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Über Selbstbehrrschung, Schabernack, Zensur, den Karneval in Rio und andere menschliche Gewohnheiten.Peter Burkes Buch vermittelt mit seinen exemplarischen Studien und methodischen Beiträgen einen (unterhaltsamen) Eindruck davon, welche (aufregenden) Wege die Kultur- und Mentalitätsgeschichte künftig gehen wird. Es widmet sich der Vielfalt der Kulturgeschichte: ihrem Ursprung, ihrer Funktion als soziales Gedächtnis, ihrem Begriff der Mentalität. Aber auch Beispielhaftem: Rittertum am falschen Ort, heftigen Gesten, kollektiven Träumen, neureichem Verhalten feiner Leute, alten Stadtplänen in modernen Städten.…mehr

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Produktbeschreibung
Über Selbstbehrrschung, Schabernack, Zensur, den Karneval in Rio und andere menschliche Gewohnheiten.Peter Burkes Buch vermittelt mit seinen exemplarischen Studien und methodischen Beiträgen einen (unterhaltsamen) Eindruck davon, welche (aufregenden) Wege die Kultur- und Mentalitätsgeschichte künftig gehen wird. Es widmet sich der Vielfalt der Kulturgeschichte: ihrem Ursprung, ihrer Funktion als soziales Gedächtnis, ihrem Begriff der Mentalität. Aber auch Beispielhaftem: Rittertum am falschen Ort, heftigen Gesten, kollektiven Träumen, neureichem Verhalten feiner Leute, alten Stadtplänen in modernen Städten.
Autorenporträt
Peter Burke, 1937 in Stanmore in England geboren, hat in Oxford studiert. Sechzehn Jahre lang lehrte er an der School of European Studies der University of Sussex, bevor er 1978 nach Cambridge wechselte, wo er heute Professor für Kulturgeschichte am Emmanuel College ist. Gastdozenturen führten Burke, der international als einer der bedeutendsten Kulturhistoriker gilt, in die meisten Länder Europas sowie unter anderem nach Indien, Japan und Brasilien. Seine Bücher, in denen er sich oft der Renaissance widmet, und seine rund 200 Artikel sind in über 30 Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Ciao, Cicerone
Kulturreisen auf die schnelle Tour: Dank Düsentriebwerken überholt Peter Burke Jacob Burckhardt / Von Max Grosse

Man mag sich vorstellen, das Zeitalter der europäischen Renaissance werde durch zwei symbolisch aufgeladene Schlüsselszenen begrenzt: Auf den 16. Juni 1345 datiert Francesco Petrarca seinen ersten Brief an Marcus Tullius Cicero. Dieses Schreiben an den toten Römer ist der Ausdruck einer Schockerfahrung. Der entgeisterte Petrarca hat gerade in der Kapitularbibliothek von Verona die bis dahin völlig unbeachtete Korrespondenz Ciceros mit seinem Freund Atticus gelesen und für sich abgeschrieben. Dabei kam hinter dem volltönenden Tugendwächter ("Was für Zeiten, was für Sitten!") und dem Meister der lateinischen Prosa ein schwacher Politiker zum Vorschein, der sich nicht eben glücklich durch die Wirren des römischen Bürgerkriegs lavierte. In dem Augenblick, da Petrarca den eigenen Abstand zur Antike begreift, versucht er, sich der bewunderten Vergangenheit dadurch zu nähern, daß er Cicero unvermittelt in dessen Stil anschreibt. Die Rückkehr zur klassischen lateinischen Rhetorik sowie die zusehends kritische Rekonstruktion der Antike aus allen erreichbaren Quellen unterscheidet die Renaissance von jenem "Mittelalter", das die Humanisten als Popanz aufbauten und als dunkles Zeitalter "gotischer" Barbarei brandmarkten.

Das Ende der Renaissance fängt dann vielleicht in der Nacht vom 10. zum 11. November 1619 an: Der dreiundzwanzigjährige René Descartes wird vom Einbruch des Winters in einer überheizten deutschen Stube überrascht. Von der Außenwelt abgeschnitten und ganz in seine Gedanken eingesponnen, will er in der besagten Nacht die Grundregeln jener "Methode des richtigen Vernunftsgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung" entdeckt haben, über die er 1637 in Leiden unter dem Schutz der Anonymität eine französische Abhandlung herausbringt. Descartes möchte für die Naturforschung reinen Tisch machen und den Kommentar antiker Bücher endgültig durch die methodisch kontrollierte Beobachtung des großen Buchs der Welt ersetzen. Der autobiographische Bericht über die eigene Ausbildung an einem renommierten Jesuitenkolleg gleicht einer Abrechnung; die Gewißheiten der Mathematik sollen nun an die Stelle des fruchtlosen Disputs über die Meinungen alter Autoren treten.

