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Agnès Varda nimmt auf einer Theaterbühne Platz. Die gelernte Fotografin, Installations-Künstlerin und Wegbereiterin der Nouvelle Vague ist eine Institution des Kinos und Kämpferin gegen alles Institutionelle im Denken. Sie gibt Einblicke in ihr Schaffen und illustriert, eher assoziativ als chronologisch, künstlerische Visionen und Ideen mit Ausschnitten aus ihrem Werk. Ihre lebendigen, anekdotenreichen und klugen Lektionen unterteilt sie in zwei Abschnitte: In ihren Ausführungen zur "analogen Zeit" von 1954 bis 2000 steht die Regisseurin im Vordergrund. Eine junge Frau, die auszog, das Kino…mehr

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Produktbeschreibung
Agnès Varda nimmt auf einer Theaterbühne Platz. Die gelernte Fotografin, Installations-Künstlerin und Wegbereiterin der Nouvelle Vague ist eine Institution des Kinos und Kämpferin gegen alles Institutionelle im Denken. Sie gibt Einblicke in ihr Schaffen und illustriert, eher assoziativ als chronologisch, künstlerische Visionen und Ideen mit Ausschnitten aus ihrem Werk. Ihre lebendigen, anekdotenreichen und klugen Lektionen unterteilt sie in zwei Abschnitte: In ihren Ausführungen zur "analogen Zeit" von 1954 bis 2000 steht die Regisseurin im Vordergrund. Eine junge Frau, die auszog, das Kino neu zu erfinden, und auch im Fiktionalen immer offen für den Zufall, für dokumentarische Momente ist, die mit jedem neuen Film auch ihren Erzählstil wechselt. Im zweiten Teil befasst sich Agnès Varda mit den Jahren von 2000 bis 2018 und zeigt, wie sie die digitale Technik nutzt, um in ihrer ganz eigenen Art auf die Welt zu blicken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2020

Viele kleine Welten und die Welt

Roman Polanski blickt auf die Dreyfus-Affäre, eine Abiturientin will nicht nach Costa Rica - und ein postumer Gruß von Agnès Varda.

Auch wenn das einigen nicht passen mag: Man kann, spätestens seit dem Aufkommen von #metoo, nicht mehr über einen Film von Roman Polanski reden und zugleich von den Vorwürfen schweigen, die gegen ihn erhoben wurden und werden. Im Mai 2018 hat ihn die Academy of Motion Picture Arts and Sciences ausgeschlossen, vierzig Jahre nachdem er wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen vor Gericht stand. Polanski hatte sich damals schuldig bekannt - und war aus Los Angeles nach Europa geflohen.

In Venedig, wo "Intrige", sein Film über die Dreyfus-Affäre, im Herbst 2019 im Wettbewerb gezeigt wurde, erklärte die Jury-Präsidentin Lucrecia Martel, dass sie zwar nichts gegen die Teilnahme habe, aber der Galapremiere fernbleiben werde. Den Großen Preis der Jury erhielt Polanski dann doch. Und im November, kurz bevor der Film in Frankreich ins Kino kam, behauptete die Schauspielerin Valentine Monnier in "Le Parisien", Polanski habe sie, die damals 18 Jahre alt war, 1975 in einem Schweizer Chalet vergewaltigt.

Angesichts dieses medialen Timings gab Polanski der Illustrierten "Paris Match" ein bemerkenswertes Interview. Bemerkenswert nicht nur, weil er sagte: "Ich habe 1977 einen Fehler begangen, und meine Familie bezahlt fast ein halbes Jahrhundert später den Preis dafür." Sondern auch, weil er erzählte, wie Harvey Weinstein, der noch immer darauf beharrt, aller Sex mit den Frauen, die ihm Nötigung und Vergewaltigung vorwerfen, sei einvernehmlich gewesen, wie ausgerechnet Weinstein 2003 den Fall von 1977 wieder in die Medien lancierte, um die Oscar-Chancen von Polanskis Film "Der Pianist" zu torpedieren (was nicht gelang). Derselbe Weinstein unterschrieb 2009, als Polanski in der Schweiz zwei Monate im Gefängnis saß und dann unter Hausarrest gestellt wurde, bevor die Justiz entschied, ihn nicht an die Vereinigten Staaten auszuliefern, eine Petition zur Freilassung Polanskis. Nach Motiven, Logik, Sinn fragt man da besser nicht.

