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»Die Bilder, die im Kopf entstehen, sind genauso wichtig wie die Bilder an der Wand.«
Wie kann man sich Kunst erschließen, wenn man sich auf seine Augen nicht verlassen kann? Was ist Sehen überhaupt, wenn die Welt um einen herum verschwimmt? Johann König, einer der wichtigsten deutschen Galeristen, verliert als Kind durch einen Unfall fast vollständig seine Sehkraft. In seinem Buch beschreibt er, wie es ihm gelang, die Welt und die Kunst neu wahrzunehmen.

Produktbeschreibung
»Die Bilder, die im Kopf entstehen, sind genauso wichtig wie die Bilder an der Wand.«

Wie kann man sich Kunst erschließen, wenn man sich auf seine Augen nicht verlassen kann? Was ist Sehen überhaupt, wenn die Welt um einen herum verschwimmt? Johann König, einer der wichtigsten deutschen Galeristen, verliert als Kind durch einen Unfall fast vollständig seine Sehkraft. In seinem Buch beschreibt er, wie es ihm gelang, die Welt und die Kunst neu wahrzunehmen.

Autorenporträt
Johann König, geboren 1981, ist ein deutscher Galerist. Seine Berliner Galerie gilt als eine der wichtigsten der Gegenwartskunst in Deutschland. Für 99 Jahre pachtete er die in den sechziger Jahren erbaute St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg und ließ sie drei Jahre lang renovieren. Seit 2015 üben dieser spektakuläre Ausstellungsraum und die darin stattfindenden Ausstellungen eine große Anziehungskraft auf Kunstinteressierte und Kunstsammler aus. Zu den Künstlern der Galerie zählen u.a. Monica Bonvicini, Katharina Grosse, Jeppe Hein, Michael Sailstorfer, Norbert Bisky und Erwin Wurm.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2019

Verstehen, was andere nur sehen

Johann König, Sohn des früheren Städelschul-Rektors Kasper König, ist einer der bedeutendsten Galeristen der Welt - obwohl er nach einem Unfall in seiner Jugend zeitweise fast blind war. In einem Buch schildert er den schweren Weg, der zum Erfolg führte.

Von Hans Riebsamen

Johann Königs Kindheit ist mit zwölf Jahren abrupt zu Ende gewesen. In seinem Zimmer im Haus seiner Eltern an der Klettenbergstraße im Holzhausenviertel explodierte eine Dose mit Schwarzpulverkügelchen in seinen Händen. Der Knall, so erinnert sich König, schien eine Ewigkeit nachzuhallen. Der Zwölfjährige fühlte sich von der Erde geschossen, umgeben von allen Farben des Lichts. Als dieses Farbspektakel verblasst war, sah er nichts mehr außer einer pulsierenden Mischung aus Rot, Braun und Schwarz. Vom einen auf den anderen Moment war König blind.

Der schreckliche Unfall hat damals die Frankfurter Kunstwelt erschüttert. Denn Johann König war der Sohn von Kasper König, dem allseits geschätzten Direktor der Städelschule, der damals die Stadt künstlerisch aufmischte - unter anderem mit dem von ihm erfundenen Portikus, einem Ausstellungscontainer für moderne Kunst hinter dem klassizistischen Portal der kriegszerstörten Alten Stadtbibliothek. Kulturdezernent Hilmar Hoffmann von der SPD hatte den damals schon renommierten Ausstellungsmacher von Köln nach Frankfurt gelockt, auf dass König aus Frankfurt eine Stadt der modernen Kunst mache.

Heute, 26 Jahre nach dem Unfall, ist Johann König Galerist. Nicht irgendeiner, sondern der Popstar unter den deutschen Galeristen, der in der früheren Kirche St. Agnes in Berlin einen spektakulären Ausstellungsraum aufgebaut hat. Die Galerie König zählt heute zu den "Top 100" weltweit, sie gilt als einer der wichtigsten Orte für Gegenwartskunst überhaupt. Seinen Weg vom Schüler, der durch die Explosion von Pulverkügelchen aus den Patronen einer Startschuss-Pistole sein Augenlicht weitgehend verlor, zu einem erfolgreichen Kunstmanager hat König jetzt in einem Buch mit dem Titel "Blinder Galerist" erzählt.

