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Tosende Palmen, ein Rascheln im Sellerie, ein Tiger verschwindet, in der Ferne detoniert eine Atombombe, und das Bewusstsein beginnt, rückwärts zu laufen. Es gehört einer Fernsehmoderatorin, die aufgrund wiederholten Fehlverhaltens auf eine einsame Insel verbannt wurde, ausgestattet nach eigener Wahl mit Messer, Schleifstein und Meyers Konversations-Lexikon. Doch sie ist nicht allein. Hier sind schon fünfundzwanzig Matrosen, die in den Jahren seit ihrem Schiffbruch eine beachtliche kleine Parallelgesellschaft aufgebaut haben, sie heißt Hegelland. Ursprünglich Quäker, hängen sie jetzt der…mehr

Produktbeschreibung
Tosende Palmen, ein Rascheln im Sellerie, ein Tiger verschwindet, in der Ferne detoniert eine Atombombe, und das Bewusstsein beginnt, rückwärts zu laufen. Es gehört einer Fernsehmoderatorin, die aufgrund wiederholten Fehlverhaltens auf eine einsame Insel verbannt wurde, ausgestattet nach eigener Wahl mit Messer, Schleifstein und Meyers Konversations-Lexikon. Doch sie ist nicht allein. Hier sind schon fünfundzwanzig Matrosen, die in den Jahren seit ihrem Schiffbruch eine beachtliche kleine Parallelgesellschaft aufgebaut haben, sie heißt Hegelland. Ursprünglich Quäker, hängen sie jetzt der selbsterfundenen Schraubenreligion an und unterhalten in arbeitsamer Kulturleistung drei Pressen von kontinuierlich steigender Druckqualität. Was wird nun angesichts der ersten Frau passieren, und was, wenn mehr kommen?In 399 Neo-Spenser-Strophen schildert Ann Cotten die Turbulenzen, die nach einer weiblichen Flüchtlingswelle aus dem Internet in Hegelland entstehen. Die verschuldeten Prothesenträgerinnen werden unwillentlich zum Katalysator einer schon lange schwelenden Konterrevolution. Mithilfe von Reimen, Anspielungen, synästhetischen Zwängen und großer Anschaulichkeit wird dieser luzide Alptraum auch in Ihr Bewusstsein gehämmert.
Autorenporträt
Ann Cotten wurde 1982 in Iowa geboren und wuchs in Wien auf. Ihre literarische Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Hugo-Ball-Preis 2017 und dem Gert-Jonke-Preis 2021. Sie lebt in Wien und Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ein gewisses Maß an Konzentration und Taktgefühl für sprachliches Tempo sind schon nötig, um die ganze Brillanz von Ann Cottens Versepos "Verbannt!" zu erfassen, meint Rezensent Tomasz Kurianowicz. Belohnt wird dies aber mit der Faszination großer, konventionsloser Literatur, verspricht der Kritiker, der mit Cotten eine aufregende "Karussellfahrt der Ideen" und Assoziationen unternimmt. Die Handlung erscheint ihm dabei beinahe nebensächlich, viel zu gebannt ist der Kritiker von Cottens Kunst, ihr klassisches, in Spenserstrophen gehaltenes Versschema mit der modernen Welt zu konfrontieren, dabei von Mythen ebenso zu erzählen wie vom Internet und vom Bierbrauen. Großartig auch, wie die Autorin die Komplexität ihrer Strophen immer wieder mit eigenwilligen Comicstrips unterbricht, lobt der Rezensent, der hier lernt, wie man "Wirklichkeit scratcht".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2016

