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'Von seltenen Vögeln': Die Malerin und Schriftstellerin Anita Albus hat einen Vogelthriller geschrieben, ein faszinierendes und bewegendes Buch über ausgestorbene und vom Aussterben bedrohte Vogelarten, in dem sich Naturgeschichte und Kriminalbericht mischen. Malend und schreibend stellt sie überzeugend dar, dass das Aussterben der Arten nicht nur als Naturverlust, sondern, wesentlicher, als Kulturverlust zu beklagen ist, denn mit jeder verlorenen Spezies geht eine »Welt« unter, die sich im menschlichen Geist - in den Künsten, der Mythologie, der Wissenschaft - gespiegelt hat. Spannend und…mehr

Produktbeschreibung
'Von seltenen Vögeln': Die Malerin und Schriftstellerin Anita Albus hat einen Vogelthriller geschrieben, ein faszinierendes und bewegendes Buch über ausgestorbene und vom Aussterben bedrohte Vogelarten, in dem sich Naturgeschichte und Kriminalbericht mischen. Malend und schreibend stellt sie überzeugend dar, dass das Aussterben der Arten nicht nur als Naturverlust, sondern, wesentlicher, als Kulturverlust zu beklagen ist, denn mit jeder verlorenen Spezies geht eine »Welt« unter, die sich im menschlichen Geist - in den Künsten, der Mythologie, der Wissenschaft - gespiegelt hat. Spannend und anschaulich, provokant und amüsant, wendet sich dieses Buch sowohl an den wissenschaftlich Interessierten, als auch an den 'naiven' Vogelliebhaber. Ein weiterer Meilenstein im erstaunlichen essayistischen Oeuvre von Anita Albus.
Autorenporträt
Anita Albus lebt als Malerin und Schriftstellerin in München. Berühmt wurde sie vor allem durch ihre augentäuschenden Naturdarstellungen, die vielfach ausgestellt wurden. Zugleich mit der Malerei hat sich Anita Albus der Literatur gewidmet, einen Roman und Erzählungen geschrieben und mehrfach ausgezeichnete Essays verfasst. Zuletzt erschienen bei S. Fischer die Bücher »Von seltenen Vögeln« (2005), »Das botanische Schauspiel« (2007), »Das Los der Lust« (2007), »Im Licht der Finsternis. Über Proust« (2011), »Käuze und Kathedralen. Geschichten, Essays und Marginalien« (2014) sowie »Sonnenfalter und Mondmotten« (2019). Literaturpreise:Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst (2014)Bundesverdienstkreuz für ihre Verdienste als Repräsentantin der deutschen Kultur in Frankreich (2011)Friedrich-Märker-Preis für Essayistik (2002)Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay (2004)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005

Das ist die Liebe der Schleiereulen
In der Arche Albus: Ein wunderbares Kabinett der schrägen Vögel / Von Michael Maar

Manche Vögel sind schlauer, als man denkt. Kürzlich ging die Geschichte des afrikanischen Graupapageis Axel durch die Presse. An der Brandeis-Universität in Waltham, Massachusetts, wird Axel seit achtundzwanzig Jahren unterrichtet. Nicht, daß er inzwischen das Abitur gemacht hätte, aber er kann sieben Farben und fünfzig Gegenstände benennen, er zählt bis sechs, und er begreift die Bedeutung der Zahl Null. Das ehrgeizigste Ziel seiner Lehrerin bestand darin, Axel die Zerlegung von Wörtern in einzelne Buchstaben beizubringen. Wie nah sie diesem Ziel schon gekommen war, stellte sich bei einem Auftritt heraus, bei dem sie es versäumte, den Papagei nach jeder Vorführung mit der üblichen Nuß zu füttern. Eine Weile lang ließ Axel sich das Ausbleiben der Belohnung gefallen. Irgendwann wurde es ihm zu bunt. "Want a nut", krächzte er vernehmlich, und mit spürbarer Gereiztheit noch einmal: "Nnn, uh, tuh."

