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Die Schlange hat keinen guten Ruf. Ihre Klugheit ist mit List gepaart, ihre Gewandtheit mit Heimtücke. So wurde sie in der Kulturgeschichte mal zur Bedrohung, mal zur Beschützerin. In der Kunst tauchte die Schlangenlinie bereits in den Höhlenmalereien der Steinzeit auf und blieb seitdem ein Motiv voller Ambivalenzen, das sich nie zur Ruhe bringen ließ. In seinem letzten Buch verfolgt der große Hamburger Kunsthistoriker Werner Hofmann die Schönheitslinie der Schlange durch die Epochen und legt ihre elementaren, rätselhaften Energien frei.Hofmann zeigt, wie die Schlangenlinie anfänglich der…mehr

Produktbeschreibung
Die Schlange hat keinen guten Ruf. Ihre Klugheit ist mit List gepaart, ihre Gewandtheit mit Heimtücke. So wurde sie in der Kulturgeschichte mal zur Bedrohung, mal zur Beschützerin. In der Kunst tauchte die Schlangenlinie bereits in den Höhlenmalereien der Steinzeit auf und blieb seitdem ein Motiv voller Ambivalenzen, das sich nie zur Ruhe bringen ließ. In seinem letzten Buch verfolgt der große Hamburger Kunsthistoriker Werner Hofmann die Schönheitslinie der Schlange durch die Epochen und legt ihre elementaren, rätselhaften Energien frei.Hofmann zeigt, wie die Schlangenlinie anfänglich der magischen Beschwörung diente und danach von der griechischen Antike bis in die Frühe Neuzeit die Künstler immer wieder anzog. In der Moderne der letzten 250 Jahre aber stieg sie zu einer visuellen Schlüsselfigur auf, zu einer Metapher der Befreiung: Als der alte statische Schönheitsbegriff abdankte, war die große Zeit der Schlangenlinie mit ihrer verwirrenden Dynamik gekommen. Werner Hofmann führt dies an einer eindrucksvollen Fülle von Beispielen vor Augen, die von der abstrakten Kunst über das Kunsthandwerk bis in die populäre Kultur reichen ? von Kandinsky und Klee über den Thonet-Stuhl bis zum heute allgegenwärtigen Yin-Yang-Symbol.
Autorenporträt
Werner Hofmann (1928?2013) war von 1969 bis 1990 Direktor der Hamburger Kunsthalle, wo er zahlreiche bahnbrechende Ausstellungen veranstaltete. Von 1960 bis 1969 wirkte er als Gründungsdirektor am Museum des 20. Jahrhunderts in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.2014

Mit Schlangenlinien aus der Erstarrung

Von den Minoern bis Hundertwasser: Werner Hofmann schiebt in seinem nachgelassenen Buch über die Linie die ganze Kunstgeschichte beiseite, um die Energieströme darunter freizulegen.

Werner Hofmanns Produktivität als Autor von Büchern, Katalogen und Essays war am Ende kaum noch überschaubar. In fast sechzig Jahren durchstreifte der Kunsthistoriker, der im letzten Jahr gestorben ist, rastlos und immer aufs Neue fragend, diagnostizierend und deutend die weitläufigen Räume der abendländischen Kunstgeschichte. Angezogen war er besonders von Umbrüchen und Übergangsepochen, von Ambivalenzen und Umwertungen, von Mischformen und Metamorphosen. Postum überrascht uns Hofmann nun mit einem letzten Buch, das, so gut wie abgeschlossen, aus dem Nachlass publiziert wurde.

Dem Werk fehlen jede müde Routine und Rechthaberei. Hofmann schwingt sich noch einmal zu spielerischen Ideenflügen und theoretischen Konstruktionen auf, die freilich, wenn man dem Erdboden verhaftet bleiben möchte, nicht immer leicht nachzuvollziehen sind. Er durchmisst die Jahrtausende, die Stile, Schulen und Kulturen. Im Titel seines Buches spricht er als Thema die Linienschönheit an. Doch es geht Hofmann nicht um stilgeprägte schöne Linien, etwa die klassische oder klassizistische, die konvulsiv-barocke oder die psychogen-moderne. Er möchte die Linie von Funktionen, Formverpflichtungen, historischen Bindungen, ja, von allen instrumentellen Vergegenständlichungen lösen und ihre ursprüngliche Energie freisetzen, den anthropologischen Ansatz und universellen Impuls, der in unendlicher Variabilität und Deutungsvielfalt die Menschheitsgeschichte durchwirkt und sich nicht in beschreibenden und abbildlichen Anwendungen erschöpfe.

So handelt das Buch also nicht von "schönen Linien" oder der "Schönheit der Linie". Es behauptet dezisionistisch: "Die Schönheit ist eine Linie", eine These, die der Autor in dreizehn Kapiteln in immer neuen Ansätzen, ausgreifend und schweifend, befestigt. Hofmanns Mentoren sind William Hogarth, der Maler und antiakademische Linienbefreier des achtzehnten Jahrhunderts, sowie die Kunsthistoriker Alois Riegl und Aby Warburg. Zuspruch holt er sich auch beim Visionär William Blake, der die Linie nicht mehr als disziplinierendes Kunstmittel benutzte, sondern wieder als "flammende, kurvig fließende Urlinie" einsetzte, als eine "Energiequelle, die das ganze Leben durchpulst, indem sie dessen Widersprüche und Konflikte in sich austrägt".

