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Lektüren über das Spannungsverhältnis der jüdischen Wurzeln im Werk und Denken Goethes.
Karin Schutjer untersucht Goethes ambivalente Auseinandersetzung mit dem Judentum von der Beobachtung aus, dass sie seinen ebenfalls zwiespältigen Modernebegriff zutiefst beeinflusste. Ihre Studie kontextualisiert Goethes Rezeption der jüdischen Schrifttradition und hinterfragt die Spuren, die sowohl der Pentateuch, die Kabbala und Spinoza als auch antijüdische Denkfiguren wie der Ewige oder der wandernde Jude in seinem Werk hinterlassen haben. Schutjers Lektüren von "Dichtung und Wahrheit", "Hermann und…mehr

Produktbeschreibung
Lektüren über das Spannungsverhältnis der jüdischen Wurzeln im Werk und Denken Goethes.

Karin Schutjer untersucht Goethes ambivalente Auseinandersetzung mit dem Judentum von der Beobachtung aus, dass sie seinen ebenfalls zwiespältigen Modernebegriff zutiefst beeinflusste. Ihre Studie kontextualisiert Goethes Rezeption der jüdischen Schrifttradition und hinterfragt die Spuren, die sowohl der Pentateuch, die Kabbala und Spinoza als auch antijüdische Denkfiguren wie der Ewige oder der wandernde Jude in seinem Werk hinterlassen haben.
Schutjers Lektüren von "Dichtung und Wahrheit", "Hermann und Dorothea", "Wilhelm Meisters Wanderjahren", "Faust" und Goethes Volksbuch-Projekt bringen aufschlussreiche Erkenntnisse zutage, die Goethes Kritik an der jüdischen Emanzipationsbewegung überraschend in ein neues Licht rücken, wenn beispielsweise Faust als Moses-Figur gelesen wird, sich Goethes Semiotik aus dem jüdischen Verbot des Götzendienstes speist oder das Alte Testament vor demHintergrund der jüdischen Exilgeschichte als säkulare Nationalliteratur gedeutet wird, die Goethe als Vorbild für eine diasporische schriftbezogene deutsche Kulturnation verstand.
Autorenporträt
Karin L. Schutjer, geb. 1965, Professorin für Germanistik an der University of Oklahoma, studierte Kultur- und Ideengeschichte an der Yale University und promovierte 1995 an der Princeton University. Sie ist Reihenherausgeberin der »New Studies in the Age of Goethe« (Bucknell University Press). Veröffentlichung u.a.: Narrating Community after Kant. Schiller, Goethe, Hölderlin (2002).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2020

Die Genesis liebte er, Exodus war ihm verhasst

War Goethe Antisemit? Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Karin Schutjer geht dem Verhältnis des deutschen Dichters zum Judentum nach.

Karin Schutjers Studie über Goethe und das Judentum erschien 2015 zuerst auf Englisch. Die Autorin, eine Germanistin an der Universität von Oklahoma, wendet sich an Leser, die Goethe nicht unbedingt auf Deutsch kennen, und ein kleines Indiz macht das deutlich. "Dichtung und Wahrheit", eine entscheidende Quelle ihrer Studie, nennt sie fast durchgehend Goethes "Autobiographie", und so bedauerlich es sein mag, dass die Übersetzerin das übernommen hat, hilft es doch, ein gewisses Unbehagen zu erklären, das man beim Lesen der Studie verspürt. Wie das Werk des Cervantes nicht der Ritterroman genannt wird, sondern "Don Quijote", so nennt man auch Goethes Beschreibung seiner frühen Jahre nicht die Autobiographie, sondern "Dichtung und Wahrheit". An ihren idiomatischen Selbstverständlichkeiten erkennt man eine Kultur, und wo sie fehlen, stellt sich eine Fremdheit ein.

Goethe stand den Juden immer ambivalent gegenüber. Sie wolle, schreibt Schutjer, "eine breite Literaturuntersuchung liefern, die weder apologetisch noch reduktiv ist, aber seine Darstellungen des Judentums als integralen Bestandteil seines Denkens und Schreibens ernst nimmt. Daher geht es mir nicht einfach nur darum, Goethe Vorurteile vorzuwerfen oder ihn davon freizusprechen, vielmehr möchte ich sein Verhältnis zum Judentum, wie es in seinem Werk erkennbar ist, in seiner Funktion und Logik begreifen."

