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Der neue Roman nach dem Bestseller »Die Ladenhüterin«Der neue Roman von Japans Erfolgsautorin Sayaka Murata erzählt die Geschichte zweier Außenseiter, Natsuki und ihr Cousin Yu, die sich jung verlieben und gemeinsam gegen eine Welt verbünden, die ihnen beileibe nicht nur Gutes will. Im alten Farmhaus der Familie, in dem früher die Seidenraupen ihren Dienst verrichteten, sind sie glücklich, denn sie sind beieinander. 20 Jahre später geht Natsuki an diesen Ort zurück ... Die Magie dieses Romans spinnt uns ein in einen irisierenden Kokon der Fremdheit und entlässt uns schließlich in eine…mehr

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Produktbeschreibung
Der neue Roman nach dem Bestseller »Die Ladenhüterin«Der neue Roman von Japans Erfolgsautorin Sayaka Murata erzählt die Geschichte zweier Außenseiter, Natsuki und ihr Cousin Yu, die sich jung verlieben und gemeinsam gegen eine Welt verbünden, die ihnen beileibe nicht nur Gutes will. Im alten Farmhaus der Familie, in dem früher die Seidenraupen ihren Dienst verrichteten, sind sie glücklich, denn sie sind beieinander. 20 Jahre später geht Natsuki an diesen Ort zurück ... Die Magie dieses Romans spinnt uns ein in einen irisierenden Kokon der Fremdheit und entlässt uns schließlich in eine Realität, in der alles möglich ist. »Sehr lustig, aufregend beunruhigend und vollkommen überraschend.« Sally Rooney über »Die Ladenhüterin«
Autorenporträt
Sayaka Murata wurde 1979 in der Präfektur Chiba, Japan, geboren. Für ihre literarische Arbeit erhielt sie bereits mehrere Auszeichnungen. Ihr Roman »Die Ladenhüterin« gewann 2016 mit dem Akutagawa-Preis den renommiertesten Literaturpreis Japans und war in mehr als einem Dutzend Ländern ein großer Erfolg.

Ursula Gräfe hat Japanologie, Anglistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main studiert. Seit 1989 arbeitet sie als Literaturübersetzerin aus dem Japanischen und Englischen und hat neben zahlreichen Werken Haruki Murakamis auch Sayaka Murata und Yukiko Motoya ins Deutsche übertragen.

Vera Teltz ist Schauspielerin und Synchronsprecherin. Nach ihrer Schauspielausbildung folgten Engagements am Staatstheater Braunschweig und am Maxim Gorki Theater in Berlin. Seit 2004 arbeitet sie auch als Synchronsprecherin und lieh beispielsweise Naomie Harris alias Eve Moneypenny in den James-Bond-Filmen »Skyfall« und »Spectre« ihre Stimme. Auch als Hörbuchsprecherin überzeugt sie mit ihren ausdrucksstarken Interpretationen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2020

Nimm das, Erdling!
Im Auge eines Außerirdischen: Sayaka Muratas schonungslose Satire auf die Japan Inc.

Mit dem Roman "Die Ladenhüterin", der im Reich japanischer 24-Stunden-Supermärkte (konbini) und Arbeitsmenschen ohne Aufstiegschancen eine leise Sozialkritik übte, landete Sayaka Murata 2016 einen Bestseller. Diese Kritik der Autorin an der Leistungsgesellschaft, die gern als Japan Inc. bezeichnet wird, ist nun in "Das Seidenraupenzimmer" expliziter und feministischer geraten.

Zum Ahnenfest O-Bon reist die Familie von Natsuki aus Chiba in die Berge um Nagano zum Haus der Großeltern. Lampions und Glühwürmchen, Rituale wie Willkommens- und Abschiedsfeuer für die Ahnen bieten eine schöpfungsnahe Gegenwelt zur Großstadt. Sehnsüchtig erwartet Natsuki, die von ihrer Familie wenig Liebe erfährt und Missbrauchsopfer eines Lehrers wurde, jeden Sommer Yu, ihren Cousin, ein Scheidungskind, mit dem sie sich in eine Welt fern der Machtasymmetrien hineinträumt und der ihr seine Herkunft vom Planeten Pohapipinpopopia gesteht. Die in Manga-Ästhetik verpackte inzestuöse Romanze zwischen Außenseiterin und Außerirdischem wird von der Umwelt nicht geschätzt, und Natsuki kann lange nicht mehr in die japanischen Alpen reisen.

