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When Maps Become the World - Winther, Rasmus Grønfeldt
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"When Maps Become the World explores how scientific theories, models, and concepts used to represent and intervene in the world function as maps, and the consequences of this, both good and bad. Maps are not the territory they describe but abstractions from it, or models of it. By preserving certain features of the modeled world at the expense of distorting others, scientific abstractions can be useful within a set scope and for particular purposes. Maps not only summarize, organize, and clarify, they also often disclose new, previously unnoticed facts. In this book Rasmus Winther examines the…mehr

Produktbeschreibung
"When Maps Become the World explores how scientific theories, models, and concepts used to represent and intervene in the world function as maps, and the consequences of this, both good and bad. Maps are not the territory they describe but abstractions from it, or models of it. By preserving certain features of the modeled world at the expense of distorting others, scientific abstractions can be useful within a set scope and for particular purposes. Maps not only summarize, organize, and clarify, they also often disclose new, previously unnoticed facts. In this book Rasmus Winther examines the properties, promises, and limits of scientific knowledge and practice through a philosophical analysis of scientific maps. Because, he argues, they should always be considered fallible and limited, he teaches his readers to use analytic tools to resist "when maps become the world.""--
Autorenporträt
Rasmus Grønfeldt Winther is a philosopher of science, researcher, writer, educator, diver, and explorer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2021

Die Welt ist nicht gegeben
Rasmus Winther verknüpft überzeugend Kartographie und Wissenschaftsphilosophie

Im Jahr 1931 prägte der inzwischen nur Kennern der Science-Fiction-Geschichte bekannte polnisch-amerikanische Privatgelehrte Alfred Korzybski den Satz "Die Karte ist nicht das Gebiet" ("The map is not the territory"). Der an der University of California in Santa Cruz lehrende Wissenschaftsphilosoph Rasmus Winther nutzt in seinem Buch Kartierung und Kartographie, um zu zeigen, welche zentrale Rolle räumliche Beziehungen schaffende Repräsentationen in Geistes- und Naturwissenschaften spielen: Wissenschaftliche Theorien stehen im gleichen Verhältnis zur Welt wie Karten zum Territorium. Diese Analogie erlaube es, wissenschaftliche Praktiken der Repräsentation - Theorien, Modelle, Abbildungen - in all ihrer Vielfalt besser zu verstehen und gleichzeitig ihre oft nicht offen ausgesprochenen Grundannahmen aufzudecken. Die Vielfalt von Karten und kartographischen Methoden steht dabei ein für ein pluralistisches Verständnis von Wissenschaft und Wissenschaftsphilosophie.

Jede Repräsentation - ob nun eine Karte, eine wissenschaftliche Theorie oder ein philosophisches System - bildet immer nur einen Ausschnitt der Realität ab. Der Benutzer einer Karte darf nicht vergessen, in welchem politischen, sozialen und wissenschaftlichen Kontext diese entstand. Der Autor illustriert das am Beispiel der Mercator-Projektion, die lange die Darstellung der Erdoberfläche in Atlanten dominierte. Solche Karten zeigen Gebiete in Polnähe stark vergrößert, weshalb Europa im Verhältnis zu Afrika flächenmäßig dominant erscheint. Dies war nicht die ursprüngliche Absicht von Gerardus Mercator (1512 - 1594), denn der wollte bloß eine winkeltreue Projektion schaffen, welche die Navigation auf den Weltmeeren vereinfachte. Doch diese Projektion setzte sich auch für geographische Kartenwerke durch und diente in der Kolonialzeit als symbolische Unterstützung der europäischen Dominanz über Afrika und Südamerika. Der Kontext der Navigation, den Mercator ursprünglich im Auge hatte, wurde nach und nach vergessen.

Welche Alternativen zur Mercator-Projektion möglich sind, zeigt Winther dann anhand der wesentlichen Schritte bei der Erstellung einer Karte: von der Vermessung, Datenanalyse, Auswahl und Klassifizierung der darzustellenden Eigenschaften über Wahl des Maßstabes bis zur Wahl der Kartensymbole. Diesen Abstraktionsschritten stellt Winther dann deren Ontologisierung gegenüber - wenn das Territorium nach Maßgabe einer Karte vorgestellt wird. Ein Autofahrer sieht das durch eine Karte repräsentierte Gebiet anders als ein Naturliebhaber, und das durch eine Repräsentation motivierte Handeln kann das Territorium verändern.

Winther bewegt sich agil zwischen kartographischen und wissenschaftsphilosophischen Betrachtungen. Dies ist vor allem von Bedeutung im Kapitel über das Konzept der kontextabhängigen Objektivität. Karten sind nicht wahr oder auch nur ungefähr wahr, sondern entsprechen ausgewählten Aspekten der repräsentierten Objekte auf geeignete Weise. Die berühmte Karte des Londoner U-Bahn-Netzes stellt die relative Lage der U-Bahn-Stationen zueinander angemessen dar, während eine Straßenkarte Ortsverhältnisse ziemlich exakt repräsentiert.

