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Eines der bedeutendsten Zeugnisse des Holocaust ist Primo Levis "Ist das ein Mensch?", in dem er von seinem Jahr in Auschwitz erzählt. Gerade weil Levi in seiner Autobiographie die Welt des Vernichtungslagers mit dem kühlen Blick des Naturwissenschaftlers sieht, tritt der alltägliche Horror umso deutlicher hervor. Zusammen mit der Fortsetzung "Die Atempause", dem Bericht über Levis abenteuerliche Rückkehr nach Italien, liegt das Werk nun nach fünfzig Jahren als Neuausgabe mit einem ausführlichen Kommentar zu Entstehungsgeschichte und Rezeption vor.

Produktbeschreibung
Eines der bedeutendsten Zeugnisse des Holocaust ist Primo Levis "Ist das ein Mensch?", in dem er von seinem Jahr in Auschwitz erzählt. Gerade weil Levi in seiner Autobiographie die Welt des Vernichtungslagers mit dem kühlen Blick des Naturwissenschaftlers sieht, tritt der alltägliche Horror umso deutlicher hervor. Zusammen mit der Fortsetzung "Die Atempause", dem Bericht über Levis abenteuerliche Rückkehr nach Italien, liegt das Werk nun nach fünfzig Jahren als Neuausgabe mit einem ausführlichen Kommentar zu Entstehungsgeschichte und Rezeption vor.
Autorenporträt
Primo Levi, 1919 in Turin geboren, dort Studium der Chemie. Ende 1943 als Mitglied der Resistenza verhaftet, im Januar 1944 ins Lager Fossoli bei Modena geschafft und im Februar nach Auschwitz deportiert. Nach seiner Rückkehr nach Italien arbeitete er bis 1977 in der chemischen Industrie. Seine beiden autobiographischen Bücher, seine Romane und Erzählungen wurden mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet, seine Werke in alle Weltsprachen übersetzt. 1987 nahm sich Levi in Turin das Leben. Bei Hanser erschienen Wann, wenn nicht jetzt? (Roman, 1986), Ist das ein Mensch? - Die Atempause (1988), Der Freund des Menschen (Erzählungen, 1989), Die Untergegangenen und die Geretteten (1990), Der Ringschlüssel (Roman, 1992), Das Maß der Schönheit (Erzählungen, 1997), Zu ungewisser Stunde (Gedichte, 1998), Gespräche und Interviews (1999), Anderer Leute Berufe (Glossen und Miniaturen, 2004) und So war Auschwitz (Zeugnisse 1945-1986. Mit Leonardo De Benedetti, 2017).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.12.2011

Lehrer der Menschlichkeit
Primo Levis bedeutende Romane „Ist das ein Mensch?“ und „Die Atempause“ sind, in einem schönen Band vereint, neu herausgebracht worden:
Die Größe des Autors zeigt sich daran, dass auch sein Buch über das KZ alle angeht. Levi war ein philosophischer Denker – und komisch
Weihnachten ist das Fest der Liebe oder sollte es zumindest sein. Es gab eine Zeit, sie liegt lange zurück, in der das deutsche Christfest für viele ganz besondere Schrecken mit sich brachte: Weihnachten 1938 beging die SS im KZ Dachau, indem sie auf dem Appellplatz einen Weihnachtsbaum aufstellen ließ und daneben zwanzig Häftlinge auspeitschte. Im KZ Flossenbürg machte die SS sich ein paar Jahre später das Vergnügen, an Weihnachten unweit des Weihnachtsbaums sechs Russen hinzurichten. Alle Häftlinge mussten zuschauen, in Anbetracht des Festtages war es ihnen verboten, traurig dreinzublicken. In Auschwitz stand der Weihnachtsbaum auf dem Appellplatz. Darunter wurden nicht Geschenke, sondern die Leichen der Menschen aufgestapelt, die in den vergangenen Tagen gestorben waren.
Die Episoden belegen, warum viele Häftlinge der KZs nicht anders konnten, als die deutschen Wachleute für entmenschte Sadisten zu halten. Einer von ihnen war der Jude Primo Levi. Im Februar 1944 war er nach Auschwitz deportiert worden. Kaum im Lager angekommen, nahm er sich vor, eines Tages aufzuschreiben, was ihm dort widerfuhr – falls er überleben sollte.
