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Adie Klarpol landet als Zeichnerin in einem Computerlabor in Seattle: hier sollen die Computerbilder laufen lernen, um den Betrachter in den Sehnsüchten des eignen Blicks zu fangen. Taimur Martin ist Lehrer im Libanon. Von einer Zigarettenpause kehrt er nicht zurück, bleibt jahrelang als Geisel in einer Höhle isoliert. Auch er schafft künstliche Welten, nicht der Technik, sondern der Fantasie.Kunstvoll wie eine Doppelhelix und mit aktueller Brisanz verknüpft Richard Powers beide Geschichten zu einer Vision über den Verlust der Sinnlichkeit im leeren Sog der Logarithmen und zu einer…mehr

Produktbeschreibung
Adie Klarpol landet als Zeichnerin in einem Computerlabor in Seattle: hier sollen die Computerbilder laufen lernen, um den Betrachter in den Sehnsüchten des eignen Blicks zu fangen. Taimur Martin ist Lehrer im Libanon. Von einer Zigarettenpause kehrt er nicht zurück, bleibt jahrelang als Geisel in einer Höhle isoliert. Auch er schafft künstliche Welten, nicht der Technik, sondern der Fantasie.Kunstvoll wie eine Doppelhelix und mit aktueller Brisanz verknüpft Richard Powers beide Geschichten zu einer Vision über den Verlust der Sinnlichkeit im leeren Sog der Logarithmen und zu einer Liebesgeschichte, deren Spannung und Poesie den Leser nicht mehr loslässt.
Autorenporträt
Wie kaum ein anderer ist Richard Powers der Gegenwart auf der Spur: Das Wissen unserer Zeit will er in Geschichten erfahrbar, die Verwerfungen emotional erlebbar machen. Er wurde 1957 geboren und lebt in den USA. Auf sein Romandebüt ¿Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz¿ (1985) erschienen neun weitere Romane. Sie wurden Bestseller wie ¿Der Klang der Zeit¿ und mehrfach preisgekrönt. 2006 erhielt er den National Book Award für ¿Das Echo der Erinnerung¿, es folgte ¿Das größere Glück¿. In der Reportage ¿Das Buch Ich #9¿ beschreibt Richard Powers den Prozess, als neunter Mensch überhaupt sein Genom vollständig entschlüsseln zu lassen. Für seinen Roman ¿Die Wurzeln des Lebens¿ (2018) wurde Richard Powers mit dem Pulitzer Prize ausgezeichnet. 2021 erschien sein Roman ¿Erstaunen¿, der für den Booker Prize und den National Book Award nominiert ist, Heute lebt Richard Powers in den Great Smoky Mountains der Appalachen.Literaturpreise:Pulitzer Prize 2019 für »Die Wurzeln des Lebens«National Book Award 2006 für »Das Echo der Erinnerung«
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2002