In seiner jüngsten Überblicksdarstellung kartiert der englische Kulturhistoriker Peter Burke jene Epoche, für die sich erst im letzten Jahrhundert der Begriff der "Renaissance" eingebürgert hat. Sie reicht von der Entstehung des Humanismus bis zur allmählichen Herausbildung der mathematisch-empirischen Naturwissenschaften seit dem siebzehnten Jahrhundert. Dabei ist es das Dilemma jeder kulturgeschichtlichen Darstellung dieses Zeitraums, daß sie sich unwillkürlich in ein Konkurrenzverhältnis zu Jacob Burckhardts berühmtem "Versuch" über "Die Kultur der Renaissance in Italien" von 1860 begibt. Denn schließlich eröffnet Burckhardt nicht nur die moderne Kulturgeschichtsschreibung, sondern erklärt die Renaissance dabei auch gleich zum Ursprung der Moderne.

Auch wenn kaum eine These Burckhardts unwidersprochen geblieben und die Moderne mittlerweile in das Zwielicht ihres möglichen Endes getaucht ist, so hat doch sein ganz aus den Quellen gearbeitetes, behaglich erzählendes, ungemein anschauliches Werk noch keinen Leser kaltgelassen. Allerdings schrieb Burckhardt zu einer Zeit, als der Neuhumanismus im deutschen Sprachraum uneingeschränkte Geltung besaß. Inzwischen sind uns mit der Antike auch deren Aneignung in der frühen Neuzeit und die gesamte klassische Tradition in sehr viel weitere Ferne gerückt. Das Mittelalter erfreut sich dagegen eines regen ethnologischen Interesses. Die uneingeschränkte Gunst der heutigen Leserschaft genießen lediglich die großen Skeptiker der Spätrenaissance, aber Montaigne, Cervantes und Shakespeare lassen den Humanismus bereits hinter sich. Außerdem hat die Philologie längst aufgehört, eine Leitwissenschaft für die Historikerzunft zu sein.

Burke berücksichtigt die gewandelte Ausgangssituation und kann auf diese Weise gegenüber dem Übervater Burckhardt eigene Akzente setzen. Vor allem beschreibt er die Renaissance als gesamteuropäische Erscheinung. Papst Pius II. ersetzte im fünfzehnten Jahrhundert zum ersten Mal den Begriff der Christenheit durch den Europas, 1566 veröffentlichte Pierfrancesco Giambullari eine erste "Geschichte Europas". Die Konfrontation mit der "Neuen Welt" in Übersee und den türkischen Invasionen im Südosten des Kontinents trug dazu bei, daß sich eine Art europäisches Bewußtsein bildete. Peter Burke führt uns nicht nur in die italienischen Laboratorien der kulturellen Erneuerung, etwa das Florenz der Medici oder das Rom von Papst Leo X., sondern auch an den Rändern entlang in das Buda des Königs Matthias Corvinus, das Krakau der Jagiellonen, das Nürnberg Albrecht Dürers, das Granada Kaiser Karls V. oder die bürgerstolze Handelsstadt Antwerpen. Ja, wir folgen sogar dem Inka Garcilaso und dem Jesuiten Matteo Ricci, wenn sie den Humanismus bis nach Peru und nach China tragen.

Dabei stehen bei Burke weniger die literarischen, philosophischen oder künstlerischen Werke im Mittelpunkt als deren Entstehungsbedingungen. So erfährt man viel über fürstliche Auftraggeber oder gelehrte Netzwerke, die oft mehrere Länder überzogen und durch regen Briefwechsel geknüpft wurden. Zu einer etwas blassen Pflichtübung gerät die anfängliche Darstellung der italienischen Frührenaissance. Es wird nicht wirklich deutlich, daß beispielsweise Albertis Theorie der Zentralperspektive oder Polizianos Historisierung des Klassikerstudiums unter den Gebildeten die Auffassung von Raum und Zeit nachhaltig veränderten. In seinem Element ist Burke dagegen, wenn er die Rezeption der italienischen Renaissance im Ausland und ihr Vordringen in den Alltag schildert. Besondere Aufmerksamkeit erhalten daher die Medienrevolution des Buchdrucks und die neuen Reproduktionsverfahren überhaupt; durch Musterbücher, Stiche und sogar auf Majolika wurden klassische Ornamente und Bildmotive rasch verbreitet. Das Interesse an technischer Reproduzierbarkeit hat offenbar jene Faszination der Originalität ersetzt, die in der Renaissance erstmals als Wert begriffen und dann im bildungsbürgerlichen Zeitalter von Goethe bis Nietzsche als Errungenschaft gefeiert worden war.