Ein schönes Durcheinander
In ihrem Versepos „Verbannt!“ schickt Ann Cotten den weiblich gewordenen Weltgeist in Gestalt einiger
postpostmoderner Internethippieamazonen auf die Insel – und übertrifft als Autorin sich selbst
VON INA HARTWIG
Bevor man sich von Ann Cottens neuem Buch „Verbannt!“ umgarnen lässt, einem „Versepos“ in 403 Strophen, sollte man Folgendes wissen. Edmund Spenser veröffentlichte 1590 das Versepos „The Faerie Queene“, eine Eloge auf Elizabeth I., und er tat dies in Strophen von jeweils neun Versen, die sich nach einem festen Schema reimen (nämlich: ababbcbcc).
  Dieses Schema nun dient der preisverwöhnten Autorin, die nach Selbstauskunft gern „alte Bücher“ liest, als Vorlage für ihr ziemlich heutiges Stück. Vorlage? Na, eher als Einladung zur schlampig-genüsslichen Spielerei. Denn Cotten ist nicht Gernhardt; das Heiterkeitsdiktat zur Versöhnung der Dichtung mit der Basis-Melancholie des Lebens lehnt das verrückte, verkopfte Riot Girl der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ab. Ihre Leserschaft soll’s nicht leicht haben, nein, nein.
  Der Verlag weiß das wohl. Ein Plot muss her! Deshalb versucht die Gattung Klappentext hier das Unmögliche. Und das klingt dann so: „In 403 Pseudo-Spenser-Strophen schildert Ann Cotten die Turbulenzen nach einer weiblichen Flüchtlingswelle aus dem Internet.“ Stopp. Bevor wir uns sagen lassen, dieser „luzide Alptraum“ hämmere (sic) sich in unser „Bewusstsein“, übernimmt jetzt die böse Kritikerin. Und das ist durchaus im Sinne der Dichterin, die gleich in der „Einleitung“ ihre Kritiker schmäht, vermutlich um ihnen den Wind aus den Segeln ihres eventuellen Widerstands zu nehmen. Aber was, wenn da gar kein Widerstand ist? Die gute Stimmung ist leider hin. „,Die Cotten“, schreibt Cotten, „steckt den Kopf jetzt in den Sand‘, / hör ich schon Rezensenten ihre Federn reinigen / und, an ihren Prinzipien hängend, zornbebend bescheinigen / der ,immer schon verwirrten‘ Lyrikerin den Garaus, / den Revue-Stil assoziierend mit dem Vogel Strauß.“
  Ach Schwester Hochmut, war das nötig? Aufatmen, als „die Zeit für Einleitung fast um“ ist. Endlich kann es losgehen mit der Robinsonade, der abenteuerlichen Reise, von der hier dichtend die Rede ist. Ann Cottens fraglos erstaunliches Hirn, von unverschämten Musen zuverlässig geküsst, ist nun ganz auf Anti-Plot geeicht, sprich: „Echte“ Handlung will die Autorin gar nicht. Die Kopfgeburten dieser Verse kommen vielmehr aus dem Sprachmaterial selbst, aus der Dichtung der Alten (bei Spenser allein bleibt es nicht), die auf den „Weltplastikmüll“ der Jetztzeit trifft. Der wird an Küsten angeschwemmt und entstammt, vermuten wir, der Bewusstseinsindustrie im Großen wie im Kleinen. Oder, wie es an einer Stelle heißt: „Nichts ist echt. Was nicht Lüge ist, wird Kitsch sein.“
  Das Elisabethanische Zeitalter war in Sachen Gender Trouble höchst entspannt. Daran will die 1982 im amerikanischen Iowa geborene und weitgehend in Wien aufgewachsene Ann Cotten offenbar anknüpfen, an ein Goldenes Zeitalter, als das schöne Durcheinander allerdings hauptsächlich für Männer Vergnügen bereithielt. Schluss damit, mag sie sich gesagt haben. Jetzt kommen die Frauen auf die Insel, beziehungsweise erst mal eine, und die wird eine prachtvolle Metamorphose erleben. Ihr wächst, kaum angekommen, ein Riesenphallus, in dem man sogar herumspazieren kann.
  Wer diese Frau ist? Es handelt sich um eine intelligente Fernsehmoderatorin, die verurteilt wird in einem „Schiedsgerichtsprozess“, weil sie an der Manga-süchtigen Tochter Lena ihrer Freundin herumgefingert hat; sie mochte das Mädchen wohl wirklich gern. Die Elizabethaner hätte das nicht weiter gekratzt, aber heute – Stichwort Überwachung, saubere Sitten, Tugendmoral – landet die patente Fernsehmoderatorin, die fortan „ich“ sagt, auf der „einsamen Insel“ („Lena und ihre Mutter werd ich wohl nicht wiedersehn“). Verbannt!