Auch wenn nicht alle so anstellig sind wie der Papagei Axel, irgend etwas an den Vögeln hat die Menschen immer mysteriös angezogen. Für Platon war die postume Verwandlung in einen Vogel die mildeste Strafe der Götter. In der Mythologie vieler Völker sind Vögel Träger der verstorbenen Seelen. Verblüffend ist die anatomische Ähnlichkeit, wie man in Pierre Belons "Naturgeschichte der Vögel" sehen kann, in der ein Menschenskelett neben dem Skelett eines Vogels steht. Daß nur eines der beiden so gebaut ist, daß es sich zu Lebzeiten in die Lüfte erheben konnte, trägt entscheidend zur Bewunderung bei, die der Erdenkloß für die volatilen Freunde hegt. Der Mensch trage die Last seiner Schwerkraft wie einen Mühlstein am Hals, dichtet Saint-John Perse, der Vogel wie eine bunte Feder an der Stirn. Vögel zu beobachten, Bird watching, ist für manche Menschen eine eigentümliche, fast unbezwingbare Passion, wie es Arnulf Conradi in einem wunderbaren kleinen Buch beschrieb.

Ein wunderbares großes Buch über Vögel, tief melancholisch, wenn auch nicht ohne Grundierung durch Humor, hat nun Anita Albus vorgelegt, die selbst so etwas wie ein seltener Vogel ist und als altmodische Privatgelehrte und Künstlerin die Präzision der Poesie mit der Einbildungskraft der Naturwissenschaft vereint - wenn man es mit ihrem Lieblingsautor Nabokov sagen darf. Ein melancholisches Buch ist es darum geworden, weil es nicht um beliebige Vögel, sondern um aussterbende oder schon ausgestorbene Vögel geht.

In sprachlich anmutigen und metikulös gearbeiteten Porträts stellt Anita Albus in zwei Abteilungen untergegangene und gefährdete Vogelarten vor: Wandertauben, Speervögel und Aare; den Waldrapp, den Wachtelkönig, die Nachtschwalbe, die Schleier- und die Sperbereule und den sagenumwobenen Eisvogel. Durchschossen ist das Buch von herrlichen Abbildungen, darunter solchen aus der Hand der Autorin selbst, die auch als Malerin an verschollen geglaubte Traditionen der "Kunst der Künste", wie ihr 1997 veröffentlichtes großes Malereibuch hieß, meisterhaft anknüpft. Der Anhang zu dieser ornithologischen Arche Noah druckt Buffons "Abhandlung über die Natur der Vögel" ab, von der Autorin, vielleicht eine Art moderner Madame Buffon, elegant übersetzt.

Fast hundertdreißig Vogelarten sind seit 1500 ausgestorben, knapp zweitausend sind gefährdet. Was macht den Vögeln das Überleben so schwer? Eine Kombination verschiedener menschlicher Tätigkeiten, die sich ganz trivial ausnehmen können, ohne darum weniger zerstörerisch zu sein. Der Wachtelkönig wurde durch Flurbereinigung und Flußbegradigungen an den Rand des Aussterbens gebracht. Dem Waldrapp, das ist der europäische Schopfibis, ein heiliger Vogel seit Urzeiten, wurde die Malaria zum Verhängnis. Als die Epidemie in seinem letzten Refugium in der Türkei auszubrechen drohte, ließ das Gesundheitsministerium so lange DDT versprühen, bis sich keine Mücke mehr regte. Nicht einmal Skorpione überlebten den Giftangriff. Die Population der Waldrappe schrumpfte bedrohlich, aber schlimmer als die Pestizide war, wie Anita Albus zeigt, das folgende Waldrapp-Schutzprogramm.

Man muß selber nachlesen, wie der gute Wille sich so in sein Gegenteil verkehrt, daß der Helfer zum Totengräber werden konnte. Den tölpelhaft raffinierten Anstrengungen der Vogelschützer steht die allezeit wache Geschäftstüchtigkeit der Unterwelt gegenüber. Seitdem durchgesickert ist, daß einzelne Vögel nur noch in wenigen Exemplaren existieren, sind die Preise nach oben geschossen. Für ein Paar der streng geschützten blauen Spixaras boten Privatsammler 80 000 Dollar. Es ist, um das Klischee zu verwenden, ein ornithologischer Krimi, den Anita Albus in ihrem Kapitel "Aareinsamkeit" erzählt; eine in ihren Verwicklungen leicht phantastisch anmutende Geschichte von intern verfeindeten Papageienrettungskomitees, von südamerikanischen Schmugglerbanden und einer Razzia in Asunción, bei der zwanzig Polizeioffiziere erfolglos das Haus eines verdächtigen Wildtierhändlers durchsuchen, bis sie hören, wie im zweiten Stock eine Tür zuschlägt - das fliehende Dienstmädchen, in dessen Reisetasche sich zwei flaumige Spixara-Küken finden.