Es steht nun aber auch niemandem zu, aus der Ferne zu befinden, ob der mittlerweile 86-jährige Polanski reuig, geläutert oder in einem wie immer gearteten Zustand der Einsicht ist. Er hat sich auch nicht angemaßt, sein Schicksal mit dem von Alfred Dreyfus zu vergleichen. Er sei damit "vertraut", hat er lediglich gesagt, "wie der Apparat der Verfolgung arbeitet, der im Film gezeigt wird". Der Vergleich blieb dem französischen Durchblicker und Hohltöner Pascal Bruckner vorbehalten. Er sah zudem einen "neofeministischen McCarthyismus" am Werk, der fortsetze, was die Nazis dem Juden Polanski und die Stalinisten in Polen dem Filmemacher angetan hatten.

In Frankreich hat, kein Wunder bei dem Sujet, der Film offensichtlich nicht gelitten unter den medialen Begleitgeräuschen. 1,4 Millionen Zuschauer haben ihn bis Ende 2019 gesehen. Und es ist auch nicht schwer zu verstehen, warum Polanski diesen Stoff gewählt hat, der vom französischen, vom europäischen Antisemitismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert handelt. Von jenem jüdischen Hauptmann und Generalstabsoffizier Alfred Dreyfus, der 1894 wegen angeblichen Landesverrats zu lebenslänglicher Haft auf der Teufelsinsel verurteilt wurde.

Als seine Angehörigen nicht aufgaben, als Picquart, der neue Chef der Spionageabwehr, auch er ein habitueller Antisemit, dem Justizirrtum auf die Spur kam, waren Militär- und Regierungskreise nicht bereit, das einzugestehen. Es wurde vertuscht, Zeitungen schürten Antisemitismus, und der Schriftsteller Émile Zola, dessen Artikel "J'accuse . . .!" zum Synonym der Dreyfus-Affäre wurde, musste 1898 aus Frankreich fliehen, um nicht ins Gefängnis zu gehen. Auch in einem zweiten Prozess wurde Dreyfus 1899 für schuldig erklärt - allerdings kurz darauf begnadigt. Erst 1906 wurde das Urteil aufgehoben und Dreyfus vollständig rehabilitiert.

Polanski, dessen Film auf dem Roman von Robert Harris beruht, beginnt mit der ultimativen Demütigung: Dreyfus' öffentliche Degradierung im Hof der École militaire. Ein kalter Tag, ein zugiger Platz, scharfe Kommandos, marschierende Soldaten, ein gnadenloses Zeremoniell, ein Mann (Louis Garrel), der keine Miene verzieht. Danach gehört der Film Marie-Georges Picquart (auch Jean Dujardin trägt den epochetypischen Schnurrbart, der manchmal die Identifikation der Personen erschwert). Und es wäre konsequent gewesen, Dreyfus erst ganz am Ende wiederauftauchen zu lassen. Doch statt in der Hermetik der Pariser Intrigenwelt zu bleiben, muss der Film den Häftling auf der Teufelsinsel zeigen, in leicht entsättigten Farben.

Die Kompaktversion der Affäre ist ohne Frage spannend: die Widerstände, auf die Picquart stößt, der aufgehetzte Pöbel, das Treffen mit Zola. Doch zugleich kommt einem alles so gediegen und ordentlich vor wie ein Rundgang durchs historische Museum. Geheimdienstler öffnen Briefe über Wasserdampf, man blickt in dunkle, überladene Wohnungen und auf Straßen mit Kutschen, mit alten Bistro- und Boulangerieschildern, die immer zu frisch gemalt, zu sehr wie eine adrett hergerichtete Studiokulisse wirken. Weil diese frauenlose Welt dann doch zu langweilig wäre, hat Polanski seine Frau Emmanuelle Seigner gecastet als Picquarts Geliebte. Und am Ende kommt es zur Begegnung Picquarts, der 1906 Kriegsminister wurde, mit Dreyfus - ein steifes, förmliches, kurzes Treffen.