„Ist das ein Mensch“ hat er 1946 zu Papier gebracht, ganz schnell, mühelos. Über Auschwitz zu schreiben, war für ihn keine Frage von Kunst und Stil. Vielmehr wollte er in einem imaginären Gerichtsprozess eine Aussage machen. Anders verhielt es sich mit „Die Atempause“. Diese pikareske Geschichte, bei der es ihm auf künstlerische Artistik durchaus ankam, verfasste er 1963, sie handelt von der wochenlangen Irrfahrt des befreiten Häftlings durch die Sowjetunion: Levi und Hunderte italienische Leidensgefährten sehnten sich nach ihrem Zuhause. Aber die desorganisierten sowjetischen Zuständigen führten sie kreuz und quer durch die Gegend. „Die Atempause“ ist grotesk und komisch.
Beide Bücher hat der Hanser Verlag jetzt, samt einem Kommentar und späteren Anmerkungen Levis, in einer sehr schönen Ausgabe neu herausgebracht. Der studierte Chemiker Primo Levi war ein grandioser Autor. Aus den guten alten Übersetzungen ins Deutsche hat die Lektorin Anna Leube erstklassige Übersetzungen gemacht. Levis große Kunst besteht auch darin, dass er nicht Furcht und Schrecken verbreitet, sondern Menschlichkeit lehrt.
Während er 1946 „Ist das ein Mensch?“ schrieb, fühlte Primo Levi sich ganz wohl. Als das Manuskript fertig war, trat ein, womit der junge Mann nicht gerechnet hatte: Italien interessierte sich nicht für seinen Text, war mit anderen Dingen beschäftigt. Der kleine italienische Verlag, der das Buch herausbrachte, verkaufte bis 1951 ganze 1400 Exemplare. Primo Levi war gekränkt, überstand die Anfechtung aber. Er war jung. Die Jugend kennt die Verzweiflung in den verschiedensten Schattierungen; zur kalten, abgestandenen Hoffnungslosigkeit, die sich selbst langweilig wird, ist sie indes konstitutionell unfähig.
Primo Levis elan vital rettete ihn. Im Rückblick auf die ersten Monate nach seiner Heimkehr sagte er: „Ich sprach mit allen, im Zug, in der Straßenbahn, sowie es mir gelang, die Aufmerksamkeit von jemandem zu erlangen.“ Das tat ihm gut.
Er hatte es in dieser Hinsicht besser als Imre Kertész. Im „Roman eines Schicksallosen“ beschreibt Kertész, wie er 1945 in Budapest, auch in einer Straßenbahn, einem Journalisten begegnet. Der Mann sieht dem Knaben an, dass er aus einem deutschen KZ kommen müsse; er gibt sich Mühe, sucht nach den richtigen Worten. Gräuel müsse Kertész wohl erlebt haben. Ob er nicht über seine Erlebnisse berichten wolle. Viel zu sagen gebe es da nicht, entgegnet Kertész’ Alter Ego in dem Roman, worüber er denn berichten solle. Na, über die Hölle, antwortet der Mann. Kertész kann mit diesem Wort nichts anfangen. Das KZ, sagt er, das kenne er ein wenig, die Hölle aber nicht.
Auch bei Levi ist die Hölle bedeutungslos. Nur einmal kommt sie vor: Einem Kameraden will Levi einige Zeilen aus Dantes „Inferno“ aufsagen. Diese Verse richtig rezitieren zu können, ist ihm in dem Moment wichtiger als die wässrige Lagersuppe am Abend, nach der er sich sehnt von dem Moment an, da er sie gegessen hat. Davon hängt für Levi ab, ob er vor sich selbst noch Würde hat. Mit einem Körnchen Salz gesagt, liegt in Dantes Hölle in diesem Moment die Erlösung.
Primo Levi hat oftmals gesagt, „Ist das ein Mensch?“ ohne Rücksicht auf „Stil“ geschrieben zu haben. Der Leser merkt das freilich nicht. Ein Beispiel: Levis Freund Alberto hat sich eine Geschäftsidee ausgedacht. Die basiert darauf, dass alle Blockältesten in Auschwitz auf Reinlichkeit große Stücke hielten; sie wollten die Verbreitung ansteckender Krankheiten unterbinden. Weil das Wasser eiskalt und viele Männer zu Tode geschwächt waren, wuschen manche sich nicht. Um diese Säumigkeit zu unterbinden, bekamen alle, die nass aus den Waschräumen auftauchten, ein Zettelchen in die Hand gedrückt. Wer bei der Rückkehr in seinen Block kein solches Zettelchen vorweisen konnte, wurde geprügelt.