"Von seltenen Vögeln" ist keine griesgrämige Klage, sondern unerhört farbig und anschaulich. Jeder, der schon einmal einen Vogelschwarm beobachtet und versucht hat, die pulsierende Woge in Worte zu fassen, kennt das Gefühl der Resignation bei dieser schwersten aller Herausforderungen an die Beschreibungskunst. Eine der unvergeßlichen Szenen dieses Buches ist die Schilderung der schwarzen Wolke, die im Herbst 1813 über Kentucky wegzog und den Himmel verdunkelte wie eine Sonnenfinsternis. Es war ein Zug Wandertauben, der über das Land herfiel. Schmelzenden Schneeflocken gleich regnete der Vogelmist auf den Überlieferer des Naturschauspiels herab, den Vogelmaler John James Audubon. Drei Tage lang brach der Vogelzug nicht ab. Es ist schwer zu glauben, aus wie vielen Einzelwesen, die durch ein Gedächtnis verbunden schienen, er bestand: nicht Millionen, sondern anderthalb bis zwei Milliarden. Versuchte ein Falke einen Vogel aus der Schar zu reißen, schreibt Audubon, schossen die Tauben unter dem Donnergrollen ihrer aneinanderschlagenden Fittiche zu einer festen Masse zusammen. Wie ein lebendiger Strom stürzen sie geballt hernieder, fallen bis zum Boden herab, steigen wie eine mächtige Säule senkrecht empor, kreisen und winden sich gleich den Spiralen einer gigantischen Schlange; bald rötlich, bald schieferblau schillernd, wie das Gefieder der einzelnen Wandertaube im Nacken zwischen Purpurviolett, Gold und Grün changiert.

Das Gemetzel, das die Landbevölkerung unter den nahrungsuchenden Tauben anrichtete, war furchtbar. Auch ihre Nistplätze wurden vernichtet. Im späten neunzehnten Jahrhundert war der Riesenschwarm schon stark geschrumpft. Natürliche Feinde, Unwetter, Waldbrände und Virusepidemien besorgten den Rest. 1909 waren zwei Tauber und eine Täubin im Zoo von Cincinnati als letzte Überlebende zu sehen. Ein Jahr später war die Täubin allein. Sie hieß Martha - nach der Frau George Washingtons, nicht nach der Schwester des Lazarus, wie Albus witzig bemerkt. Martha starb 1914, mit ihr die Art der Wandertaube; anders als Lazarus nicht nur auf Bewährung, sondern pour du bon.

Die rotäugige Wandertaube, die sich mit einer Milliarde Stammesfreundinnen zur schillernden Riesenschlange zusammenschließt, ist nur einer der Vögel, die Anita Albus uns plastisch vor Augen rückt. Die Nachtschwalbe, die man nach einem ungerechtfertigten Verdacht über ihre Ernährungsgewohnheiten "Ziegenmelker" heißt, wegen ihres geräuschlosen Fluges auch Fledermauskönig, wegen des Klagerufs auch Totenvogel und wegen ihrer Tarnfähigkeit Fliegende Kröte - diese Nachtschwalbe ist wohl der schrägste Vogel in diesem Kabinett. Der Ziegenmelker ist ein Meister der Mimikry und des Trompe-l'oeil, der sich auf jeder Baumrinde unsichtbar macht. Er kann mit dem Hinterkopf sehen - so wirkt es wenigstens, wenn er seine eminent beweglichen Augäpfel nach hinten stellt. Treibt man ihn in die Enge, gebärdet er sich mit seinem großen roten Rachen wie eine fauchende Kobra. Gegen eine Schlange als Schlange aufzutreten hilft ihm aber nicht, da verfährt er anders: Wird er von einer Kreuzotter bedroht, hypnotisiert er sie durch starren Blick und rhythmisch wiegendes Heben und Senken der Schwingen. Die Otter macht sich dann etwas benommen aus dem Staub. Im Winter und beim Hungern kann die Körpertemperatur des Ziegenmelkers auf 14 Grad Celsius sinken. Bei Kälte-Experimenten hat er sogar schon 5° C erreicht und überlebt. Bei den Hopi-Indianern heißt er darum Schläfer. Er wird als Bote der Verstorbenen, aber auch als vampirische Seele angesehen.

