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"Ein Wunder ist jeder Fund, mit dem Bolano aufs Neue berückt." (Süddeutsche Zeitung) - Drei einzigartige Erzählungen aus dem Nachlass von Roberto Bolano, dem Autor von "2666"
"'Du hast gekündigt, aber was willst du stattdessen machen?', fragte mein Vater. 'Die Revolution', sagte ich. 'Welche Revolution denn?'" 1973 macht sich der 20-jährige Arturo Belano auf den Weg von Mexiko nach Chile mit nur einem Ziel: die linke Revolution Allendes zu unterstützen. Ob Bolaño von Arturos Schiffsreise nach Valparaiso erzählt, ob von der idyllisch-finsteren Fahrt zweier Liebender in einem VW-Käfer durch…mehr

Produktbeschreibung
"Ein Wunder ist jeder Fund, mit dem Bolano aufs Neue berückt." (Süddeutsche Zeitung) - Drei einzigartige Erzählungen aus dem Nachlass von Roberto Bolano, dem Autor von "2666"

"'Du hast gekündigt, aber was willst du stattdessen machen?', fragte mein Vater. 'Die Revolution', sagte ich. 'Welche Revolution denn?'" 1973 macht sich der 20-jährige Arturo Belano auf den Weg von Mexiko nach Chile mit nur einem Ziel: die linke Revolution Allendes zu unterstützen. Ob Bolaño von Arturos Schiffsreise nach Valparaiso erzählt, ob von der idyllisch-finsteren Fahrt zweier Liebender in einem VW-Käfer durch den Süden Chiles oder von einer Sonnenfinsternis in Guyana, die zum geheimnisvollen Vorboten einer surrealistischen Untergrundliga wird: Diese drei Erzählungen sind kleine Meisterwerke zwischen Albtraum und Euphorie, voll Abgründen und Witz - die letzte große Entdeckung aus Bolaños Werk.
Autorenporträt
Roberto Bolaño, 1953 in Chile geboren und nach dem Militärputsch von 1973 inhaftiert, ging ins Exil nach Mexiko und 1976 nach Spanien. 2003 starb er in Barcelona. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise, darunter den National Book Critics Circle Award für die amerikanische Ausgabe seines Romans 2666. Bei Hanser erschienen zuletzt die Romane 2666 (2009), Lumpenroman (2010), Das Dritte Reich (2011) und Die Nöte des wahren Polizisten (2013) sowie der Erzählungsband Mörderische Huren (2014) und der Gedichtband Die romantischen Hunde (2017).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.08.2020

