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Als der Stein die Windschutzscheibe durchschlägt, ist seine Mutter sofort tot. Kai, 11, überlebt. Entschlossen, sich von nichts mehr abhängig zumachen, läuft er verletzt durch den nahegelegenen Wald, bis er auf einen abgehalfterten Zirkusclan trifft. Und auf Samantha, die zu der Gruppe Jugendlicher gehört, die 24 Stunden zuvor den Stein von der Autobahnbrücke geworfen haben. Cecile, 17, Kokainproblem, glaubt Detlev zu lieben und zieht bei ihm ein. Dort trifft sie auf den Sohn, der seit kurzem bei ihm lebt - er heißt Kai. Inzwischen ist er 13 und immer noch liebt er Samantha. Mit Cecile macht Kai sich auf die Suche nach ihr. …mehr

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Produktbeschreibung
Als der Stein die Windschutzscheibe durchschlägt, ist seine Mutter sofort tot. Kai, 11, überlebt. Entschlossen, sich von nichts mehr abhängig zumachen, läuft er verletzt durch den nahegelegenen Wald, bis er auf einen abgehalfterten Zirkusclan trifft. Und auf Samantha, die zu der Gruppe Jugendlicher gehört, die 24 Stunden zuvor den Stein von der Autobahnbrücke geworfen haben. Cecile, 17, Kokainproblem, glaubt Detlev zu lieben und zieht bei ihm ein. Dort trifft sie auf den Sohn, der seit kurzem bei ihm lebt - er heißt Kai. Inzwischen ist er 13 und immer noch liebt er Samantha. Mit Cecile macht Kai sich auf die Suche nach ihr.
Autorenporträt
Helene Hegemann, 1992 in Freiburg geboren, lebt in Berlin. 2008 wurde ihr erster Film Torpedo als Entdeckung des Jahres gefeiert und mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet. 2010 debütierte sie als Autorin mit dem Roman Axolotl Roadkill, der mittlerweile in 20 Sprachen übersetzt wurde. Sie inszeniert für Theater und Oper und hat eine Kolumne in der Zeitschrift Interview.

Birgit Minichmayr, ausgebildet am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, spielte u. a. an der Berliner Volksbühne, dem Burgtheater Wien oder dem Residenztheater München. Sie wirkte zudem in zahlreichen Kinofilmen mit und erhielt für ihre Rolle in »Alle Anderen« den Darstellerpreis der Berlinale. 2018 wurde sie für ihre Rolle in »3 Tage in Quiberon« mit dem Deutschen Filmpreis als beste weibliche Nebendarstellerin ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2013

Wahnsinn und Größe

Die Drogenpassagen ihres ersten Romans hatte sie aus meinem Buch kopiert. In ihrem neuen Werk geht Helene Hegemann allein auf rasender Fahrt durch eine leere Welt

Von Airen

Eine Sache zu erleben oder eine Sache zu verpassen - wenn du es nur bewusst genug tust, ist es dasselbe Gefühl in derselben Intensität, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Wenn du etwas nicht erreichen kannst, sollst du umso konsequenter scheitern", steht da in so einer Kifferszene in meinem zweiten Roman "I Am Airen Man".

Der neue Roman von Helene Hegemann beginnt mit den Worten: "Der Jäger, der zwei Hasen jagt, verfehlt beide. Wenn du schon scheitern musst, scheitere glanzvoll. Jage zwei Tiger." Abgeschrieben? Nein, der Text stammt von der Industrial-Band Laibach, das Zitat ist im Anhang mit einer Quellenangabe versehen.