Alberto schlägt aus dieser Usance Kapital, die für ihn relevante Währung: Brot. Aus der Fabrik, wo er arbeitet, entwendet Alberto blitzende, verschiedenfarbige Metallplättchen und bastelt daraus Marken, die schöner und haltbarer sind als die verkrumpelten Zettelchen. Diese Marken finden bei den Blockältesten reißenden Absatz: „Alberto kennt die Deutschen, und alle Blockältesten sind Deutsche oder durch die deutsche Schule gegangen: Sie lieben Ordnung, System, Bürokratie; und wenn sie auch schlagfreudige und jähzornige Rüpel sind, haben sie doch eine kindliche Freude an allen glitzernden und bunten Dingen.“ Unwahrscheinlich ist es, dass Levi diese Zeilen geschrieben haben sollte, ohne ihren Unterhaltungswert zu bemerken.
Primo Levi hat sein schriftstellerisches Talent im Hinblick auf „Ist das ein Mensch?“ unter den Scheffel gestellt, weil es ihm auf etwas anderes ankam. Er wollte sein Teil beitragen zu dem großen Weltgericht, das die Deutschen ereilen sollte, die das KZ-System toleriert, möglich gemacht und durchgeführt hatten.
Der Deutsche per se war für Primo Levi ein Dr. Pannwitz, der Mann, der ihn einer Prüfung in Chemie unterzog. Die Frage war für Pannwitz, ob Levi zur kriegswichtigen Herstellung von künstlichem Gummi etwas beitragen könne. Für Levi war die Frage, ob er die Prüfung bestehe und danach nicht mehr schwere Rohre oder Holzlatten schleppen müsse. Der Häftling Nr. 174 517 wird also vorgeladen. Levi berichtet: „Was wir alle über die Deutschen dachten und sagten, war in dem Augenblick unmittelbar zu spüren. Der jene blauen Augen und gepflegten Hände beherrschende Verstand sprach: ,Dieses Dingsda vor mir gehört einer Spezies an, die auszurotten selbstverständlich zweckmäßig ist. In diesem besonderen Fall gilt es festzustellen, ob nicht ein verwertbarer Faktor in ihm vorhanden ist.‘ Und in meinem Kopf gleich Kernen in einem hohlen Kürbis: ,Die blauen Augen und blonden Haare sind von Grund auf böse. Jede Verständigung ist ausgeschlossen.’ “
Levis Größe besteht darin, dass er nicht nur Rachsucht hegte. „Ich glaube an Vernunft und Diskussion als oberste Instrumente des Fortschritts“, schrieb er, „und darum steht bei mir die Gerechtigkeit vor dem Hass.“ Ihn trieb um, dass er einfach nicht verstand: Wer waren die Deutschen? Wie konnte ein zivilisiertes Volk seine bürokratische Organisationsfähigkeit und seine technischen Kenntnisse dafür aufwenden, unschuldige Menschen zu Hunderttausenden industriell zu vernichten?
Solange Levi zornig war, suchte er nach einer Antwort auf diese Frage. Solange er eine Antwort auf diese Frage suchte, fühlte er sich lebendig. Unter normalen, zivilen Umständen sind zwei Dinge der Gesundheit besonders zuträglich: Verliebtheit und das, was Bertolt Brecht den „langen Zorn“ nannte. Mit so einem langen Zorn ist Primo Levi jahrzehntelang der Frage nachgegangen, wer die Deutschen sind.
In Wahrheit war „Ist das ein Mensch?“ von Anfang an für deutsche Leser bestimmt. Bei denen kam die Übersetzung 1961 an. Levi wartete auf Leserbriefe aus Deutschland. Die Leserbriefe kamen. Viele enthielten das übliche Blabla: Hitler habe alle verführt, man habe ja von den Lagern nichts gewusst. Andere Schreiber gaben sich zerknirschter, als Levi ertragen konnte. Eine Dame schickte ihm ein paar goldene Manschettenknöpfe. Das war ihm unangenehm. Er wollte kein Ablassgeld, er wollte verstehen.
