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Die Interessen des Kunsthistorikers Max Raphael verliefen meist quer zur akademischen Kunstgeschichtsschreibung seiner Zeit. Mit Kollegen wie Erwin Panofsky oder Edgar Wind teilte er das Anliegen, die methodischen Schwächen seines Fachs anzugehen. Als er die steinzeitliche Höhlenmalerei zum elementaren Bestandteil einer von ihm konzipierten Geschichte der Kunst erhob, war dies ein radikaler und irritierender Ansatz, der jedoch die Beschäftigung mit steinzeitlichen Objekten bis heute nachdrücklich inspiriert. Programmatisch für diese Perspektive ist der hier erstmals publizierte Text »Die…mehr

Produktbeschreibung
Die Interessen des Kunsthistorikers Max Raphael verliefen meist quer zur akademischen Kunstgeschichtsschreibung seiner Zeit. Mit Kollegen wie Erwin Panofsky oder Edgar Wind teilte er das Anliegen, die methodischen Schwächen seines Fachs anzugehen. Als er die steinzeitliche Höhlenmalerei zum elementaren Bestandteil einer von ihm konzipierten Geschichte der Kunst erhob, war dies ein radikaler und irritierender Ansatz, der jedoch die Beschäftigung mit steinzeitlichen Objekten bis heute nachdrücklich inspiriert.
Programmatisch für diese Perspektive ist der hier erstmals publizierte Text »Die Ikonographie der quaternären Kunst«, in dem Raphael den steinzeitlichen Menschen explizit die Fähigkeit zur Kunst, mithin zur Zivilisation zuspricht. Er erkennt in den Bildern die Ordnung einer Ikonographie und beschreibt die steinzeitliche Höhlenmalerei als eine Kunst, die ihre ganz eigenen Betrachtungsmöglichkeiten ausgestaltet.
Autorenporträt
Max Raphael war Kunsthistoriker und Philosoph. Sein Interesse galt einer Soziologie der Kunst und einer Kunsttheorie des dialektischen Materialismus. Es gelang ihm, seine interdisziplinären Forschungen aus den Bereichen der Philosophie, Kunstgeschichte, Archäologie und Architektur zu bündeln und in der Folge eine empirische Kunstwissenschaft zu entwickeln, als deren Begründer er gilt. In den 1930er Jahren emigrierte Raphael nach Frankreich, wurde dort interniert, konnte jedoch in die USA fliehen. Gemeinsam mit seiner Frau verbrachte er dort Jahre, die geprägt waren von großer Armut und Isolation. 1952 nahm Raphael sich das Leben.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fasziniert und begeistert ist Peter Geimer von diesem Buch des 1952 verstorbenen Kunstphilosophen Max Raphael über die steinzeitliche Höhlenmalerei. Da es für die paläolithische Kunst keine schriftlichen Quellen gibt, muss sich Raphael ganz auf das Studium der Bilder konzentrieren, ist sich aber nach dem Dafürhalten des Rezensenten bewusst, dass eine komplexe Deutung der paläolithischen Kunst so nicht möglich ist, höchstens eine spekulative. Aber die findet Geimer ganz wunderbar. Wenn Raphael sich den Rentieren, Pferden und Hirschkühen in den Höhlen von Altamira und El Castillo, von Lascaux und Les Combarelles zuwendet, dann sieht er in ihnen zum einen den Ausdruck einer totemistisch organisierten Kultur, zum anderen aber auch eine neue "Logik der Gefühle" aufscheinen. Geimer erscheint diese Idee wissenschaftlich nicht unbedingt gesichert, aber dennoch sehr schön, vor allem bei der Darstellung zweier Rentiere, die Raphael als Abschiedsszene deutet, in der die "Zartheit des Lebewohls" nicht gemimt oder dargestellt ist, sondern sozusagen "ist".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2014

Um die Ecke malen war gar kein Problem

Was haben sich unsere Vorfahren dabei gedacht, als sie auf die Wände ihrer Höhlen zeichneten? Auch der Kunstphilosoph Max Raphael kann darüber nur spekulieren, aber er tut es faszinierend.

