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Philipp Lenhards Buch ist die erste Biografie Friedrich Pollocks (1894-1970). Sie erzählt das Leben eines Mannes, der eine prägende Rolle in der deutsch-jüdischen Geistesgeschichte spielte und sich doch stets im Hintergrund hielt.
Ein Fabrikantensohn, der das Privateigentum abschaffen wollte; ein Jude, der vom Judentum nichts wissen wollte; ein Professor, der wenig publizierte; ein Ökonom, der sich an der Börse verzockte; ein Kommunist, der den Marxismus für anachronistisch hielt; und schließlich: ein kritischer Intellektueller. Wer sich mit der politischen Kultur der Weimarer Republik, der…mehr

Produktbeschreibung
Philipp Lenhards Buch ist die erste Biografie Friedrich Pollocks (1894-1970). Sie erzählt das Leben eines Mannes, der eine prägende Rolle in der deutsch-jüdischen Geistesgeschichte spielte und sich doch stets im Hintergrund hielt.

Ein Fabrikantensohn, der das Privateigentum abschaffen wollte; ein Jude, der vom Judentum nichts wissen wollte; ein Professor, der wenig publizierte; ein Ökonom, der sich an der Börse verzockte; ein Kommunist, der den Marxismus für anachronistisch hielt; und schließlich: ein kritischer Intellektueller.
Wer sich mit der politischen Kultur der Weimarer Republik, der Entstehung der »Kritischen Theorie« und der deutsch-jüdischen Emigration in die USA auseinandersetzt, kommt an Friedrich Pollock nicht vorbei. Der Weggefährte Max Horkheimers und Gründer des Frankfurter Instituts für Sozialforschung spielt als bedeutender Vertreter der Kritischen Theorie eine tragende Rolle in der deutsch-jüdischen Geistesgeschichte.
Autorenporträt
Philipp Lenhard, geboren 1980 in Bielefeld, ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Herausgeber der Gesammelten Schriften Friedrich Pollocks und hat zuletzt das Buch Volk oder Religion? Die Entstehungmoderner jüdischer Ethnizitätin Frankreich und Deutschland, 1782¿1848 veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2019

Er sorgte für die Erdung der Kritischen Theorie

Der Mann der ökonomischen Basisarbeit in der Frankfurter Schule: Philipp Lenhard legt eine Biographie von Friedrich Pollock vor.

Die 1944 in kleiner Auflage erschienenen "Philosophischen Fragmente" von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gelten längst als Gründungsdokument dessen, was heute "Frankfurter Schule" heißt oder "Kritische Theorie", und ihr berühmter Titel "Dialektik der Aufklärung" als eine Art Codewort für deren geschichtsphilosophische Grundfrage, nämlich, "warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt". Widmungen übersieht der Leser schnell. Philipp Lenhard aber zeigt in seinem Buch über "Die graue Eminenz der Frankfurter Schule", wie lohnend es ist, nachzufragen, was es auf sich hat mit diesem "Für Friedrich Pollock", das einen der großen Klassiker des zwanzigsten Jahrhunderts eröffnet.

Natürlich, Friedrich Pollock, geboren 1894 in Freiburg, gestorben 1970 in Montagnola, ist kein Unbekannter in der Geschichtsschreibung der "Frankfurter", doch seine Rolle blieb seltsam unterbelichtet gegenüber legendären Jahrhundertgestalten wie Adorno und Benjamin oder auch dem heideggerianischen Achtundsechziger Herbert Marcuse. Der Nachruf im "Spiegel" resümierte mit leichtem Spott: "Der Mitbegründer des Frankfurter Instituts für Sozialforschung blieb bewusst im Schatten seines großen Freundes Max Horkheimer, dessen Helfer und Hausmeier er ein Leben lang war." Wenn Lenhard diesem "Hausmeier" jetzt seine eigene Geschichte zurückgibt, ist das nicht nur ein Akt der historischen Gerechtigkeit, es wirft auch ein Licht auf Seiten der Institutsarbeit, die eine neue Aufmerksamkeit sehr verdienen.