Gefühltes und Gefürchtetes
Die neuen Erzählungen von Roberto Bolaño stellen sein Werk nicht auf den Kopf.
Aber sie sind, wie all seine Texte, große Liebeserklärungen an die Literatur
VON NICOLAS FREUND
Zuletzt war die Stimmung etwas gekippt. Roberto Bolaño, der mit seinen Romanen „2666“ und „Die wilden Detektive“ posthum zum wichtigsten lateinamerikanischen Schriftsteller seit Gabriel García Márquez avanciert und von manchen gar zur „Portalfigur“ der Literatur des 21. Jahrhunderts ernannt worden war, galt plötzlich als Labertasche. Beim Wiederlesen seiner großen Romane stellten manche enttäuscht fest, diese endlosen Geschichten über arme Poeten, brutale Mörder und verschollene Schriftsteller, seien gar nicht so magisch, wie man sie in Erinnerung hatte. Plötzlich gab es Diskussionen über die Frage, welche Texte Bolaños veröffentlichungswürdig seien und welche nicht. Was war passiert?
Magisch wollte Bolaño nun gerade nie sein, und möglicherweise haben dieser Stimmungswechsel und die Eindämmungsversuche der Literaturwissenschaften etwas damit zu tun, dass seit Jahren auf fast magische Art und Weise immer neue Texte aus dem Arbeitszimmer des schon 2003 verstorbenen Autors auftauchen, die sich meist als verworfene Jugendromane oder Skizzen zu seinen Hauptwerken herausstellten, was sie aber nicht weniger interessant machte. Denn das, was oft als Plaudern bezeichnet wird, ist tatsächlich die Essenz der Poetik Bolaños.
Bolaño war Dichter und begann erst spät, ein wenig in den Achtzigern und ernsthaft in den Neunzigern, Prosa zu schreiben. Mit dem Wechsel zur Prosa legte er auch den Anspruch ab, jedes Wort wie ein Mosaiksteinchen an seinen bestimmten Platz zu setzen. Man kann davon ausgehen, dass Bolaño wie seine Figuren stundenlang in Cafés über einzelne Verse diskutieren konnte und das auch tat. Prosa, also Romane und Kurzgeschichten, zu schreiben, war für Bolaño auch mit einem anderen Modus des Schreibens verbunden. Er verbrachte die letzten Jahre seines Lebens – als er schon wusste, dass seine wegen einer unbehandelten Hepatitiserkrankung in seiner Jugend geschädigte Leber ihm wahrscheinlich einen frühen Tod bescheren würde – mit stundenlangen Schreibsitzungen, hörte nebenher Musik, sah fern und trank Kamillentee. Es ging um das Schreiben als Experiment, als Abenteuer, als intellektuelle Expedition, die manchmal gelang, manchmal nicht, was aber nichts aussagte über das, was dann da geschrieben stand, das eine Art Protokoll des Denkens war, ein geronnener Schreibprozess zum Nachlesen. Lesen als Abenteuer, heißt es über Bolaño immer, und man muss hinzufügen: Das gilt auch für sein Schreiben.
Der neueste Band aus Bolaños Nachlass mit drei Kurzgeschichten ist nun wieder bei Hanser herausgekommen, und vermutlich handelt es sich um mit die letzten noch unveröffentlichten Texte aus dem Nachlass. Vor allem die erste Geschichte liefert den Kritikern der Herausgeber Bolaños neue Munition, variiert sie doch wie auch „Der Geist der Science-Fiction“ und manche andere Erzählung Themen aus „Die wilden Detektive“. Arturo Belano, das Alter Ego Bolaños und mutmaßlich der Erzähler von „2666“, reist mit seiner Familie aus Chile nach Mexiko. In vier Teilen, von denen eine die Prosaversion des Gedichts „Der Wurm“ ist, versucht dieser Belano zwischen allerlei denkwürdigen Begegnungen so etwas wie Sinn aus seiner Familiengeschichte und seinem unsteten Platz in der Welt zu generieren. Im Hintergrund ist deutlicher als sonst noch der Militärputsch in Chile als apokalyptisches Ereignis präsent, das den jungen Belano / Bolaño in die Welt hinaus katapultierte. Vieles ist hier sicher autobiografisch, vieles ist aber auch sicher erfunden.
Die Vermischung von Fiktion und biografischen Fakten ist eines der zentralen Verfahren Bolaños. Alles wird Literatur, alles wird Kunst, alles wird zu Träumen, die in seinen Werken immer wieder wie rätselhafte Kontrapunkte das Geschehen begleiten. Die zweite Geschichte, „Vaterland“, besteht aus kurzen Skizzen, vor allem aus dem Chile der Militärdiktatur, wo Bolaño in seiner Jugend auch kurz in Folterhaft gewesen sein soll. Das Flugzeugmotiv der Ausreise wird hier wieder aufgegriffen mit einer deutschen Messerschmitt-Maschine, die bei Bolaño auch an anderer Stelle schon vorkam und die hier wie ein bedrohlicher Vorbote des Faschismus, eines weiteren zentralen Themas Bolaños, über dem Gefängnis kreist.
Der letzte Teil ist völlig neu, „Komödie vom Schrecken in Frankreich“ erzählt nach dem Erlebnis einer Sonnenfinsternis von der Begegnung eines 17-jährigen Dichters mit einem Vertreter einer surrealistischen Untergrundkünstlergruppe, die den Jugendlichen über eine Telefonzelle kontaktiert, an der er zufällig vorbeikommt.