In einer Illustration zu seinem Buch "Der primitive Mensch" zeigt der französische Mediziner und Pharmazeut Louis Figuier 1870 die "Geburt der Künste der Zeichnung und Skulptur im Rentier-Zeitalter". Man sieht da drei fleißig zeichnende und modellierende Höhlenbewohner, bei denen es sich laut Bildlegende um die urzeitlichen "Vorläufer Raffaels und Michelangelos" handelt.

Figuier hatte hier jene suggestive Figur des "Vorläufers" bemüht, die sein Landsmann, der französische Wissenschaftshistoriker Georges Canguilhem, ein Jahrhundert später einer scharfsinnigen Kritik unterzog. "Die Neigung, Vorläufer zu suchen, zu finden und zu feiern", so Canguilhem, "ist das deutlichste Symptom der Unfähigkeit zur epistemologischen Kritik." Damit war die weitverbreitete Praxis gemeint, für die Entdeckungen der eigenen Zeit eine Begründung in der Vergangenheit zu suchen und auf diese Weise nicht nur den eigenen Standpunkt durch eine lange Vorgeschichte zu legitimieren, sondern zugleich auch den Akteuren dieser Vorgeschichte zu unterstellen, sie hätten alles schon genau so in die Wege leiten wollen, wie es später dann unweigerlich auch kommen musste.

So hatte Figuier sein neuzeitliches Wissen über die Kunst der Renaissance in die Höhlen rückprojiziert, als hätten deren Bewohner bereits im Vorschein jener glanzvollen Kunst gelebt, von deren Existenz sie freilich noch gar nichts wissen konnten. Wie attraktiv diese Denkfigur auch heute noch ist, zeigte vor wenigen Jahren Werner Herzogs "Die Höhle der vergessenen Träume", in dem der Filmemacher die über dreißigtausend Jahre alten Tierdarstellungen im französischen Chauvet als anthropologische Urversicherung der eigenen Darstellungskunst verstanden wissen wollte - "fast eine Art Urkino".

Ins Zentrum dieser Frage nach der Vorgeschichte der Kunst zielt das jetzt aus dem Nachlass publizierte Buchmanuskript "Ikonographie der quaternären Kunst" des 1952 verstorbenen Kunsthistorikers und Philosophen Max Raphael. Raphaels Forschungen reichen von der romanischen Architektur über die Malerei Giottos bis zu Picasso, Cézanne und der Rolle des Tastsinns in der Kunst. Ihm schwebte eine Kunstgeschichte vor, die auch die paläolithische Malerei als selbstverständlichen Bestandteil zu integrieren vermochte, statt sie als Sondererscheinung in eine abgespaltene Ur- und Frühgeschichte abzudrängen. So gilt seine Aufmerksamkeit im vorliegenden Text den jahrtausendealten Darstellungen von Rentieren, Pferden, Bisons und Hirschkühen, wie man sie in den Höhlen von Altamira und El Castillo bis Lascaux und Les Combarelles gefunden hatte.

Allen wissenschaftlichen Versuchen, die Kunst der Vorzeit durch ethnologische Vergleiche mit angeblich primitiven Kulturen zu erhellen, tritt Raphael mit Skepsis gegenüber. Stattdessen klassifiziert er in minutiösen Analysen die verschiedenen Haltungen der dargestellten Tiere wie Stehen, Laufen, Zurückwenden des Kopfes und legt seinen Beobachtungen die Annahme zugrunde, dass diese Malerei allein im sozialen Kontext einer totemistisch organisierten Kultur zu verstehen sei. So deutet er die in Font-de-Gaume entdeckte Darstellung zweier sich berührender Rentiere als "Abschiedsszene", in der sich eine neue "Logik der Gefühle" artikuliere - "eine Zartheit des Lebewohls zwischen zwei ebenso abstrakten wie lebendigen Massen, zwischen zwei Tieren, die die nuancierten Intimitäten zwischen Menschen nicht mimen, nicht darstellen, sondern sind".