Nicht weniger erstaunlich ist die Schleiereule. Ihr Liebesleben hat etwas Maßloses selbst im Reich jener Tiere, die der Umgangssprache nicht zufällig Verbmaterial zufüttern. Erst muß der Eulerich den sichersten Brutplatz gegen Rivalen verteidigen, nächtelang singen und locken, ein Dutzend Mäuse als Vorrat anhäufen, seine Flugkünste und seinen Mut im Kampf gegen stärkere Eulen beweisen. Dann ist er so weit, daß die Umworbene sich immerhin seinen Trippeltanz anschaut, den er mit Fauchen und Zungenschnalzen unterlegt. Wenn er diesen Tanz dann noch mit dem Präsent einer frisch geschlagenen Maus verbindet, zeigt sich die dame sans merci endlich gezähmt. Der Lohn erweist sich aller Mühen wert. Die Schleiereule fordert ihn fiepend zur Paarung auf, der Eulerich steigt ihr stakkatoartig gackernd auf den Rücken. Ihr sogenannter Tretakt ist nicht wie der anderer Vögel auf wenige Sekunden beschränkt, erfahren wir bei Albus, sondern währt bis zu einer Minute, begleitet von einem sich steigernden Schnarchton des Galans, der seine Erregung nach dem Absprung girrend ausklingen läßt, bevor sich das Pärchen gründlich das Gefieder krault oder Brust an Brust einnickt. Diese Zeremonie wird vom Weibchen mindestens einmal pro Stunde gefordert; Tag wie Nacht.

Das ist die Liebe, aber noch erstaunlicher ist die Jagd. Die Schleiereule kann in einem vollkommen abgedunkelten Raum in lautlosem Flug auf Anhieb eine raschelnde Maus fangen. Sie hat nämlich ein dreidimensionales Gehör, das feinste in der Vogelwelt überhaupt. Ihre Ohrmuscheln sind zwei Parabolschirme, die sie zum Lauschen kreisrund vorspreizt. Ein Neuronensystem in ihrem Mittelhirn trägt die eintreffenden Schallwellen gewissermaßen auf einer Raumkarte ein. Der Trick beim Horchpeilen in der Finsternis ist eine leichte Asymmetrie der Ohrklappen. Die linke Klappe steht etwas weiter oben vom Schädel ab als die rechte, dadurch trifft der Schall auf dem einen Ohr minimal verzögert ein. Es ist der Bruchteil einer Sekunde, aber er genügt: durch die unterschiedliche Frequenzintensität kann das Eulengehirn die Geräuschquelle exakt orten. Ein raffiniertes Federsystem sorgt dann dafür, daß sich beim Sturzflug der Luftstrom in feinste Verwirbelungen auflöst. Die Folge ist, daß kein Eigengeräusch entsteht, durch das die Beutelaute maskiert und die Opfer gewarnt würden. Das sind schlechte Nachrichten für die Maus, aber es steigert unsere Bewunderung für die Findigkeit von Mutter Natur.

Der Mensch ist ebenfalls findig, hat freilich nicht immer die glücklichste Hand. Wie schon beim Waldrapp zu bemerken war, kann auch der beste Wille schaden. Es erinnert stark an die dilettantischen Experimente Bouvards und Pécuchets, wie die Papageienschützer den Aras elektronische Sender um den Hals binden, bis sie feststellen müssen, daß die Dauerbestrahlung zu Sittenverrohung, Gruppenzerfall und Mordlust führt. Auf der andern Seite hat dieser Eifer etwas Rührendes. Der Mensch ist der große Artenvernichter, einerseits. Immer wieder fühlt man sich bei der Albus-Lektüre darum in die Jugend zurückversetzt, in der jeder "Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses" las; jeder mit dem haßglühenden Wunsch nach einer Zeitmaschine und höllespeienden Waffen, mit denen den ins Aussterben manövrierten Indianerstämmen beizustehen wäre.