Vor dreieinhalb Jahren war es ein ziemlich großes Thema, was nun gerade von wem war. Helene Hegemann war mit ihrem Debütroman "Axolotl Roadkill" über Nacht berühmt geworden, einer wilden Odyssee ihrer Protagonistin Mifti durch die Clubs von Berlin, es gab viel Sex, viel Drogen, vieles, was verstörend klang aus dem Mund einer 17-Jährigen. Die Kritiker feierten die Autorin als Wunderkind, das Buch stieg auf Platz 2 in die "Spiegel"-Bestsellerliste ein. Dem Blogger Deef Pirmasens fiel auf, dass manche Passagen in "Axolotl Roadkill" aus meinem Buch "Strobo" stammen mussten. "Strobo" war ein halbes Jahr zuvor in einem kleinen Berliner Verlag erschienen, wir hatten, glaube ich, 15o Exemplare verkauft in der Zeit. Auch in "Strobo" ging es um Sex und Drogen und Techno, es basierte auf einem Blog, das ich damals führte, einer Art Techno-Tagebuch. Für das deutsche Feuilleton wurde die Sache jetzt erst richtig interessant: Man hatte nun nicht nur ein Wunderkind entdeckt, sondern einen handfesten Literaturskandal, der über Monate andauerte.

Vielleicht war das übertrieben. "Axolotl Roadkill" war über 200 Seiten lang, und hätten die kopierten Passagen gefehlt - das Buch wäre wohl das gleiche geblieben und hätte trotzdem gute Kritiken bekommen. Vielleicht war es auch nicht hilfreich, dass Helene sich vehement gegen den Stempel "Plagiat" wehrte und ihr Vorgehen als neue Schreibtechnik verteidigte. Für sie war das alles ein "Remix", das Verwenden anderer Autoren "Intertextualität". Je beharrlicher sie sich rechtfertigte, desto verbissener schrieben die Zeitungen gegen sie an. Der Preis der Leipziger Buchmesse, für den auch "Axolotl Roadkill" nominiert war, ging dann an Georg Klein, und das Thema war medial beendet.

Ihr Wille zum Roman

Was blieb, war der schale Eindruck, dass hier ein turbogeladenes "Feuchtgebiete" geschaffen werden sollte: Noch jünger, noch kaputter, noch mehr Sex und Drogen. Mit Kalkül in den Hinterstuben des Kunstestablishments ausgeheckt und ein junges Gesicht draufgesetzt. Es ist schwer, sich einen schlechteren Start für eine Schriftstellerkarrierre vorzustellen.

Nun hat Helene Hegemann in ihrem jungen Leben vieles ausprobiert. Sie hat geschauspielert, Regie geführt und Theaterstücke geschrieben. Sie hätte das "Axolotl"- Intermezzo einfach hinter sich lassen, sich wieder auf die Bühne konzentrieren können. Den Skandal vergessen, woanders weitermachen. Das wäre einfach gewesen.

Sie hat sich dagegen entschieden und ein zweites Buch geschrieben, und sie setzt sich damit bewusst einer stressigen Situation aus: Wieder wird sie auf den Plagiatsskandal um "Axolotl Roadkill" und "Strobo" angesprochen werden, wieder wird sie sich rechtfertigen müssen, und die Kritiker werden dieses Mal ganz genau hinschauen. Aber sie wehrt sich damit auch gegen alle, die ihr damals die Fähigkeit absprachen, überhaupt ein Buch schreiben zu können. Dass sie nun einen zweiten Roman veröffentlicht, verdient also erst einmal Respekt.

Was ist das also für ein Buch? "Jage zwei Tiger" spielt nicht mehr in Berlin; und Sex und Drogen spielen diesmal nur eine Nebenrolle. Es ist vor allem das Porträt einer oberflächlichen und inhaltslosen Erwachsenenwelt, in der jeder irgendwie kreativ ist und Geld ohne Ende hat, letztlich aber lieblos und zynisch durchs Leben geht. Geschildert wird diese Welt aus der Sicht zweier Teenager, dem 13-jährigen Kai und der 17-jährigen Cecile.

Kai rast mit seiner alkoholkranken und schizophrenen Mutter über die Autobahn, als plötzlich ein Stein die Windschutzscheibe durchschlägt. Die Mutter ist auf der Stelle tot, Kai rettet sich schwer verletzt in ein Waldstück und kollabiert vor einem Zirkus. Das Zirkusmädchen Samantha findet ihn und bringt ihn ins Krankenhaus. Kai zieht zu seinem Vater, einem zynischen Galeristen, zu dem er bislang kaum Kontakt hatte, zum ersten Mal lernen sich die beiden wirklich kennen. Die Freunde des Vaters, seine Affairen - alles sarkastische Egotypen, desillusioniert und kalt. Je mehr Kai von dieser oberflächlichen Gesellschaft zu sehen bekommt, desto mehr erinnert er sich an die bodenständige Samantha.