Mit einer Pflugschar durchs Dunkel ziehen
Rückblick auf die unmoderne Moderne: Richard Powers und sein Roman „Schattenflucht”
In Stephen Spielbergs Film „E.T.” fällt ein Wort des Heimwehs, das in den nun bald zwanzig Jahren seit der Premiere in vielen Sprachen Flügel bekommen hat: Im Original spricht das Wesen von einem anderen Stern, dieser elektrifizierte kleine Adam mit seinem langen, knorpeligen, von Michelangelo geborgten Finger diese Wörter so rund, so grottenartig, in dunklen Vokalen verschliffen: „phone home”. In dieser Formel liegt der ganze Film begründet: in der heißen Sehnsucht, mit unendlich viel Technik ins Märchen zurückkehren zu können.
„Plowing the Dark” heißt Richard Powers jüngster Roman auf englisch, und so ist er, auch wenn der Titel nie eine explizite Erklärung findet. Durch das Dunkel pflügen alle Gestalten dieses Romans, und jede würde „phone home” sagen, wenn sie nur wüsste, wo diese Heimat zu liegen hätte. Nach Hause möchte die Gebrauchsgrafikerin Adie Klarpol, die gescheiterte Künstlerin aus Manhattan, die bei einem riesigen Software-Unternehmen in Seattle Anstellung gefunden hat. Nach Hause möchte Taimur Martin, ein junger Lehrer an der amerikanischen Schule in Beirut, der von Islamisten entführt und fünf Jahre lang in einem niedrigen, schmutzigen, fensterlosen Raum festgehalten wird. Aber Zuhause ist nichts und niemand, und weder am Anfang noch am Ende einer Lebensgeschichte gibt es Heimat. Allein in der Mitte scheint etwas zu entstehen, was einem solchermaßen großes Sehnen einen Stoff geben könnte: Für Adie ist es die Verlockung, mit den Mitteln der Computertechnik „wie ein Engel malen”, eine Welt aus Kunst erschaffen zu können. Und Taimur Martin erhält sich in seiner Einsamkeit den Verstand, indem er seinen Erinnerungen neues Leben verleiht.
In den Vereinigten Staaten gilt Richard Powers als einer der ganz großen Schriftsteller – ein Rang, den John Updike schon 1995 bestätigte, als er ihn neben Thomas Mann stellte. Hierzulande aber ist er noch kaum angekommen. Dabei würde der ehemalige Programmierer vielleicht sogar zur Mode passen. In seinem Roman „The Gold Bug Variations” (1991) beschäftigte er sich mit der Künstlichen Intelligenz, in „Galatea 2.2.” (1995) geht es um die Neurowissenschaften, in „Gain” (1998) um die Geschichte eines großen amerikanischen Konzerns. „Wissensromane” werden solche Bücher heute gern genannt. Schon wird Richard Powers wird schon für das Verdienst gerühmt, „Epen des digitalen Zeitalters” geschrieben zu haben.
Aber das ist ein törichtes Lob. Von der Literatur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ist nicht Filippo Tommaso Marinettis Rennautomobil geblieben, sondern Marcel Prousts Weißdornhecke. Eine Literatur, die die Welt in Gestalt einer neuen Technik umarmen will, ist nicht weniger hysterisch als das entsprechende Feuilleton: Beide sind getragen von der Genugtuung darüber, dass es so etwas gibt oder geben soll wie die Künstliche Intelligenz, die Entschlüsselung des Genoms oder eine virtuelle Realität. In dieser Begeisterung, ohne die Distanz der Reflexion, entstehen bunte Illustrationen des ohnedies Vorhandenen, und für die Herstellung von solchen Bildern braucht man weder Kunst noch Kritik.
Richard Powers ist solchem Lob weit überlegen – und das jüngste Buch ist schon deswegen keine Propaganda für eine neue Technik, weil es ein nahezu historischer Roman ist. „Schattenflucht”, so der wenig gelungene deutsche Titel, spielt in den späten achtziger Jahren und endet zur Zeit des Golfkriegs, im Februar 1991. Tatsächlich gehören der Traum von der virtuellen Realität, die Hoffnung, das Medium könne sich in die Haut eines Menschen verwandeln, schon zu den verflossenen Utopien. Auch den schwarzen Helden von „Matrix” geht es nicht anders als dem schlanken John Travolta in den Discotheken der späten siebziger Jahre. Richard Powers braucht diese unmoderne Moderne: denn „Schattenflucht” handelt auch von einer großen Desillusionierung.
Die Kunst im Computer
Für eine Weile findet Adie ihre heimelige Grotte im „Realization Lab” des Software-Unternehmens, zunächst in Gestalt einer dreidimensionale Nachbildung des „Traums” von Henri Rousseau: „Ungehindert fliegen Vögel durch das Dschungelzimmer”, heißt es dazu, „beschreibe eine Feder im Wind. Sage, wie der Federkiel sich verjüngt, der Schwerelosigkeit zustrebt. Beschreibe, wie die Fahnen sich im Winde wiegen, wie sie sich bauschen, sich plustern und kräuseln, wie die Äste Purzelbaum schlagen auf der Abwärtskurve ihres elastischen Flugs.” Das Projekt wächst und baut Vincent van Goghs „Schlafzimmer in Arles” im Computer nach. Als Adie schließlich die Hagia Sophia gestaltet, scheinen unendliche Möglichkeiten errungen: die Welt in und aus Kunst, mit nichts als Fantasie errungen. Der Geisel geht es in ihrer Zelle ähnlich. Aber in beiden Fällen erweist sich die Realität als stärker, weil niederträchtiger.
Die Geschichten von Adie Klarpol und Taimur Martin laufen nebeneinander. Es gibt Punkte, an denen Fäden zwischen ihnen hin und her gezogen werden, und doch verhalten sich die beiden Helden, die Repräsentantin einer Technik ohne Welt und der Vertreter einer Welt ohne Technik, zueinander wie die Stränge der Doppel-Helix. Die Berliner Mauer fällt, auf dem Tiananmen Square wird gemordet, ein Krieg bricht aus. Die Geisel erfährt nichts davon, und auch die „Grotte” liegt ganz außerhalb jener Ereignisse, die über den Fernsehschirm flimmern. Aber die Kunst ist da, eine unendliche, große, mächtige, ja auch überwältigend schöne Welt, traumhaft, fremd und metaphorisch – aber vollendetes Dasein. Und zum Verschwinden verurteilt. Im Aufrufen dieser Kunst hat der Roman seine wahrlich nicht seltenen großen Momente. Das große Wort des kleinen Außerirdischen lautet auf deutsch „nach Hause”. Auf englisch, als „home” ist es schöner, runder, eleganter, und es stolpert nicht über den hässlichen Knacklaut vor dem aspirierten Konsonanten. Leider beschreibt das das Verhältnis von „Hause” und „home” auch das Verhältnis zwischen der Sprache des Originals und der seiner deutschen Fassung. Das ist nicht die Schuld der Übersetzer. Wer kann, der sollte dieses Buch im Original lesen.
THOMAS STEINFELD
RICHARD POWERS: Schattenflucht. Roman. Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 544 Seiten, 24, 90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2002