  Klar darf sie was mitnehmen, und das wären ein Messer mit Schleifstein plus „Meyers Konversations-Lexikon“ in 22 Bänden, Ausgabe Leipzig 1910. Dieses herrliche Lexikon gesellt sich zu Dafoe, Homer, Vergil, de Sade, Genet, Marx, Keats, Jakobson, Strugatzki, Tschernyschweski hinzu als Quell der Assoziationsgewitter, die auf die verwandelte Moderatorin niedergehen. Ihr neuer Name: Hermes Wolpertinger. Der Ort: irgendwo im großen Meer. Warm ist es, Palmen stehen herum, die Moderatorin klettert da erst mal rauf, unten pennt ein Tiger, man sieht seine Erregung, aber nicht lange, denn es fällt eine Kokosnuss zielgenau darauf, peng! Überhaupt durchwabert viel Comic-Esprit die poetisch aufgeheizte Tropenluft, bis hin zum „Tempel“, der den babylonischen Turm in Form eines gigantischen Dübels nachformt. Ein seltsamer Schraubenkult herrscht hier, begleitet von handwerklichem Geschick der Neuankömmlinge Hilde, Mathilde, Dunja, Latosha und weitere, eine ganze Flüchtlingswelle aus dem Internet. Die Matrosen vor Ort (einer heißt Querelle!) freuen sich, alles nette Jungs.
  „Hegelland“ heißt das Eiland allen Ernstes, und nun dürfen Sie raten, wer dort herrscht? Der Weltgeist, genau, aber der weiblich gewordene Weltgeist. (Das Ganze eine Synthese aus totaler Doofheit und totaler Philosophie.) Doch bevor es dazu kommt und bevor die tolle schräge Zeit wieder vorbei ist, dieses surrealistische Happening, diese „Neo-Oper“ für postpostmoderne Internethippieamazonen, müssen noch zwei Herren erwähnt werden, die auf der Insel quasi regieren. Hermes Wolpertinger (alias „Ich“, die Fernsehmoderatorin) lernt gleich am ersten Morgen einen gewissen Wonnekind kennen, einen eher normalen Mann, und verliebt sich.
  Liebe, Libido, Sex – da ist was los. In tausend „Gay-Chat-Foren“ chatten „Millionen Gleichgesinnte“, „dicht an dicht wie Plankton“ – puh, da wundert es einen schon nicht mehr, wenn das schaumgeborene Phallusweib irgendwann ausruft: „Endlich wirklich allein!“ Ein kurzes Vergnügen allerdings; diverse Aufgaben warten auf es / auf sie. Zum Beispiel muss Bier her. Glücklicherweise hilft „Meyer“ aus. Das Lexikon weiß, wie man braut. Es folgen, etwas länglich, einige Pseudo-Spenser-Strophen über die Bierherstellung („getrunken wird immer“). Aber Alleinsein, wirkliches!, das gibt’s im Grunde nicht mehr. Schuld hat World Wide Web.
  Einmal heißt es: „Wir finden immer alles scheiße in Europ- / a, und hier ist sicher nur manches besser . . .“ Das ist genial: Das „Objekt a“ (Lacan) abzutrennen vom Körper der geraubten Europa! Dass man das noch mal erleben darf, dieses freie Flottieren der Partialobjekte, in gewissermaßen unerschütterter Theorie-Euphorie, die Ann Cotten sich bisher – sie ist ja noch jung – nicht hat vermiesen lassen. Sie beschließt, sofern sie wirklich sie ist und nicht Hermes Wolpertinger: „Das Internet ist pleite!“
  Damit wäre auch der Internet-Spion arbeitslos. Sein Name – Pan Orama – erklärt sich daher, dass seine Eltern Margarine machten aus Abfallprodukten, denn sie waren aus Irland („O’Rama“) und hatten zwölf Kinder (vgl. Kapitel 11, 8. Strophe). Der Rama-Konsum hat natürlich allerhand Plastikmüll produziert, der als „Seemüll“ des Versepos’ Coda geben wird, als „alles zusammenbricht“. Doch vorher noch ein Wort zur Politik.
  Der Witz ist nämlich, dass auf dieser gar nicht so einsamen Insel die Alte Zeit insofern reproduziert wird, als es – noch – Pressen gibt, im buchstäblichen Sinne des Wortes: gedruckte Zeitungen. Und zwar gleich drei, die „Na-Presse“, die „Zy-Presse“ und das „Wisch-Blatt“. Sie repräsentieren die Aggregatzustände der alten und der neuen Bewusstseinsindustrie: Naivität, Zynismus und Boulevard. Das ist klug und bitter gesehen!
  Wenn es einen Aufruhr gibt auf dieser traditionsgesättigten Insel, die Ann Cotten mit schönen handgefertigten Comic-Blättern illustriert, wenn es eine Revolution der Zeichen gibt, dann gilt sie den Medien. Das, sagt die längst besänftigte, angetane Kritikerin, könnte überhaupt der Kern der verrückten Idee einer weltabgewandten Verbannung in Versform sein: Es holt dich immer wieder ein. Oder auch: Alt und Neu sind auch nur Fiktionen. „Verbannt!“ ist ein stressiges, aber virtuoses Buch; es werden sich daran noch viele Germanisten die Zähne ausbeißen. Fürs Erste aber bleibt festzustellen: total abgefahren.  
An diesem anstrengend-virtuosen
Buch werden sich noch viele
Germanisten die Zähne ausbeißen
            
