Die Beziehung zwischen mentalen Natur-Bildern und der Realität der Natur ist umstritten. Gibt es eine "objektive" Natur oder handelt es sich bei "Natur" um ein vom jeweiligen Subjekt abhängiges mentales Konstrukt? Die letztere Position genießt zwar größere Popularität, sie ruft aber auch vehementen Widerspruch hervor: Kritiker sehen in ihr einen Verbündeten der Tendenzen, die in die Umweltkrise geführt haben. Die Beiträge des Bandes entfalten anhand von historischem Material die verschiedenen Aspekte dieser Debatte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2000Wie sich die Fronten zwischen Kulturalismus und Naturalismus verändern
Über das Verhältnis von Mensch und Natur in der Neuzeit herrscht inzwischen akademischer Konsens. Die sentimentalische Anschauung, die die Natur als Ort der Ursprünglichkeit und Totalität begreift, begann sich im sechzehnten Jahrhundert durchzusetzen. Als Gegenbewegung zur Verstädterung und Industrialisierung wurde die Natur zur Projektionsfläche von Reinheit und Ursprünglichkeit. Der Feld-, Wald- und Wiesenverehrung des achtzehnten Jahrhunderts, in dem die Glorifizierung der Fauna und Flora ihre steile Karriere antrat, bereitete der Massentourismus des vergangenen Jahrhunderts ein Ende. Seitdem gilt Robinson Crusoes Inselidyll als ebensowenig authentisch wie Gauguins Südseeparadies oder das Alpenpanorama des pauschalreisenden Bergurlaubers.
Nun empfand man die Wahrnehmung der Natur als sozialpsychologischen Reflex, die Sicht nach draußen ließ nur noch tief ins Innere des Betrachters blicken, die "Innenwelt als Außenwelt" galt als kulturelles Konstrukt. Daß es sich allerdings auch hierbei nicht um den letzten Schluß der Aufklärung handelt, verdeutlicht der Historiker Rolf Peter Sieferle ("Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte", hrsg. von Rolf Peter Sieferle und Helga Breuninger, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2000).
Das Insistieren auf den Konstruktcharakter der Naturwahrnehmung läßt sich nämlich ebenso als funktionale Finte einer Weltanschauung begreifen. Als Folie für die Kritik am konstruktivistischen Kulturalismus dient Sieferle die Umweltschutzbewegung der siebziger Jahre, die gegen die industrielle Zurichtung der Natur protestierte. Aus dieser Perspektive zeige sich die Janusköpfigkeit einer Argumentation, die Natur nicht eine Realität außerhalb des Betrachters sein läßt und ihr damit letztendlich das Existenzrecht abspricht. Hier wird der Kulturalismus zum Verbündeten "eines technisch-planerischen Optimismus, dessen Kehrseite eben die Zerstörung der Natur ist". So gesehen kamen die Frontlinien zwischen dem auf Veränderung bedachten "Kulturalismus" und dem wertkonservativen "Naturalismus" ausgerechnet bei der Frage nach der Rettung der Natur wieder durcheinander.
Dem "Naturalismus" als Denkschule wurde seit je die Erfahrung der Kontingenz entgegengehalten. Die Veränderbarkeit der Verhältnisse, wie sie Geschichte und Völkervergleich lehren, ist im Naturalismus nicht vorgesehen. Dennoch hat sie als Argumentationsstrategie Erfolg, wenn es darum geht, den Status quo zum Naturzustand zu verbrämen, alternative Lebensmodelle als fehlgeleiteten Kulturinstinkt herabzusetzen. Dagegen wendet sich der "Kulturalismus", der Hierarchien und scheinbar unumstößliche Anschauungen auf ihr historisches Gewordensein befragt und damit seine emanzipatorische Wirkung entfaltet. In diesem Sinne glaubte man, die Naturverehrung als Kopfgeburt der bürgerlichen Gesellschaft entlarven zu können.
Aber angesichts der fortschreitenden Naturzerstörung des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts scheint diese so aufgeklärt daherkommende Position, die in der Natur nur das Machbare und Konstruierbare sieht, unversehens als Komplizin eines "instrumentellen Anthroponzentrismus" spätkapitalistischer Prägung. Wie argumentiert Naturschutz nach der Abschaffung der Natur? Und wie kann das Recht der Natur als Wert legitimiert werden, ohne beim Naturrecht zu enden? In der Debatte um Natur und Nicht-Natur lauert demnach auf der einen Seite die Gefahr des "vollständigen Objektverlusts", auf der anderen Seite die einer "naturalistischen Ethik". Der Herausforderung, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur in unterschiedlichen Kontexten immer wieder neu zu bestimmen, kann man sich offenbar nicht länger dadurch entziehen, daß ein linksprogressiver Kulturalismus gegen einen rechtskonservativen Naturalismus ausgespielt wird.
Eine erneute Volte in die Diskussion über Naturalismus und Kulturalismus haben unlängst amerikanische Umweltschutzaktivisten des Centers for Biological Diversity vorbereitet. Unsere Abbildung zeigt den Vorsitzenden Kierán Suckling. Er hält Ausschau nach Fluchtwegen aus der verkrusteten Gesellschaftsordnung, die den meisten zur zweiten Natur geworden sei. Seiner Ansicht nach geht es in Zukunft ganz generell um die Inbesitznahme der bürgerlichen Ordnung durch die Natur. Folgerichtig streitet er für die Rückführung von zivilisierten Terrains in die Wildnis. Auf diesen Felsen will er die neue Menschheit bauen.
