinen neue Bände in dieser Ausgabe, noch immer kommt Unbekanntes ans Tageslicht. Soeben ist der jüngste Band mit der Korrespondenz der Jahre 1799 bis 1802 erschienen. Er dokumentiert vor allem die dichten Arbeits-und Anregungsbeziehungen zwischen Jena und Berlin, dem Paar Schlegel und Dorothea Veit einerseits und Friedrich Schleiermacher andererseits. Dazu kommt das übliche germanistische Durcheinander einer kaum noch überschaubaren Produktion von Aufsätzen und Qualifikationsschriften zu Einzelfragen.
Aber bis jetzt fehlte eine umfassende, das Leben in seinen Verflechtungen darstellende, den Denkweg erfassende Biographie, wie sie große Zeitgenossen Schlegels, etwa Wilhelm von Humboldt (durch Rudolf Haym) oder Friedrich Schleiermacher (durch Wilhelm Dilthey) schon im 19. Jahrhundert erhielten. Und so schleppt sich von Generation zu Generation das Erbübel der deutschen Schlegel-Rezeption fort, die Trennung in den „frühen” und den „späten” Schlegel, den frühromantischen Feuerkopf, Ästhetiker und Ideen-Experimentator auf der einen Seite und den katholischen Geschichts- und Religionsphilosophen, den Diener des Staatskanzlers Metternich, auf der anderen. Zu wild der eine, zu fromm der andere, so empfindet es die Wissenschaft im Grunde bis heute.
Von Walter Benjamin bis Karl Heinz Bohrer ließ sich Literaturtheorie und Kulturphilosophie vor allem vom Aufsatz über das Studium der griechischen Poesie, den Äthenäums-Fragmenten und dem „Gespräch über Poesie” befeuern, zuletzt im Gefühl einer postmodernen Wahlverwandtschaft bei der Ästhetisierung des philosophischen Denkens. Warum dann noch Vorlesungen zu Universalgeschichte, zur neueren Geschichte oder zur Geschichtsphilosophie oder gar ein Werk zu „Sprache und Weisheit der Indier” lesen? Für so etwas haben wir den nüchternen Hegel und brauchen keinen Konvertiten.
Und dabei ist das neben dem angeblichen Bruch zwischen früh und spät zweite Hauptmotiv dieses Lebens noch gar nicht angesprochen, die Beziehung zum Bruder August Wilhelm, dem glanzvoll erfolgreichen Weltliteraturwissenschaftler, der nicht nur Heinrich Heines Lehrer war, nicht nur den bis heute gültigen deutschen Shakespeare organisierte, sondern in großen Vorlesungszyklen dem philologischen Wissen des 19. Jahrhunderts die Grundlage schuf – hier übrigens durchaus in Zusammenarbeit und Konkurrenz zum Bruder Friedrich, der in der Literaturgeschichte ähnlich weitgespannt arbeitete, aber der viel originellere Denker war.
Ein gigantischer Stoff also, zu dem noch Schlegels Ehe mit einer Tochter von Moses Mendelssohn kommt, jener Dorothea Veit, die aus erster Ehe Söhne mitbrachte, die später zu den Begründern der nazarenischen Malerei der Deutschrömer wurden, woran Friedrich Schlegel als Entdecker des Mittelalters seinen kunstphilosophischen Anteil hatte. Er reicht bis zu den Brüdern Boisserée, deren Mittelalterfreude am Ende sogar Goethe anzustecken vermochte und den Grund zur Vollendung des Kölner Doms legte.
Dieses Leben verläuft im Bannkreis und in Spannung zu Goethe und Schiller, in enger Verbindung zu Fichte, Schelling, Novalis und Tieck, seine Stationen sind die Brennpunkte der europäischen Kultur um 1800, Jena, Berlin, Paris, Köln, Wien, seine zeitgenössische Ausstrahlung ist schier unermesslich: Friedrich Schlegel ist nicht nur der neben Lessing bedeutendste Kritiker der deutschen Literatur, er ist einer ihr größten Geschichtsdenker und dazu ein genuiner Forscher, der einer ganzen Disziplin, der Indogermanistik und damit der vergleichenden Sprachwissenschaft, die Bahn frei machte.