Ein Hauch von Platin

Cecile, 17, Tochter reicher Eltern, wohlstandsverwahrlost und mit einem Schuss Borderline. Sie wechselt von Internat zu Internat, fliegt zu Kunstausstellungen, ist magersüchtig und nimmt Kokain. Die Eltern leben in einem Anwesen hinter drei Reihen Zaun, innerhalb des Hauses kommuniziert die Familie per SMS. Es sind auch hier Innenansichten einer kunstbeflissenen Oberschicht, Leute mit zu viel Geld und einem nur dem Klassenbewusstsein geschuldeten Interesse an Kultur. Bis ins Detail wird diese absurde Oberflächlichkeit geschildert - über Seiten hinweg lassen sich da die Eltern über die Hässlichkeit eines Lederschlüsselbundes aus -, schon als Leser möchte man einfach nur raus aus dieser Umgebung.

Auch die Kinder sehen sich dieser Welt ziemlich alleingelassen gegenüber. Sie verstehen die Banalität, aber da ist keine Hoffnung, kein jugendlicher Idealismus, nur Resignation, vielleicht Drogen. Ziemlich tristes Szenario eigentlich.

So trist kommt es beim Lesen aber gar nicht rüber. Hegemann haut wieder ihre überbordenden Endlossätze aufs Papier, voller Fremdworte, Jugendsprache und Anglizismen. Manchmal ist es ein Adjektiv-Overkill mit zügellosem Name- und Branddropping, eine angestrengt zur Schau getragene Eloquenz, zuweilen sogar ein zeilenschindender Krampf. So wimmelt es von "unter Hüftgelenksdysplasie leidenden Chihuahuamischlingen", "volleyballversessenen Anorektikerinnen" und "auf Edelgestüten aufgewachsenen Nagelstudiobesitzerinnen". Eine überkandidelte Sprache, die Hegemann all ihren Akteuren in den Mund legt, vom Schuljungen bis zur Pennerin. Kais 13-jähriger Kumpel Jonas: "Kennst du diesen komischen Film, in dem Nicolas Cage so ein romantischer Exknastbruder ist und ständig die kleinen Vollzugsbeamtinnen anbaggert, völlig beknackt?" So reden 13-Jährige eben nicht.

Aber man findet auch kluge Beobachtungssplitter, die brandenburgische Landschaft beschreibt sie als einen "schlecht beleuchteten horizontalen Aschebrei", der Sternenhimmel besteht bei ihr aus "ungeordneten Sternenbündeln, Feilstaub, wie von einem einzigen Hauch auseinandergetriebenem Platin". Gut wird das Buch vor allem in seinen unaufgeregteren Passagen, etwa in den einfühlsamen Gesprächen zwischen Vater und Sohn über die verstorbene Mutter. Und wie wortgewandt Hegemann gegen Schluss ein Madonnakonzert zum Gottesdienst erhöht, das ist großes Feuilleton.

Zwischen Flashbacks und Ausflügen mäandert das Buch sich so durch die gescheiterten Biographien funktionierender, erfolgreicher Soziopathen. Diese Boheme, die Hegemann hier schildert, ist sinnentkernt, von Leben und Realität schmerzhaft abgeschnitten, eine Welt, in der nichts echt ist.

Leicht zu lesen ist das nicht. Die komplette Biographie jedes noch so unbedeutenden Nebencharakters wird in absurden Szenarien ausgewalzt, noch dem letzten Hausmeister wird in lähmender Detailversessenheit eine französische Abstammung und eine Tänzerkarriere in Argentinien angedichtet. Warum? Warum, das fragt man sich oft, wenn man sich durch die sperrigeren Passagen kämpft.

Warum? Warum? Warum?

