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Nach dem Fall Gurlitt: Ein Beitrag, der die Rückgabe von Kunst als sozialen Prozess beschreibt.Nicht erst seit dem Fall Gurlitt gelangt mit der Restitution von NS-Raubkunst ein vermeintlich abgeschlossener Teil der Vergangenheitsaufarbeitung wieder mit Wucht in die gegenwärtige Debatte. Über Bedingungen und Modalitäten wird weiter intensiv gestritten, ohne dass dabei der Akt der Wiedergutmachung als sozial anspruchsvoller Rückgabeprozess verstanden wird.Sophie Schönberger entfaltet in ihrem Buch die These, dass dieses Zurückgeben nur als bewusste vergangenheitspolitische Maßnahme eingesetzt…mehr

Produktbeschreibung
Nach dem Fall Gurlitt: Ein Beitrag, der die Rückgabe von Kunst als sozialen Prozess beschreibt.Nicht erst seit dem Fall Gurlitt gelangt mit der Restitution von NS-Raubkunst ein vermeintlich abgeschlossener Teil der Vergangenheitsaufarbeitung wieder mit Wucht in die gegenwärtige Debatte. Über Bedingungen und Modalitäten wird weiter intensiv gestritten, ohne dass dabei der Akt der Wiedergutmachung als sozial anspruchsvoller Rückgabeprozess verstanden wird.Sophie Schönberger entfaltet in ihrem Buch die These, dass dieses Zurückgeben nur als bewusste vergangenheitspolitische Maßnahme eingesetzt werden kann, die einer aktiven narrativen Einbettung auf der Seite der Zurückgebenden bedarf. Dabei geht sie vor allem der Frage nach, welche besondere Funktion gerade die Rückgabe von Kunst erfüllt, da Kunstwerke sich zwar einerseits in spezieller Weise als vergangenheitspolitische Projektionsfläche eignen, historische Wunden aber nicht nur heilen, sondern auch aufreißen können. Damit leistetdas Buch einen Beitrag zu einer Debatte, die auch die Rückgabe ethnologischer Objekte an ehemals kolonisierte Staaten berührt.
Autorenporträt
Sophie Schönberger, geb. 1979, ist Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Düsseldorf. Sie forscht zum Kunst- und Kulturrecht. Veröffentlichung u. a.: Batik in Bethlehem, Hikaye in Hannover: Der rechtliche Schutz des Kulturerbes zwischen kulturellem Internationalismus und nationaler Identität (2014).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2019

Der Klügere normiert nach
Handreichungen ersetzen kein Gesetz: Sophie Schönberger trifft mit ihrer Argumentation den wunden Punkt der deutschen Restitutionsdebatte

Im August 2016 ist das nach heftigem Streit verabschiedete Kulturgutschutzgesetz in Kraft getreten. Nach Paragraph 23 Absatz 2 muss eine Genehmigung zum Export eines im Verzeichnis national wertvollen Kulturguts aufgeführten Gegenstands erteilt werden, "wenn rechtskräftig oder durch eine abschließende Regelung der Beteiligten im Hinblick auf einen Entzug festgestellt ist, dass das Kulturgut zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 aufgrund der Verfolgung durch den Nationalsozialismus einem früheren Eigentümer entzogen worden ist und es aus dem Bundesgebiet ausgeführt werden soll, um es an außerhalb des Bundesgebietes lebende ursprüngliche Eigentümer oder deren dort lebende Rechtsnachfolger zurückzugeben". Wer die Diskussionen um nationalsozialistische Raubkunst verfolgt hat, wird nach Lektüre dieses Normtextes annehmen, dass der Gesetzgeber hier dem Prinzip des Vorrangs der Rückgabe Geltung verschafft hat: Dass ein bestimmtes Werk als national wertvoll eingestuft wird, darf keine Ausrede sein, es den Erben des Beraubten nicht auszuhändigen. Für die Nation ist die Erfüllung der Rückgabepflicht ungleich wertvoller als der Verbleib des Werkes im Bundesgebiet.