Lenhard versteht sein Buch ausdrücklich als Personalbiographie, nicht als Institutsgeschichte, und so orientiert er sich an den wesentlichen Lebensstationen: Kindheit und Jugend in einer jüdischen Kaufmannsfamilie, kaufmännische Lehre, Berufserfahrung im Ausland, Krieg und Revolution in München, danach Studium der Nationalökonomie und Staatswissenschaften in München, Frankfurt und Freiburg.

Der alles entscheidende Augenblick ist 1911 die Begegnung mit dem fast gleichaltrigen Max Horkheimer, und in Lenhards Schilderung bekommt diese beeindruckende, zuweilen skurrile Lebensfreundschaft immer wieder romanhafte Züge. Am Anfang steht der Beschluss, die Freundschaft in die Mitte der ganzen Existenz zu stellen, und wie es sich für ordentliche Kaufmannssöhne gehört, werden dazu vertragsähnliche Protokolle fixiert, im Laufe der Jahrzehnte regelmäßig angepasst, mit wechselseitiger Psychoanalyse unterfüttert. Die Ehefrauen müssen sich naturgemäß in dieses Regelwerk einbauen lassen, was nicht immer ohne Probleme (auf Seiten Pollocks) und autoritäre Direktiven (von Seiten Horkheimers) vonstattengeht. So ist es nur folgerichtig, wenn die beiden Pensionäre, die bereits als Studenten eine gemeinsame Villa im Taunus bezogen, sich schließlich zwei nebeneinanderliegende Häuser hoch über dem Luganer See errichten lassen: Der tägliche Besuch braucht nur ein paar Schritte. Schon der junge Adorno spottete in einem Brief an seinen engen Freund Siegfried Kracauer über "das Freundespaar Lenin und Trotzkij", wobei wohl offenbleiben muss, wen er in welcher Rolle sah.

Der wesentliche Ertrag dieser Freundschaft aber ist das Institut. Gegründet in den schweren Krisenjahren nach dem Ersten Weltkrieg, hatte es zur Aufgabe, eine kapitalismuskritische Analyse der Gegenwart zu unternehmen, inspiriert von der marxistischen Tradition, aber ohne dogmatische Verengung. Allerdings wurde die Entwicklung der Theorie massiv beeinflusst durch die äußeren, immer rascher auf die Katastrophe des neuen Weltkriegs zusteuernden Ereignisse: Der krisengeschüttelte Kapitalismus wurde 1933 durch die Diktatur ersetzt, das Institut musste emigrieren, zuerst nach Genf, dann in die Vereinigten Staaten.

Erst in diesen Jahren vollzog sich die Wende zu einer geschichtsphilosophisch grundierten Gesellschaftstheorie, die in der "Dialektik der Aufklärung" zum ersten Mal jene düster-pessimistische These vom "Zusammenbruch der bürgerlichen Zivilisation" vertrat, wie sie die Faszinationsgeschichte der Kritischen Theorie seither bestimmt. Lenhards nicht geringstes Verdienst ist es, an der persönlichen Geschichte Pollocks zu zeigen, was stets die andere, konkretere Seite dieser schwarzen Dialektik gewesen ist. Pollocks beständiges Interesse blieb auch in den amerikanischen Jahren eine Krisentheorie des Kapitalismus und dagegengesetzt der Entwurf einer krisenfesten, geplanten Wirtschaftsordnung. Selbst wenn diese trockene Seite der Kritischen Theorie schwächer leuchtet als die so viel magischere negative Dialektik zwischen künstlerischer Avantgarde und ideologiekritischer Destruktion der Metaphysik - ohne Pollocks ökonomische Basisarbeit wäre die Frankfurter Kritische Theorie leicht im luftleeren Raum geblieben. Und dass zumindest Pollocks Fragestellung auch nach dem weltgeschichtlichen Zusammenbruch des Kommunismus ihre Bedeutung durchaus nicht verloren hat, haben die großen Wirtschaftskrisen des 21. Jahrhunderts sehr unerfreulich gezeigt.