Das Erblinden hat bei König ein Trauma erzeugt, das "bestimmende Trauma meines Lebens". Die Explosion hatte seine Augen fast komplett zerstört, er besaß keine Pupillen mehr, keine Linsen und keine Regenbogenhaut. Die Netzhäute waren stark geschädigt, nur der Sehnerv war verschont geblieben. In einer Notoperation direkt nach dem Unfall gelang es dem Ärzteteam, beide Augen zu stabilisieren, indem es diese mit zwei gerade zur Verfügung stehenden Hornhaut-Transplantaten versah. Es bestand zumindest die Möglichkeit, dass der Junge nicht komplett erblindet war.

Seine Genesung sollte sich über zwei Jahre hinziehen. Insgesamt musste König mehr als 30 Operationen in Frankfurter und Marburger Kliniken über sich ergehen lassen. Das Leben eines Dauerkranken beschreibt König als ein Leben im Transit: Man warte auf die nächste Operation, auf die nächste Voruntersuchung, auf die nächsten Tests, auf die nächste Sitzung mit dem Gesprächstherapeuten. Irgendwann hatte er den Eindruck, dass er nichts anderes tun könne, als zu warten. Und dies als Jugendlicher. Er hatte gute Tage, an denen er sich über den Besuch seiner Eltern oder seiner Schwester freute. Er hatte auch schlechte, an denen er Wutanfälle bekam und sich im Bad einschloss. Meistens verfiel er aber in eine Art Trance und wurde stoisch.

Erst nach einem Jahr durfte er wieder dauerhaft nach Hause. Ein Rest von Augenlicht war ihm verblieben. Der junge Mann konnte starke Farben erkennen, Licht, Dunkel und die trüben und verschwommenen Formen großer Gegenstände. König musste alles neu kennenlernen: die Wohnung, das Haus, die Umgebung. Er musste lernen, wie man eine Straße überquert, wie man Entfernungen abschätzt, wie man am Trittgeräusch den Untergrund erkennt, wie man mit dem Blindenstock die Höhe von Stufen und Bürgersteigen abschätzt.

König war vollkommen aus seinem alten Leben herausgerissen worden. Die Freundin war weg, er konnte nicht mehr in seine alte Schule gehen. Er war aus seiner Clique raus, aus seinem Schulchor. Es gab kein Schlittschuhlaufen mehr, kein Fahrradfahren. Weil er viel Cortison nehmen musste, ging er auf wie ein Luftballon: Mit 14 Jahren wog er mehr als 100 Kilogramm. Doch er war zumindest nicht allein. Seine Mutter Edda wich in jener Zeit der Genesung nicht von seiner Seite.

Vor dem Unfall hatte sein Vater ihn überallhin mitgenommen. Als sein Sohn wieder etwas mobiler war, setzte er das mit großer Selbstverständlichkeit fort. Kasper König ließ für sie beide ein Tandem bauen und fuhr mit Johann durch die Stadt. Er nahm ihn mit in die Städelschule, wo sich der Kreis der Lehrer und Studenten für den Jugendlichen bald wie eine Familie anfühlte. Auch in die Ateliers von Künstlern führte er seinen weitgehend blinden Sohn, zum Beispiel zu jenem von Jeff Koons in New York, wo er dessen glänzende Skulpturen ertasten durfte.

Kasper König hat seinen Kindern immer alle Freiheiten gelassen. Wichtig war ihm nur, dass sie Abitur machten. Auf der Förderschule, auf die Johann König nach seiner Rückkehr aus der Klinik ging, war das nicht möglich. So wechselte er denn mit 14 Jahren auf die Carl-Strehl-Schule in Marburg, die zur Blindenstudienanstalt gehörte, die über das einzige Gymnasium für Blinde und Sehbehinderte in Deutschland verfügt.