Der ländlichen Idylle steht in harten Schnitten Chiba gegenüber. Natsuki erinnern die städtischen Apartments an Nistkästen und an ein Zimmer in Opas Haus, in dem Seidenraupen in Bambuskörben gezüchtet wurden.

Es geht um orwellsche Gehirnwäsche und kafkaeskes Gefangensein als Organspender eines in dystopischen Zyklen der Produktion und Reproduktion zum Selbstzweck gewordenen Systems. Symbolisch ist die Welt der Farben, wenn Natsuki als Racheengel in traumartiger Überblendung von Geschlechterfarben den sie belästigenden Nachhilfelehrer tötet: Dessen Haus nimmt am Tattag pinke Farbe an, während Natsuki auf ein "blaues Gebilde" einsticht, aus dem goldene Flüssigkeit strömt. Später vollzieht Natsuki, die auf dem Portal "drückdich.com" unter dem Menüpunkt "Ehe ohne sexuelle Aktivitäten" Tomoobi kennenlernte, eine Scheinheirat, um den "Augen der Fabrik" zu entgehen. 23 Jahre nach ihrem letzten Besuch in den Bergen reist sie mit Tomoobi nun noch einmal zum Landhaus ihrer Jugend, das nach Großvaters Tod Yus Vater geerbt hat.

Da auch der als Erwachsener und "Erdling" camouflierte Cousin dort gerade eine Auszeit nimmt, bilden Natsuki, Tomoobi und Yu eine Dreier-WG, aus den Urlaubern werden Aussteiger, Kommunarden und Pohapipinpopopianer. Nachdem das Ehepaar von irdischen Boten wie Natsukis Schwester oder Schwiegervater aufgesucht und zeitweise "in die Fabrik zurückgebracht" wurde, will das Trio dem Gesellschaftsvertrag schließlich ganz entsagen.

Das bildhafte Finale erinnert in seiner Unausweichlichkeit und Weltabgeschiedenheit - nach Schneefall und Erdrutschen sind die Zufahrtswege blockiert, ist man von der Außenwelt abgetrennt - an Abe Kobos existentialistischen Roman "Die Frau in den Dünen". Das Trio wird dank des Sozialexperiments und extraterrestrischen Trainings durch die Aktivierung neuer Teile des Gehirns und im Wunsch, "im Zustand eines Gefäßes zu leben", freier, animalischer, anarchistischer - und kann sich dennoch nie ganz lösen und heilen von Fesseln und Fallgruben gesellschaftlicher Prägungen.

Muratas neuer Roman ist mit seinen Szenen von Inzest, Missbrauch, Mord und Kannibalismus gewöhnungsbedürftig. Umso dezidierter beschwört diese Psychoanalytikerin ihres Landes die Schattenseiten Japans und des globalen Kapitalismus.

STEFFEN GNAM

Sayaka Murata: "Das Seidenraupenzimmer". Roman.

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 256 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2020

