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Rudolf Zwirner (geb. 1933) schrieb Kunsthandelsgeschichte: In seiner Kölner Galerie zeigte der leidenschaftliche Kunsthändler seit Beginn der 1960er-Jahre in rund 300 Ausstellungen Werke von Ikonen wie Andy Warhol, Gerhard Richter, Georg Baselitz und Sigmar Polke. Mit seinem wichtigsten Sammler Peter Ludwig füllte er ein ganzes Museum. Kölns Status als Kunstmetropole ist nicht zuletzt Rudolf Zwirner als Mitbegründer der ersten Messe für zeitgenössische Kunst 1967 zu verdanken, die auf der ganzen Welt Maßstäbe setzte. In seiner Autobiografie berichtet Zwirner als einer der bedeutendsten…mehr

Produktbeschreibung
Rudolf Zwirner (geb. 1933) schrieb Kunsthandelsgeschichte: In seiner Kölner Galerie zeigte der leidenschaftliche Kunsthändler seit Beginn der 1960er-Jahre in rund 300 Ausstellungen Werke von Ikonen wie Andy Warhol, Gerhard Richter, Georg Baselitz und Sigmar Polke. Mit seinem wichtigsten Sammler Peter Ludwig füllte er ein ganzes Museum. Kölns Status als Kunstmetropole ist nicht zuletzt Rudolf Zwirner als Mitbegründer der ersten Messe für zeitgenössische Kunst 1967 zu verdanken, die auf der ganzen Welt Maßstäbe setzte. In seiner Autobiografie berichtet Zwirner als einer der bedeutendsten deutschen Galeristen pointiert von den entscheidenden Menschen, Begegnungen und Momenten des Kunstbetriebs.Since the early 1960s, Rudolf Zwirner presented works by icons such as Andy Warhol, Gerhard Richter, Georg Baselitz and Sigmar Polke in his gallery in Cologne. His most important collector was Peter Ludwig, with whom he filled an entire museum. Cologne's status as an art metropolis is not least due to Rudolf Zwirner as co-founder of the first fair for contemporary art in 1967. In his autobiography, Zwirner reports pointedly on the decisive people, encounters and moments in the art world.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2019

Wie Amerika nach Deutschland kam
Rudolf Zwirner, einer der Pioniere des deutschen Markts für Gegenwartskunst, hat seine Autobiographie geschrieben

Wenn man auf einer Berliner Ausstellungseröffnung Rudolf Zwirner begegnet, kann es passieren, dass er direkt auf einen zusteuert, um zu fragen, was man von der Kunst hält, die es zu sehen gibt. Und wenn man ausweichend antwortet, in Gedanken versunken oder nicht bei der Sache seiend, "ganz okay" murmelnd zum Beispiel, passiert daraufhin mit Sicherheit Folgendes: "G-a-n-z-o-k-a-y?!", ruft Rudolf Zwirner und reißt die Augen auf: "Wenn ich das schon höre!" Kunst, die "ganz okay" sei, würde nicht reichen, sie sei zu wenig und damit schlecht, das müsse gesagt werden, laut, deutlich, mit Leidenschaft. "Ihr müsst klarer sein, urteilen, sonst bringt das nichts, Mensch, Kinder!", beharrt Zwirner in solchen Augenblicken, noch immer rufend, den Raum in Beschlag nehmend, mit seiner Stimme und den langen Armen und Beinen, die bereits 1970 einem Reporter der "New York Times" auffielen. Dort hieß es über eine Auktion in den Parke-Bernet Galleries: "Ein Bieter zog mehr Aufmerksamkeit auf sich und weckte größere Neugier als irgendjemand sonst in der überfüllten Halle. Es ist Rudolf Zwirner, ein 37-jähriger blonder, blauäugiger deutscher Händler aus Köln, der erstaunliche zwei Meter misst."

Gestaunt wurde damals auch über die Preise: Für das Gemälde "Brushstroke" von Roy Lichtenstein habe Zwirner die "astronomische Summe von 75 000 Dollar" gezahlt, für eine Skulptur von Claes Oldenburg 45 000 - den "höchsten Preis für einen lebenden amerikanischen Bildhauer".

Der Rudolf Zwirner also, der bei seinem Auftritt in New York verstand, die New Yorker zu beeindrucken, hat nun seine Autobiographie vorgelegt, mit dem Titel "Ich wollte immer Gegenwart". Seine Erzählung beginnt 1933, dem Geburtsjahr, und reicht bis in die Jetztzeit. Aufgeschrieben hat sie Nicola Kuhn, die Kunstredakteurin des "Tagesspiegels", die zuletzt die dicht recherchierte Biographie des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt veröffentlichte, zusammen mit Meike Hoffmann.