Digital ist kesser
Wer nichts wird, wird virtuell: Richard Powers' Höhlenmalerei

Als William Gibson 1981 in seiner Kurzgeschichte "Burning Chrome" den Begriff "Cyberspace" erfand, war dessen Karriere in den folgenden zwanzig Jahren nicht abzusehen. Die in seiner "Neuromancer"-Trilogie weiterentwickelte Vorstellung eines grenzenlosen, per Schnittstelle bewohnbaren Paralleluniversums - hier meist eher als die "Matrix" bezeichnet -, blieb zunächst Teil einer Subkultur von Science-fiction-Freaks und Cyberpunks. Doch Anfang der Neunziger eroberte die virtuelle Realität fast über Nacht die Wunsch- und Albträume der Öffentlichkeit und spaltete sie in Kulturpessimisten, die den Verlust unmittelbarer Erfahrung an die Wand malten, und Propagandisten der Virtualisierung, die den Abschied von Körperlichkeit als Befreiung der Menschheit zu göttlicher Omnipotenz verkündigten.

Paradoxerweise ließ man sich gerade zu dem Zeitpunkt vom technisch frisierten Möglichkeitssinn faszinieren, als die reale Geschichte mit dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Kriegs jede Phantasie übertraf. Eine Episode in Akira Kurosawas Film "Träume" von 1990 erzählt von einem Kunststudenten, der in van Goghs Gemälde "Weizenfeld mit Krähen" hineintritt wie in eine Landschaft. In Richard Powers' neuem Roman "Schattenflucht" ist es van Goghs "Zimmer in Arles", das vorübergehend zum Zufluchtsort der Grafikerin Adie Klarpol wird. Jahre nach dem Scheitern ihrer Künstlerträume, folgt sie 1989 dem Ruf ihres Freundes Steven und nimmt eine Stelle bei der Softwareschmiede TeraSys an. In deren "Realization Lab" arbeitet eine Gruppe von Programmierern an einer virtuellen Umgebung, im Jargon "Grotte" genannt, deren dilettantischem Design Adie künstlerische Brillanz verleihen soll.