Warum muss man sich ellenlang die erfundenen Lebenswege von Ceciles neuen Mitschülern antun, wenn die das Internat auf der nächsten Seite schon wieder verlassen? Warum die wikipediamäßigen Ausflüge über den Dampfdiffusionswiderstand von Glaswolle oder die anatomische Beschaffenheit des Pandabärendaumens? Auf einer Autofahrt hört Cecile "redundantesten Gabbasound einer Electropunkband aus Versailles, dachte derweil an im Rahmen von Völkermorden abgeschnittene äußere Geschlechtsmerkmale". Warum, warum, warum?! Manchmal ist "Jage zwei Tiger" einfach nur aufgesetzt wirkende, kontextfreie Provokation. Cecile jedenfalls, die reiche Tochter, hat irgendwann genug und reißt aus. Mit einer 500 000 Dollar teuren Elefantenskulptur verschwindet sie in die Kiffer-WG einer Freundin, macht sich mit ein paar Rastajungs auf nach Venedig und verkauft Kokain auf VIP-Partys. Nach einer flüchtigen lesbischen Liaison mit einer Kunstmäzenin lernt sie Kais Vater kennen, verliebt sich und zieht bei ihm ein. Sie freundet sich mit Kai an und überredet ihn, ebenfalls von zu Hause auszureißen und sich auf die Suche nach Samantha zu machen. Beide fahren nach Berlin und finden das Zirkusmädchen. Das Treffen ist belanglos, Kai enttäuscht. Schließlich heiraten Kai und Cecile.

Was soll man von diesem Buch halten? Langweilig, konventionell und nichtssagend ist "Jage zwei Tiger" sicher nicht. Es steckt viel schreiberische Energie, viel Erfindungsreichtum in diesem Buch, und in Helene Hegemann sicher eine gute Autorin. Auch wenn sie ungern auf ihr Alter reduziert wird - sie schreibt besser, als die meisten großen Autoren mit 21 geschrieben haben. "Jage zwei Tiger" ist das bittere Sittengemälde einer abgehobenen Boheme, wohl auch der Welt, in der die Autorin jeden Tag lebt. Noch ist sie viel zu besoffen von dieser Welt und schreibt sie viel zu verliebt, als dass man ihr den Wunsch auszubrechen wirklich abnehmen könnte.

Helene Hegemann ist weiterhin größenwahnsinnig auf der Suche nach ihrem Stil - hoffentlich auf der Jagd nach einem Tiger.

Helene Hegemann: "Jage zwei Tiger". Hanser Berlin, 315 Seiten, 19,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.08.2013