Schutjer wählt einen werkimmanenten Ansatz, der aber setzt eine philologische Durchdringung seiner Texte voraus, - "close reading", wie man es in Amerika nennt -, und das ist für eine fremdsprachige Leserschaft nur bedingt zu leisten. Deshalb überrascht es nicht, dass sie bei der Lektüre von Goethes Texten weitgehend auf zwei Bücher der hebräischen Bibel zurückgreift, aus denen er sein ambivalentes Verhältnis zu den Juden herausliest.

Goethe liebt die Genesis, weil die Welt der Patriarchen ihm nahesteht. Mit ihrer vielschichtigen und hintergründigen Individualität kann er sich identifizieren, und offen zieht er ihre Menschlichkeit dem Glaubensmuster vor, nach dem das Neue Testament seine Gestalten in "Gut" und "Böse" unterteilt. In Goethes Werk macht Schutjer das Motiv des "Wanderns" aus, mit dem sich seine Affinität zu den Patriarchen recht überzeugend erklären lässt: Seit Abraham aus seiner Heimat aufgebrochen ist, sind er und seine Nachkommen in einer ständigen Bewegung, die aber niemals ziellos ist.

Folgt man der hebräischen Bibel, so ist das Ziel dieser Wanderungen von Gott vorgegeben, Goethe aber sieht es anders. Schutjer weist darauf hin, dass die Bibelkritik im späten achtzehnten Jahrhundert das Alte Testament längst als eine Sammlung nicht göttlicher, sondern menschlicher Texte ansieht, die zu verschiedenen Zeiten entstanden sind, und auch Goethe liest es so. Angeregt durch den jüdischen Philosophen Spinoza, den seine Glaubensgenossen als Ketzer aus ihrer Gemeinde verbannt hatten, tauscht er den dogmatischen Gottesbegriff des Monotheismus gegen eine vom Göttlichen erfüllte Natur aus, die in jedem dieser Patriarchen wirksam ist - nicht weniger als in dem jungen Mann, der in "Dichtung und Wahrheit" zum Künstler heranreift.

Das zweite Buch der hebräischen Bibel dagegen, Exodus, ist ihm verhasst. Auch hier lesen wir von einer Wanderung - die Kinder Israel wandern durch die Wüste -, aber alles an ihr ist Goethe zuwider. Er glaubt nicht daran, dass der Weg von Ägypten nach Kanaan vierzig Jahre gedauert haben soll, und vor allem stört ihn die Pointe dieses Buches: das Ereignis am Sinai, in dem die Kinder Israel ihrem Gott begegnen.

Die Nachkommen der Patriarchen haben sich in ein Volk verwandelt, und die freien, von göttlicher Natur erfüllten Vorväter sind zur namenlosen Masse geworden, die der dogmatische Gott des Monotheismus jetzt unter sein Gesetz zwingt. In dieser am Fuße des Sinai versammelten Masse sieht Goethe die Urform der Juden, die sich seither von Generation zu Generation fortpflanzen und seinen Unwillen erregen.

Oft lehnt Goethe sich gegen die Dogmen des Monotheismus auf. Er feiert Prometheus als einen Rebellen, bezeichnet sich als großen Heiden, ist geistig, wie Schiller in einem berühmten Brief an ihn schreibt, im antiken Griechenland beheimatet. Und dennoch kann man sich beim Lesen dieser Studie des Eindrucks nicht erwehren, dass seine Ablehnung des Judentums, wie es sich am Sinai konstituiert und seither erhalten hat, im Christentum verwurzelt ist. Von seinem frühen Aufsatz über das Straßburger Münster bis hin zu "Faust", dem Schutjer einen großen Teil ihres Buches widmet, sind diese Wurzeln überall spürbar.