Peter Burke zeichnet keine Epoche der schönen Stilisierung des Lebens nach, sondern ein Zeitalter der Widersprüche und Konflikte: Die Wiederbelebung des Alten brachte das Neue hervor; man goß neuen Wein in alte Schläuche; der Annäherung an die antike Tragödie verdankt man die unantike Oper. Die mittelalterlich-ritterliche Kultur des Adels widerstand der Antikenbegeisterung; so förderte Kaiser Karl V. die Anhänger des Erasmus und las doch selbst schwerblütige burgundische Ritterbücher. Die Frauenbildung besserte sich vor allem in Italien und in den Fürstenhäusern erheblich, wovon etwa das Mäzenatentum der Isabella d'Este zeugt. Das "ägyptische Gold" der heidnischen Philosophie - wie es der heilige Augustinus genannt hatte - war mit der christlichen Offenbarung zu vermitteln, das Studium des Griechischen und Hebräischen gegen den scholastischen Schlendrian zu verteidigen. Jedoch verstanden die Reformatoren genausowenig Spaß wie die Verfechter der katholischen Orthodoxie. Als Luther und Calvin Gefahren für das Seelenheil ihrer Schäfchen witterten, wetterten sie gegen den griechischen Spötter Lukian mit jener Lachfeindschaft, die alle Ideologen eint. Die nur virtuelle Gelehrtenrepublik vermochte die Glaubenskriege nicht unbeschadet zu überstehen.

Während Burckhardt mit seiner Besichtigung Italiens den Cicerone für den Bildungsreisenden des neunzehnten Jahrhunderts machte, sehen wir Burkes multikulturelles und mannigfaltig wucherndes Beziehungsnetz eher aus der Vogelperspektive, dem heutigen düsengetriebenen Kulturtourismus gemäß. Der weitgereiste und sprachgewandte Burke verfügt über eine bewundernswerte Vertrautheit mit der sintflutartigen Forschungsliteratur und über die Gabe zur kraftvollen Synthese. Allerdings wird die Weite des Blicks manchmal auch mit einem Mangel an Anschaulichkeit erkauft; die Prozession der Namen hätte öfter durch Fallbeispiele ersetzt werden können. Das gilt erst recht für den programmatischen Essay über "Ursprünge der Kulturgeschichte", welcher die gleichzeitig erscheinende Aufsatzsammlung "Eleganz und Haltung" einleitet. Der Versuch, der heutigen Kulturgeschichtsschreibung eine möglichst eindrucksvolle Ahnentafel aus dem sechzehnten bis achtzehnten Jahrhundert zu verschaffen, bestätigt höchstens den Verdacht, der Gegenstand des Kulturhistorikers sei Gott und die Welt, also von der Sprache über die Medien bis zur Theologie eigentlich fast alles. Ausgenommen bleiben nur Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, denn die werden von den anderen, den "eigentlichen" Historikern mit Beschlag belegt, die im Fach den Ton angeben.

Allerdings ist die Kultur- und Mentalitätsgeschichte längst keine so arme Verwandte mehr, wie es Burke aus englischer Sicht manchmal scheinen will. In Frankreich beansprucht sie längst die Vorherrschaft und verträgt sich dabei gut mit der Politik- und Wirtschaftsgeschichte, während sie in Deutschland mittlerweile sogar von Hans-Ulrich Wehler, dem strengen Schulhaupt der Bielefelder Sozialhistoriker, als Herausforderung aufgefaßt wird.

Auch wenn sich über die Definitionen eines allumfassenden Kulturbegriffes trefflich streiten läßt, so bestätigen doch Burkes Aufsätze, daß die Kulturhistoriker eine deutliche Vorliebe für bestimmte Epochen, Themen und Darstellungsformen entwickelt haben. Ihr liebstes Arbeitsfeld ist neben der Antike und dem Mittelalter vor allem die frühe Neuzeit; sie interessieren sich für den Körper und die Träume, den Karneval und die Wahrnehmung des Fremden, das Verhältnis von Elitekultur und Volkskultur, die Überschreitung der Grenzen und die Mischung der Kulturen; schließlich bevorzugen sie gegenüber den statistischen Methoden der Sozialgeschichte die verstehende Rekonstruktion vergangener Weltsichten in beispielhaften Fallstudien. Dabei orientiert sich Burkes herausragender Essay über Öffentlichkeit und Privatsphäre im Genua der Spätrenaissance an Jürgen Habermas' Untersuchung zum "Strukturwandel der Öffentlichkeit", um das innige Beziehungsgeflecht von Politik, Literatur und Machtsphären der einflußreichen Familien in der norditalienischen Hafenstadt zu entwirren. In einem fernen Spiegel erblicken wir jenen Widerstreit von Gruppeninteressen und Bürgersinn, der auch den Bewohnern der heutigen Industriestädte nicht völlig fremd sein dürfte.

Peter Burke: "Die europäische Renaissance". Zentren und Peripherien. Aus dem Englischen von Klaus Kochmann. Verlag C. H. Beck, München 1998. 342 S., Abb., geb. 48,- DM.

Peter Burke: "Eleganz und Haltung". Die Vielfalt der Kulturgeschichte." Aus dem Englischen von Matthias Wolf. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1998. 288 S., Abb., geb. 48,- DM.

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