Geschenke für den Kopf (Fortsetzung Seite 20)
Willi Winkler
EIN GROSSER SPASS
Das Buch des Jahres, diese Nachkriegsgeschichte des Geistes: Andersch, Heidegger, Adorno, Holthusen, Guggenheimer, Schelsky, Enzensberger, Ortega y Gasset und der eitle Sieburg, der seine Titelgeschichte im Spiegel gleich selber schreiben will. Spoiler: Man (Frau eher nicht) konnte damals vom Feuilleton leben!
Axel Schildt: Medienintellektuelle in der Bundesrepublik. Wallstein, Göttingen 2020. 896 Seiten, 46 Euro.
EINE HILFE
Ein Reigen wie damals bei Schnitzler: Paula, Ludger, Detlev, Jorinde und die anderen. Als Dreingabe: „West und Ost waren Zeichen einer richtigen und einer falschen Lebensweise geworden.“
Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall. Roman. Diogenes, Zürich 2019, jetzt als Taschenbuch: 288 Seiten, 13 Euro.
EIN GENUSS
Als Begleitprogramm zu „Babylon Berlin“: Pflanzenarchitektur, Fotomalerei, Zeitungskunst und dazwischen Oskar Maria Graf, den Daumen im Hosenträger und zwei Bleistifte in der Jackentasche.
Kathrin Baumstark, Ulrich Pohlmann: Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre. Hirmer, München 2019. 264 S., 39,90 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Die Geschichte des Guiness-Erben Tara Browne, der im Beatles-Song „A Day In the Life“ stirbt.
Paul Howard: I read the news today, oh boy. Picador, London 2016. 376 S., 18 Euro.
Reinhard J. Brembeck
EINE HILFE
...fürs Leben ist Michel Houellebecq immer, auch in dieser Textsammlung, in der er sich als sympathisch witziger Konservativer (nicht Reaktionär) feiert – gerade wenn er den französischen Staat und ein Krankenhaus anklagt, einen Wachkomapatienten letztlich umgebracht zu haben.
Michel Houellebecq: Ein bisschen schlechter. Neue Interventionen. Essays. Dumont, Köln, 2020, 23 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
In diesem verpfuschten Beethoven-Jahr: die Live-Einspielung sämtlicher Streichquartette, weltumspannend aufgenommen auf allen fünf Kontinenten, und so gut wie von noch niemanden gespielt. Visionär, wild, zart, tyrannenmörderisch.
Beethoven Around the World. The Complete Stringquartets. Quatuor Ébène. Erato.
EIN GENUSS
Dieser witzige Roman von Mieko Kawakami liefert viel mehr, als sein verkaufsfördernder Machotitel verspricht: alles zwischen Hartz IV, Kapitalismus und Baby.
Mieko Kawakami: Brüste und Eier. Aus dem Japanischen von Katja Busson. Dumont, Köln, 2020. 494 Seiten, 24 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
...sind die 10370 Scholien, mit denen der radikal reaktionäre Privatgelehrte und Modernefeind Gómez Dávila (1913-1994) die ganze Welt in Aphorismen erklärt.
Nicolás Gómez Dávila: Sämtliche Scholien zu einem inbegriffenen Text. Aus dem Spanischen von Thomas Knefeli u.a. Karolinger, Wien 2020. 920 Seiten, 48 Euro.
Susan Vahabzadeh
EIN GENUSS
Es ist nur ein schmales Bändchen, und doch öffnet Kristen Roupenian in ihrem Buch „Milkwishes“ die Fenster in drei Seelen. Es sind drei Kurzgeschichten, in denen es um Wahrnehmung und Erinnerung geht.
Kristen Roupenian: Milkwishes. Aus dem Englischen von Nella Beljan. Aufbau, Berlin 2020. 80 Seiten, 12 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Vor dem wahren Genie liegt die Zukunft wie ein offenes Buch. Umberto Eco hatte solch seherische Fähigkeiten – das wird einem klar, liest man die Essays, die er in den Neunzigern geschrieben hat, beispielsweise jenes darüber, woran man einen wiederauferstehenden Faschismus erkennen wird. Er ahnte sogar, dass eine gewisse Verwirrtheit dabei im Spiel sein würde.
Umberto Eco: Der ewige Faschismus.
Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Mit einem Vorwort von Roberto Saviano. Hanser 2020, 80 Seiten, 10 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Filmstar Fabienne (Cathérine Deneuve) hat ihre Memoiren geschrieben, und dabei ist sie so großzügig mit den Tatsachen umgegangen, dass es ihre Tochter (Juliette Binoche) auf die Palme bringt. Hirokazu Kore-edas „La Vérité – Leben und lügen lassen“ ist komisch, rührend – und ein traumhaftes Spielfeld für zwei der ganz großen Damen des französischen Kinos.