Verblüfft ist man dann, wenn man sich von Sophie Schönberger hat erklären lassen, dass keine der beiden genannten Bedingungen für die Ausnahmegenehmigung dem Regelungszweck wirklich dienlich ist. Erstens gibt es gar keine rechtskräftigen Feststellungen über einen Eigentumsentzug durch NS-Verfolgung mehr. Rechtskraft haben nur Gerichtsentscheidungen, die Gerichte haben hier aber seit Jahrzehnten, seit dem Auslaufen der von den alliierten Restitutionsgesetzen bestimmten Anspruchsfristen, nichts mehr zu entscheiden. Und zweitens lädt die Ersatzvorschrift, dass anstatt eines rechtskräftigen Urteils eine Einigung der Betroffenen für die Ausfuhrerlaubnis genügt, zum Missbrauch ein. Wer ein auf der Liste der geschützten Kulturgüter stehendes Objekt außer Landes schaffen will, kann ihm eine ausgedachte Verfolgungsgeschichte anheften. Die noch zynischere Variante desselben Szenarios: Der Besitzer eines tatsächlich unter Raubkunstverdacht stehenden Werkes könnte es einem ausländischen Strohmann ausliefern, um den Rückgabeanspruch ins Leere laufen zu lassen. Die ausgetricksten Erben des echten Eigentümers sähen sich auf den Rechtsweg verwiesen und fänden sich vor der verschlossenen Tür der abgelaufenen Anspruchsfristen wieder.

Mit diesem handwerklichen Fehler der Gesetzgebung verdeutlicht Sophie Schönberger, Expertin für das Recht der Kulturgüter und seit kurzem Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht der Universität Düsseldorf, wo sie auch für Parteienrecht zuständig ist, den Hauptgedanken ihres höchst anregenden Buches zur Raubkunstdebatte: Deutschland hat es versäumt, rechtliche Regeln zu schaffen. Überzeugend legt die Autorin dar, dass ein Gesetz das richtige Instrument gewesen wäre. Nicht nur gibt eine vom Parlament debattierte und beschlossene Norm der Dringlichkeit des Anliegens Ausdruck. Vor allem stellt ein Gesetz Verbindlichkeit her, der Behörden und Gerichte Wirkung verschaffen müssen.

Die auf der Konferenz in Washington 1998 beschlossenen Prinzipien, um deren Umsetzung sich die deutsche Kulturpolitik seither in diversen Handreichungen für die Empfänger staatlicher Zuwendungen bemüht, sind nur eine Erklärung des guten Willens. Nach Sophie Schönberger hatte diese Unverbindlichkeit lediglich diplomatische Gründe; keineswegs komme darin eine begründete Präferenz für moralische Abwägungen gegenüber rechtlichen Instrumenten zum Ausdruck. In der tatsächlichen deutschen Praxis tritt die Alternativlosigkeit juristischer Logik zutage: Die sogenannte Limbach-Kommission soll faire Lösungen in Einzelfällen finden, analysiert diese Fälle aber wie ein Gericht - nur ohne die Amtsermittlungspflichten und Berufungsmöglichkeiten der Verwaltungs- und Strafgerichtsbarkeit.

Im rechtshistorischen Vergleich stellt sich der deutsche Umgang mit der Raubkunstproblematik, wie Sophie Schönberger mit charakteristischer Schärfe formuliert, als eine "in dieser Form einzigartige Moralisierung am geltenden Recht vorbei" dar. Die Übertreibungen der öffentlichen Polemik sind eine direkte Folge der falschen Unterstellung jener Einfachheit und Klarheit der Sachverhalte, die moralische Urteile vorfinden müssen. "Die Berufung auf moralische Grundsätze im Bereich der Restitution von NS-Raubkunst nährt insofern stets die Vermutung, dass es eine quasi natürliche Ordnung gebe, innerhalb derer sich bestimmte Rückgaben zwangsläufig einzustellen hätten."