Und doch gibt es diese andere Seite, die Subtilitäten und energischen Schritte, mit denen eine Handvoll Vogelschützer und Politiker versuchen, eine bedrohte Art zu retten und noch lebende Exemplare zu schützen. Fünfzehn Wachtelkönigmännchen haben den Bau einer ganzen Trabantenstadt verhindert. Die süßen Vögel fressen, wenn es sein muß, seelenruhig ihre eigenen Kinder. Das eine oder andere ist auch für den Menschen in die Schale zu legen, schutzbedürftig auch er. Der lakonische letzte Satz dieses Buches ist darum vielleicht sein schönster. Anita Albus kehrt von den Eisvögeln zurück zu den Irokesen: "Am Schicksal dieser Völker gemessen, geht es den Königsfischern diesseits und jenseits des Ozeans noch gut."

In ihrem Nachwort wird die Autorin prinzipiell und nimmt den Reduktionismus und die Evolutionstheorie ins Gebet, klug und kühl; scheinbar kühl, in Wahrheit mit Irokesinnen-Grimm. Es ist nicht auszuschließen, daß manche Leser ihre Darstellung des wissenschaftlichen Status quo als leicht gefärbt empfinden. Es gibt die Evolutionstheorie als Gesamtheit ja sowenig, wie es den Vogel gibt; es gibt viele Klassen und Unterarten, und keineswegs alle Evolutionstheoretiker spielen gedanklich mit der Verbesserung des menschlichen Genotyps, wie Albus es befürchtet. Die wenigen, die es tun, bilden eine ebenso kleine Spezies wie die Spixaras. Auch die jüngeren Erkenntnisse der Hirnforschung lassen sich nicht alle mit dem Hinweis auf eine ihnen zugrunde liegende logische Antinomie wegwischen. Es stimmt, daß die Dinge verzwickt werden, sobald die Willensfreiheit ins Spiel kommt, die angeblich durch neuronale Verdrahtung aufgehoben sei. Dennoch sind diese Wissenschaftler keine Idioten. Im Haus des Herrn ist auch eine Wohnung für den Hirnforscher. Sicher wäre sie schöner mit einem Bauer darin, aus dem ein Sittich guckt, und einem Albus-Aquarell an der Wand.

Ganz sicher ist, daß man beim Verlassen dieser großen Arche nicht umhinkann, das Lob dreifach zu türmen. Lob dem Verlag, der ein solches Risiko eingeht; Lob dem Hersteller, der ein so exorbitant schönes Buch schaffen konnte, ein Wunderwerk des gestalterischen Geschmacks, mit Bildern ausgestattet, die in ihrer Opulenz an träumerisch verwehte alte Zeiten erinnern; und Lob der Autorin, Malerin, Forscherin, die alle ihre Talente und Fähigkeiten gebündelt hat, um ein Werk vorzulegen, auf das man im Jahr 2005 nicht mehr zu hoffen gewagt hätte und nach dem jeder rechtschaffene Hahn oder Graupapagei krähen muß.

Anita Albus: "Von seltenen Vögeln". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. Mit zahlreichen Abbildungen und zwei Falttafeln. 297 S., geb., 45,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2005