Das Buch vom
guten Vater
Helene Hegemanns zweiter Roman:
Ein kleines Melodram für die reiferen Leser
VON CATRIN LORCH
Man macht sich derzeit gerne locker, wenn es um Generationen geht. Geschieht dies, weil die einen nicht alt werden wollen oder die anderen nicht länger jünger sein? Sicher ist, dass den einen Schönheit und Ideen zu eigen sind und die anderen vielleicht noch Ideen haben, vor allem aber Macht. Wo man sich näher kommt, ist man natürlich auch bereit, sich entwaffnen zu lassen, aber nur weil feststeht, dass man hinterher wieder aufrüstet und sich zurückziehen darf in die Feste, die Literaturbetrieb heißen, Kunstszene oder Theaterwelt. Solche Momente dürfen zudem nicht eigensinnig oder unausgegoren wirken. Besser ist es, wenn sie als authentisch oder „krass“ gelten. Dann wird man nicht mehr daran erinnert, dass es die Jungen sind, die über die Zukunft bestimmen werden. Und dass man als Älterer nicht mehr dazu gehören wird, weil man dann tot ist.
  Zu den Gesichtern, mit denen man sich deswegen gerne anfreundet, gehört neben Charlotte Roche auch die mit 21 Jahren noch jüngere Helene Hegemann. Sie wurde berühmt, als sie, noch 17-jährig, den Roman „Axolotl Roadkill“ veröffentlichte, dem jetzt ein zweites Buch folgt, „Jage zwei Tiger“, das mit dem ersten zumindest so viel gemein hat, dass im Titel wieder ein Tier und gewaltsamer Tod vorkommen.
  Es setzt mit dem „roadkill“ ein, dem Unfalltod einer Mutter, den ihr Sohn überlebt, Kai: „ein bisschen zu dick, ein bisschen zu unentspannt und ne fette Brille auf der mit unregelmäßigen Sommersprossen bedeckten Nase, unfassbar rührend, vor allem das liebevolle, von großen gegensätzlichen Ansichten geprägte Mutter-Sohn-Verhältnis. Ist ja auch immer super, im 3400-Euro-Lammlederkleid nach Hause zu kommen und sich zurück auf dieses auf Astronomie oder so stehende Kind in Adidas-Jogginghose besinnen zu müssen, auf dem Sofa, kariertes Hemd dazu, gegelter Seitenscheitel, das sich gut mit Technik auskennt.“ Sein Vater, so lässt einen Helene Hegemann wissen, hat sich nach dem Unfall „okay“ verhalten. Detlev ist ein „schwerstattraktiver Eins-neunzig-Typ in den besten Jahren, auf eine interessante Weise nicht erwachsen geworden und gleichzeitig enorm zerfurcht von der schweißtreibenden Gleichzeitigkeit seines Business und der von diesem und voneinander fernzuhaltenden Frauen unterschiedlichster sozialer Schichten und Altersstufen, alle leider, leider wahnsinnig verliebt in ihn“.
  Weswegen sie auch weiß, dass er am Krankenbett seines schwerverletzten Kindes vor allem an die „chirurgisch optimierten Schamlippen seiner einundzwanzigjährigen Affäre Isabell, Philosophiestudentin“ denkt. Dem Jungen kann er jedenfalls nicht viel versprechen: „Ich kann dir nicht bei Mathehausaufgaben helfen, und ich werde dich nicht davon abhalten können, in vier Jahren oder weiß der Teufel wann Drogen zu nehmen. Ich will auch nicht lernen, wie so was geht, verantwortungsbewusstes Handeln, da muss ich ehrlich sein, auch zu mir selbst.“
  Es soll Kinofans geben, denen Wim Wenders Meisterwerk „Paris Texas“ unzugänglich blieb, weil sie nicht verstehen, warum man als Vater einen bestens integrierten Schuljungen aus den Suburbs holt, um ihn bei seiner wahren Mutter in einem Wüstenbordell abzuliefern. Dass Meisterwerke zuweilen darauf angewiesen sind, grell oder gegen Tabus zu arbeiten, ist das eine – in „Jage zwei Tiger“ offenbart sich vor allem die Verachtung vor einem Begriff von Kindheit als schützenswert. Hegemann nimmt das Versagen hin, als wäre es längst Vergangenheit. Man hat die Angst überlebt, einem solchen Menschen ausgeliefert zu sein, hilflos im Krankenbett. Es ist ein „ego te absolvo“ ihrer Generation an die Väter.
