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Eine kurze Geschichte Europas der letzten tausend Jahre - meisterhaft erzählt von einem Universalisten unter den Historikern. Ferdinand Seibt gelingt es, die Gemeinsamkeiten Europas anhand ungewohnter Perspektiven zu illustrieren: Es geht ihm weniger um eine Geschichte der Personen und Ereignisse - Kaiser und Könige, gewonnene und verlorene Schlachten stehen nicht im Vordergrund. Vielmehr interessieren ihn der Raum und die Zeit, die wir miteinander teilen, die Gemeinsamkeiten, die uns einen: die Geschichte der Handels- und Pilgerwege, unserer Behausungen und Wohnformen, unserer Kleider, Waffen…mehr

Produktbeschreibung
Eine kurze Geschichte Europas der letzten tausend Jahre - meisterhaft erzählt von einem Universalisten unter den Historikern. Ferdinand Seibt gelingt es, die Gemeinsamkeiten Europas anhand ungewohnter Perspektiven zu illustrieren: Es geht ihm weniger um eine Geschichte der Personen und Ereignisse - Kaiser und Könige, gewonnene und verlorene Schlachten stehen nicht im Vordergrund. Vielmehr interessieren ihn der Raum und die Zeit, die wir miteinander teilen, die Gemeinsamkeiten, die uns einen: die Geschichte der Handels- und Pilgerwege, unserer Behausungen und Wohnformen, unserer Kleider, Waffen und Werkzeuge ebenso wie Kontinuität und Wandel der Reiche, der Kirchen und der Gesellschaftsordnungen von damals bis heute.
Ferdinand Seibts Augenmerk gilt dabei den Veränderungsschüben, den Routen und Umwegen des kulturellen Transfers auf unserem Kontinent, den ideellen Aufbrüchen und Gegenströmungen, den politischen und künstlerischen Revolutionen. Sein Buch liefert überdies neben derfaszinierend zu lesenden Geschichte unseres Kontinents auch im wörtlichen Sinne eine aktuelle Begründung für das Zusammenleben in Europa.
Autorenporträt
Ferdinand Seibt, geboren 1927 in Böhmen, war von 1969 bis zu seiner Emeritierung 1992 Professor für mittelalterliche Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Einem großen Publikum wurde er bekannt mit historischen Bestsellern wie 'Glanz und Elend des Mittelalters' und 'Karl IV.'. Ferdinand Seibt war Träger zahlreicher Auszeichnungen und Preise, Ehrendoktor der Karls-Universität Prag und war Erster Vorsitzender des Collegium Carolinum in München. Ferdinand Seibt starb 2003.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2002