Genauso wie Karten haben wissenschaftliche Modelle und Theorien einen bestimmten Anwendungsbereich, daher entsprechen diese Repräsentationen immer nur einem Ausschnitt der Welt. Die Integration verschiedener Repräsentationen ist nötig, um die Grenzen jeder einzelnen Darstellungsweise zu erkennen und um zu vermeiden, dass eine Karte, ein Modell oder eine Theorie mit der Wirklichkeit gleichgesetzt wird. Winther setzt auf eine sorgfältige Archäologie der Grundannahmen, die hinter jeder Repräsentation stehen, und auf "Gegen-Kartierungen" (counter maps): Kartierungen, die einen Minderheiten- oder Außenseiterblickpunkt illustrieren und somit die Kontextabhängigkeit anderer Karten zeigen. Er illustriert seine Herangehensweise mit Beispielen von Kartierungen in der Kosmologie, der Gehirnforschung und der Genetik. Dabei zeigt er eindrücklich, welche Grenzen Kartierungen von Genen und Gehirnfunktionen haben und auf welche Weise "counter maps" neue Perspektiven öffnen können.

Winthers Buch ist ein unorthodoxes und leidenschaftliches Plädoyer für eine Vielfalt von Perspektiven - von Gliederungen, Ordnungen und Zusammenfassungen - in Kartographie, Wissenschaft und der Wissenschaftsphilosophie. Und damit gleichzeitig eine überzeugende Behandlung der Neigung, Karten mit der von ihnen beschriebenen Realität zu verwechseln.

THOMAS WEBER

Rasmus Grønfeldt Winter: "When Maps Become the World".

The University of Chicago Press, Chicago 2020.

