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Die französische Hofkunst des 14. Jahrhunderts gilt weithin als Inbegriff fürstlichen Mäzenatentums und höfischer Prachtentfaltung, ästhetischen Fortschritts und künstlerischer Emanzipation. Darin erweist sie sich jedoch als historiografisches Konstrukt, in dem sich vielfältige Problemgeschichten und ihre je eigenen Imaginarien überlagern. Sie ließen Kunst und Geschichte in einer Weise auseinander treten, die wesentliche Quellen und Materialschichten zum Verschwinden brachte - namentlich solche, die die künstlerische Formerscheinung der Werke in ihrem Wechselspiel mit der höfischen…mehr

Produktbeschreibung
Die französische Hofkunst des 14. Jahrhunderts gilt weithin als Inbegriff fürstlichen Mäzenatentums und höfischer Prachtentfaltung, ästhetischen Fortschritts und künstlerischer Emanzipation. Darin erweist sie sich jedoch als historiografisches Konstrukt, in dem sich vielfältige Problemgeschichten und ihre je eigenen Imaginarien überlagern. Sie ließen Kunst und Geschichte in einer Weise auseinander treten, die wesentliche Quellen und Materialschichten zum Verschwinden brachte - namentlich solche, die die künstlerische Formerscheinung der Werke in ihrem Wechselspiel mit der höfischen Erinnerungskultur einsichtig werden lassen. Hier eröffnet B. Carqués Studie neue Perspektiven auf eine Kunstproduktion, die in gruppenspezifische Wahrnehmungs- und Deutungsmuster eingelassen war und Vergangenheit mit visuellen Mitteln zu vergegenwärtigen suchte.
Autorenporträt
Dr. Bernd Carqué ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2005

Das Lächeln des Königs
Was hat die Hofkunst des französischen Spätmittelalters zu erzählen? Zwei Studien belauschen sie

Wenig Beachtung findet immer noch eine aphoristische Erkenntnis Johan Huizingas aus seinem 1919 erschienenen Buch "Herbst des Mittelalters": "Tatsächlich ist unser Bild von allen früheren Kulturn heiterer geworden, seitdem wir uns mehr und mehr vom Lesen dem Sehen zugewandt haben, seit das historische Objekt immer visueller geworden ist. Denn die bildende Kunst, aus der wir vorzugsweise unsere Anschauung über die Vergangenheit schöpfen, wehklagt nicht." Und wie zur Illustration schaut uns die im Louvre befindliche Statue des französischen Königs Karls V. an, über die der Göttinger Kunsthistoriker Bernd Carqué feststellt, ihr Lächeln habe die Forschung immer irritiert.

Warum lächelt Karl? Gab es nicht genug Grund zum Wehklagen für einen König, der Frankreichs Thron 1364 bestieg, kurz nachdem das Land einen demütigenden Frieden mit England geschlossen hatte? Doch dagegen steht Huizingas Diktum, und seitdem es aufgeschrieben wurde, hat eine Flut der Bilderschließung, nicht zuletzt durch heute profan erscheinende Modifikationen wie etwa die Farbfotografie, unser Gedächtnis weiter überschwemmt. Kunst- wie Geschichtswissenschaften sind darüber zu veritablen Kulturwissenschaften geworden, die über die visuelle Annäherung ein unmittelbares Empfinden der Vergangenheit simulieren wollen. Das ist natürlich Hybris. Dennoch verspricht der genaue Blick immer noch Erkenntnisgewinn. Das belegen gleich zwei neue Bücher.

Die Pest im Stundenbuch

Für bare Münze nehmen weder Bernd Carqué noch Eberhard König den Spruch des niederländischen Mediävisten. 1919 stand die große Zeit der an- und wehklagenden Kunst erst bevor, doch selbstverständlich haben auch weit frühere Epochen das Elend in Bilder zu fassen vermocht. Was Huizinga meinte, läßt sich am Beispiel eines Buches illustrieren, das durch seine erste Faksimile-Reproduktion kürzlich neue Aufmerksamkeit gefunden hat: die "Belles Heures", ein Stundenbuch, das von den drei Brüdern Limburg zwischen 1404 und 1409 für den Herzog von Berry illuminiert worden ist (F.A.Z. vom 5. Juli 2004). Auf seinen Miniaturen findet sich ein faszinierendes Bild des Spätmittelalters, und man kann an den Bildfindungen der Limburgs der Entwicklung der europäischen Kunst zusehen. Die im Buch enthaltene Litanei ist illustriert durch Darstellungen einer Pestepidemie in Rom, anläßlich derer Papst Gregor der Große im Jahr 590 diese Fürbitten einrichten ließ. Doch daß die Limburgs die Pest aus eigener Anschauung kannten und daß sie im Jahr 1416 alle drei (und mit ihnen der Herzog als ihr Auftraggeber) von der Krankheit dahingerafft werden sollten, das alles kann man nur den schriftlichen Quellen entnehmen und nicht den schönen Bildern der "Belles Heures".