La Vérité, mit Ethan Hawke und Ludivine Sagnier. Prokino, DVD oder Blue-ray.
Marie Schmidt
EIN LIEBESBEWEIS
Nancy Cunard, britisches Intello-It-Girl und Verlegerin der literarischen Moderne, verliebte sich 1926 in den schwarzen Pianisten Henry Crowder, war beeindruckt, was sie mit ihm erlebte und ruinierte sich nahezu durch diese Anthologie afroamerikanischer Kunst und Kultur. Hier stilvoll aktualisiert, übersetzt, bebildert.
Karl Bruckmaier (Hg.): Nancy Cunards Negro. Mit einem Fotoessay von Olaf Unverzart.Kursbuch.edition, Hamburg 2020.227 Seiten, 24 Euro.
EIN VERMÖGEN
Eines ganzen, glamourösen, träumerischen, tragischen Lebens Geschichten, von gefühlvoll verstiegen bis parabelhaft präzise. Die kurze ist Clarice Lispectors größte Form: Diese famose Übersetzung neben Kafka ins Regal ordnen.
Clarice Lispector: Sämtliche Erzählungen. I: Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau. II: Aber es wird regnen. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Luis Ruby. Penguin, München 2019/20. 415 und 281 Seiten, je 24 Euro.
EINE HILFE
Für jeden Klassiker, den jeder schon gelesen hat, kommt der Moment, ihn auch selber zu lesen. Dieses Jahr ist es leider Zeit für Susan Sontags Gedanken, dass auch Viren keinen Sinn haben, aber trotzdem dauernd welchen produzieren.
Susan Sontag: Krankheit als Metapher. Aids und seine Metaphern. Aus dem Englischen von Karin Kersten, Caroline Neubaur, Holger Fliessbach. S. Fischer, Frankfurt a.M. 2003. 148 Seiten, 9,90 Euro.
Tobias Kniebe
EIN GROSSER SPASS
Die Lacher des Jahres steckten in dieser Verfilmung des halb autobiografischen Romans „How To Build A Girl“ von Caitlin Moran. Ein 16-jähriges Arbeiterklasse-Mädchen auf dem holprigen Weg zur scharfzüngigsten und lustigsten Feministin Englands. Mit Rock’n’Roll, Klassenkampf, Sex und Selbsterkenntnis. Da will man dann auch gleich die Vorlage lesen.
Johanna – Eine (un)gewöhliche Heldin. Regie Coky Giedroyc, mit Beanie Feldstein. Amazon Prime, iTunes etc., 4,99 Euro.
Caitlin Moran: All About A Girl. Aus dem Englischen von Regina Rawlinson. Carl’s Books, 2015. 299 Seiten, 18,99 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Mit diesem Buch von Ibrahim X. Kendi ergaben die ganzen wütenden Debatten über Rassismus und Cancel Culture auf einmal eine tieferen Sinn. Fast eine Autobiografie, aber nebenbei versteht man die philosophischen Grundlagen der neuen Anti-Rassismus-Diskurse, ihre Vorstellung von Macht – und warum sie aus Gründen der Kohärenz mit einem Fundamentalangriff auf das bisherige wissenschaftliche Denken einhergehen.
Ibrahim X. Kendi: How To Be An Anti-Racist. Aus dem Engl. von Alina Schmidt, btb Verlag 2020. 416 Seiten, 22 Euro.
EINE HILFE
Das Sortieren von Dingen in die wunderschönen, nachhaltig produzierten Ordner und Folder der Mappenmanufaktur hat im Lockdown für jene innere Klarheit gesorgt, die man sich von Kunst oft wünscht. Mappenmanufaktur.com
Andrian Kreye
EIN GENUSS
In einem normalen Jahr wäre der südafrikanische Jazz-Pianist Nduduzo Makhathini live mit seinen Band-Ritualen, hymnischen Harmonien und frenetischen Improvisationen ein Star geworden. Sein erstes internationales Album ist der Beweis.
Nduduzo Makhathini: Modes of Communication. Blue Note, CD ca. 15 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Ella Fitzgeralds Grundeinstellung war bis ins Alter „frisch verliebt“. Nicht im Backfischmodus des Pop in Jungs. Ins Leben, in die Musik. Und in Berlin. Das Live-Album, das die Sängerin dort 1960 aufnahm war ein Höhepunkt. Zwei Jahre später kam sie wieder. Die Aufnahme, die nun von diesem Abend herauskam gehört zum Bestgelaunten in der Geschichte des Jazz.
Ella Fitzgerald: The Lost Berlin Tapes. Verve, CD ca. 16, Vinyl ca. 22 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Liebreiz und Streichersätze sind im Jazz eine Zumutung. Auch Gitarrist Pat Metheny hat damit Schindluder getrieben. Doch diesmal gelingt ihm damit Ultra-Ästhetik.