Erst die Kinder und Kindeskinder der NS-Generation hatten die geistige Freiheit, sich historisch verantwortlich zu fühlen. Aber mit den einfältigen Briefen von deutschen Jugendlichen konnte Levi wenig anfangen. Sie waren nicht anders als die Leserbriefe von jungen Italienern, die er erhielt. Als er mit seinen Büchern Erfolg hatte, half dieser Erfolg ihm nicht mehr. Er fühlte sich längst schon einsam.
Primo Levi hat darauf gepocht, dass er rational sei. Er hoffte auf Vernunft und Einsicht. Mit Verwunderung hat er an sich selbst einen gewissen Hang zur Irrationalität beobachtet. Als er alt war, keinen Sinn in der Kommunikation mehr sah, als alles gesagt war, gewann – möglicherweise – diese Seite seines Wesens die Oberhand. So mag es sich erklären, dass er sich eines Tages im Jahr 1987 beim Blick in das ihm vertraute Treppenhaus seiner Wohnung in Turin kurzerhand über das Geländer in die Tiefe stürzte.
Volkhard Knigge, der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, hat viele Männer gut kennengelernt, die dort inhaftiert waren. Bei den Gesprächen mit ihnen hat er gelernt: Die meisten, die ein Konzentrationslager überlebt haben, wollten fortan Herren ihres Schicksals sein, stärker als der Tod, dem sie im KZ entronnen sind. Sie wollen entweder ewig leben, oder sie wollen dem Tod zuvorkommen.
FRANZISKA AUGSTEIN
PRIMO LEVI: Ist das ein Mensch?, Die Atempause. Aus dem Italienischen von Heinz Riedt, Barbara und Robert Picht. Mit einem Kommentar von Marco Belpoliti. Hanser Verlag, München 2011. 615 Seiten, 27, 90 Euro.
Als „Ist das ein Mensch?“ in
Italien erschien, wollte das Land
davon nichts wissen.
Die Deutschen „lieben Ordnung,
System, Bürokratie“ sowie
„glitzernde und bunte Dinge“.
„Ich glaube an Vernunft und
Diskussion als oberste
Instrumente des Fortschritts.“
Hätte man um das Jahr null herum allgemein ähnlich gedacht, wie viele Feinde von Fremden es heutzutage tun, wäre die Szenerie in der Scheune kurz nach Jesu Geburt einigermaßen menschenleer gewesen: so, wie auf diesem Bild. Der italienische Jude Primo Levi hat beschrieben, wozu Menschen im Bösen, aber auch im Guten fähig sind. Alf Christophersen assistiert ihm mit „Schlüsselerlebnissen christlicher Denker“. (aug) Zeichnung: Haderer
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Viel Neues hat Rezensentin Franziska Augstein über diese beiden berühmten Bücher Levis nicht zu sagen. Hanser hat sie in einem schönen und teuren Band neu herausgebracht. Die Übersetzungen wurden durchgesehen und verbessert - und Augstein nennt sie "erstklassig". Außerdem kommen ein paar Anmerkungen Levis hinzu. Augstein nutzt die neuerliche Lektüre, um noch ein paar ihrer Gedanken zu den Büchern anzuknüpfen. Für sie richtet sich vor allem "Ist das ein Mensch?" in erster Linie an die Deutschen, deren Entmenschlichung Levi habe verstehen wollen. Zuerst kamen keine Reaktionen auf das Buch (auch aus Italien übrigens nicht), und die Reaktionen, die kamen, als Levis bekannter wurde, konnten ihn nicht befriedigen. So könnte sein späterer Selbstmord, vermutet Augstein, auch in dem Scheitern von Levis ursprünglich durchaus optimistischem Vorhaben begründet sein.

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"Primo Levis bedeutende Romane 'Ist das ein Mensch?' und 'Die Atempause' sind, in einem schönen Band vereint, neu herausgebracht worden: Die Größe des Autors zeigt sich daran, dass auch sein Buch über das KZ alle angeht. Levi war ein philosophischer Denker - und komisch." Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung, 24./25./26.12.11