Die Aufgabe der Historiographie, sei es die der Kunst oder die der eigentlichen Geschichte, kann nur sein, die Anschaulichkeit von historischen Objekten mit dem Faktenreichtum der schriftlichen Überlieferung zu kombinieren. Darin ist der in Berlin lehrende Kunsthistoriker Eberhard König ein Meister. Aus seiner Arbeit am Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der "Belles Heures" ist ein im besten Sinne populäres Buch hervorgegangen, das einerseits von der Qualität der bei der Faksimilierung angefertigten Fotos profitiert, andererseits auch ein Kompendium dessen enthält, was man über ein Buch von der Bedeutung der "Belles Heures", seiner Maler und deren Auftraggeber wissen sollte.

Wie weit das Spektrum kunsthistorischer Beschäftigung mit einer Epoche reichen kann, wird an Carqués Parallelstudie deutlich, die sich an ein anderes Publikum richtet. Sie gehorcht den Gesetzen wissenschaftlicher Akribie und den ungeschriebenen Regeln einer deutschen Dissertation - und ist trotzdem ein Lesevergnügen, obwohl Carqué zweihundert Seiten braucht, um den Forschungsstand des Themas darzustellen, bevor er in die Erörterung der Werke einsteigt, die kaum anders als atemraubend zu nennen ist.

Atemraubend vor allem deshalb, weil sich Carqué mit feinstem theoretischem und bildanalytischem Besteck den Kunstwerken nähert, die unter der Herrschaft Karls V. von 1364 bis 1380 entstanden sind. Zwei Gruppen daraus widmet er sich besonders: den illustrierten Handschriften und den Monumentalskulpturen an Fassaden, in Kirchen, auf Gräbern. Dabei verwahrt er sich gegen alle Theorien, die eine lineare Entwicklung zu einem Stil höchster Verfeinerung festgestellt haben und am Hofe von Karl und dessen Brüdern (zu denen der Herzog von Berry zählte) vor allem eine Form des Mäzenatentums identifizieren wollen, die erstmals die Herausbildung einer freien Künstlerpersönlichkeit ermöglicht hätte. So argumentiert etwa König in seinem Bildband, wenn er die Entstehungsgeschichte der "Belles Heures" subsumiert: "Die Gesamtgestalt des Buches entwickelte sich wie bei einem kreativen Versuchsprozeß. In ihm spielte Jean de Berry keine inspirierende Rolle, denn so viele Bücher der Herzog im Laufe seines Lebens zusammengebracht haben mochte, so wenig konnte er wissen, wohin es seine ,ouvriers' mit den Belles Heures bringen mochten."

Gleiche Behauptungen werden für die ein Vierteljahrhundert frühere Epoche Karls V. erhoben, doch für sie entwickelt Carqué ein Bildprogramm aus den Skulpturen und Buch-Illuminationen, das als deutliche Bezugnahme der erst seit 1328 regierenden Königsfamilie der Valois auf ihren kapetingischen Vorläufer Ludwig den Heiligen (er regierte von 1226 bis 1270) zu lesen ist. Sowohl Buchmalerei als auch skulpturaler Figurenschmuck ist unter der Herrschaft Karls V. an der Formensprache des mittleren dreizehnten Jahrhunderts orientiert, so daß keine Rede von einer linearen Entwicklung sein kann. Carqué zieht die rhetorische Stillehre heran, um zwei Phänomene zu beschreiben: den Ausdruck von Bescheidenheit bei der Darstellung des Königshauses in jenen Skulpturen, die an Plätzen aufgestellt waren, die der Öffentlichkeit zugänglich waren, gegenüber einer nie gekannten Prunkentfaltung in den Buchillustrationen. Diese richteten sich an den inneren Kreis des Hofes und hatten dort das monarchische Selbstverständnis in einem Akt gegenseitiger Bestätigung zum Ausdruck zu bringen. Beide Kunstformen orientierten sich im Stil bewußt an der Zeit Ludwigs des Heiligen.

Die Folgerungen, die Carqué aus seiner Beobachtung zieht, sind faszinierend. Da die ästhetische Anknüpfung eine politische Legitimationsfunktion erfüllte, kann sie nur auf Anregung des Königs und dessen engster Vertrauter erfolgt sein. Keine Rede also mehr von den autonom arbeitenden Handwerkerkünstlern, die das Bild der Forschung bestimmt haben. Das Lächeln der Statue Karls ist nicht nur eines der Güte, sondern auch der Überlegenheit eines Mannes, der die eigene Memoria plant - bis hin zu seiner Grabskulptur, die er als erster König zu Lebzeiten, ja sogar unmittelbar nach Antritt seiner Herrschaft, anfertigen ließ.