Dort lernte Johann König zuerst einmal lebenspraktische Fähigkeiten, zum Beispiel Kochen, Putzen und Waschen. Aber auch Rudern, Skifahren und Reiten. Als besonders wichtig sollte es sich für ihn erweisen, dass der Kunstlehrer dort seine Schüler auch mit moderner und zeitgenössischer Kunst vertraut machte. Statt klassische Kunstgeschichte behandelte er Marcel Duchamp und Joseph Beuys, die man nur verstehen konnte, wenn man sich mit den Konzepten und Philosophien beschäftigte, die ihrer Kunst zugrunde lagen. Es war denn auch zuerst einmal Konzeptkunst, die König später für seine Galerie entdecken sollte.

Ein guter Schüler war König nie. Statt zu lernen, hing er in Marburg lieber mit Freunden vor Supermärkten herum oder baute Wasserpfeifen aus Teekannen. Gute Noten erreichte er nur in den Fächern, die ihn wirklich interessierten: Computerunterricht, Englisch, Geschichte. Doch er lernte das wahre Leben kennen: Freundin, erster Sex, Liebeskummer. Erst viel später hat er verstanden, wie wichtig die Blindenanstalt für ihn war: Dort in Marburg, im Kontakt mit anderen Jugendlichen, die mit ähnlichen Problemen kämpften, gelang ihm eine erste Aufarbeitung des Unfalls, der sein Leben aus der Bahn geworfen hatte.

Während seines letzten Schuljahrs verbrachte Johann fast jedes Wochenende in Frankfurt. Die Eltern lebten nicht mehr dort, sie hatten sich getrennt: Kasper König war zum Direktor des Museums Ludwig in Köln berufen worden, Mutter Edda war nach München gezogen. Die Mainmetropole wurde trotzdem zum Lebensmittelpunkt des jungen König. Er besuchte jede Ausstellung im Städel, im Portikus, im Museum für Moderne Kunst, ging zu Galerie-Eröffnungen, zu Lesungen ins Literaturhaus, ins Theater. Er kreuzte in den Ateliers der Kunststudenten an der Städelschule auf, besuchte ihre Partys. Jeder wusste dort, dass er der Sohn des verehrten Kasper König war. Im Dezember 2000 klinkte er sich in die Gründung von "Lola Montez" ein, eines Kunstraumes hinter der Konstablerwache, der heute unter der Osthafenbrücke untergebracht ist. Immer stärker ging König in der Frankfurter Kunstszene auf, er fand in dem Künstler Jeppe Hein, den er heute als Galerist vertritt, einen Freund.

Am Ende stand es für König fest, dass er etwas mit Kunst machen wollte. Doch was? Künstler zu werden, traute er sich nicht, weil er tief im Innern wusste, dass er keiner war. Aber König spürte in sich eine besondere Fähigkeit, nämlich mit Künstlern zusammenarbeiten zu können. Die rettende Idee lautete: eine Galerie gründen. Doch woher das Geld dafür nehmen? Die Banken, bei denen er um einen Kredit bat, lehnten allesamt ab. Wer wollte schon einem fast blinden jungen Mann Geld geben? König hatte etwas Geld von seiner Großmutter geerbt. Es reichte zwar nicht für eine Galerie, aber sein Vater lieh ihm noch 20 000 Euro - der finanzielle Grundstein für eine Galerie war gelegt.

Fehlten nur noch Räume. König entschied sich für Berlin, dort fand er ein Domizil am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte gegenüber der Volksbühne im Gebäude des Babylon-Kinos, einem Poelzig-Bau. Das Problem war nur, dass König noch kein Abitur gemacht hatte. Irgendwie schaffte er es, neben den Vorbereitungen zur Galeriegründung alle schriftlichen Prüfungen zu überstehen und nicht durchzufallen.