Die hundert Namen des Wachtelkönigs
Eine Arche in Wort und Bild: Die erzählende Malerin Anita Albus und ihr waldgrüner, kolibriseidiger Prachtband „Von seltenen Vögeln”
Die Malerin, Schriftstellerin, Privatgelehrte und Vogelliebhaberin Anita Albus spricht es gelassen aus: „Kein Mensch kann sich für Millionen Vögel erwärmen.” Aus diesem einfachen Grund konnte Alfred Hitchcock sie zu Horrordarstellern machen. Wenn diese sich in Massen zeigen, wirken selbst diejenigen unter den Bewohnern der Luft, die wir als Einzelexemplare oder auch paarweise wegen ihrer Schönheit und Grazie bewundern, ein wenig unheimlich. Die Vorstellung, jene Scharen würden, statt über uns hinwegzufliegen, mit ihren Schnäbeln an menschliche Behausungen pochen und Einlass begehren, hat etwas entschieden Beklemmendes. Ästhetisch reizvoll und naturwissenschaftlich faszinierend sind die Formationen des Vogelzugs, wenn wir sie aus der Ferne beobachten, aber Riesenschwärme, die insektengleich den Himmel verdunkeln, und Vogeltrauben, die in den Bäumen hängen, berühren uns eher unangenehm.
Wandertauben-Plage
Insofern hat Anita Albus für ihren in waldgrüne Kolibriseide gehüllten Prachtband „Von seltenen Vögeln” ein kühnes Eröffnungskapitel gewählt: Es schildert die amerikanische Wandertauben-Plage im 19. Jahrhundert und die darauf folgenden Massaker, die zur Ausrottung der Spezies Ectopistes migratorius führten. Der zeitgenössische Ornithologe John James Audubon hat anschaulich und drastisch beschrieben, wie eineinhalb bis zwei Milliarden Wandertauben über das Land herfielen, die Wälder verheerten und dann von der bäuerlichen Bevölkerung in einem beispiellosen Gemetzel vernichtet wurden. Die letzte Überlebende ihrer Art, eine Täubin namens Martha, getauft nach George Washingtons junger Gattin, starb 1914 im Zoo von Cincinnati. Als die Wandertauben schon selten geworden waren, malte Audubon das Porträt eines schnäbelnden Pärchens - nicht etwa nach dem Leben, sondern nach einem selbst geschossenen Präparat. Jetzt zählt die Abbildung zu den kostbaren Illustrationen, eigenen und fremden, die Anita Albus ihrem Werk über ausgestorbene und gefährdete Vogelarten beigegeben hat.
Am Anfang also steht ein Untergangsszenario, das nicht unbedingt geeignet scheint, etwas wie späte Liebe zu einer ausgelöschten Spezies zu wecken. Und doch gehört auch die unsentimentale, fast trockene Darstellung von Vorgängen in der Natur und von menschlichen Eingriffen in ihr Gleichgewicht zum Konzept dieser kleinen Wunderkammer zwischen zwei Buchdeckeln, die den Blick schärfen soll für einen schlimmen, schleichenden Verlust. Seit 1500 sind rund einhundertdreißig Vogelarten vom Globus verschwunden, einhundertdrei davon seit 1800. Vom Aussterben bedroht oder in unterschiedlichem Grad gefährdet sind an die zweitausend weitere Arten. Für einige von ihnen hat Anita Albus nun eine papierene Arche gebaut, auf der sie wenigstens in Wort und Bild sicher aufgehoben sind.
Aus der Gruppe der Untergegangenen porträtiert die Autorin neben der Wandertaube den Karolinasittich, den Riesenalk und den Blauara; von den Bedrohten stellt sie uns sechs Flügelwesen vor, denen sie schon in den Kapitelüberschriften märchenhafte Attribute verleiht: den wundersamen Waldrapp, auch Schopfibis genannt, den scheuen Wachtelkönig und den unheimlichen Ziegenmelker, die schöne Schleiereule, die kühne Sperbereule und den weisen Eisvogel.
Sie alle haben ihre Eigenarten, Gewohnheiten, Vorlieben und staunenerregenden Fähigkeiten, ihre angestammten Lebensräume und Empfindlichkeiten; sie sind große Jäger oder unersättliche Liebende, Hungerkünstler, Flugakrobaten, Tarnungs- oder Radarspezialisten oder Meister der Mimikry. Anita Albus kennt die historische und aktuelle Forschungsliteratur so gut wie die Vogelmythen der Völker, sie bewegt sich zwischen poetischem Erzählen und wissenschaftlich nüchterner Diktion mit der flinken Eleganz einer Schwalbe zwischen Nest und Mückenfang. Sie berichtet von den zerstörerischen Machenschaften des Menschen, die den Vögeln das Leben schwer machen, ebenso wie von den gut gemeinten und mitunter wenig durchdachten Rettungsversuchen der Naturschützer, um dann wieder phantastische oder kriminalistische Anekdoten einzuflechten. Ihre altmeisterlichen Vogelbilder und Stillleben fügen sich bruchlos in ihre Kollektion von Vogeldarstellungen aus früheren Jahrhunderten. Ihre Liste volkstümlicher Namen allein für den Wachtelkönig (mehr als hundert an der Zahl) liest sich wie ein Stück konkreter Poesie. Ihr Buch ist ein Klagegesang, aber auch eine Hymne und ein Weckruf, und seine aufwendige Gestaltung ist kein Schnickschnack, sondern dokumentiert den Anspruch auf Dauer, den jedes solide Nachschlagewerk erhebt.