Die Computernovizin, die erst einmal die hauseigenen Grafikrechner "Rembrandt" oder "Picasso" tauft, verfällt rasch der Flut der Bilder und sieht in der Grotte die Chance der perfekten Illusion: "Ein paar Trillionen Zahlenketten, die ein paar Milliarden Jahre Evolution des Auges überlisteten." Nachdem dem ersten Projekt, einer Umsetzung von Henri Rousseaus "Traum" als begehbarem, von kunsthistorischen Verweisen bevölkertem Dschungel, mangelnde Interaktivität vorgehalten wird, macht sich Adie an ein anspruchsvolleres Ziel: eine dreidimensionale Kammer, streng nach dem Vorbild van Goghs, in der selbst die Holzdielen knarren, wenn man sie im verkabelten Zustand betritt.

Parallel erzählt Powers vom Schicksal Taimur Martins, eines amerikanischen Staatsbürgers, der 1986 als Englischlehrer in Beirut vom "Heiligen Krieg" entführt und jahrelang als Geisel festgehalten wird. Vollkommen isoliert, in einer engen Kammer eingeschlossen, flieht er seinerseits in die virtuelle Präsenz der Erinnerungen. Mit großer Eindringlichkeit, die durch die ungewöhnliche Erzählhaltung in zweiter Person Singular gesteigert wird, schildert Powers das Leiden der Geisel unter dem totalen Reizentzug, der mit unglaublicher Geistesanstrengung kompensiert wird.

Die Spannungen zwischen realen und virtuellen Räumen, zwischen der Enge von Grotte und Zelle und dem weiten Horizont der Gedankens sind ein zentrales Thema des Romans. Einer der Mitarbeiter des Labs haust in einem Wohnwagen, der mit Bildern seiner verstorbenen Geliebten vollgestopft ist. Adie und Steven lebten einst in einer Künstlerkommune mit dem Komponisten Ted zusammen, der jetzt mit Muskelschwund in einem Krankenzimmer ausgerechnet in "Lebanon, Ohio" dahinvegetiert und mit Kompositionssoftware an einem letzten Werk arbeitet. Lange bleiben die Handlungsstränge in Seattle und Beirut fast musikalisch nur durch Themen und Variationen verbunden, bis schließlich im Cyberspace eine Art mystischer Begegnung der beiden Sphären stattfindet.

Der 1957 geborene Powers bestätigt hier seinen Ruf als Schriftsteller des wissenschaftlichen Zeitalters, der in Romanen wie "The Gold Bug Variations" (1991) oder "Galatea 2.2" (1995) avancierte Disziplinen wie Molekulargenetik oder Kybernetik in der Kollision mit der kulturellen Überlieferung auf den Prüfstand stellt und zeigt, wie sie zu jenen metaphysischen Fragen führen, die sich Philosophie und Kunst seit jeher stellen. Wenn die Übersetzer die "Cavern" des Originals nicht als "Grotte", sondern als "Höhle" übertragen hätten, wäre auch hier das platonische Vorbild sichtbar geblieben. Teds Schicksal erinnert daran, daß auch hier der eigentliche Kerker, wie bei Platon, unser Körper ist.

Warum aber beschwört Powers gerade jetzt, wo Datenbrillen und Schutzanzüge längst nicht mehr dernier cri sind, das Aufbruchspathos der Cyberpioniere noch einmal herauf, das man nicht mehr ohne Lächeln goutieren kann? Tatsächlich läßt sich "Schattenflucht" auch als Künstlerroman lesen, als Allegorie auf das unvermeidliche Scheitern jeder Avantgarde, deren Radikalität früher oder später dem Markt geopfert wird. Adie - der Vorname ist als kleiner Hinweis auf Ada Lovelace, die Tochter Byrons und Mitarbeiterin des Computerpioniers Charles Babbage zu verstehen - leidet unter dem Trauma ihrer gescheiterten Karriere, die am Ende in ein Autodafé mündete. Ihr Freund Steven gab das Dichten auf und findet nun in den Programmiersprachen jene direkt wirklichkeitsverändernde Macht, die er einst dem poetischen Wort zuschrieb. Ted begann als Avantgardist, wurde aber reich mit einem dreißigsekündigen Werbejingle. Auch das interesselose Wohlgefallen der Höhlenbewohner an ihrer Grotte gerät mehr und mehr unter den Zwang der Anwendungsorientierung.