Wo bleibt der Glanz
Zu spät: Ferdinand Seibt beginnt die Geschichte Europas um 1000
Man freut sich über das Europa-Thema, ist irritiert über die Worte „Begründung” und „Zwischenbericht” im Titel, nimmt aber neugierig die Strukturierung des Textes durch interessante Zwischentitel zur Kenntnis. Da geht es um materielle Voraussetzungen: „Holz und Stein, Gold und Eisen”; ferner um den angeblichen berüchtigten „Drang nach Osten”, dann gibt es eine „kommerzielle Revolution”, ferner geht es um „Leben und Sterben im Haus”; ebenso um die Kirche als „Gebilde ohnegleichen”, was sehr treffend ist, und um „die Begegnung mit den Barbaren” und schließlich auch um den „Traum vom Schönen” und um „europäische Utopien”, ein Lieblingsthema des Autors.
Der Text entspricht leider kaum den Erwartungen, welche die Titel erwecken. Es macht bereits stutzig, dass nach knappen schulbuchartigen und leider antiquierten Bemerkungen über die Karolingerzeit, die Geschichte Europas für Seibt eigentlich erst um 1000 beginnt, also in einer Epoche, in welcher der Begriff „Europa” längst etabliert ist, denn Karl der Große galt schon als „Vater Europas”. Auch springt der Autor oft allzu schnell ins Hoch- und Spätmittelalter und präsentiert viele Beispiele aus dem ostmitteleuropäischen Raum, wodurch ein Ungleichgewicht entsteht. Dies hängt mit der Unterschätzung der Rolle der antiken Kultur im christlichen Gewand zusammen.
Die Antike war eben nicht nur ein „gewisser Nachklang”, sondern eine essenzielle Voraussetzung der Entstehung Europas. Martin von Tours etwa, einer der spätantiken Gründungsheiligen Europas, wird zwar mit seinem Mantelwunder und seiner Rolle für die Mission erwähnt, aber dann heißt es schlicht und falsch über die Quellenlage: „Nur fehlt uns ein entsprechender zeitnaher Bericht.” Einspruch! Es gibt die im gesamten Mittelalter berühmte und nachgeahmte zeitgenössische Lebensbeschreibung Martins aus der Feder seines Schülers Sulpitius Severus und dessen Geschichtswerk, in dem das tragische Scheitern Martins beim kaiserlichen Bluturteil über die christliche Sekte der Priszillianer in Trier geschildert wird, ein Vorgang, der als Christenverfolgung durch Christen schlimme Schule machen sollte.
An Quellen fehlt es eben gerade nicht, man muss sie nur kennen. Besser und zuverlässiger kann das Leben des großen, fränkischen Reichsheiligen gar nicht dokumentiert werden. Nicht umsonst ist die Vita Martini ein Grundtext der mittelalterlichen Hagiografie geworden. Überhaupt kolportiert der Autor vieles gleichsam nach dem Hören-Sagen, er begnügt sich vielfach mit Handbuchwissen älterer Provenienz. Jahrzehnte intensiver Forschung über die Funktion der spätantiken Kirche, über die Wanderung antiker Handschriften in karolingischen und später in ottonischen Klöster, über das für die Missionierung der „Barbaren” so wichtige Fortleben einer gallorömischen wie alpenromanischen Bevölkerung bleiben unberücksichtigt.
Der Westen kommt zu kurz
Auch die grundlegende Funktion der Mission für die Entstehung der europäischen Nationalkulturen bleibt Seibt verborgen: Anders als in der Antike mit ihren zwei sakralen Hochsprachen Griechisch und Latein hatten die Missionare bei Germanen und Slawen keine andere Wahl, als die Glaubensinhalte in der Muttersprache der zu Bekehrenden zu erläutern. Daher die germanischen oder slawischen Interlinearversionen in sakralen Texten, die schon nach etwa 100 Jahren zu selbstständigen angelsächsischen, althochdeutschen und kirchenslawischen Literaturtexten führten und damit zu genuin europäischen Nationalkulturen in West und Ost.
Ein weiterer Fehler gewissermaßen struktureller Art ist dem Autor als profundem Kenner der mittelalterlichen Geschichte Böhmens insofern unterlaufen, als West- und Mitteleuropa auf Kosten Ostmitteleuropas viel zu kurz kommen, obwohl diese Regionen zweifellos substanziell wichtiger sind als der kulturell nachfolgende Osten Europas, der in hohem Maße Rezipient des westlichen Kulturtransfers gewesen ist.