Pat Metheny: From This Place. Nonesuch, CD ca. 14, Vinyl ca. 22 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Fünfzig Jahre vor Black Lives Matter inspirierte Martin Luther King Herbie Hancock zu einem „politischen Statement aus Musik“ mit coolem Jazz-Nonett. Das gibt es nun als audiophile Neuauflage in der wunderbaren „Tone Poet“-Serie auf Vinyl.
Herbie Hancock: The Prisoner. Blue Note, Vinyl ca. 35 Euro.
Alex Rühle
EINE HERAUSFORDERUNG
Romane, die versuchen, den Klimawandel zu thematisieren, läppern sich meist zu Parsprotode – wie soll eine einzige Geschichte ein derart globales Problemkonglomerat veranschaulichen? John Freeman hat stattdessen 43 Autorinnen und Autoren gebeten, Essays, Erzählungen, Reportagen aus ihren jeweiligen Weltgegenden zu schreiben. Margaret Atwood schickt ein dystopisches Gedicht aus Kanada, in dem plötzlich extrem trockene Sommer die Ernten zu Staub verwandeln. Burundi, Island, Haiti, Nigeria. Laurent Goff, Sjón, Gaël Faye. Alle spüren sie längst den Wandel, und die kondensierten, jeweils lokal verortbaren Texte ergeben das Mosaik eines riesigen, winzigen blauen Tropfens Erde, der viel zu fragil für die Pandemie namens Mensch ist.
Tales of two Planets, hg. v. John Freeman. Penguin, London. 320 Seiten, 11,99 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Eine Kulturgeschichte der DDR, kundig und witzig, immer auf Seiten der Verdrängten, Verstummten, mit Blick fürs Skurrile (der Starindianer Gojko Mitić) wie Tragische. Selten so viele Namen notiert, die man jetzt aber unbedingt mal lesen muss: Erich Arendt. Chaim Noll. Oh, und die Gedichte von Inge Müller! Schatzkarte und Reiseführer in eine untergegangene Welt, zugleich ein Antidot gegen Ostalgie und die „Täternähe der deutschen Innerlichkeit“ (Hans Sahl).
Marko Martin: Die verdrängte Zeit. Vom Verschwinden und Entdecken der Kultur des Ostens. Tropen, Berlin 2020. 426 Seiten, 24 Euro.
Felix Stephan
EIN LIEBESBEWEIS
Von Europa als Idee ist oft die Rede, von Europa als ménage à trois aber nur hier: Orlando Figes erzählt anhand dreier Biografien vom Urknall der Moderne als genuin europäischer Angelegenheit. Die Opernsängerin Pauline Viardot, ihren Ehemann Louis Viardot und Turgeniew gründen Europa gewissermaßen nebenbei.
Orlando Figes: Die Europäer. Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Hanser Berlin, Berlin 2020. 640 Seiten, 34 Euro.
EIN GENUSS
War Flaubert der größte Romancier aller Zeiten? Die Antwort ist womöglich hier zu finden, in Elisabeth Edls Neuübersetzung der „Éducation sentimentale“.
Gustave Flaubert: Lehrjahre der Männlichkeit. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Carl Hanser Verlag, München 2020, 800 Seiten, 42 Euro.
EINE HILFE
Apropos „Lehrjahre der Männlichkeit“: Niemand schreibt derzeit so erhellend über sein Leben als Mann wie der amerikanische Schriftsteller Ben Lerner.
Ben Lerner: Die Topeka Schule. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Suhrkamp, Berlin 2020. 395 Seiten, 24 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
An den Skandal, dass die Gedichte von Elke Erb jahrelang praktisch vergriffen waren, hatte man sich fast gewöhnt. Jetzt gibt es endlich eine neue Sammlung.
Elke Erb: Das ist hier der Fall. Ausgewählte Gedichte. Suhrkamp, Berlin 2020. 210 Seiten, 20 Euro.
Claudia Tieschky
EIN LIEBESBEWEIS
Keiner kann ständig kochen. Gegen den Entzug hilft lesen. Bill Buford, früher Redakteur beim New Yorker, der 2006 seine Abenteuer als Küchen-Picaro in Italien („Hitze“) niederschrieb, zieht nun in „Dreck“ aus, um die französische Küche zu verstehen. Man könnte natürlich auch Alexandre Dumas’ irres „Wörterbuch der Kochkunst“ von 1873 lesen. Aber Bufords Mischung aus Erfahrungsgier und Snobismus ist amüsanter – und perfekt wiedergegeben übrigens in der Stimme von Wiglaf Droste, der „Hitze“ als Hörbuch einsprach.