Wie blickt man ein halbes Jahrhundert später auf eine Zeit zurück, die sich längst verpuppt hat, zum Mythos, zur Epoche, zur großen Kunstgeschichte mit Meistern und Meisterwerken? Kuhn und Zwirner tun es verblüffend wenig nostalgisch. Obwohl Zwirner selbst zur Legende aufgestiegen ist, neigt er nicht zur Romantik. Sein Buch handelt von Licht und Schatten des Betriebs, den er so gut kennt wie kaum ein anderer, seit er in den sechziger Jahren die Pop-Art nach Deutschland holte, ins Rheinland, mit Warhol, Lichtenstein, Oldenburg oder Rauschenberg, deren Werke er an Peter Ludwig verkaufte, den Sammler und Begründer des Kölner Museums Ludwig. Im Jahr 1967 rief Zwirner den Kölner Kunstmarkt ins Leben, die erste aller Kunstmessen weltweit, auf die bald viele folgen sollten, in anderen Städten, von Basel bis nach New York. Für die Dauer einiger Jahre wurde die Kunstwelt von Köln aus bewegt, mit Zwirner im Zentrum. Für möglich hätte das niemand gehalten, nicht davor und nicht danach.

Dieses deutsche Kunstmärchen erzählt Zwirner schnell, lebendig und mit vielen Anekdoten, ohne jedoch zu verklären, weder die eigene Rolle, noch die der anderen. Es sind die großen Zusammenhänge, die ihn beschäftigen und die das Buch spannend machen, von den ersten Seiten an. Wenn Zwirner etwa berichtet, wie er sein Jurastudium in Freiburg abbrach, weil ihn die erste Documenta in Kassel 1955 so beeindruckte, dass er beschloss, Kunsthändler zu werden, dann schönt er die fünfziger Jahre nicht, trotz der Begeisterung. Die Kunstwelt, die man als Leser mit ihm betritt, ist kein nagelneues Traumschiff, sondern ein Dampfer, in dessen Maschinenraum die alten Motoren weiterstampfen, die aus der Zeit vor 1945 stammen.

Seine erste Stelle nahm Zwirner in der Kölner Galerie "Der Spiegel" an, bei Hein und Eva Stünke, die "ihre Galerie nicht unter eigenem Namen firmieren ließen", wie es im Buch heißt, weil "ihre Vergangenheit im Dritten Reich keine Rolle" mehr spielen sollte. Stünke war stellvertretender Leiter des Kulturamts der Reichsjugendführung, nun unterhielt er eine der besten Avantgardegalerien in Deutschland, spezialisiert auf Druckgrafiken, von Matisse, Calder, Max Ernst, Rupprecht Geiger oder Ernst Wilhelm Nay. Nicht nur die Stünkes bevorzugten die Abstraktion. "Alles, was vor 1945 geschehen war, wurde ausgeblendet, das Nichtgegenständliche befreite von einer inhaltlichen Auseinandersetzung", kommentiert Zwirner.

Die Bekanntschaft mit Stünke führt zur verrücktesten Geschichte im Buch: Stünke ist es, der Zwirner 1959 an Arnold Bode empfiehlt, den Gründer und Leiter der Documenta in Kassel. Bode stellt ihn daraufhin an, als Generalsekretär der Documenta II, und bei Zwirner trudeln nun die Anmeldeformulare für die Gemälde ein, die von New York nach Hessen geschickt werden, aus dem Museum of Modern Art an die Documenta. Der Sechsundzwanzigjährige denkt sich nichts dabei, er überfliegt die Papiere und reicht sie weiter, an den DuMont-Verlag, der die Kataloge veröffentlicht.

"Ich hätte Alarm schlagen müssen", schreibt Zwirner im Rückblick. Überlesen hatte er sämtliche Maßangaben, die das Hängungskonzept von Bode aushebelten, seinen schönen Plan, in der Beletage des Fridericianums das französische Informel zu präsentieren. Allein Jackson Pollocks Bild "Number 32" maß 269 auf 457,5 Zentimeter und schob wie ein Bulldozer alle anderen Gemälde Richtung Tür. Die kleineren Franzosen zogen ins Dachgeschoss. Zwölf Pollocks füllten allein den Saal, in den ein begeisterter Theodor W. Adorno sofort seinen Abendvortrag verlegte, hinaus aus dem Kunstverein. "Als Nächstes begannen sich die Sammler von ihrer französischen Kunst zu trennen und wollten stattdessen Amerikaner erwerben", schreibt Zwirner. Ein Versehen mit Folgen, ein Teufel im Detail.