Das Bild der europäischen Kulturentwicklung wird durch solche Unterschätzungen einerseits und Überbetonungen andererseits verzerrt, ja entstellt: Wo etwa bleibt der Glanz des kapetingischen Königsstaates, des spätmittelalterlichen Burgunderreiches oder Englands? Man kann zwar gegen Jacques Le Goffs Definition des mittelalterlichen Intellektuellen in Einzelheiten polemisieren, wird aber doch wohl nicht leugnen können, dass seit dem 12. Jahrhundert Paris das Zentrum der Jugend Europas war. Schon im 12. Jahrhundert fochten Bernhard von Clairvaux und Peter Abaelard ihren Kampf um Glauben und Wissen in Paris aus. Im 13. Jahrhundert waren es der Deutsche Albertus Magnus und der Italiener Thomas von Aquin, die an der Sorbonne die scholastische Philosophie auf ihren Höhepunkt führten. Kölns, Italiens und Englands Domschule leisteten Bedeutendes auf diesem Feld. Man kann also nicht von einem qualitativ homogenen Einheitsstandard europäischer Geisteskultur in West und Ost ausgehen, wie dies der Autor durch Überbetonung der letzteren suggeriert. Geistig innovativ waren zweifellos der Westen, während Ostmitteleuropa sehr lange rezeptiv blieb. Das bedeutet kein Werturteil sondern ist nüchterne Beobachtung des europäischen Akkulturationsprozesses, bei dem zwangsläufig die Regionen östlich von Rhein und Elbe zuerst die Nehmenden und dann, etwa in der Universitätskultur, die Gebenden gewesen sind.
Neue codikologische Untersuchungen haben ergeben, dass seit dem Hochmittelalter Bücher und Traktate der Magister an den Schulen der Metropole, d. h. der späteren Sorbonne, innerhalb von drei bis fünf Jahren überall in Europa zwischen Pyrenäen und Weichsel verbreitet waren. Es gab eben das leistungsfähige Kommunikationsnetz der Kirche, aus dem die geistige Einheit Europas entstand. Wenn man dies nicht berücksichtigt, fehlen die wichtigen Zusammenhänge und über diesen Mangel können auch aneinander gereihte Einzelbeobachtungen nicht hinwegtäuschen; dies besonders dann nicht, wenn dieselben ungenau oder gar falsch sind. Man kann aufgrund neuer Forschungen nicht mehr pauschal behaupten, dass die Zisterzienser „selber Knechtsarbeit leisteten”. Das stimmt bestenfalls für den Anfang des Ordens. Aber dann ging man relativ rasch zu jener „Arbeitsteilung” über, welche den Laienbrüdern (Konversen) die Handarbeit, den „labor improbus” überließ; während Kult und Bildung Sache der Mönche war. Oberflächlich unklar ist auch folgender Satz: „Die Regel Benedikts wurde schon von einer ,karolingischen Renaissance‘ berührt und wenig später einer strengen Reform für nötig befunden”. Nicht die Regel wurde aber reformiert, sondern die Klosterdisziplin durch Benedikt von Aniane. Mit der „karolingischen Renaissance” – die bei Seibt kaum eine Rolle spielt, weil sie vor 1000 stattfand – hat dies nichts zu tun. Wenn der Autor von Joachim von Fiores eschatologischen Vorstellungen ausgehend über die mittelalterliche Dreiständelehre zu Johannes von Salisbury, Alanus von Lille und Raymundus Lullus überspringt, gewinnt der Leser mit den Charakteristiken im Lexikon-Stil nur wenige Einblicke in deren Gedankenwelt; es bleibt bei vagen Generalisierungen.
Man könnte die Reihe kritischer Anmerkungen beliebig fortsetzen. Gut gelungen sind hingegen die spätmittelalterlichen Partien und die Beiträge zur Papstgeschichte. Es ist ein eloquent geschriebenes Buch, dessen Inhalt zu wünschen übrig lässt, weil es zu viel Problematisches oder wissenschaftlich Überholtes transportiert. Die Grundthese, dass Europa erst um 1000 beginnt, ist falsch. Damals waren alle Grundlagen und Strukturen des mittelalterlichen Europas bereits voll entwickelt; sie wanderten dann mit dem Ausgriff des Reiches in slawisch besiedelte Regionen nach Ostmitteleuropa weiter. Das war sicher ein wichtiger Kulturtransfer, aber prinzipiell nur die Fortsetzung eines allgemeinen Akkulturationsvorgangs, der bereits im 7./8. Jahrhundert die Regionen zwischen Rhein und Elbe umgeformt hatte, also nichts grundlegend Neues. Auch die vielen, oft assoziativen Sprünge ins 19. und 20. Jahrhundert tragen kaum zur historischen Erkenntnis bei.
FRIEDRICH PRINZ
FERDINAND SEIBT: Die Begründung Europas. Ein Zwischenbericht über die letzten tausend Jahre. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2002. 416 S., 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2002