Der Surrealismus ist natürlich eng dem Infrarealismus verwandt, der subversiven und radikalen Literaturströmung, die der junge Bolaño ins Leben gerufen hatte. Ein beliebtes Verfahren der Surrealisten war die Écriture automatique, bei dem durch eine Zurücknahme des schreibenden Ichs das Unbewusste angezapft werden und sich bisher Verborgenes offenbaren sollte. Auch die Surrealisten wollten alles zur Kunst machen und in der Erzählung, die mit der Sonnenfinsternis beginnt und mit ihrem Zoll endet, nämlich einer Erblindung, lässt sich als ironische und zugleich bewundernde Auseinandersetzung Bolaños mit dieser für ihn so wichtigen Strömung lesen. Diese „schwarze Sonne“ ist auch als Chiffre auf den Faschismus lesbar, deren Schatten Bolaño in vielen Formen und Varianten aufziehen sah.
Die Geschichte soll 2002 und 2003 entstanden sein, also kurz vor Bolaños Tod, aber auch in den anderen beiden Geschichten zitiert er noch einmal alle seine großen Themen, auch die Science-Fiction, die Gewalt gegen Schutzlose und sogar kurz das eigene Leiden und Sterben, in Form des Wartens auf eine Organtransplantation, die nie kommen wird. Diese drei Erzählungen sind für Bolaño-Fans wieder eine kleine Neuwendung des Werkes, voller Details und Ergänzungen. Für Neuleser sind sie ein etwas rätselhafter, aber mit Sicherheit faszinierender Überblick über die wichtigsten Verfahren und Themen Bolaños, der am Ende eine große Traurigkeit hinterlässt, weil mit jedem dieser neuen Bücher klar wird, wie früh dieser vor Einfällen, Ideen, Einsichten und Vermutungen überbordende Autor gestorben ist.
In einer der kurzen Skizzen der mittleren Geschichte wird der Anfang eines Gedichts von W. H. Auden zitiert, über die alten Meister, die, wenn es um Leiden ging, nie falsch lagen und die wussten, dass es stattfindet, während woanders das Leben weitergeht, als wäre nichts. Das Zitat stammt aus dem Gedicht „Museé des Beaux Arts“, das mit einer Beschreibung des Pieter Bruegel dem Älteren zugeschriebenen Gemäldes „Landschaft mit dem Sturz des Ikarus“ endet: Schiffe fahren, ein Bauer pflügt sein Feld, ein Hirte schaut zum Himmel und im Meer versinkt der eben gestürzte Ikarus, nur noch ein Bein schaut strampelnd aus dem Wasser.
Vielleicht begriff Bolaño seine Rolle ähnlich: Als einer, der die Katastrophe, das Unglück, die Gewalt darstellt, wo andere wegschauen, und der von der Katastrophe schon erzählt, wenn sie gerade erst anhebt und ihre wahren Ausmaße gerade erst andeutet. Bolaño schrieb die Gewalt, die physische und die politische, anhand seiner eigenen Biografie in die Geschichte ein. In der Fassade des Alltags erblickte er das Grauen und verwandelte das Leben deshalb in Literatur, um wenigstens anzudeuten, was andernfalls ungesehen, ungehört, ungelesen bliebe.
Bolaños Texte sind Sonden in ein politisches und gesellschaftliches Unbewusstes, die keine Fakten, sondern Gefühltes, Gefürchtetes und Rätselhaftes zutage fördern. Sie sind immer große Liebeserklärungen an die Literatur und dieser Band ist keine Ausnahme.
Roberto Bolaño: Cowboygräber. Drei Erzählungen. Aus dem Spanischen von Christian Hansen und Luis Ruby. Mit einem Nachwort von Heinrich von Berenberg. Hanser, München 2020. 192 Seiten, 22 Euro.
Bolaño zu lesen, ist ohnehin
ein Abenteuer. Aber sein
Schreiben war auch eines
Der Prophet der Katastrophe:
Bolaño erzählte von Gewalt,
wo andere wegschauten
Santiago de Chile, 11. September 1973: Ein Panzer auf dem Weg zum Präsidentenpalast von Salvador Allende. Der Putsch läutete die Militärdiktatur des Pinochet-Regimes ein, vor der Roberto Bolaño ins Exil flüchtete.
Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Andreas Breitenstein ahnt schon, dass eine erschöpfende Ergründung des Werkes von Roberto Bolano niemals stattfinden wird. Dass aus dem Nachlass des Autors immer neue Texte ans Licht kommen, beglückt Breitenstein jedenfalls. So auch diese frühen Erzählungen, einige von ihnen Fragmente, die Breitenstein staunen machen, wie vollendet das Schreiben des jungen Bolano bereits ist. Die von Christian Hansen und Luis Ruby "formidabel" übertragenen Texte bieten dem Rezensenten unter anderem die für Bolano typische Selbstmythologisierung und Vermischung, Dichtung, Wahrheit und Komik, etwa, wenn der Autor von der Berührung seines jungen Helden mit einer Dichterbruderschaft in Französisch-Guayana oder der absurden Schiffspassage eines Revolutionärs berichtet. Rätselhaftes, die Allgegenwart untergründiger Gewalt und der Triumph der Poesie sind bereits in diesen Texten allgegenwärtig, freut sich Breitenstein.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2020

