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Theodore de Bry. America - Groesen, Michiel van;Tise, Larry
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Als der Kupferstecher und Verleger Theodor de Bry 1590 den ersten Band seiner America-Reihe herausgab, war die Neue Welt für die meisten Europäer in der Tat ganz neu und der Hunger nach Bildern entsprechend groß. Die prachtvoll illustrierten Reiseberichtsammlungen, die der in Lüttich geborene und nach Stationen in Straßburg, Antwerpen und London in Frankfurt ansässig gewordene de Bry (1527/28-1598) zusammen mit seinen Söhnen realisierte und überaus erfolgreich vermarktete, boten den zeitgenössischen Lehnstuhlreisenden die damals aktuellsten Bilder und aufsehenerregendsten Berichte von diesem…mehr

Produktbeschreibung
Als der Kupferstecher und Verleger Theodor de Bry 1590 den ersten Band seiner America-Reihe herausgab, war die Neue Welt für die meisten Europäer in der Tat ganz neu und der Hunger nach Bildern entsprechend groß. Die prachtvoll illustrierten Reiseberichtsammlungen, die der in Lüttich geborene und nach Stationen in Straßburg, Antwerpen und London in Frankfurt ansässig gewordene de Bry (1527/28-1598) zusammen mit seinen Söhnen realisierte und überaus erfolgreich vermarktete, boten den zeitgenössischen Lehnstuhlreisenden die damals aktuellsten Bilder und aufsehenerregendsten Berichte von diesem fabelhaften Doppelkontinent kolonialer Möglichkeiten.

De Bry und seine Söhne waren selbst nie in der Neuen Welt. Sie stellten aus den Reiseberichten von Kolonisten, Forschungsreisenden und Abenteurern wie Thomas Harriot, Girolamo Benzoni oder Sir Walter Raleigh koloniale Konvolute zusammen, für die sie protoethnografische Darstellungen von tatsächlichen Augenzeugen wie John White, Gründer der "verschwundenen" Roanoke-Kolonie, oder dem Maler Jacques LeMoyne de Morgues adaptierten oder, wo Bildmaterial fehlte, die eigene Fantasie spielen ließen. So vielfältig die Quellen waren, aus denen die de Brys sich bedienten, so komplex und heterogen war das Bild der Neuen Welt, das die Amerika-Serie zeichnete. Idealisierte edle Wilde, die in einer fruchtbaren, paradiesischen Landschaft die Gaben der Zivilisation - Gott und Glasperlen - dankbar entgegennehmen, stehen neben Szenen furchtbarer Massaker, begangen von nun barbarischen Indigenen, aber auch von den Truppen konkurrierender Kolonialmächte. Die Stiche der de Brys prägten die europäische Wahrnehmung der beiden Amerikas nachhaltig, einige von ihnen, wie die Darstellung von der Landung des Kolumbus oder das den Mythos von Eldorado begründende Bild des Indio Dorado, wurden zu Bildikonen, die sich noch heute in fast jedem Schulbuch oder Lehrbuch zur amerikanischen Geschichte finden.

Von "Virginia" (dem heutigen North Carolina) und Florida, durch Zentralamerika bis hinunter nach Patagonien zeigen die ersten neun Bände von America Landschaften, fremdartiges Kulturinventar und erste Begegnungen zwischen indigener Bevölkerung und Europäern. TASCHENs Ausgabe zeigt alle 218 Bildtafeln dieser neun Bände mitsamt ihren jeweiligen Frontispizen und Karten. Die Bände I bis VI basieren auf den handkolorierten Originaldrucken, die in den John-Hay- und John-Carter-Brown-Bibliotheken an der Brown-Universität in Providence aufbewahrt werden; die Vorlagen für die Bände VII bis IX stammen aus der Staats- und Stadtbibliothek in Augsburg. Die Kupferstiche der de Brys mitsamt ihrer Bildlegenden sind Kunstwerke von außergewöhnlicher Qualität und in ihrer Komplexität auch heute noch spannend zu dechiffrierende Dokumente des frühen Kolonialdiskurses.
Autorenporträt
Groesen, Michiel van
Michiel van Groesen ist Professor für Seefahrtsgeschichte an der Universität Leiden, Niederlande. Zuvor war er außerordentlicher Professor für die Geschichte der frühen Neuzeit an der Universität Amsterdam sowie Queen Wilhelmina Visiting Professor an der Columbia University in New York. Van Groesen ist spezialisiert auf europäische Sichtweisen von der frühneuzeitlichen atlantischen Welt und ist Autor zweier Bücher: The Representations of the Overseas World in the De Bry Collection of Voyages (1590-1634) (2008) und Amsterdam's Atlantic: Print Culture and the Making of Dutch Brazil (2017).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2019

Es war einmal in Amerika

Theodor de Bry stellte Ende des sechzehnten Jahrhunderts die wichtigste Sammlung mit Reiseberichten aus der Neuen Welt zusammen und illustrierte sie prachtvoll. Jetzt kann man sie wieder bestaunen.

Von Jakob Strobel y Serra

Der Kakodämon ist ein Schauerwesen aus den tiefsten Höllenschlünden mit Hängebrüsten, Geierkrallen, fünf Köpfen in Gestalt von Hund, Hirsch, Adler, Puma und Drache, einem Unterleib in Form einer Eule und dicken Schlangenschwänzen, die sich um seine behaarten Beine winden, eine Ausgeburt des Schreckens, neben der Luzifer wie ein Adonis wirkt. Kako wird von den Indianern der Insel Hispaniola als oberster Götze angebetet, und als Zeichen, dass sie kein Übel in ihrem Herzen tragen, reizen sie mit einem Stöckchen so lange ihren Rachen, bis sie sich erbrechen. So berichtet es Girolamo Benzoni in seiner 1565 erschienenen "Historia del Mondo Nuovo", oder jedenfalls fast so. Denn die grausigen Details der Götzenbeschreibung stehen bei ihm nicht. Sie hat sich der Kupferstecher zusammenphantasiert, der Benzonis Bericht in denkbar drastischer Weise illustrierte - und damit das Bild Amerikas und seiner Ureinwohner, die Vorstellung von ihrer Unzivilisiertheit und Rohheit für Jahrhunderte prägen sollte.