Wenn schließlich die Bemühungen des Teams auf einen detailgetreuen virtuellen Nachbau der Hagia Sophia zulaufen, scheint Powers den Kopisten als Erben des Originalgenies einzusetzen. Dem entspricht seine Poetik, die Motive der Literatur- und Kunstgeschichte variiert und für die digitale Ära aufbereitet. "Zum ersten Mal hielt die Zukunft mehr Bilder bereit als die Vergangenheit", wird einmal die Verlockung des Virtuellen beschrieben. Doch indem die neuen Futuristen von der Geschichte eingeholt werden, widerlegt Powers diesen modischen Befund. Auf einem kleinen Bildschirmfenster verfolgen die Techniker gebannt die Nachrichten aus Prag, Berlin und Bukarest, während Martin umgekehrt nach seiner mehrjährigen Geiselhaft die Welt nicht mehr wiedererkennt.

Die Schwächen des Romans liegen in den Nebenhandlungen. Wenn Ted noch am Krankenbett sein letztes Werk komponiert und den Besuchern Tränen in die Augen treibt, so ist das nicht frei von Kitsch und Pathos. Für ein Milieu von obsessiven Computerfreaks sind die Figuren zu perfekt geraten; ihre notorischen Macken lassen sich alle aus früh erlittenen Wunden erklären. Wie bei Computeranimationen ist Makellosigkeit der Illusion eher abträglich. Etwas mehr allzumenschliche Boshaftigkeit hätte auch Adie gutgetan, die sich trotz einiger Bettszenen nicht recht zu einem Wesen aus Fleisch und Blut materialisieren will. Wenn sie am Schluß, es ist die Zeit des ersten Golfkriegs, erschüttert über die mögliche militärische Nutzbarkeit ihrer Forschungen den virtuellen Kirchenraum zu einer multimedialen Antikriegsinstallation umbaut und damit das Kulturerbe der Menschheit gegen die Barbarei der Bomben aufruft, dann wird es eher peinlich.

Solcher Schlußakkorde hätte es nicht bedurft, kommentieren die Beirut-Episoden doch auf viel differenziertere Weise die globalen Konflikte, die keine Virtualisierung aus der Welt schaffen wird. Richard Powers erzählt vom Glück und Ende des digitalen Zeitalters, das die Einlösung seiner großen Hoffnungen nicht überlebte. "Fortschritt", so sagt ausgerechnet der armenische Mathematiker der Grotte, "ist Zerstörung mit dem Kompaß."

Richard Powers: "Schattenflucht". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 544 S., geb., 24, 90 .

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz begeistert ist Rezensent Thomas Steinfeld von Richard Powers' "nahezu historischem" Roman - er spielt in den 1980ern und endet im Golfkrieg 1991. Die großen Hoffnungen und Utopien von Künstlicher Intelligenz und virtuellen Realitäten sind bereits ausgeträumt - keine Verherrlichung von Computertechnik, im Gegenteil: "'Schattenflucht' handelt von der großen Desillusionierung", freut sich der Rezensent. Zwei Erzählstränge sind in dem Roman verwoben, die sich wie eine "Doppelhelix" zueinander verhalten, erzählt Steinfeld. Da ist einmal die Programmiererin Adie, die mit dem Computer Kunst schaffen will, und zum anderen der Lehrer Taimur, der in Beirut fünf Jahre von Islamisten gefangen gehalten wird. Beide versuchen, eine eigene Welt "mit nichts als Fantasie" zu schaffen. Beide scheitern, denn die Realität erweist sich als "stärker, weil niederträchtiger". Doch im "Aufrufen dieser Kunst" habe der Roman seine "großen Momente". In Amerika, so Steinfeld, gilt Power als "einer der ganz großen Schriftsteller", John Updike hat ihn sogar neben Thomas Mann gestellt. Die deutsche Übersetzung wird Powers Qualitäten jedoch wohl nicht so ganz gerecht. Das sei zwar "nicht die Schuld des Übersetzers", dennoch empfiehlt Steinfeld, das Buch im Original zu lesen.

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