Gelächter wird im Ansatz erstickt
Das Werk eines Weltautors rundet sich immer weiter: "Cowboygräber" versammelt drei nachgelassene Erzählungen von Roberto Bolaño

Seinen literarischen Ruhm in Deutschland verdankt Roberto Bolaño zwei dicken Romanen: "Die wilden Detektive" und "2666". Kaum war der erste 2002 auf Deutsch erschienen, war Bolaño tot, gestorben im Jahr darauf mit gerade einmal fünfzig. "2666" erschien dann postum, nicht nur hierzulande, sondern weltweit, denn mit diesem Roman wollte der im spanischen Exil lebende Chilene die Versorgung seiner Hinterbliebenen sicherstellen. Das war einerseits fürsorglich, erwies sich andererseits jedoch als überflüssig: Nach seinem Tod setzte ein regelrechter Bolaño-Hype ein, und die Erben des Schriftstellers erwiesen sich als äußerst geschäftstüchtig. In seinem Nachlass fanden sich zahlreiche unveröffentlichte Texte in Form von Manuskripten, Typoskripten oder Computerdateien. Und da die internationalen Rechte am Werk von Bolaño mittlerweile von der Agentur Wylie vertreten werden, wird dafür gesorgt, dass die Lizenznehmer keine Publikation auslassen.

Die jüngste deutsche ist nun eine im spanischen Original vor drei Jahren erschienene Geschichtensammlung, die nie als solche gedacht war. Nicht einmal, ob die drei darin enthaltenen Erzählungen abgeschlossen sind, kann man sicher sagen, aber das dürfte treue Leser von Bolaño kaum stören, denn dessen Bücher können insofern der literarischen Postmoderne zugerechnet werden, als sie ein Spiel mit Stilen und Traditionen treiben, das sich selbst genügt. Das wiederum heißt nicht, dass es keine Handlung gäbe - ganz im Gegenteil: Wir haben es mit überbordendem Geschichtenreichtum zu tun, gerade weil sie so fragmentiert sind. Der Zitatcharakter von Bolaños Schreiben ist evident, und für einen Literaturliebhaber kann es kaum reizvollere Lektüren geben: Es gibt ständig etwas zu entschlüsseln. Aber abgeschlossen in dem Sinne, dass das jeweilige Geschehen einer klassischen Klimax zugeführt würde, wird nur eines seiner Bücher: der Roman "Chilenisches Nachtstück". Viele betrachten ihn trotz seiner Kürze - ein Viertel des Umfangs von "Wilde Detektive", ein Achtel desjenigen von "2666" - als Bolaños Opus magnum, gerade weil er sich da einmal an eine traditionelle Form gewagt hatte. Gewiss zum Spaß, auch wenn dieses Nocturne genregemäß das Schwärzeste ist, was Bolaño verfasst hat.

Der Roman führte denn auch in die dunkelste Zeit seiner chilenischen Heimat, die Pinochet-Diktatur, die den Schriftsteller selbst als Zwanzigjährigen außer Landes getrieben hatte, kurz nach dem Putsch vom 11. September 1973 gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Dieses Datum war für Bolaño der Wendepunkt seines ganzen Leben, wichtiger noch als die 1977 erfolgte Übersiedelung vom ersten Exilort Mexiko-City (wo er auch schon als Jugendlicher lange gewohnt hatte) in die spanische Küstenstadt Blanes, wo er dann die zweite Hälfte seines Lebens verbrachte und alles schrieb, was wir von ihm kennen.