Leider (oder muss man sagen: zum Glück?) ist unter den verlorenen und stark gefährdeten Arten auf der Albus-Arche kein Singvogel zu finden. Dafür befasst sich Buffons Abhandlung „Sur la nature des oiseaux” aus dem späten 18. Jahrhundert, die in der Übersetzung der Autorin in den Band aufgenommen wurde, so ausführlich wie spekulativ mit den Stimmen der Vögel, und man könnte sich vorstellen, dass den Sängern unter ihnen noch ein eigenes Albus-Werk gewidmet wird. Vielfältig sind die Beziehungen zwischen Mensch und Vogel in Dichtung, Kunst und Mythologie: In den gefiederten Kreaturen erkannte man Götterboten und Träger verstorbener Seelen, die Verwandlung in einen Vogel war in Platons Reinkarnationslehre die mildeste Strafe, die einen Unvernünftigen nach dem Tod ereilen konnte, und hartnäckig hält sich die Sage vom leibhaftigen Vogelmenschen. Paradiesvögel, Spaßvögel, schräge Vögel nennen wir luftige, aber meist sympathische Vertreter der Spezies Homo sapiens. Die Fähigkeit, melodische Töne hervorzubringen, teilt der Mensch mit den geflügelten Geschöpfen, und nicht von ungefähr war es die Schreckensvision einer Welt ohne Vogelstimmen, mit der Rachel Carsons Buch „The Silent Spring” vor mehr als vierzig Jahren den Anstoß für eine weltweite Ökobewegung gab.
Evangelium des Teufels
In ihrem Nachwort geht Anita Albus polemisch, aber klarsichtig und klug mit den Folgen eines reduktionistischen Weltbildes ins Gericht, dem die Natur nur als „Schule der Gewinnmaximierung” gilt. Darwins Evolutionstheorie, die er selbst das „Evangelium des Teufels” nannte, moderner Selektionswahn und die Hybris der Neurobiologen werden der indianischen Weltsicht gegenübergestellt, die allen Erscheinungsformen des Lebens auf der Erde die gleiche religiöse Würde zugesteht. Manche mögen diese Auffassung obsolet und romantisch finden, aber nie war sie so wert-
voll wie heute. Deshalb ist sie in einer bibliophilen Preziose wie dieser genau am richtigen Platz. KRISTINA MAIDT-ZINKE
ANITA ALBUS: Von seltenen Vögeln. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 297 Seiten, zahlr. Abb., 48 Euro.
J. G. Keulemans, „Tordalk-Männchen im Hochzeitskleid und Nestling”, aus J. A. Naumanns „Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas”
Foto: Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Anita Albus' Vogel-Buch bringt Rezensentin Kristina Maidt-Zinke zum Singen, auch wenn die Autorin keinen Singvogel in ihre Auswahl an gefährdeten Vogelarten aufgenommen habe. Zwischen den Buchdeckeln aus "waldgrüner Kolibriseide" liegt für die Rezensentin nicht weniger als eine "Wunderkammer", "ein Klagesgesang, aber auch eine Hymne und ein Weckruf", und allein die Liste volkstümlicher Namen ergäbe ein "Stück konkreter Poesie". Überbieten kann die Rezensentin ihr Lob schließlich noch mit der nüchternen Feststellung, hier handele es sich um ein veritables Nachschlagewerk, und alle Schönheiten des Buches und des Inhalts seien keineswegs "Schnickschnack", sondern hätten bleibenden dokumentarischen Werk. Von den seit 1800 einhundertdrei ausgestorbenen und unter den zweitausend bedrohten Vogelarten habe Albus sechs ausgewählt, um ihre Eigenarten und Fähigkeiten auf mal poetische mal wissenschaftliche Erzählweise einzufangen. Auch die Vogelmythen der Völker oder hitchcockartige Vogelplagen der Vergangenheitflechte die Autorin geschickt "ein", eingerahmt gewissermaßen, so die Rezensentin, von selbstgemalten Vogelbildern und Stilleben im "altmeisterlichen" Stil, die sich "bruchlos" mit anderen historischen Vogelbildern vermischen würden. Die Autorin sei nämlich wie ihr Buch ein Wunderkammertalent aus "Malerin, Schriftstellerin, Privatgelehrter, und Vogelliebhaberin".

© Perlentaucher Medien GmbH
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