Noch etwas stellt Lenhard mit Recht heraus: die Frage nach der jüdischen Herkunft. Nicht nur Pollock und Horkheimer, fast das gesamte prägende Institutspersonal entstammte dem jüdischen Bürgertum. Wenn sie alle, Pollock und Horkheimer, Adorno, Benjamin, Löwenthal und Marcuse, das Offensichtliche offenbar nur selten zum Problem machten, dann vernimmt man hier ein merkwürdiges Echo auf das Verhalten der doch so vehement kritisierten Elterngeneration: Auch Pollocks Familie, wie so viele im assimilierten Bürgertum, betrachtete die jüdische Herkunft als inzwischen bedeutungslose Zufälligkeit, schien aber nicht zu bemerken - Gershom Scholem hat diese verbreitete Selbsttäuschung früh aufgespießt -, dass ihr gesamter privater Umkreis ausschließlich aus Juden bestand. Diese Frage harrt noch immer einer Antwort - falls sie überhaupt möglich ist.

Lenhards programmatische Entscheidung für die Personalbiographie beweist gerade in dieser Vielfalt der Perspektiven ihre große Ergiebigkeit. Das Licht auf die "graue Eminenz" schließt nicht nur materialreich eine Lücke in der Instituts- und der Theoriegeschichte, es zeigt auch die lebensgeschichtlichen Dimensionen einer intellektuellen Welt zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, die so nicht mehr existiert. Und als wissenschaftsgeschichtliche Pointe bleibt festzustellen, dass der so lange ignorierte "Hausmeier" nun in dieser Hinsicht deutlich besser dasteht als sein "großer Freund" selbst, denn eine ebenso gründliche Darstellung der so interessanten wie problematischen Figur Horkheimer ist bis dato ein Desiderat. Dass auch zu ihr einiges in Lenhards Buch zu erfahren ist, fügt seinen großen Qualitäten nur noch eine weitere hinzu.

WOLFGANG MATZ

Philipp Lenhard: "Friedrich Pollock". Die graue Eminenz der Frankfurter Schule.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 382 S., geb., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dies ist "eine der besten, weil methodisch reflektiertesten Gelehrtenbiografien der letzten zwei Jahrzehnte", lobt ein überschwänglicher Rezensent Friedrich Wilhelm Graf - und tatsächlich kann man sich beim Lesen der Kritik kaum seiner Wertung entziehen. Denn nicht nur hat Philipp Lenhard den begeisterten Kritiker offenbar vom theoretischen Niveau des ewig im Hintergrund der Frankfurter Schule bleibenden Friedrich Pollock überzeugen können - insbesondere in Sachen marxscher Geldtheorie und in der Analyse der Automation als zweiter industrieller Revolution. Sondern er hat auch auf eine ihn überzeugende Weise die politische und persönliche Entwicklung Pollocks in Parallelität zu Horkheimer dargestellt - ihre gemeinsame Begeisterung über die Münchener Räterepublik, dann die Auswanderung in die USA und schließlich die Rückkehr nach Europa und der Bau zweier nebeneinander stehender Häuser im Tessin. Auch die homoerotische Komponente, die Lenhard in seinem "großartigen biografischen Porträt" ausmacht, findet Graf plausibel. Am schönsten aber ist Grafs Charakterisierung, Pollock sei ein "linker Bürger" gewesen, "der ein Leben im Luxus als Vorwegnahme einer besseren Welt schätzte". Chapeau!

© Perlentaucher Medien GmbH
»Anhand des Lebens des Friedrich Pollock entsteht zudem das Bild einer untergegangenen Welt: die der linken Intellektuellen der Weimarer Republik, die außerordentlich häufig Juden waren. Wie sehr sie fehlen, das zeigt auch diese faszinierende Biografie.« Leander F. Badura der Freitag 20200326