Der kometenhafte Aufstieg der Pop-Art in Deutschland lässt sich in keinem zweiten Buch so kompakt nachlesen wie hier: "Zeitgenössische amerikanische Kunst ist sehr angesagt in Deutschland", erklärte Zwirner 1970 dem überraschten Reporter der "New York Times", der zusah, wie Schlüsselwerke aus Amerika gekauft wurden, um sie nach Deutschland zu fliegen, nach Köln, zur Freude von rheinischen Sammlern und zum Ärger von Leo Castelli, dem New Yorker Galeristen. Schon im Jahr 1967, schreibt Zwirner, habe es allein vierzehn Ausstellungen der Pop-Art in deutschen Galerien gegeben. Zwirner selbst zeigte in seiner Kölner Galerie 1967 Warhols schwebende silberne Ballons, vor einer bunten Kuhtapete.

Der Wendepunkt kam für ihn, als im Jahr darauf ein korpulenter Herr - "Typ Generaldirektor" - in Anzug und Schlips die Galerie betrat, die Gemälde von Warhol, Lichtenstein und Rosenquist abschritt und sich nach den Preisen erkundigte. Als der wortkarge Gast wieder verschwunden war, holte Zwirner Informationen ein und erfuhr, dass Peter Ludwig ihn aufgesucht hatte, der Kunstsammler, Mäzen und Schokoladenfabrikant aus Aachen. Bis 1976 arbeiteten die beiden zusammen, bis es zum Bruch kam, auch darüber schreibt Zwirner - aber alles soll hier nicht verraten werden. "Dass ich neben ihm keine weiteren Sammler pflegte", schließt Zwirner, "sollte sich nach Ende unserer Zusammenarbeit für mich als fatal erweisen." Zwirner schließt die Galerie in Köln und zieht mit der Familie nach New York, zur nächsten Station.

Anlaufnehmen, Springen und Siegen. Fehlermachen, Abdrehen und Andere-Wege-Gehen. Von beidem handelt dieses Buch, und es gibt kein Kapitel, in dem man nichts Neues erführe. Schloss sich Joseph Beuys wirklich für mehrere Tage mit einem wilden Kojoten in der New Yorker Galerie von René Block ein? Nein, der Kojote kam von einer Tierfarm, und Beuys verließ nachts den Käfig zum Schlafen. Wie kam Gerhard Richters berühmtes Gemälde "Ema (Akt auf einer Treppe)" ins Museum Ludwig? Zwirner verkaufte es ihm, da die Pop-Art wie eine Lokomotive auch die deutschen Maler hinter sich herzog.

Nachdem Zwirner zum letzten Mal den Standort gewechselt hatte und sich 1989 in Berlin niederließ, führte er keine Kunsthandlung mehr. "Man versteht eigentlich nur die Kunst der eigenen Generation in ihrer ganzen Tiefe", heißt es im Buch über den Ausstieg. Stattdessen gründete er ein Archiv für die Geschichte des Kunsthandels, das ZADIK, das sich in Köln befindet. Sein Sohn David jedoch eröffnete 1993 eine eigene Galerie in New York und zählt heute zu den größten Kunsthändlern der Welt. Den dazugehörigen Verlag leitet wiederum dessen Sohn - Lucas Zwirner.

Als Rudolf Zwirner kürzlich in den Räumen des Berliner Auktionshauses Grisebach die Bilder ausstellte, die ihm heute am Herzen liegen, war weniger Pop kaum denkbar: Zu sehen gab es überwiegend Papierarbeiten aus dem 19. Jahrhundert, stille, manchmal fast melancholische Werke. Eine Stadtlandschaft im Nebel, eine mit Sepiatinte getuschte Baumkrone. Angesichts der wilden sechziger Jahre, als die zeitgenössische Kunst zum Anlageobjekt aufstieg, zur "Wandaktie", "fühle ich mich manchmal wie Goethes Zauberlehrling, den die von ihm gerufenen Kräfte zu überwältigen drohten", schreibt Zwirner in seiner Autobiographie. Darin, keine schlichte Erfolgsgeschichte zu erzählen, liegt die Stärke dieses ungewöhnlichen Buchs.

JULIA VOSS

Nicola Kuhn, Rudolf Zwirner: "Ich wollte immer Gegenwart". Wienand-Verlag, 256 Seiten, 25 Euro

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