Europa brauchte einfach Platz
Ferdinand Seibt führt sicher durch die Geschichte des Kontinents

Als George Macaulay Trebelyan, der Altmeister der britischen Historiographie in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, im hohen Alter daranging, abweichend von seiner bisherigen Arbeit eine englische Sozialgeschichte zu schreiben, da definierte er seinen neuen, für ihn ungewohnten Gegenstand auf die denkbar einfachste Weise: "social history" sei nichts anderes als "history with the politics left out". Ferdinand Seibt, prominenter Mittelalterhistoriker - bekannt geworden vor allem als Spezialist für die Geschichte des mittelosteuropäischen Raumes und durch seine Biographie Karls IV. -, scheint ihm, wie dem Vorspruch seines neuen Buches zu entnehmen ist, nacheifern zu wollen.

Statt "Könige, Kriege und Verträge" an den "roten Faden der Weltgeschichte" zu hängen, wolle er es unternehmen, "die entscheidenden Epochen der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten tausend Jahre zu skizzieren". Raum und Zeit als Grundkategorien geschichtlicher Existenz des Menschen sollen dabei ebenso im Mittelpunkt stehen wie die Realien des Alltags: von den Straßen und Häusern über die Kleidung bis hin zu den "Werkzeugen und Waffen, mit denen wir unsere Existenz der Erde und unseren Nachbarn abgerungen haben". Doch natürlich bleibt es dabei nicht, denn ohne Politik als das "Schicksal" (Napoleon) der Menschen muß Geschichte, auch Sozialgeschichte, unverständlich bleiben. Der erste Abschnitt präsentiert denn auch einen gedrängten, aber inhaltsreichen Abriß der politisch-sozialen Epochen Europas von seiner Konsolidierung im hohen Mittelalter "bis zur Krise der Gegenwart". Der universalhistorische Zugriff, den der Autor hier bietet, ist imposant. Er weiß nicht nur die immense Fülle des Stoffes mit ausgesprochen klugem Sinn für Proportionen und die Auswahl des Wichtigen zu bändigen, sondern er führt seine Leser auch mit einer brillant zu nennenden Erzählkunst durch die Jahrhunderte, durch Räume und Epochen unseres Kontinents.

Einem menschlichen Individuum gleich, sei Europa, so Seibt, zuerst von seinen Charakterzügen her zu erfassen, die es im Laufe seiner vielhundertjährigen Entwicklung ausgebildet habe, also von seiner Kultur: "Diese Kultur verheißt eine rational intendierte Lebensbewältigung mit ihren eigenen Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft, mit ihrer Ordnung, Planung und Hoffnung, mit dem technischen Fortschrittsoptimismus und der klassischen Humanitätsidee, mit ihrem gebrochenen, aber noch immer lebendigen Christentum. Dazu noch mit einem Schuß Kulturpessimismus, wie ihn die Historiker seit je aus Hochschätzung vor dem antiken Erbe vermittelt haben." So knapp und so präzise ist das nur selten formuliert worden.

Seibt entwirft ein großangelegtes Tableau der Entwicklung Europas, das von ständiger Bewegung, von Revolutionen und Umkehrungen, von Kontraktionen und Subtraktionen bestimmt, das von Expansionen, Zusammenschlüssen, Erweiterungen ebenso wie andererseits von Teilungen, Absonderungen, Ausgrenzungen gekennzeichnet ist. Um das Jahr 1000 differenziert sich Europa kulturell-religiös aus, in drei Sprachfamilien, die germanische, die romanische und die slawische, und in zwei Kirchen, die westliche und die östliche. Daneben tritt die politische Konsolidierung der sich langsam herausbildenden Großreiche, in ihrem Mittelpunkt das Reich der Deutschen. Kennzeichen Europas ist zuerst also Vielfalt in der Einheit: Vielfalt der Sprachen, der Reiche, der Glaubensformen. Und auch die spätere europäische Geschichte ist in diesem Sinne als eine - nicht zuletzt durch Revolutionen beförderte - Ausdifferenzierung auf allen Gebieten zu umschreiben: Der mittelalterlichen Agrarrevolution folgt die industrielle Umwälzung, der Kirchenspaltung des hohen Mittelalters folgt an dessen Ende eine zweite durch Hus, Luther und Calvin bewirkte, die Städte entwickeln ebenso eigenes Profil wie die monarchischen Staatsgebilde oder die frühen Republiken. Hinzu kommen die Expansionsbewegungen, erst innerhalb des Kontinentes (nach Osten und Süden), dann weit hinaus über dessen Grenzen.