Der Name des Illustrators lässt sich nicht eindeutig klären, der seines Verlegers schon, denn er hat Geschichte geschrieben: Theodor de Bry, gebürtiger Niederländer, gelernter Goldschmied, autodidaktischer Kupferstecher, trug Ende des sechzehnten Jahrhunderts gemeinsam mit seinen Söhnen in Frankfurt das Wissen über die Welt jenseits von Europa so vollständig wie niemand je zuvor zusammen und schmückte es mit sechshundert großformatigen Kupfertafeln aus, die zu großen Teilen auf seiner eigenen Inspiration basieren. Fünfzig Reiseberichte von Abenteurern und Forschern über Amerika, Asien und Afrika versammelte er in den fünfundzwanzig Folio-Bänden der Serien "America" und "India Orientalis", die ins Deutsche und Lateinische übersetzt wurden, zwischen 1590 und 1634 erschienen und sofort zu begehrten Sammlerstücken wurden - noch der dritte amerikanische Präsident Thomas Jefferson soll den Freudentränen nahe gewesen sein, als er 1789 die dreizehn "America"-Bände in Amsterdam ersteigern konnte. Die ersten neun dieser Werke hat nun der Taschen Verlag in einem monumentalen Bildband versammelt - und bereitet damit allen Freunden historischer Reiseberichte eine Freude, wie sie Jefferson empfunden hat.

Die Berichte sind naturgemäß so heterogen wie ihre Verfasser, deren Auftrag, Temperament und Reiseglück. Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, die ersten Expeditionen der Franzosen nach Florida, Hans Stadens Odyssee im brasilianischen Urwald, Francisco Pizarros Eroberung des Inka-Reiches, die Raubzüge von Francis Drake und Walter Raleigh in den spanischen Kolonien addieren sich zu einem Potpourri, das in seiner unorthodoxen Vielfalt gerade den Reiz des Buches ausmacht. Und sein Unterhaltungswert ist dank der Geschäftstüchtigkeit der Familie de Bry auch nach einem halben Jahrtausend ungebrochen. Da sie ihre Folianten in ganz Europa verkaufen wollten, fertigten sie einerseits eine deutsche Version für ein eher protestantisches Publikum an, in der die katholischen Spanier als Kolonialherren in der besten Tradition der "Leyenda negra" verteufelt werden, während die lateinische Version für den internationalen Markt wesentlich milder mit ihnen umgeht. Und um ihre Leser mit Schrecken und Schaudern zu fesseln, begnügten sie sich andererseits nicht mit getreuen Textillustrationen, sondern hauten nach Kräften auf die Schockpauke.

Reißerische Übertreibungen, skrupellose Manipulationen, haarsträubende Erfindungen, gnadenlose Effekthascherei, Schwarzweißmalerei in den prachtvollsten Farben, um den Kontrast zwischen christlich Zivilisierten und heidnisch Wilden möglichst groß erscheinen zu lassen: Jedes Mittel war Theodor de Bry und seinen Söhnen recht, um die Verkaufszahlen zu befeuern. Dass sie mit dem bildmächtigsten Werk der Reiseliteratur in der frühen Neuzeit die Ikonografie von Amerika für zweihundert Jahre zementierten, war ihnen vermutlich gleich. Und so wird auf den Kupferstichen wie in Splatter-Horrorfilmen gemordet und gemeuchelt, verschlingen Kannibalen ganze Dörfer, metzeln Konquistadoren komplette Armeen nieder. "Indianer gießen den Spaniern flüssiges Gold in den Mund, um ihre Gier zu stillen", ist eine Bildtafel überschrieben, während eine andere diesen Titel trägt: "Balboa lässt Indianer, welche die Sünde der Sodomie begangen haben, von seinen Hunden in Stücke reißen."

Man sieht aber auch immer wieder frühe Zeugnisse der Ethnologie und Anthropologie: blitzblanke Indio-Dörfer mit akkuraten Feldern und freundlich lächelnden Ureinwohnern, die fast schon Rousseaus Edle Wilde sein könnten. Neben Götzendienst und Hinrichtungsmethoden werden ebenso Sitten und Gebräuche illustriert, Trachten und Tänze, Jagd und Fischfang, Ackerbau und Viehzucht, Bestattungsriten und Krönungszeremonien. Und manchmal wird sogar der Irrglaube von der christlich-abendländischen Überlegenheit entlarvt, etwa wenn René de Laudonnière die wohlüberlegte Ernährung der Ureinwohner Floridas lobt: "All dies sollte die Christen beschämen angesichts ihrer eigenen Unmäßigkeit beim Essen und Trinken. Sie verdienten es, dass man sie unter die Aufsicht dieser Wilden stellte, auf dass sie Mäßigung lernten."

"Theodor de Bry: America. Sämtliche Tafeln 1590 bis 1602", herausgegeben von Michiel van Groesen. Taschen Verlag, Köln 2019. 376 Seiten, zahlreiche Farbtafeln, Format 28,5 mal 39,5 Zentimeter. Gebunden, 100 Euro.

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