JULIA VOSS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über das Verhältnis von Mensch und Natur in der Neuzeit herrscht inzwischen akademischer Konsens. Die sentimentalische Anschauung, die die Natur als Ort der Ursprünglichkeit und Totalität begreift, begann sich im sechzehnten Jahrhundert durchzusetzen. Als Gegenbewegung zur Verstädterung und Industrialisierung wurde die Natur zur Projektionsfläche von Reinheit und Ursprünglichkeit. Der Feld-, Wald- und Wiesenverehrung des achtzehnten Jahrhunderts, in dem die Glorifizierung der Fauna und Flora ihre steile Karriere antrat, bereitete der Massentourismus des vergangenen Jahrhunderts ein Ende. Seitdem gilt Robinson Crusoes Inselidyll als ebensowenig authentisch wie Gauguins Südseeparadies oder das Alpenpanorama des pauschalreisenden Bergurlaubers.
Nun empfand man die Wahrnehmung der Natur als sozialpsychologischen Reflex, die Sicht nach draußen ließ nur noch tief ins Innere des Betrachters blicken, die "Innenwelt als Außenwelt" galt als kulturelles Konstrukt. Daß es sich allerdings auch hierbei nicht um den letzten Schluß der Aufklärung handelt, verdeutlicht der Historiker Rolf Peter Sieferle ("Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte", hrsg. von Rolf Peter Sieferle und Helga Breuninger, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2000).
Das Insistieren auf den Konstruktcharakter der Naturwahrnehmung läßt sich nämlich ebenso als funktionale Finte einer Weltanschauung begreifen. Als Folie für die Kritik am konstruktivistischen Kulturalismus dient Sieferle die Umweltschutzbewegung der siebziger Jahre, die gegen die industrielle Zurichtung der Natur protestierte. Aus dieser Perspektive zeige sich die Janusköpfigkeit einer Argumentation, die Natur nicht eine Realität außerhalb des Betrachters sein läßt und ihr damit letztendlich das Existenzrecht abspricht. Hier wird der Kulturalismus zum Verbündeten "eines technisch-planerischen Optimismus, dessen Kehrseite eben die Zerstörung der Natur ist". So gesehen kamen die Frontlinien zwischen dem auf Veränderung bedachten "Kulturalismus" und dem wertkonservativen "Naturalismus" ausgerechnet bei der Frage nach der Rettung der Natur wieder durcheinander.
Dem "Naturalismus" als Denkschule wurde seit je die Erfahrung der Kontingenz entgegengehalten. Die Veränderbarkeit der Verhältnisse, wie sie Geschichte und Völkervergleich lehren, ist im Naturalismus nicht vorgesehen. Dennoch hat sie als Argumentationsstrategie Erfolg, wenn es darum geht, den Status quo zum Naturzustand zu verbrämen, alternative Lebensmodelle als fehlgeleiteten Kulturinstinkt herabzusetzen. Dagegen wendet sich der "Kulturalismus", der Hierarchien und scheinbar unumstößliche Anschauungen auf ihr historisches Gewordensein befragt und damit seine emanzipatorische Wirkung entfaltet. In diesem Sinne glaubte man, die Naturverehrung als Kopfgeburt der bürgerlichen Gesellschaft entlarven zu können.
Aber angesichts der fortschreitenden Naturzerstörung des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts scheint diese so aufgeklärt daherkommende Position, die in der Natur nur das Machbare und Konstruierbare sieht, unversehens als Komplizin eines "instrumentellen Anthroponzentrismus" spätkapitalistischer Prägung. Wie argumentiert Naturschutz nach der Abschaffung der Natur? Und wie kann das Recht der Natur als Wert legitimiert werden, ohne beim Naturrecht zu enden? In der Debatte um Natur und Nicht-Natur lauert demnach auf der einen Seite die Gefahr des "vollständigen Objektverlusts", auf der anderen Seite die einer "naturalistischen Ethik". Der Herausforderung, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur in unterschiedlichen Kontexten immer wieder neu zu bestimmen, kann man sich offenbar nicht länger dadurch entziehen, daß ein linksprogressiver Kulturalismus gegen einen rechtskonservativen Naturalismus ausgespielt wird.
Eine erneute Volte in die Diskussion über Naturalismus und Kulturalismus haben unlängst amerikanische Umweltschutzaktivisten des Centers for Biological Diversity vorbereitet. Unsere Abbildung zeigt den Vorsitzenden Kierán Suckling. Er hält Ausschau nach Fluchtwegen aus der verkrusteten Gesellschaftsordnung, die den meisten zur zweiten Natur geworden sei. Seiner Ansicht nach geht es in Zukunft ganz generell um die Inbesitznahme der bürgerlichen Ordnung durch die Natur. Folgerichtig streitet er für die Rückführung von zivilisierten Terrains in die Wildnis. Auf diesen Felsen will er die neue Menschheit bauen.
JULIA VOSS
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