Doch eine Fortschrittsgeschichte schreibt Seibt nicht; Verfallserscheinungen und Krisen nimmt er mit der gleichen Aufmerksamkeit in den Blick wie die Epochen des Aufstiegs. Und immer beachtet er beide Seiten der Medaille, deshalb bedeutet "Krise" für ihn nicht nur "Niedergang", sondern eben auch "Wendezeit, Entscheidungsphase, vielleicht Neuaufbruch und Umkehr; Instabilität, aber nicht notwendig Verfall". Aufschlußreich ist, daß er sich für eine Neubewertung der gewohnten Epochenzäsur zwischen Mittelalter und neuerer Zeit stark macht: Reformation und Renaissance, Entstehung der Staatsräson und des Frühkapitalismus, kulturell-konfessionelle Ausdifferenzierung zwischen Nord und Süd, ein neues, bisher ungewohntes "profanes Weltverhalten" - dies alles führt ihn zu dem Urteil: "Die neue Welt, die neue Zeit begann auf vielen Feldern." Dem in der Wissenschaft der vergangenen Jahrzehnte viel diskutierten Konzept "Alteuropa" von 1200 bis 1800, vertreten etwa von Otto Brunner und Dietrich Gerhard, schließt er sich nicht an. Er betont dagegen immer wieder die mehrfachen "Revolutionen", die das Mittelalter in einem grandiosen, fast alle Daseinsbereiche erfassenden Umwälzungsprozeß beendeten.

Das, was Europa eint, ist in erster Linie eine in vielen Jahrhunderten sich entwickelnde einheitliche europäische Raumgestaltung. Seibt macht in dem vielleicht eindrucksvollsten Kapitel seines Buches auf faszinierende Weise deutlich, welche Bedeutung die großen Straßen, also die ganz Europa durchziehenden Verkehrsadern, die Pilgerstraßen ebenso wie die Handelswege, für die Entwicklung des Kontinents besessen haben - und im Grunde, trotz Eroberung des Luftraumes, bis heute besitzen. Und er kann aufzeigen, in welchen Formen bereits früh das Geld "die Welt regiert hat", welchen Rang der kontinentale wie auch der transkontinentale Handel für die Entfaltung gerade der kulturellen Potentiale Europas besessen hat.

Eine besondere Vorliebe des Autors gilt schließlich den Revolutionen und den Utopien (nicht zufällig Themen zweier seiner früheren Bücher). Doch hier wird man einigen seiner kühnen Thesen widersprechen müssen. Wenn er etwa allen Ernstes behauptet, die "Weltherrschaft der Demokratie unserer Tage" sei "letzten Endes auf utopischem Optimismus begründet", so darf man ihm wohl entgegenhalten, daß es gerade die Erfahrung der katastrophalen Folgen utopischen Denkens und utopischer Praxis mit totalitärem Anspruch gewesen ist, der die Option für die Demokratie überzeugend begründete und nachvollziehbar machte. Mit dem einst häufig beschworenen Vorbild Athen hat dies im ganzen wenig, mit "Utopie" hingegen gar nichts zu tun.

Fatalerweise hat der Verfasser die Literaturnachweise mitten in den Text gesetzt (er nennt nur die Nachnamen der Verfasser und Erscheinungsdaten; manchmal, aber nicht immer, auch Seitenzahlen; dazu fehlen mehrere der abgekürzten Titel im Gesamtverzeichnis). Das unterbricht ärgerlicherweise den Lektürefluß und ist auch insofern überflüssig, als Laien wie Fachleuten mit einem kapitelweise oder thematisch gegliederten Literaturverzeichnis am besten gedient gewesen wäre; es handelt sich ja nicht um eine wissenschaftliche Spezialstudie.

Am Rang des Bandes ändert dies freilich nichts, denn von besonderem Wert ist "Die Begründung Europas" als leicht zugänglicher und zudem glänzend geschriebener universalhistorischer Einstieg in die Geschichte unseres Kontinents in jedem Fall. Dies mag wohl auch daran liegen, daß der gelehrte Autor sich Friedrich Meineckes Idee des "schaffenden Spiegels" zu eigen gemacht hat und Geschichte eben nicht nur als "das andere" der Vergangenheit begreift, sondern als Selbstbegegnung und Selbsterkenntnis des Menschen eben im Spiegel seiner Vergangenheit. Auch in einer wissenschaftlichen Rekonstruktion vergangener Zeiten und Epochen lassen sich, wie Seibt es formuliert, "überhaupt nur menschliche Geschicke berechtigterweise über die Zeit wie über eine begehbare Brücke spannen. Das setzt eine Gemeinsamkeit voraus, die sie trägt, in Geschichten wie in der Geschichte".

HANS-CHRISTOF KRAUS

Ferdinand Seibt: "Die Begründung Europas". Ein Zwischenbericht über die letzten tausend Jahre. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 408 S., geb., 24,90 [Euro].

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