Carqué beschreibt das Interesse der Valois an der Hofkunst so: "Ihre Imagination stand auf dem Spiel." Und das war im Spätmittelalter ein sensibler Bereich, weshalb es sich kein Machthaber hätte erlauben können, seine eigene Darstellung allein Künstlerhänden zu überlassen. Carqué hält deshalb die Intentionen der Auftraggeber bislang für weitgehend unterschätzt bei der Beschäftigung mit der scheinbar so zweckfreien Pariser Hofkunst der Epoche, und er geht so weit, daß er eine persönliche Beteiligung des Königs an den Codizes aus seiner Herrschaftszeit vermutet.

Die Fehler der Miniaturen

Doch gerade die Mittel, mit denen er das Bildprogramm jener Jahre rekonstruiert, wenden sich zumindest für die unmittelbare Folgeepoche gegen Carqués These. Denn in Königs Buch wiederum kann man lernen, wie viele Fehler die Miniaturen der Limburgs in den "Belles Heures" enthalten - bis hin zu so erstaunlichen Mängeln wie der Verwechslung der Evangelistenattribute von Lukas und Matthäus. Carqué betont die Sorgfalt bei der Betreuung der Ausmalung von Codizes unter Karl V., während König den Brüdern Limburg ein vom enthusiasmierten Auftraggeber eingeräumtes Quasi-Recht auf künstlerische Freiheit zuspricht: "Diese Begeisterung achtete offenbar weniger darauf, daß in einem Buch wie den Belles Heures alles im Sinne des bekannten Standards stimmte, sie steht vielmehr am Anfang der neuzeitlichen Wertschätzung für Ausnahmekünstler." These steht gegen These, Carqué gegen König.

Nun gehören aber die "Belles Heures" eben einer anderen Epoche an als die von Carqué analysierte Hofkunst, auch wenn der Herzog von Berry seine machtimaginative Prägung unter der Herrschaft seines älteren Bruders Karl erfahren haben muß. Dieser Unterschied ist Carqué wohlbewußt, und er führt konkret zu Jean de Berry aus, dieser habe die imitatio regni ebenso gepflegt wie den künstlerischen Eigensinn. Dementsprechend beschließt er seine Studie mit einer Anregung: "Um mögliche Sinnzusammenhänge der künstlerischen Formerscheinung an den Höfen des Jean de Berry und Louis d'Orléans, des Philippe le Hardi oder Jean sans Peur tiefergehend zu durchdringen, wäre in jedem einzelnen Fall ein weiterer Horizont des Verstehens und Erklärens unabdingbar, wie ihn dieses Buch erstmals und exemplarisch für die Hofkunst Karls V. erschlossen hat."

Das ist selbstbewußt formuliert, aber Carqués Buch leistet in der Tat Pionierarbeit. Um so dringlicher stellt sich nun die Frage nach den verblüffenden ästhetischen Errungenschaften der Künstler in den Folgejahren, wie König sie dokumentiert. Nicht nur die Philosophie beginnt mit dem Staunen, und um Bücher wie das von Carqué auszulösen, sind wiederum solche wie das von König nötig - und umgekehrt.

ANDREAS PLATTHAUS

Bernd Carqué: "Stil und Erinnerung". Französische Hofkunst im Jahrhundert Karls V. und im Zeitalter ihrer Deutung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. 648 S., 200 Abb., geb., 98,- [Euro].

Eberhard König: "Die Belles Heures des Duc de Berry". Sternstunden der Buchkunst. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2004. 144 S., 140 Abb., geb., 36,- [Euro].

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'Die Folgerungen, die Carqué aus seiner Beobachtung zieht, sind faszinierend. (...) Carqués Buch leistet in der Tat Pionierarbeit.' (Andreas Platthaus in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung)

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Schwer beeindruckt zeigt sich Andreas Platthaus von Bernd Carques umfangreicher Studie über die Hofkunst des französischen Spätmittelalters. Obwohl die Arbeit den "ungeschriebenen Regeln einer deutschen Dissertation" gehorcht - die ersten 200 Seiten etwa sind dem Stand der Forschung gewidmet -, findet sie Platthaus schlicht "atemberaubend". Vor allem deshalb, weil sich Carque den Kunstwerken, die unter der Herrschaft Karls V. von 1364 bis 1380 entstanden, mit "feinstem theoretischem und bildanalytischem Besteck" nähert. Im Mittelpunkt sieht Platthaus dabei die Analyse von illustrierten Handschriften und Monumentalskulpturen an Fassaden, in Kirchen, auf Gräbern. Er hebt hervor, dass Carque gegen Theorien argumentiert, die eine lineare Entwicklung zu einem Stil höchster Verfeinerung sowie die Herausbildung einer freien Künstlerpersönlichkeit am Hofe Karls behaupten. Wie er ausführt, kann Carque dagegen zeigen, dass die sich die Hofkunst an der Formensprache des 13. Jahrhunderts orientierte und im Dienste politischer Legitimation stand. Carque halte die Intentionen der Auftraggeber bislang "für weitgehend unterschätzt" und vermute gar eine persönliche Beteiligung des Königs an den Codizes aus seiner Herrschaftszeit. Beim Aufzeigen dieses Zusammenhang hat Carque nach Einschätzung von Platthaus "Pionierarbeit" geleistet.

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