  Helene Hegemann spielt die Unschuld und Verletzlichkeit der Kinder, die sie zu ihren Protagonisten beruft, drastisch und mit einer gewissen Herzlosigkeit aus. Zwischentöne sind ihre Sache nicht. Es gibt in „Jage zwei Tiger“ kein Verhältnis, das nicht von vordergründig existenzieller Natur ist, wo man nicht „blutsverwandt“ ist oder durch tragische, todbringende Ereignisse miteinander verbunden. Bleibt eigentlich nur Sex. Dagegen kann man schwer argumentieren, außer mit dem Hinweis, dass die ungeschickt erzählte Geschichte so viel Tragödie nicht trägt.
  Seiner ersten Liebe begegnet Kai, als er nach dem Unfall bei einem Wanderzirkus landet – dass ausgerechnet diese einarmige Grace-Kelly-Schöne betrunkene Jugendlichen dazu angestiftet haben soll, einen Stein auf eine Windschutzscheibe zu werfen, bleibt zwar unaufgeklärt, begründet als tragisches Motiv, warum Kai vier Jahre lang verliebt bleiben wird, nach nur einer angekuschelten Nacht im Stockbett. Hätte die Nacht allein nicht auch gereicht? Doch für Irritationen ist keine Zeit, es folgt das nächste Libretto, gleichfalls heruntererzählt in einem Ton, in dem man sich auf Leserbriefseiten oder am Mobiltelefon über problematische Bekannte verständigt – sieht so und so aus, ziemlich intelligent, leider total verrückt.
  Was übrigens nicht nur auf die meisten Frauen zutrifft in diesem Roman, sondern auch auf die zweite Hauptfigur, die magersüchtige, nymphomane Cecile. Sie ist dem Internat entkommen und auch ihrer superreichen Familie. Schon früh habe sie beschlossen, ihr Handeln keinesfalls „gewöhnlichen Standards“ zu unterwerfen, „wie ein Teenagerleben auszusehen hatte“, kündigt Hegemann an: „Man kann sich dann unauffällig und interesselos durch eine Masse bleigrauer Freizeitangebote kämpfen, seine Eltern ermorden oder Musik hören. Letzteres ist irgendwie okay, solange man währenddessen zufällig mit psychedelischem Garagenrock konfrontiert wird. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang: der Song ,Suzy Cramcheese’ von der Band Teddy and His Patches, 1966 gegründet in der drittgrößten Stadt Kaliforniens von einem sogenannten Jugendlichen . . .“
  Man muss den Beginn dieses langatmigen Exkurses zitieren, weil es solche Abschweifungen sind, die zeigen, für wen diese Autorin schreibt: nicht an Gleichaltrige, sondern an die Adresse des kulturellen Establishments. Ihm setzt Hegemann, wenn sie Jugendliche zeichnet, keine Menschen vor, nicht einmal Romanfiguren. Stattdessen spiegelt sie deren Diskurs über Jugendkultur einfach zurück. Das Innenleben des alle Standards überschreitenden Teenagers besteht so zwei Seiten lang vor allem im Exkurs zu Bandgeschichten, nach einem Absatz Lyrics kehrt man dann, belehrt, zurück zu Cecile, die die „Starfires“ aus Cleveland schon immer mochte und „Spirogyra“. Und: „Zu allem Überfluss war Cecile dann irgendwann auch noch magersüchtig geworden, wie jedes Mädchen, dass schlau genug war, um verletzbar wirken zu wollen.“
  Das ist genau entlang der Außenlinie gesurft, so, als drehte sich hier die Perspektive um, aus der ein Mann wie Detlev kurz darauf auf Cecile schaut. Lieber nicht nach der Magersucht fragen oder woher die große Zuneigung rührt, mit der sie sich auf ihn stürzt. Sondern das Mädchen mehr als Phänomen nehmen und ab ins Bett. Ceciles Geschichte könnte eine erotische Saga sein, Helene Hegemann treibt sie aber durch satt mit Kunst und Kultur und Architektur angefüllte Settings, wo sie an psychedelische Musik denkt und sich eingesteht, „du bist kokainabhängig, Sweetheart“.
  Und so offenbart nicht nur die altklug geschilderte Affäre Ceciles mit Kais Vater Detlev, sondern auch die Betrachtungen zu längst vergangener Jugendkultur, dass es hier darum geht, die Generationsgrenzen aufzulösen. Jugend lässt sich in diesem Roman bereitwillig in Vergangenes verwickeln, was denen entgegen kommt, die den längst kanonisierten Bob Dylan noch für „independent“ halten und finden, jetzt könnten die Kleinen mal zuhören. Eine einzige Abgrenzung funktioniert in diesem Text – und das ist die Verweigerungshaltung, wo es um Konsum geht. Was sich, an den besseren Stellen, so liest, als habe Maxim Biller Michel