Dazu finden die Gebildeten oder Studierenden kaum Übersichten, sogar vernünftige neuere Leseausgaben fehlen, und während die Frauen des Schlegel-Kreises, Caroline und Dorothea, alle Jahre wieder einfühlsame Biographinnen finden, gab es zu Friedrich bisher vor allem ein nützliches kleines Rowohlt-Büchlein von Ernst Behler, einem der Herausgeber der großen Ausgabe, aus dem Jahre 1966.
Wird dieser eigentlich unglaubliche Zustand kuriert durch die immerhin 450 Seiten zählende neue Biographie des Germanisten Harro Zimmermann? Auch bei wohlwollendster Prüfung und bei Berücksichtigung der inzwischen fast übermenschlich gewordenen Schwierigkeiten, muss man sagen: Nein, leider nicht. Das liegt auch am Genre, zu dem Zimmermann sich entschlossen hat, der „intellektuellen Biographie”. Da kommt es auf äußere Umstände offenbar nicht so genau an – Zimmermann verrät seinen Lesern zwar das Geburtsjahr 1772, aber nicht das Datum (10. März) –, vor allem erspart man sich damit die präzise Rekonstruktion der Schauplätze und Beziehungen dieses Lebens.
Das Paris, in das Schlegel 1802 zieht, wird als „Metropole der Revolution” vorgestellt. Aber das war es eben nicht mehr, es war vielmehr postrevolutionär erschöpft, im Übergang zur ordnungssüchtigen Diktatur, in einer Art Putin-Phase höchst unerfreulicher Art, die von damaligen deutschen Beobachtern auch mit großer Nüchternheit beschrieben wurde. Seit 1804 ist Schlegel in Köln; diese Stadt war damals Teil des französischen Staates, aber welche Folgen das im Alltag der Gesellschaft, für die Presse und das Unterrichtswesen hat, erfahren wir nicht, obwohl es für Schlegels Existenz als freier Autor und Privatgelehrter doch entscheidend ist.
In Wien, wo Schlegels Vorlesungen zur neueren Geschichte 1810 ein gesellschaftliches Ereignis waren, hören wir von anwesendem Hofadel, aber auch einer „josephinischen” Intelligenz, die das katholische Geschichtsbild des Neuankömmlings mit Herablassung wahrnahm – ein geistig-politischer Grundriss der damaligen Kaiserstadt wird nicht daraus. Selbst ein sprechendes Detail, das die Kommentare der kritischen Ausgabe mitteilen, nämlich dass die Eintrittskarten zu diesen Vorträgen direkt in der Wohnung des Ehepaars Schlegel erworben werden mussten, enthält uns der intellektuelle, aber nicht materielle Biograph vor. Dabei würden noch mehr solcher Einblicke das Bild des von ewigen Geldsorgen gepeinigten, meist stellenlosen Autors erst plastisch machen.
Was ist eine „intellektuelle Biographie”? Wenn man Zimmermanns Buch liest, erscheint sie als eine Art geraffter innerer Monolog, bei dem der Autor uns in einem rhetorischen Frage-und-Antwort-Spiel den unablässig wogenden Gedankenstrom eines Genies vorführt. Wohl dem, der da mitschwingen kann! Wenn nur die einfache Struktur manchen Arguments dabei nicht verlorenginge. Einen Gedanken der berühmten Abhandlung zum „Wesen der Kritik” referiert Zimmermann so: „Bei den Griechen sei die Literatur lange vor der Kritik dagewesen, bei den Modernen aber, besonders den Deutschen, habe sie sich gleichzeitig mit der Literatur entwickelt”, um dann zu dem natürlich prickelndsten Aspekt zu kommen, in Schlegels Worten einer Kritik, „die selbst produzierend wäre, wenigstens indirekt durch Lenkung, Anordnung, Erregung”.