318 S., Abb., geb., 38,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2021

Die Grenzen unserer Welt
Ein großes kartografisches Projekt des Philosophen Rasmus Winther legt die geheimen
Wünsche und Hoffnungen frei, die sich hinter Landkarten verbergen
VON BERND GRAFF
Die genaueste Karte, das wissen wir spätestens seit J. L. Borges’ Kürzestgeschichte „Del rigor en la ciencia“ aus dem Jahr 1946, ist nicht zu gebrauchen. In Anlehnung an eine Episode aus Lewis Carrolls letzter Novelle „Sylvie and Bruno“ von 1889 hatten bei Borges die besten Kartografen eines fiktiven Reichs Ewigkeiten damit zugebracht, ihrem Herrscher die beste Landkarte seines Territoriums anzufertigen. Heraus kam eine Karte im Maßstab 1:1, die exakte Verdopplung der Welt. Und damit zwar genau, aber überflüssig. Bei Borges verwarf man sie darum bald. Auch bei Caroll, der von etwas Ähnlichem berichtet hatte, heißt es: „Die Bauern mochten die Karte nicht. Sie behaupteten, die Karte bedecke doch das ganze Land und überschatte die Felder. Also nutzen wir nun das Land selber als Karte. Offen gestanden, das reicht irgendwie auch.“ Tut es aber eben nicht.
Der an der University of California in Santa Cruz lehrende Philosoph Rasmus Winther hat sich grundsätzlich mit Kartierung und Kartografie beschäftigt, um aufzuzeigen, welche Bedeutung Karten in allen Bereichen der Wissenschaft spielen, wie die Klärung räumlicher Verhältnisse bei der Theoriebildung und Repräsentation von Ideen sowohl in den Natur- wie den Geisteswissenschaften hilft. Nicht ohne Grund reden wir von „Wissensgebieten“, von kognitiven Landschaften also, in denen auch Orientierung verlangt ist.
Dabei ist die Topografie des Wissens, das macht Winther sofort deutlich, immer abhängig von den Zwecken, die damit verfolgt werden: „Karten sind Abstraktionen, sie ignorieren die Details, fokussieren sich stattdessen auf die Grundzüge, die wesentlichen Charakteristika ihres jeweiligen Gebietes. Was jedoch wesentlich ist, hängt immer ab von den Absichten, die man verfolgt. Wir Menschen nutzen Karten, weil wir einerseits eine tief verankerte Fähigkeit dazu haben, und zwar kognitiv wie sozial, aber vor allen Dingen haben wir ein absolutes Bedürfnis danach.“
Karten sind Abstraktionen des realen Raumes. Die Kulturen des Westens operieren seit etwa 500 Jahren mit Karten. Martin Waldseemüller aus Freiburg erstellte 1507 die erste Weltkarte, auf der die Landmassen im Westen mit dem Namen „America“ bezeichnet wurden. Im 16. Jahrhundert explodierte das Kartenwesen. Gründe waren die Entdeckung der neuen Welt und eine Faszination der Renaissance für die ptolemäischen Geografie.
Hinzu kommt eine Wissensrevolution, die auf Experiment, Messung und Quantifikation beruht. Der aufkommende Realismus in den Künsten spielt eine Rolle, vor allem die Entdeckung der Zentralperspektive. Landbesitzer beginnen, mit ihrem Grund zu planen, Nationen bilden sich, Kriege werden geführt, Kolonien gegründet. Am Ende des 16. Jahrhunderts hat jeder Potentat, der Potentat bleiben wollte, begriffen, dass er Kartenmaterial benötigt, um wirklich herrschen zu können.
Hielt sich der Begriff der Karte bis fast zum Ende des 20. Jahrhunderts – eine plane Abstraktion des realen Raums – so explodiert die Kartografie mit dem Aufkommen geografischer Informationssysteme (GIS) ab dem Beginn der Neunzigerjahre: Nun können in Karten nicht nur Orte erfasst, sondern auch Daten und damit die Zeit und ihre Verläufe. Die Wurzeln jedes GIS liegen in der Geografie, doch neben reinen Geodaten werden in GIS nun auch Veränderungen überwacht und Ereignisse prognostiziert: Flugbewegungen in Abhängigkeit von Tageszeiten, Krankheitsausbrüche, die Ausbreitung von Pandemien, Geldströme, Kriegswirkungen. Man erkennt nun Muster, Beziehungen und Sachverhalte, die ohne Kartografie in schierer Datenmenge unentdeckt geblieben wären.
Aus dem Kartensymbolismus, der jahrhundertelang bestrebt war, die Diskrepanz zwischen der gedanklichen und der grafischen Repräsentation der wirklichen Welt möglichst gering zu halten, sind nun Instrumente zur Vermessung von unterschiedlichsten Datenlandschaften geworden. Und tatsächlich ist die Welt durch die Globalisierung ja zugleich dichter wie komplexer geworden. Der marxistische Theoretiker Fredric Jameson hatte 1984 festgestellt, dass „ein unserer Situation angemessenes Modell der politischen Kultur die Frage des Raums zur wichtigsten Problemstellung machen muss. Die Ästhetik dieser neuen Kultur muss als die eines Kartographierens der Wahrnehmung und der Erkenntnis definiert werden.“
Winthers Verdienst ist es, parallel zur Geschichte der Kartografie der Welt die wissenschaftsphilosophischen Implikationen eines jeden Kartenansatzes mitzudenken: Eine Karte ist eine Theorie über die Fakten der Welt, die nach denselben intellektuellen Konzepten erstellt wird wie die Theoriebildung in den Natur- und Geisteswissenschaften.
Wobei er nicht müde wird, dann aber auf die Gefahr der „Pernicious Reification“ hinzuweisen, der immer irrenden Ineinssetzung eines Modells mit der Wirklichkeit, ganz gleich ob es sich um die Mercator-Projektion, die bildliche Verflachung der Erde im Atlas, die gengetriebene Evolution oder ein Modell des Homo sapiens handelt: Die Theorie ist nie das Leben.
So macht etwa die „Da Ming Hunyi Tu“, eine Weltkarte aus der chinesischen Ming-Dynastie und eine der ältesten Karten der Welt, China zum Nabel der Welt, an den sich kleine Nachbarstaaten schmiegen wie unbedeutende Trabanten. Und doch gilt auch umgekehrt, dass Karten wie etwa das theoriegeborene Crispr zur Bestimmung des menschlichen Genoms ihrerseits wieder die Welt verändern können, weil sie erst zeigen und dann handhabbar machen, was vorher nicht einmal zu denken war.
„Ich denke“, schreibt Rasmus Grønfeldt Winther am Ende seines inspirierenden Buches, „dass kartographische Objekte und ihre Analogien im gesamten Wissenschaftsbetrieb vor allem die Wünsche und Ängste deutlich zum Ausdruck bringen, die wir der Welt gegenüber hegen. Unsere Repräsentationen der Wirklichkeit belegen, wie wir uns selber und das Universum verstehen. Sie beeinflussen unsere Begierden, Ängste, beflügeln die Fantasie und unsere Träume – und formen damit die Zukunft unserer Kinder.“
Die Gleichsetzung des Modells
mit der Wirklichkeit geht immer
fehl, die Theorie ist nie das Leben
Als ein neuer Kontinent namens „America“ am linken Rand des Globus auftauchte: die Waldseemüller-Karte von 1507.
Foto: Library of Congress
Rasmus Grønfeldt
Winther: When Maps Become the World.
The University of Chicago Press. Chicago, London 2020. 318 Seiten,
100,49 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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