Von der leichten Statik und Behäbigkeit des Historiendramas mal abgesehen, die beim filmischen Blick auf die Gesellschaft der Dritten Republik fast unvermeidlich erscheinen, ist gegen die Aufbereitung der Dreyfus-Affäre als Investigativstory nichts einzuwenden. Man hätte sich nur einen schärferen Sinn für die Choreographien der Macht, für die Eiseskälte der gesellschaftlichen Rituale gewünscht, wie ihn allein die Auftaktsequenz erkennen lässt.

Dass "Intrige" nun besonders aktuell und dringlich sei angesichts des wachsenden Antisemitismus in Europa, wie Kritiker schrieben, ist allerdings weniger Feststellung als gutgemeinter Appell, es möge doch so sein. Filme wie "Intrige" werden selten von Leuten angeschaut, die eine Bestätigung ihrer antisemitischen Haltungen suchen.

PETER KÖRTE

Wie bringt man Spannung in die deutsche Provinz? Ganz einfach: indem man genau hinsieht. Zum Beispiel auf Urs und Jette Leuschner, die in einem beschaulichen Dorf irgendwo in Nordrhein-Westfalen leben. Urs ist der Vater, Jette die Tochter, sie ist gerade auf dem Weg zum Flughafen, um für ein Jahr nach Costa Rica zu gehen. Der Vater bringt sie, er besteht aber darauf, dass Jette auch noch ihre Kamera mitnimmt, die hat aber der Bruder von Urs, Falk, und der macht die Tür zu seiner Wohnung nicht auf. Also steigt Urs über den Balkon ein. "Ist ja nicht die Eigernordwand", fertigt er den Nachbarn ab, durch dessen Wohnung er überhaupt erst auf den Balkon kommt. So steht also für einen Moment ein Landarzt am Rande eines Wohnungseinbruchs, während er doch schon fast am Flughafen sein müsste. Das ist schon mal Spannung, es ist aber erst in Ansätzen ein Eindruck von den Spannungen, auf die Ulrich Köhler und Henner Winckler mit ihrem Film "Das freiwillige Jahr" abzielen. Dass ein anständiger Mitbürger für alle sichtbar über eine Wohnhausfassade turnt, ist eher ein konkretes äußerliches Zeichen dafür, dass auch in einer kleinen Welt, mit den alltäglichen Dramen "normaler" Menschen, jederzeit eine Fallhöhe auftauchen kann, mit der eine Geschichte beginnen kann.

In diesem Fall: eine Geschichte, die fast schon unterhalb dessen zu verorten ist, was man in der Sprache des Kinos einen Stoff nennt. Eine Geschichte, in der Urs und Jette, dazu Mario, deren Freund und Falk und noch ein paar weitere Figuren, eine Rolle spielen. Alle kennen sich, weil sie in einer kleinen Welt leben, alle wissen viel voneinander, hören auch manchmal unwillkürlich Telefonate mit oder tauchen in neuen Zusammenhängen auf, wie Nicole, die Sprechstundenhilfe, mit der Urs eine Affäre hat, oder gerade nicht mehr. Als er zwischendurch beim Reisebüro anruft, spricht er Spanisch. Spätestens in diesem Moment kriegt man eine Ahnung davon, dass Jette mit ihrem freiwilligen Jahr in Costa Rica womöglich etwas für ihren Vater tut, was dieser selbst nicht mehr tun kann.