Bill Buford: Dreck. Übersetzung von Sabine Hübner, Hanser. München 2020. 511 Seiten, 26 Euro. und Bill Buford: Hitze, gekürzte Lesung mit Wiglaf Droste, Hörverlag, München 2008. 4h 5min, 13,95 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Dieses elegante, kalte Leben schreibender Großstädter der vordigitalen Zeit, erzählt im Jahr 1976 in umwerfend lakonischen Skizzen und Fragmenten. Dazwischen eine erinnerte Emigranten-Vergangenheit. Kann man bei klarstem Verstand irrlichtern, sich in ein anderes Foto von sich selbst denken? Aber ja.
Renata Adler: Rennboot. Aus dem Englischen von Marianne Frisch. Suhrkamp, Berlin 2014. 241 Seiten, 19,95 Euro.
EIN GENUSS
Glenn Gould: So you want to write a fugue? Sozusagen eine Anleitung zum Selbermachen. Weihnachtsmusik für dysfunktionale Zeiten: https://www.youtube.com/watch?v=HkxU6LdSGdY
Alexander Gorkow
EINE WIEDERENTDECKUNG
19 Jahre währte die Liebe zwischen Nadeschda und Ossip Mandelstam unter dem Terror Stalins, bis der Dichter in Sibirien starb. Die neue Übersetzung der „Erinnerungen“ Nadeschda Mandelstams durch Ursula Keller ist ein Schatz; er zeigt die Autorin in der Beobachtung der Schergen und Schleimer als große Reporterin. Nichts bleibt verborgen, auch nicht die mitunter im Schrecken zuckende Komik.
Nadeschda Mandelstam: Erinnerungen an das Jahrhundert der Wölfe. Die Andere Bibliothek, Berlin 2020. 785 S., 44 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
„Wie das sexuelle Verlangen ist auch die Erinnerung endlos. Sie stellt Lebende und Tote nebeneinander, reale und imaginäre Personen, eigene Träume und die Geschichte.“ Schmerzhaft, schön und klar erklärt Annie Ernaux in „Die Jahre“ das Wesen des Memoirs. Im nun nachgereichten Band „Die Scham“ glänzt Ernaux erneut in großer, genauer Lakonie.
Annie Ernaux: Die Scham. Aus dem Französischen von Sonja Finck. Bibliothek Suhrkamp, 111 Seiten, 18 Euro.
EIN GENUSS
50 grandiose Miniaturen zur deutschen Dichtkunst; luzide, respektlos, immer wieder auch schwer zum Piepen. Die Zielgruppe ist gewaltig: Wer meint, nicht nur gerne zu lesen, sondern auch gut zu schreiben, sollte sich in dieses Buch versenken. #supportyourlocalbookstore
Michael Maar: Die Schlange im Wolfspelz – Das Geheimnis großer Literatur, Rowohlt, 650 Seiten, 34 Euro.
Sonja Zekri
EINE WIEDERENTDECKUNG
Burhan Qurbani verlegt den Fall des Franz Biberkopf als Flüchtlingsdrama in den Drogenkiez der Hasenheide. Drei Stunden dauert der Trip aus Farben, Musik und Männerliebe. Über allem: Albrecht Schuch als Reinhold, ein Psychopath mit Laktoseintoleranz.
„Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani, DVD (Universal).
EIN AUFREGER
Zwanglos über Kannibalismus schreiben? Geht, die japanische Schriftstellerin Sayaka Murata macht es vor. „Das Seidenraupenzimmer“ ist eine entgleiste Reise in die Kindheit und die Suche nach dem utopischen Ort Pohapipinpopopia.
Sayaka Murata: Das Seidenraupenzimmer. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Aufbau, Berlin 2020, 256 Seiten, 20 Euro.
EIN GENUSS
Ein Buch über Lotto, Südsee, Zucker, kurz, über das Begehren. Dorothee Elmiger fügt Literatur, Kino und Geschichte zu einem sinnlichen Tagtraum zusammen.
Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik. Hanser, München 2020. 272 S., 23 Euro.
EINE HILFE:
So hängt das also alles zusammen: globales Geld und Häuserkampf, Rendite und Entmietungsschikane. Wolfgang Schorlaus Ermittler trifft in Berlin unter anderem auf eindrucksvolle Kleinsäugetiere.
Wolfgang Schorlau: Kreuzberg Blues. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, 416 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Martin Oehlen bestaunt die Radikalität in Sayaka Muratas Roman über eine Fünftklässlerin aus der fünften Dimension. Atemberaubend erzählt findet er die Rebellinnengeschichte, die für ihn das gewisse Etwas hat: Nicht der Glaube des Mädchens an die eigene Zauberkraft, sondern die knallharte Grundierung mit Missbrauch und Verlorenheit und Widerstand. Dass Murata dabei nicht den "moralischen Zeigefinger" bemüht, gefällt Oehlen gut.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein verstörendes, schonungsloses Buch mit radikalem Ende und eine kritische, kunstvolle Allegorie auf die japanische Gesellschaft.« RBB Kulturradio 20200704