  
  
  
Ann Cotten: Verbannt!
Versepos. Mit Illustrationen der Autorin. Suhrkamp
Verlag, Berlin 2016,
168 Seiten, 16 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
Verrückt-verkopftes Riot Girl der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Ann Cotten.
Foto: Stephan Görlich / imago
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2016

Der Sellerie raschelt im Mondlicht

Die Lyrikerin Ann Cotten schreibt ein Versepos und führt ihre Kritiker an der Nase herum: "Verbannt!"

Ann Cotten ist eine Herausforderung für die Literaturkritik. Die amerikanisch-österreichische Lyrikerin schreibt wirr, aber witzig. Also, finden viele, sie sei ironisch. Sie jongliert mit Pointen der Geistesgeschichte und arrangiert diese auf denkbar ekstatische Weise. Also beherrscht sie ihren Fundus virtuos. Als Fingerübung betreibt sie Dekonstruktion so, dass es sich nur um Parodien einer einst vom Pathos des Politischen getragenen intellektuellen Praktik handeln kann. Weil die Autorin hier und da Schwänze am falschen Geschlechte wachsen lässt und Vokale von ihrem Wortkörper amputiert, unterläuft Cotten alle Kriterien der traditionellen Literaturkritik.

Und wenn man nun wie die 1982 geborene Autorin gleich in der Einleitung ihres Versepos mit dem altmodischen Titel "Verbannt!" deutlich macht, dass man seinem Kritiker immer schon eine Nasenlänge voraus ist, indem man dessen blöden Essentialismus geißelt, will man am Schluss nicht dieser blöde Kritiker gewesen sein. Eine Poetik der Verweigerung sehen die Aufgeschlossenen hier am Werk; auf die Rezeptionshaltung kommt es an! Den Skeptischen legt Cotten verleumderische Worte in den Mund: ",Die Cotten steckt den Kopf jetzt in den Sand', hör ich schon Rezensenten ihre Federn reinigen und an ihren Prinzipien hängend, zornbebend bescheinigen der ,immer schon verwirrten' Lyrikerin den Garaus, den Revue-Stil assoziierend mit dem Vogel Strauss." Also Kollegen: Kopf aus dem Sand! Betreiben wir ein bisschen Wortfeldanalyse und Formenkommentar im Revue-Stil - durchaus mit verschmutzter "Feder".

Erste Frage: Warum nutzt eine moderne Lyrikerin die Versform für einen Text von immerhin 163 Seiten, wo es sich doch offensichtlich um ein völlig veraltetes Mittel zum Verfassen actionreicher Epen und Lehrgedichte handelt? Dieses war vor dem Schriftzeitalter zum einen mnemotechnisch nötig. Zudem übertraf die den Zeitgenossen erträgliche Pathosspanne die unsrige damals um ein Vielfaches. Bis ins achtzehnte Jahrhundert gingen die Zeitgenossen noch von der heute vollkommen obsoleten Vorstellung aus, die Sprache sei ein seelenloses Material, das sich durch die Auferlegung strenger Regeln einhegen ließ. Von Freud und Wittgenstein noch keine Spur. Der hohe Ton regierte die Literatur.

Ein totaler Anachronismus also, den Ann Cotten da kultiviert, zumal in sogenannten Spenser-Strophen (benannt nach einem Zeitgenossen Shakespeares), die Cotten formal aber gar nicht durchzuhalten vermag, weswegen im Klappentext vorsichtshalber von Pseudo-Spenser-Strophen die Rede ist. Soll jetzt keiner kommen und meckern, nur weil das Reimschema klemmt und die Jamben ziemlich unbeholfen vor sich hin stolpern. Ist doch sowieso nur ein Witz. Aber, das muss man ihr lassen, durchaus ein guter: "Wir spüren die Notwendigkeit einer kritischen Sprache, / Weltwahrnehmung statt Weltgestaltung und eh alles wurscht, / und wie bei Wurst geht's um die Hängung." Zweite Frage: Die Hängung, sprich die Positionierung des literarischen Objekts im Raum der Kunstsprachen. Dritte Frage: Der Inhalt.