Das ist dann eine Spannung, die aus klugem Erzählen entsteht: eine Spannung des Impliziten. Je weniger eine Geschichte deutlich macht, desto spannender wird es, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich zusammensetzt, wie sie von Ulrich Köhler und Henner Winckler zusammengesetzt wird, wie die beiden Filmemacher aus den einfachsten Mitteln des Kinos (gut gewählte und geführte Schauspieler, eine hellwache, dabei aber lyrisch gestimmte Kamera; und dann alles im Schnitt in eine flüssige Form gebracht) eine Welt entstehen lassen. Eine kleine, in der keine große ihre Probe abhalten muss, sondern eine von vielen kleinen Welten, aus denen sich "die" Welt zusammensetzt, von der die Fiktionen meist glauben, dass auf dem Dorf nicht viel los sei. Das Wort vom Dorf fällt ausdrücklich ein paarmal, es ist aber ein gut erschlossenes, ziemlich stark automotorisiertes Dorf mit anscheinend ausreichend schnellem Internet. Mit einem Wort: Das könnte, wiewohl im Westen, eine Mitte Deutschlands sein.

Die Mitte wird gern übersehen, hier kommt sie ins Bild, und unversehens wird ein Film, der eigentlich nicht viel mehr sein sollte als ein nicht allzu teurer Fernsehfilm, zu einem Ereignis des Kinos. Denn so sollte man vom Leben in diesem Land viel öfter erzählen, auch mit so viel hintersinniger Ironie. Die trifft dann meistens Urs, der aussieht wie ein Inbegriff eines aufgeklärten, fortschrittlichen Mannes, in dem aber ein kleiner Despot steckt, den Köhler und Winckler herausziselieren. Köhler kann hier an seinen Film "In My Room" (2018) anschließen, in dem er einen Mann in der deutschen Provinz als letzten Menschen übrig bleiben ließ. Henner Winckler hingegen hat nach seinem Debüt mit "Klassenfahrt" (2002) nur noch einen weiteren Spielfilm gemacht und war für das Kino fast schon verloren. "Das freiwillige Jahr" ist ein unvermuteter Höhepunkt des deutschen Kinos. Man kann nur hoffen, dass die beiden Regisseure, gemeinsam oder jeder auf eigene Faust, Gelegenheit bekommen, mit ihren Erkundungen weiterzumachen.

Wenn Filmkünstler sich gewisse Verdienste erworben und ein gewisses Alter erreicht haben, dann werden sie gern zu Veranstaltungen eingeladen, die unter dem Begriff "Masterclass" laufen. Da sollen sie dann, mit Hilfe von Schnipseln aus ihren Werken, erzählen, wie sie das alles gemacht haben, warum sie an einer bestimmten Stelle einen Schnitt gesetzt und an einer anderen die Kamera nach links geschoben haben. Bei Agnès Varda, die im vergangenen März im Alter von 90 Jahren gestorben ist, kamen für eine Masterclass besonders gute Voraussetzungen zusammen: Sie hatte zahlreiche Filme höchst unterschiedlicher Art vorzuweisen, so dass die Neugierde groß sein musste, wie das alles zusammenhängt. "Varda par Agnès" geht von einer solchen Veranstaltung aus und präsentiert tatsächlich einen notgedrungen raschen Durchlauf durch ein Werk, das in den fünfziger Jahren mit der Dokumentation "La pointe courte" am französischen Atlantik in einer fast noch vorzeitlich wirkenden Welt begann und in den nuller Jahren mit einer berühmt gewordenen Kunstaktion einen späten Höhepunkt erfuhr, bei der Varda sich als Kartoffel verkleidete. Dazwischen lagen Höhepunkte des französischen Kinos wie der Spielfilm "Cléo zwischen 5 und 7" oder "Vogelfrei" mit Sandrine Bonnaire.

Viele von Vardas Filmen haben ohnehin einen Hang zum Autobiographischen, so dass sie mit ihren Kommentaren dort ansetzen kann, wo sie als Filmemacherin schon einmal war. Der Gastgeber von der Fondation Cartier wäre sicher besser beraten gewesen, sich etwas weniger eitel an der Seite von Varda in Szene setzen zu lassen, aber so sind eben heute die Verhältnisse in einem Kino, das sich von der Welt der Kunst ab und zu ein wenig auf deren vorgeblich glitzerndes Terrain locken lässt. Für Einsteiger ist "Varda par Agnès" ganz gut geeignet, zu den eigentlichen Reichtümern ihres Werks lässt man sich aber am besten durch den Schalk in ihren Augen - und durch die vielen Ausschnitte - locken.

BERT REBHANDL

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