War Goethe ein Antisemit, fragt Schutjer und entschließt sich zu Recht, lieber von Antijudaismus zu sprechen. So nennt man die judenfeindliche Haltung, die sich seit der Ablösung des Christentums von seinen jüdischen Wurzeln im Abendland entwickelt hat, und schade nur, dass Schutjer die amerikanische Studie darüber nicht wahrnimmt, die David Nirenberg zwei Jahre vor ihrem Buch veröffentlicht hat (F.A.Z. vom 13. März 2015). Für die Goethezeit öffnet sich dort ein weites Umfeld, das der werkimmanente Ansatz nur bedingt sichtbar machen kann, und wie sehr der historische Hintergrund fehlt, wird deutlich, wenn Schutjer ihn einmal heranzieht.

Als die Französische Revolution in Goethes Olymp einbricht, schreibt er "Hermann und Dorothea", und wieder geht Schutjer den Spuren der hebräischen Bibel nach. Plötzlich wird deutlich, dass Goethe nicht nur dichtet, sondern auch in einer Zeit des Umbruchs lebt, der ihn selbst betrifft. Der einstige Stürmer und Dränger hat sich zum Konservativen gewandelt, und das Buch Exodus kann ihm nicht gefallen: Wie die Franzosen haben die Kinder Israel ein altes Regime abgeworfen, wie die Franzosen mussten sie dabei zur "Nation" werden - und Goethe, mit einem untrüglichen Gespür für den Lauf der Zeiten, rümpft seine Nase. Die Industrielle Revolution bricht an, und sie wird, so weiß er, den Nationalismus mit sich bringen, eine Gefahr der Zukunft, der er sehr skeptisch gegenübersteht. Nicht zufällig endet "Dichtung und Wahrheit" mit seinem Rückzug nach Weimar, einer Hochburg des Feudalismus.

Goethes deutsch-jüdische Zeitgenossen tauchen bei Schutjer kaum auf, auch der erste berühmte Jude der deutschen Literatur nicht, Heinrich Heine. Einmal sagt sie, er habe die Goethezeit als "Kunstepoche" bezeichnet, aber was das bedeutet, teilt sie uns nicht mit; und ebenso wenig, dass Heine einmal Goethe in Weimar besucht hat und der alte Herr nichts mit ihm anzufangen wusste. Sie beschäftigt sich mit obskuren Stellen in "Faust II", die sich auf Moses beziehen, aber was Heine über den Mann am Sinai schrieb, als Goethe längst tot war, kommt bei ihr nicht in den Blick: "Ich sah nicht, daß Moses trotz seiner Befeindung der Kunst den wahren Künstlergeist besaß. Aber nicht wie die Ägypter formierte er seine Kunstwerke aus Backstein und Granit, sondern er baute Menschenpyramiden, er nahm einen armen Hirtenstamm und schuf daraus ein Volk, das ebenfalls den Jahrhunderten trotzen sollte, ein großes, ewiges, heiliges Volk: er schuf Israel!"

JAKOB HESSING

Karin Schutjer: "Goethe und das Judentum". Das schwierige Erbe der modernen Literatur.

Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrike Bischoff. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 288 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gustav Seibt liest Karin Schutjers Studie über Goethes Verhältnis zum Judentum mit Gewinn. Dass die Autorin vor allem auf literarische Bezüge zum Alten Testament, zur hebräischen Bibel abhebt und so Verbindungen zwischen Moses und dem Richter in "Hermann und Dorothea" oder zwischen der Kabbala und dem Kosmos in "Dichtung und Wahrheit" herstellt, notiert Seibt ebenso wie den Umstand, dass die Autorin das Judentum seiner Meinung nach historisch nicht genügend differenziert. "Enorm" verdienstvoll findet er den Band dennoch, da er bei anspruchsvoller Lektüre einen neuen, wichtigen Zugang zu Goethes Werk vermittelt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.08.2020