Aber Chile blieb der Stachel in seinem Leben, und der 11. September 1973 ist die Unwucht im neuen Buch, der Faktor, der alles ins Ungleichgewicht bringt. Es wäre ein Leichtes gewesen, das im Titel des Bandes zum Ausdruck zu bringen, doch international sind den Verlagen die Übernahme der von den Nachlassverwaltern gewählten Bezeichnungen vorgegeben, und so heißt das Buch nach der ersten Geschichte "Cowboygräber". Das ist allerdings eine Übersetzung, die einen kulturellen Topos bemüht, der von Bolaño gar nicht gemeint war, wenn er selbst "Sepulcros de vaqueros" titelte - Viehtreibergräber. Dass die erst für nächstes Jahr angekündigte englische Übersetzung "Cowboy Graves" heißen wird, mag ja angehen; im Deutschen jedoch bringt die Bezeichnung ohne Not, nur eines plakativen Titels wegen, einen weiteren Mythos mit in ein Spiel, das bei Bolaño ohnehin schon aus lauter Mythen besteht.

Der wichtigste ist diesmal ein Privatmythos: ebenjener vom Putsch 1973. "Vaterland", die beste Erzählung des Buchs, nimmt ihren Ausgang am Abend dieses Tages, während ein junger Dichter als Ich-Erzähler gerade im Freundeskreis Verse rezitiert, als die Nachricht vom Sturz Allendes eintrifft. Aus dem Chaos der panikartig davonstürzenden Gesellschaft rettet ihn eine junge Frau, mit der er die Stadt verlässt, und in jeweils nur wenige Seiten langen Einzelepisoden, die unterschiedlichste Perspektiven und Textformen bieten, wird das weitere Leben des Dichters ebenso rekonstruiert wie der Unfalltod der jungen Frau. Wollte man multilingual kalauern, wie Bolaño es bisweilen liebte, würde man das eine brief novel nennen - um das Changieren zwischen Kurz- und Briefroman anklingen zu lassen. Sechzig Seiten ist er nur lang und das früheste unter den drei Prosastücken. "Vaterland" hätte wohl unbegrenzt fortgeschrieben werden können, doch dann machte sich Bolaño lieber an "Wilde Detektive".

Die Erzählung "Cowboygräber", wohl parallel zu "Wilde Detektive" entstanden, endet mit einem Militärputsch, allerdings in Mexiko-City, und das Geschehen bricht mit einer absurden Situation ab, als zwei Möchtegern-Revolutionäre einander sinnlos Parolen abverlangen, weil sie Widerstand gegen die Putschisten simulieren. Es ist eine grimmige Szene von zynischer Komik, wie sie bei Bolaño selten zu finden ist. Jedes Pathos ist verschwunden aus der Widerstandshaltung, und der Spott über deren Propagandisten wird schließlich in der Abschlusserzählung auf die Spitze getrieben. Sie heißt "Komödie vom Schrecken von Frankreich", ein Wortspiel mit dem literarischen Genrebegriff der Horrorkomödie, die hier indes zur Groteske wird, als der Ich-Erzähler, wieder ein junger Dichter, von einer "Surrealistischen Untergrundliga" angerufen wird, die ihn für ihre Aktivitäten gewinnen will, aber auch nicht mehr zu bieten hat als konspirative Treffen mit Parolenaustausch.

Was hier erstmals - und spät in seiner Schreibbiographie, denn der Text scheint erst kurz vor Bolaños Tod abgefasst worden zu sein - aufscheint, ist ein unsentimentales Geschichtsbild, das umzukippen droht in Gelächter. Es wäre, so viel ist gewiss bei diesem literaturbesessenen Literaten, ein homerisches geworden. Dass es nie erklungen ist, macht den frühen Tod Bolaños noch schmerzhafter. Das neue Buch ist kein Trost, sondern reißt die Wunde wieder auf.

ANDREAS PLATTHAUS.

Roberto Bolaño: "Cowboygräber". Drei Erzählungen.

Aus dem Spanischen von Christian Hansen und Luis Ruby. Hanser Verlag, München 2020. 191 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Wie so oft bei Bolaño verschmelzen Schönheit und Schrecken, Erleuchtung und Irrsinn, Ekstase und Gewalt." Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung, 16.01.21

"Wir haben es mit überbordendem Geschichtenreichtum zu tun. ... Für einen Literaturliebhaber kann es kaum reizvollere Lektüren geben: Es gibt ständig etwas zu entschlüsseln." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.08.20

"Allen drei Erzählungen ist die für Bolaño typisch klare Sprache gemein, die wiederum stets einen leicht neben der Realität liegenden, wundersamen, oft rätselhaften Inhalt transportiert. ... Die Prosa eines großartigen Schriftstellers, die unbedingt veröffentlicht gehört." Gerrit Bartels, Tagesspiegel, 02.08.20