Die mündliche Prüfung versäumte er jedoch, weil er am Abend zuvor bei der Eröffnung der Documenta in Kassel, der wichtigsten Kunstausstellung Deutschlands, gewesen war, bei der Rückfahrt am Morgen in der Bahn einschlief und den Ausstieg in Marburg verpasste. Telefonisch meldete er sich vom Bahnhof in Karlsruhe, wo er gelandet war, krank. Es fand sich ein freundlicher Arzt, der ihm ein Attest ausschrieb. Schließlich durfte er die mündliche Prüfung nachholen und bekam am Ende sein Abitur.

Am 24. Mai 2002 eröffnete Johann König seine Galerie mit einer Ausstellung von Arbeiten der Städelschülerin Michaela Meise. Sie wurde ein Flop. Es kamen gerade einmal 30 Leute, und König verkaufte nicht eine einzige Arbeit. "Ich war am Boden zerstört", erinnert er sich. Eine Depression erfasste ihn, er saß am nächsten Tag nur in seiner Galerie und heulte. Es sollte nicht der einzige Rückschlag bleiben.

Die Tatsache, dass er am Rand des Ruins stand, konnte König nicht einschüchtern. Sein Freund Jeppe Hein hatte damals die Idee zu einer Arbeit mit einer rollenden Kugel, die den Galerieraum langsam zerstörte. König setzte alles auf eine Karte und wagte die Ausstellung. Sie wurde ein Erfolg. Die Kunde von der Show sprach sich in Berlin herum, es kamen Besucher ohne Ende, König verkaufte alle drei Exemplare der Kugel. Eine ist heute im Museum of Contemporary Art in Los Angeles zu sehen, eine zweite hat König Jahre später von einem Sammler zurückgekauft, um selbst dieses Werk zu besitzen, das ihm den Weg zum Erfolg öffnete.

In diesen Jahren des Beginns und der ersten Erfolge war Königs Sehkraft zeitweise auf eine einstellige Prozentzahl gesunken. Mit Malerei konnte der junge Galerist deswegen wenig anfangen, er konzentrierte sich vor allem auf hochintellektuelle Konzeptkunst. Fünf Jahre nach der Eröffnung seiner Galerie genoss Johann König schon den Ruf, alles verkaufen zu können. 2009 wurde er zum ersten Mal in die Liste der hundert weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Kunst aufgenommen.

Ein Jahr zuvor hatte er sich abermals einer Hornhauttransplantation unterzogen, wobei eine neu entwickelte Methode zum Einsatz kam, die zu einem Erfolg führte: König konnte wieder sehen, wenn auch verzerrt. 2012 lernte er in Wien die Sprecherin eines dortigen Museums kennen, die beiden heirateten bald darauf, ihr Sohn Karli wurde 2012 geboren, ihre Tochter Greti 2016.

Heute ist Königs Sehkraft starken Schwankungen unterworfen. Mal sieht er mehr, mal weniger. Häufig erkennt er Menschen nur an ihrer Silhouette, an ihren Bewegungen oder anderen offensichtlichen Merkmalen. Wegen seiner eingeschränkten Sehkraft kann er Körperhaltungen, Gesten, Blicke und Gesichtsausdrücke anderer oft schlecht entziffern. Wenn man nur ein wenig sehe, hoffe man, dass man auch in Zukunft sehen werde, zitiert er den blinden Schriftsteller John Martin Hull. "Und genau das tue ich", lautet Königs Lebensrezept.

Johann König: "Blinder Galerist", Propyläen-Verlag, 167 Seiten, 24 Euro.

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"Das Buch ist erstaunlich unverstellt. Johann König schildert, was ihm ständig widerfährt: wie er sich verläuft, Leute nicht erkennt, Dinge umstößt. Aber er beschreibt eben auch, wie er sich trotz aller Rückschritte behauptet hat." Ulrike Knöfel SPIEGEL 20190601