Gelegentlich liest man, dass angesichts der Kulturhoheit der Länder der Weg zu einem deutschen Restitutionsgesetz zu umständlich wäre. Schönberger weist darauf hin, dass auch die Bundesstaaten Österreich und Vereinigte Staaten Gesetze zustande gebracht haben. Der amerikanische Holocaust Expropriated Art Recovery Act setzt nach dem Vorbild der alliierten Gesetze eine neue Ausschlussfrist - während die Lex Gurlitt, die Bayern in den Bundesrat einbrachte, die Verjährung komplett aufheben wollte. Die Beratung im Bundesrat ruht seit nunmehr fünf Jahren, während ein Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium, welcher der Autorin vorliegt, seit vier Jahren auf seine Beschlussreife wartet.

Ein Reiz des Buches ist die Kombination von rechtstechnischer Detailuntersuchung und grundsätzlichen Erwägungen rechtssoziologischen und sogar anthropologischen Charakters. Die im Titel angedeutete Frage, warum das in Washington grundgelegte neue, zweite Restitutionsrecht von allen Besitztümern, die verfolgten Juden geraubt wurden, ausschließlich Kunstgegenstände erfasst, findet eine differenzierte Antwort. Neben dem Zeichencharakter von Kunstwerken, der fast beliebige symbolische Aufladungen erlaubt und die Identifikation des Publikums mit den Sammlern leichtmacht, kommen auch prosaische Eigenschaften zur Sprache beziehungsweise prosaische Perspektiven auf die bekannten Eigenschaften von Kunstwerken. So ist etwa, falls sie überhaupt erhalten geblieben sind, anzunehmen, dass ihnen Abnutzung erspart geblieben ist - deshalb ist Rückgabe möglich und oft den Aufwand wert.

Etwas zu knapp belegt Sophie Schönberger ihre Überlegung, dass Rückgabe keine anthropologische Universalie sei und deshalb der Stützung durch "Narration", durch kulturell plausible Geschichten bedürfe. Was die Rolle des Rechts für die Bereitstellung und Ausfüllung der Schemata solcher Geschichten angeht, ist sich die Autorin selbst nicht ganz schlüssig. Einerseits stellt sie fest, "in demokratisch verfassten Gesellschaften" sei das Recht "das zentrale Medium, um gesellschaftliche Fragen zu diskutieren und einer Entscheidung zuzuführen". Das ist wohl doch eine Übertreibung und unterschätzt die Literatur als Diskussionsmedium ebenso wie die Politik, deren Entscheidungen nicht alle auf rechtliche Setzungen hinauslaufen. Andererseits bemängelt sie, dass die ausführliche Legende, die in der Neuen Galerie in Kassel einem Gemälde beigegeben ist, das gemäß einer Empfehlung der Limbach-Kommission dem Museum nach Zahlung einer Entschädigung erhalten blieb, "die Geschichte über die Beilegung eines juristischen Konflikts" erzähle und "keine Geschichte von Raub und Verfolgung".

Aber auch solche Spannungen in der Argumentation illustrieren, dass Sophie Schönbergers Beitrag zu einer Debatte, in der die Formeln falscher moralischer Sicherheit den Ton angeben, durch die Vielzahl der Informationen und Gedanken besticht.

PATRICK BAHNERS.

Sophie Schönberger: "Was heilt Kunst?". Die späte Rückgabe von NS-Raubkunst als Mittel der Vergangenheitspolitik.

Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 274 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].

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»ein höchst anregendes Buch zur Raubkunstdebatte« (Patrick Bahners, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.09.2019) »ein Buch, (...) das die verborgenen Widersprüche und Leerstellen der Restitutionsdebatte überzeugend ausleuchtet und sich zugleich als höchst anregender Begleittext für die weitere Diskussion empfiehlt« (Manuel Wischnewski, Welt am Sonntag, 04.08.2019) »Dieses Buch ist lesbar und lesenswert.« (Bettina Scheurer, ekz.bibliotheksservice, 12.08.2019) »Es ist (...) ein anregender Essay, der die ungenutzten Möglichkeiten bei der Rückgabe von NS-Raubkunst darlegt.« (Sebastian Peters, sehepunkte, 15.03.2020)