Eine junge Moderatorin wird aufgrund ihrer Liebschaft zur Tochter einer Kollegin auf eine exotische Insel verbannt, die sich Hegelland nennt und auf der es irgendwie dialektisch zugeht. Denn kaum gelandet, wächst der bisexuellen Moderatorin auch schon ein Penis - und die Geschlechtergrenzen lösen sich in Luft auf. Hermes Wolpertinger ist von nun an der Name des lyrischen Ichs. Und als jener erlebt es die Abenteuer des Insulaners in der Strafkolonie. Im Gepäck hat es die zweiundzwanzigbändige Ausgabe von Meyers Konversationslexikon aus dem Jahr 1910: "Ich aber hab Information! / Hab echte alte Seiten zu meiner Disposition". Und das ist nützlich, denn das Inselleben kann mitunter eintönig sein, auch wenn es dort Matrosen (Genets queerer Querelle ist auch dabei), Anhänger einer ominösen Schraubenreligion und entlaufende Musen aus dem Internet kennenzulernen gilt. Ein kühles Bier wäre schön, also erläutert das Lexikon, wie man es braut - in großen Enjambements treibt's den Leser zum herben Genuss. Dabei lässt der Insulaner sich den Verstand vernebeln mit den Erzeugnissen der Inselzeitungen, derer es drei gibt: Die "Na-Presse", die "Zy-Presse" und das "Wischblatt", wobei "Na" und "Zy" für naiv und zynisch stehen.

Ein übergeordneter Gedanke des Epos, von seinem Thema wollen wir an dieser Stelle lieber gar nicht reden, scheint die Möglichkeit einer Insel zu sein, auf der so etwas wie ultimatives Alleinsein geboten wird. Doch weit gefehlt, denn das Internet selbst räkelt sich kabelsalatmäßig unter Palmen. "Es ist wie ein Schlepper, kein Mensch weiß aber, / wo man rauskommt." Sein alerter Spion, Abkömmling einer irischen Familie im Margarine-Business, heißt Pan Orama. Das ist natürlich ein feiner Kalauer, und davon versteht die Cotten wirklich mehr als ihr Gewährsmann, der Überwachungsexperte Foucault. Doch jetzt ganz ehrlich, liebe Kritikerkollegen, Hand aufs Herz: Wer will so einen Kokolores, der sich in vierhundertdrei Strophen über das Raunen der Musendichtung lustig macht und dabei ersatzweise weißes Rauschen erzeugt, ernstlich lesen? Wäre die kleine Form, die Ann Cotten in früheren Gedichtbänden mit teilweise erstaunlichem Ergebnis beackert hat, da nicht das deutlich bessere Format?

Die Grenze zwischen Wissen und Nichtwissen sei ein geiler, magischer Ort, behauptete die Autorin kürzlich in einem Interview. Die Antwort klingt so originell, dass sie schon stimmen wird. "Splatter-chaotisch" sei ihre Sprache. Und der Wahnsinn, den sie kultiviert: natürlich hat er keine Methode: "Doch geb ich zu, so ziemlich alles Doofe / gliedert sich in Exposition, Peripetie und Katastrophe." Daraus folgt: "Ich hab keine Wahl, es wird hier wohl kein Drama geben, / weil dafür müssten mehrere Personen reden." Ganz monoton ist das Ganze allerdings nicht. Immerhin kommt mit Homer und Vergil, mit Wordsworth und Keats, dem Marquis de Sade oder Jean Genet ein ganzer Chor von Einflüsterern zu Wort, quasi hinter Palmwedeln versteckt: "Nur hin und wieder baut ein Künstler kosmisch schöne Normen, / die meisten kleckern. Doch die Regelmäßigkeiten / ergeben sich fast gleich deutlich gerade aus dem Vermeiden."

So weit. so naseweis. Vielleicht tritt jetzt ein, was Ann Cotten immer schon vorausgesehen hat. Die Spielverderber steigen indigniert aus der Lektüre aus. Sie trösten sich mit den witzigen Comicstrips, die Cotten selbst gezeichnet und ihrem Versepos beigelegt hat. Die Fans werden die Genialität ihrer Pastichekunst feiern. Für sie ist auch weiterhin klar: "Der Sellerie raschelt geheimnisvoll im Mondlicht". Das glauben wir kaum - mit oder ohne Mondgesicht.

KATHARINA TEUTSCH

Ann Cotten: "Verbannt!" Versepos.

Suhrkamp Verlag,

Berlin 2016. 168 S. geb., 16,- [Euro].

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»So könnte die Revolution aussehen.« Ijoma Mangold DIE ZEIT