Mit Hogarth, der die absolute Schönheit der Schlangenlinie pries, polemisiert Hofmann gegen Klassizisten wie den Nachahmungstheoretiker Karl Philipp Moritz oder gegen Goethe und mit Warburg gegen den "groben Irrtum des Griechischen", das zur ästhetischen Erstarrung und zur Vergötzung der Individuation geführt habe. Mit seinen Vordenkern geht Hofmann zurück in die Vorgeschichte und zu den ursprünglichsten, reinsten und universellsten Emanationen der Linie: der Schlange, der Spirale, dem Zickzack.

Die Schlangenlinie "lebt von ihrer Veränderbarkeit, sie verweigert sich dem Stillstand, der definitiven Sättigung". Hofmann feiert sie als "Metapher der Befreiung", die in der Moderne die "dogmatische Regelmäßigkeit durch verwirrende transitorische Dynamik ersetzt". Er will schon in der Frühzeit, in den Verzierungen der aquitanischen Höhlenmaler (laut Riegl "reiner Rhythmus und abstrakte Symmetrie") konzentriertes Linienbewusstsein und eine "spontane Expansion linearer Energien" erkennen: "Die Linie, die alles kann, erlebte ihre Inkubationszeit in der steinzeitlichen Höhlenmalerei."

So entdeckt der Autor schon in Altamira moderne "Wahlpositionen zwischen Naturnähe und abstrahierender Naturferne". Er ist sich sicher, dass das "zeichnerische Wollen" bereits hier "ins Offene, in die dynamische Transformabilität" drängt, die das Urbefinden graphischer Energie befördert. Auch angesichts der Spiralornamente der Minoer fragt er sich, ob sie nicht eher autonomem Formwollen als mimetischer Naturbeobachtung entspringen.

Die Schlangenlinie ist für Hofmann die "Möglichkeitsform par excellence", Trägerin von Mehrsinnigkeit und Vieldeutigkeit. Sie musste aber, so schreibt er, bevor sie sich in der Moderne endlich wieder frei, autonom und absolut manifestieren konnte, "Jahrhunderte im Abseits eines marginalen Zeichens verbringen". Hier, in der Moderne, sind nicht nur die Linie, die Spirale und Schlange, sondern auch der Autor bei sich selbst. Fündig wird er beim Bugholz-Virtuosen Thonet und beim katalanischen Architekten Gaudí, bei Kandinsky und Klee, dann vor allem bei Breton und den Surrealisten, darunter auch bei Duchamp, in dessen berühmtem Urinoir-Becken Hofmann "zwei Schönheitslinien" erkennt, die "das Spiel der gegenseitigen Zuneigung spielen".

Über manchen spekulativen Überschwang mag man sich amüsieren. Doch die bizarre Geschmeidigkeit und elegante Gelehrsamkeit, mit der sich Hofmann in diesen zwölf unsystematischen Kapiteln federnd zwischen dem Paläolithikum und Hundertwasser bewegt und dabei die ganze Kunstgeschichte wie profanen Ballast beiseiteschiebt, um die reinen Energieströme und Nervenbündel eines, wie er glaubt, zeitlosen "Kunstwollens" freizulegen, bietet ein intellektuelles Vergnügen ganz eigener Art.

Zum Schluss, bei Hundertwasser, schließt sich der Kreis dieses Forscherlebens. Hofmann erinnert sich seiner Anfänge und zitiert aus seinem Vorwort von 1965 zur Hundertwasser-Ausstellung des Wiener Museums des zwanzigsten Jahrhunderts, dessen Gründungsdirektor er einst war. Den Katalog illustrierte er damals mit einer Anthologie von Spiralen. In Hundertwassers "endloser Linie" würdigte er damals schon den "Impuls der Entgrenzung", der sich mit "den nicht begrenzten Verläufen der Höhlenmalerei" trifft und diese potentielle Offenheit "gegen die künstlich-willkürliche Eingrenzung in das gerahmte Bild" der Tradition ausspielt.

EDUARD BEAUCAMP

Werner Hofmann: "Die Schönheit ist eine Linie". 13 Variationen über ein Thema.

Verlag C. H. Beck, München 2014. 245 S., 148 Abb., geb. 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eduard Beaucamp freut sich Schlangenlinien. Was der Kunsthistoriker Werner Hofmann hier noch am Ende seines reichen Schaffens an originellen Gedanken hervorbringt, findet er schier unglaublich. Das aus dem Nachlass publizierter Buch ist für den Rezensenten ein Ritt durch die Jahrtausende, Stile und Schulen. Das Thema der Linienschönheit, wie Hofmann es fasst, unsystematisch, intellektuelles Vergnügen bereitend, zwischen Altsteinzeit und Moderne elegant hin- und herwandernd, bei Gaudi, Kandinsky und Breton verweilend, erschließt dem Rezensenten tatsächlich die schöne Mehrsinnigkeit und Vieldeutigkeit der Linie, besonders der Schlangenlinie.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein virtuoses Vermächtnis."
Weltkunst, Juli 2015