Biblische Form
als Symbol
Karin Schutjers Studie über Goethe und das Judentum
Im Winter 1808 haderte Goethe wieder einmal mit den Deutschen. „Deutschland ist nichts, aber jeder einzelne Deutsche ist viel, und doch bilden sich letztere gerade das Umgekehrte ein“, erklärte er im Gespräch mit dem Weimarer Kanzler Friedrich von Müller. „Verpflanzt und zerstreut wie die Juden in alle Welt müssen die Deutschen werden, um die Masse des Guten ganz und zum Heile aller Nationen zu entwickeln, das in ihnen liegt.“ Der Vergleich ist nach 1945 oft zitiert worden, nicht selten im Gefolge von Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“. Er wurde verstanden als Absage an nationalstaatliche Bestrebungen zugunsten jener „Kultur des Einzelnen“, die Goethe in individueller Bildung ebenso fand wie im kleinstaatlichen Polyzentrismus der deutschen Geschichte.
Die Parallele war mehr als ein Einfall. Im Sommer 1808 hatte Goethe im Auftrag der bayerischen Kultusverwaltung Entwürfe für ein didaktisches Volksbuch zur Weltgeschichte erarbeitet. Es sollte historischer Abriss und Anthologie von Quellen zugleich sein, und es konzentrierte sich auf zwei Völker: Fürs Altertum standen die Juden, für Mittelalter und Neuzeit die Deutschen.
„Biblische Form als Symbol“ lautete ein Stichwort in Goethes Schema. Damit war der zusammengesetzte, vielstimmige Charakter der hebräischen Bibel gemeint, der Goethe ein deutsches Pendant an die Seite setzen wollte, als Text aus Texten der Geschichte. In der gleichzeitig fertig werdenden „Farbenlehre“ fasste Goethe den Hintergrund seiner Überlegungen zusammen. Die Bibel sei „nicht etwa nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker, weil sie die Schicksale eines Volks zum Symbol aller übrigen aufstellt“.
Die amerikanische Germanistin Karin Schutjer, die die bisher umfassendste Darlegung zu Goethes Verhältnis zum Judentum vorgelegt hat, verfolgt dieses Motiv bis in die pädagogische Provinz von „Wilhelm Meisters Wanderjahren“. Dort zeigt ein Freskenzyklus Szenen aus der altisraelitischen Geschichte. Auch sie dienen als Beispiel, nicht als Heilsgeschichte. Die Juden seien nicht das vortrefflichste, aber das beharrlichste Volk: „Wir haben es daher als Musterbild aufgestellt, als Hauptbild, dem die anderen nur als Rahmen dienen.“ Im Schulbuchprojekt von 1808 waren Griechen und Römer zwar auch in den Blick gekommen, jedoch nur in ihren Beziehungen zu den antiken Juden – diese werden als so offen gegenüber Fremdeinflüssen gezeigt, wie es später die Deutschen gewesen seien.
Dass zu Beginn der „Wanderjahre“ Wilhelm Meister wie der Ewige Jude zu permanentem Ortswechsel verpflichtet ist, und dass am Ende ein Auswanderungsprojekt beispielhaft jene Zerstreuung der Deutschen in die Welt vorführt, die Goethe 1808 erwog, zeigt die Ernsthaftigkeit seiner Überlegungen. Nur: Zeitgenössische Juden wollen die Wanderer hier gerade nicht dabeihaben, denn sie hätten mit der Ablehnung von Christus die Grundlage der modernen Kultur ausgeschlagen. Sie und ihr Buch bleiben Symbol, gleichberechtigte Mitbürger sollen sie nicht sein. Diese Grenze des überkommenen Antijudaismus hat der Weltbürger Goethe hier nicht überschritten.
Schutjers Buch behandelt allerdings nicht Goethes gut dokumentierte Ablehnung der jüdischen Emanzipation, die in auffallendem Kontrast zu seinem Interesse am zeitgenössischen jüdischen Leben steht. Es geht ihr fast ausschließlich um die literarischen Bezüge zum Alten Testament, zur hebräischen Bibel und ihren Auslegungen. Nur Seitenblicke gehen hilfsweise zur Rezeption von Spinoza und der jüdischen Mystik. Die Bibel war das erste Werk der Literatur, das den jungen Goethe erreichte, lange vor den ähnlich lebensbestimmenden Eindrücken von Shakespeare und Homer. Und so übertreffen die biblischen Parallelen an Konstanz und Dichte auch alles andere, was der viellesende Goethe aufgenommen hat.