Raphael ist sich des spekulativen Charakters seiner Schlussfolgerungen bewusst. Die heutige Forschung steht der Hypothese vom totemistischen Ursprung der Höhlenmalerei auch eher mit Skepsis gegenüber. Was den Text äußerst lesenswert macht, sind aber ohnehin weniger seine Resultate als vielmehr die Klarsicht und Genauigkeit, mit der Raphael die historiographische Herausforderung seines Unternehmens reflektiert. Wie soll man die Kunst einer unvordenklich fernen Vergangenheit deuten, aus der zwar vereinzelte archäologische Funde existieren, die aber jeder Überlieferung im Medium der Schrift zeitlich weit vorausgeht?

Für einen am Marxismus orientierten Denker wie Raphael musste dieses weitgehende Fehlen von Bezugssystemen eine besondere Herausforderung darstellen. Er reagierte darauf, indem er die Abwesenheit schriftlicher Quellen zum Anlass für ein umso genaueres Studium der Bilder nahm und vor der Unterschätzung der visuellen Formensprache warnte. Vorbildlich ist sein Versuch, die Betrachtung isolierter Einzelbilder zugunsten einer Rekonstruktion ganzer Ensembles und Bezugssysteme zu überwinden.

So kann Raphael zeigen, dass "gelegentlich um die Ecke komponiert wurde" und Darstellungen auf gegenüberliegenden Wänden einander antworten. Zu Recht weist Gernot Grube in seinem begleitenden Kommentar darauf hin, dass die neueren Versuche einer neuropsychologischen Erklärung der paläolithischen Kunst über solche Deutungen nicht hinauskommen. In ihren naturalistischen Generalisierungen können sie keine spezifische Lektüre der Bilder anbieten.

Grundlegend aber bleibt vor allem jene Einsicht Raphaels, die sich wohl seiner zweifachen Orientierung als Kunsthistoriker und Philosoph verdankt: "Wie jede andere Kunst ist auch die paläolithische nur zu verstehen, wenn man Sichtbares und Denkbares nicht trennt, sondern in ihrem (historisch jeweils spezifischen) Zusammenhang betrachtet." Damit war unmissverständlich ausgesprochen, dass weder die Bilder noch ihr Kontext für sich genommen eine komplexe Deutung ermöglichen und es stattdessen auf die beständige Vermittlung zwischen Anschauung und Begriff, Sehen und Wissen ankommt.

Was den Fall der Höhlenmalerei vor diesem Hintergrund so interessant macht, ist der Umstand, dass sie gleichsam das äußerste Extrem dieser Konstellation darstellt - das Überleben einer Formensprache ohne überliefertes Bezugssystem. Denn während die jahrtausendealten Bilder der Nachwelt noch immer vor Augen stehen, verliert sich das Denken, das ihnen einmal entsprochen haben mochte, im Unbestimmten. Die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann hat einmal vom historischen Ursprung als "positivem Ort der Entzogenheit" gesprochen.

Positiv ist dieser Ort, weil er der Nachwelt gerade in seiner Nichterkennbarkeit eine Lizenz zur Spekulation gibt. "Was an diesen Ort verlegt wird, ist gekennzeichnet als unantastbar und unverrückbar", schreibt Assmann. Die Kunstgeschichte hat dann die Wahl zwischen Selbstkritik und Verklärung, die Wahl, sich auf die sachliche Beschreibung von Fragmenten einzulassen oder den Ort der Entzogenheit zum numinosen Anfangsgrund aller Kunst zu erklären.

PETER GEIMER

Max Raphael: "Die Hand an der Wand".

Diaphanes Verlag, Zürich, Berlin 2013. 176 S., br., 16,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Was den Text äußerst lesenswert macht, sind ... die Klarsicht und und Genauigkeit, mit der Raphael die historiographischen Herausforderungen seines Unternehmens reflektiert. Wie soll man die Kunst aus einer unvordenklich fernen Vergangenheit deuten, aus der zwar vereinzelte archäologische Funde existieren, die aber jeder Überlieferung im Medium der Schrift zeitlich vorausgeht?« Peter Geimer, Frankfurter Allgemeine Zeitung