Ein Zwischenglied dieser Unterscheidungen aber enthält der Biograph uns vor: Die volkssprachliche Literatur des Mittelalters, die ohne begleitende oder nachfolgende Kritik entstand und daher der Überlieferung schon bald wieder verlorenging. Erst damit aber wird der Umfang des Schlegelschen Kritik-Begriffs ganz deutlich: Es geht gar nicht allein um ästhetische Wertungen, Gattungstheorie, Geschichtsphilosophie, sondern zunächst um elementare Sicherung von Texten, Sprachständen und historischem Verständnis. „Kritik” ist bei Schlegel etwas, das von der Textausgabe, dem Wort- und Sachkommentar bis zur geschichtsphilosophischen Spekulation reicht.
Würde man Schlegel selbst in diesem Sinne „kritisch” behandeln und nicht in dem unselig rhapsodischen Stil, der seine Frühzeit schlecht imitiert, dann könnte auch der Zusammenhang des Frühwerks mit dem „katholischen” Spätwerk weniger überraschend wirken. Denn Schlegel hat ja seine grundlegende Unterscheidung von Antike und Moderne (diese verstanden als christlich-volkssprachliche Nachantike) nie aufgegeben; er hat über sie einen religionsphilosophischen Begriff von Offenbarung gelegt, der den Raum des historischen Denkens auf alle Zeiten und Räume zu erweitern erlaubte.
Das ist nicht einfach Frömmelei, das ist eine rational diskutierbare Alternative zu Hegels Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Um das herauszuarbeiten, müsste man freilich nicht eilig mit dem Zitatenscanner über die Oberfläche der Texte fliegen, sondern ihre Grundstrukturen nachzeichnen.
Das Scharnierstück zwischen der frühen und späten Zeit aber ist jenes Lessing-Werk, von dem man heute nur noch die Vor- und Zwischenreden kennt, obwohl es ein aus Lessingschen Texten zusammengestelltes, ganz selbständiges Denkgebäude am Scheitelpunkt von Aufklärung und Religionsphilosophie darstellt.
Die Geschichtsvorlesungen von 1810 bezeichnet Zimmermann mit einem glücklichen Ausdruck der kritischen Ausgabe als „Reden an die habsburgisch-deutsche Nation”. Damit ist die doppelte Frontstellung gegen Napoleon und Fichte angedeutet: Gegen Napoleon setzt Schlegel die Idee eines gewaltfreien übernationalen europäischen Kaisertums, gegen Fichtes sprachphilosophisches Ursprungsdenken die Idee einer Kontinuität von germanisch-ständischen Freiheitsüberlieferungen. Selbst Goethe war von diesem genialen Entwurf so beeindruckt, dass er ihn seinem Herzog Carl August dringend zur Lektüre empfahl – auch als Gegengift zur preußischen Infiltration am Weimarer Hof.
Doch um das zu begreifen, müsste der innere Monolog der intellektuellen Biographie sich zur historischen Darstellung erweitern und präzisieren. Harro Zimmermann danken wir vorerst nur die Anspielung auf eine noch zu schreibende große Biographie. Noch immer bleibt viel gutzumachen an Friedrich Schlegel.
GUSTAV SEIBT
HARRO ZIMMERMANN: Friedrich Schlegel oder Die Sehnsucht nach Deutschland. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2009. 453 Seiten, 38 Euro.
FRIEDRICH SCHLEGEL: Höhepunkt und Zerfall der Romantischen Schule 1799-1802. Kritische Ausgabe seiner Werke XXV. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2009. 738 Seiten, 148 Euro.
Stationen dieses Lebens sind die Brennpunkte europäischer Kultur: Jena, Berlin, Paris, Köln, Wien
Gegen Napoleon setzt er die Idee eines gewaltfreien übernationalen europäischen Kaisertums
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