Das patriarchalische Wanderleben der Erzväter in der Genesis wurde für den jungen Dichter zum Symbol existenziellen Freiheitsstrebens so wie Moses und seine Gesetzlichkeit ihm als Folie für die Kritik an religiöser Orthodoxie diente. Moses konnte auch das Modell eines Volksführers sein, wie ihn der Richter in Goethes Flüchtlingsepos „Hermann und Dorothea“ darstellt. Dass Faust am Ende auch ein Moses ist, der kurz vor dem Erreichen seines Kanaan stirbt, wurde schon vor mehr als hundert Jahren von Konrad Burdach ausführlich entwickelt. Die Wette zwischen Gott und Mephisto um Faust nimmt die Geschichte Hiobs auf; wie diese auch im ironisch katholisierenden Schluss des Weltdramas zurückkehrt, gehört zu Schutjers subtilsten Befunden.
Bis in den Kern von Goethes Weltanschauung verfolgt sie kabbalistische Einflüsse, die sie in der Vision eines pulsierend-atmenden, sich ausdehnenden und zusammenziehenden Kosmos am Ende des achten Buchs von „Dichtung und Wahrheit“ wiedererkennt. Zuweilen nimmt ihre Subtilität selbst talmudische Züge an, so wenn sie das „Zerbrechen der Gefäße“ der jüdischen Mystik mit dem Zerschlagen des häuslichen Geschirrs durch den dreijährigen Goethe im Hirschgraben, darüber hinaus mit den „Bruchstücken einer großen Konfession“ in Verbindung bringt, als die Goethe seine poetischen Werke charakterisierte.
So gäbe es im Einzelnen manches einzuwenden. Am gravierendsten fällt ins Gewicht, dass Schutjer auf eine Abgrenzung des nachchristlichen Judentums von seinem israelitischen Vorläufer verzichtet, die für die moderne Wissenschaft vom Judentum konstitutiv ist. Dass diese Trennung für Goethe und seine Zeitgenossen noch nicht bestand, hätte markiert werden sollen. Aber das ändert nichts an dem enormen Verdienst des nicht immer leicht zu lesenden Buchs. Es eröffnet einen neuen Zugang zu Goethes Gesamtwerk, hinter den man nicht mehr zurückkann.
Der Klassiker, der vorgebliche Heide, erweist sich als tief verwurzelt in der durch die Aufklärung, nicht zuletzt durch Goethes Freund Herder historisierten religiösen Kultur seiner Epoche. Noch Goethes Abscheu vor dem „Marterholz“ der Kreuzigung, sein später Bescheid „Gott ist keine Person“ lassen sich nicht nur auf Spinoza, sondern auch auf das Bilderverbot der hebräischen Bibel zurückführen.
Was nun noch folgen müsste, wäre eine gleich umfassende Darstellung von Goethes Beziehungen zu jüdischen Zeitgenossen und Mitmenschen, zu ihren Rechtsverhältnissen und ihren Bestrebungen im revolutionären Umbruch der Epoche. Dieses Bild würde dunkler geraten.
GUSTAV SEIBT
Das Buch eröffnet einen neuen
Zugang zu Goethe, hinter
den man nicht mehr zurückkann
Eine Darstellung von Goethes
Beziehungen zu jüdischen
Zeitgenossen fiele dunkler aus
Karin Schutjer: Goethe
und das Judentum. Das
schwierige Erbe der modernen Literatur. Aus dem
Englischen von Ulrike Bischoff. Wallstein Verlag,
Göttingen 2020.
288 Seiten, 39,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Es eröffnet einen neuen Zugang zu Goethes Gesamtwerk, hinter den man nicht mehr zurückkann.« (Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 12.08.2020) »Sie (die Autorin) ermöglicht sowohl mit ihrer Systematik wie auch mit klarer Sprache allen interessierten Lesern den faszinierenden Blick auf eine spezielle Seite von Deutschlands vielseitigstem Dichter.« (Andreas Müller, VRM-Gruppe, 31.08.2020) »ein stilistisch gelungenes und sehr lesenswertes Buch (...). Es sollte in keiner germanistischen Bibliothek fehlen und seinen Weg auch in Bücherschränke außerhalb des universitären Feldes finden.« (Cord-Friedrich Berghahn, Germanisch-Romanische Monatsschrift, 71.3/2021)