Houellebecq nacherzählt: Die Welt ist ein von Marktstrategen möblierter Ort, wo Mütter wie die von Cecile im Smalltalk darüber rätseln, ob man sich „einen von diesen Betonfernsehern von Cora Isken holen“ soll und ob ihrem Mann, einer ebenfalls offensiv dysfunktionalen Vaterfigur, wirklich nur aus Versehen „Old Spice Original“ in den Badezimmerschrank gerutscht ist. Ihr Haus hat 120 Zimmer und über dem Esstisch hängt ein „zwei mal vier Meter großes Gemälde eines schwarzen Rechtecks“, momentaner Verkaufswert im fünfstelligen Bereich. Cecile flieht mit einer kostbaren Elefanten-Skulptur in ein Musterhaus, wo der einzige identitätsstiftende Eingriff die Anbringung einer Rampe ist, als Pauline, eine Rollstuhlfahrerin, einzieht. Die im Keller Gras anbauende Wohngemeinschaft darf als Gegenbild in diesem Buch nur kurz aufleuchten. Einzig an dieser Stelle zeigt sich die Autorin als Beobachterin, klug und unverstellt, so, wie man sie aus Interviews und Auftritten zu kennen glaubt.
  Als Erzählerin versagt sie dagegen in diesem Buch, das sich liest wie eine Reihe ungeschnittener „footages“. Wo sich keine Handlung entwickelt, weil die zufällig hereinschneienden Begegnungen nicht erzählt werden, sondern lieber selbst noch von irgendwem oder irgendwas berichten. Die unübersehbar wiederkehrendenMotive – beispielsweise Tiere wie Schildkröten, Schlangen, Elefanten, Hunde, Kälber, immer wieder Ziegen, auch ausgestopft – sind nicht mehr als ein surrealer Hingucker, bunt wie das Viehzeugs auf einer Zoo-Tapete. Auch die Filme, die Musik oder die Kunst wirken mehr zufällig anwesend, mögen die Exegeten die dürren Zitate abnagen wie Hühnerknochen. Weswegen Hegemanns Sprache kaum nachkommt mit den Klitterungen und alle, Figuren wie Erzählerin, im selben Tonfall sprechen, einem hastigen, assoziativen Rhythmus gehorchen, lang aneinandergeketteten Wörterfolgen, ständig abwertenden Kommentaren.
  Wie das alles ausgeht? Die letzten Seiten durchglüht ein magisches grünes Leuchten – allerdings ist keiner der Protagonisten wirklich neugierig, was das sein könnte. Es gleicht dem Theaterlicht, das andeutet, dass gleich der Vorhang fällt. Detlev ist plötzlich tot, aber er wollte ja ohnehin kein Vater sein. „Vielleicht war tatsächlich ein Meteorit in die Ostsee gefallen, und eine durch ihn ausgelöste Tsunamiwelle hatte bereits die Hälfte Europas überschwemmt“, beginnt das letzte Kapitel, in dem – es spielt im Jahr 2016 – ein 16-jähriger Kai mit Cecile, „fast einundzwanzig“, vor einem katholischen Priester steht. Ihr Trauzeuge hört auf seinem iPod Rammstein. Die Ringe sind aus Kaugummi.
  Weiß Helene Hegemann, dass sie mehr beschreiben könnte, als eine neu einsetzende Quadrille des Immergleichen? Doch statt sich und ihre Generation abzugrenzen, versucht sie alle Differenzen zu überspielen, alle einzuladen, die skeptisch und abgezockt genug sind. Dieses Buch krankt an seinem vorauseilenden Exhibitionismus. Daran, dass Hegemann doch nur den Voyeurismus des Kulturbetriebs befriedigt. Statt mehr einzufordern als ein privates, kaugummiverziertes Glück, etwa den Anspruch auf etwas, das Zukunft heißt.
Diese junge Autorin schreibt nicht
für Gleichaltrige – ihr Adressat ist
das kulturelle Establishment
Wenn es um Konsumkultur geht,
liest sich das, als habe Maxim
Biller Houellebecq nacherzählt
Alle Figuren sprechen die
gleiche Sprache, gehorchen dem
gleichen hastigen Rhythmus
Jugend forscht: Die Romanautorin Helene Hegemann.
FOTO: MARTIN RUETSCHI
Tigerente war gestern: „Meine Mutter ist tot“, fuhr er fort, „mein Vater ist unzurechnungsfähig, meine Tanten sitzen in Neuseeland und spielen Poker, und –“ „Siehst du: Mutter tot, super Ansatz.“ So sprechen die coolen Kids bei Helene Hegemann.
FOTO: REGINA SCHMEKEN
  
  
  
  
  
Helene Hegemann:
Jage zwei Tiger.
Hanser Verlag, München 2013. 320 Seiten,
19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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