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Im Juli 1995 wurden 7500 muslimische Jungen und Männer aus der UN-Schutzzone Srebrenica verschleppt und in einer systematisch durchgeführten Aktion umgebracht. Sechs Jahre später geht vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die Verhandlung über den größten Massenmord in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg zu Ende. Ein General der bosnischen Serben, Radislav Krstic, wird wegen Völkermords zu 46 Jahren Haft verurteilt - das erste Urteil dieser Tragweite seit den Nürnberger Prozessen. Das Gericht gilt wie das Ruanda-Tribunal als Vorläufer eines Weltstrafgerichtshofes. Dis…mehr

Produktbeschreibung
Im Juli 1995 wurden 7500 muslimische Jungen und Männer aus der UN-Schutzzone Srebrenica verschleppt und in einer systematisch durchgeführten Aktion umgebracht. Sechs Jahre später geht vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die Verhandlung über den größten Massenmord in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg zu Ende. Ein General der bosnischen Serben, Radislav Krstic, wird wegen Völkermords zu 46 Jahren Haft verurteilt - das erste Urteil dieser Tragweite seit den Nürnberger Prozessen. Das Gericht gilt wie das Ruanda-Tribunal als Vorläufer eines Weltstrafgerichtshofes. Dis Vernehmungsprotokolle von Überlebenden und Angehörigen der Opfer, von Tätern, Tatzeugen und Gutachtern, die der Band versammelt, fügen sich zu einem Bild dessen, was in Srebrenica geschah. Sie gehören zu den erschütterndsten Dokumenten unserer Gegenwart. Wer sich von der Arbeit des Tribunals einen eigenen Eindruck verschaffen will, wird auf dieses Buch nicht verzichten können.

Julija Bogoeva, Juristin, Mitbegründerin der unabhängigen Belgrader Nachrichtenagentur Beta, berichtet seit 1996 vom Tribunal.

Caroline Fetscher, Publizistin, arbeitet seit 1999 als Reporterin in Ex-Jugoslawien und am Tribunal.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.12.2002

Wenn das Böse siegt
Das Massaker von serbischen Truppen an Muslimen in Srebrenica ist auch eine Schande für die UN
JULIJA BOGOEVA, CAROLINE FETSCHER (Hrsg.): Srebrenica. Ein Prozess, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2002. 280 Seiten, 13 Euro.
Das Wort Srebrenica hat sich längst von jener Kleinstadt im Osten Bosniens gelöst, die diesen Namen trägt. Srebrenica ist zur fast schon abstrakten Chiffre geworden für schlimmste Kriegverbrechen und Völkermord, für die Abgründe der Balkan-Kriege und für das Versagen der internationalen Gemeinschaft beim Schutz hilfloser Menschen. Dabei droht in Vergessenheit zu geraten, was konkret geschah in jenen heißen Juli-Tagen des Jahres 1995, als serbische Truppen die kaum geschützte UN-Schutzzone Srebrenica überrannten und die muslimischen Bürger und Flüchtlinge erniedrigten, quälten, verjagten und meuchelten.
Mancher versucht heute bereits, die Grenze zwischen Opfern und Tätern zu verwischen. Gerade erst verkündete der jugoslawische Ex-Präsident Slobodan Milosevic vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal seine Wahrheit über Srebrenica: Danach heckten der französische Geheimdienst und die bosnischen Muslime das Massaker aus, um es den Serben in die Schuhe zu schieben und so eine Militärintervention der Nato zu rechtfertigen. Die Ermordung von bis zu 8000 Muslimen wäre demnach das Werk französischer Söldner gewesen.
Ein bleibender Verdient des Internationalen Jugoslawien-Tribunals ist es, solcher Legendenbildung entgegenzuwirken. Zwar ist das Gericht kein Geschichtsinstitut – seine Aufgabe ist es, über individuelle Schuld einzelner Menschen zu befinden. Dabei entsteht aber zugleich „ein Stück Geschichtsschreibung”, wie die Publizistin Caroline Fetscher in ihrer Einführung zu dem Buch „Srebrenica. Ein Prozess” schreibt. Der Band, den Fetscher mit der Mitbegründerin der unabhängigen Belgrader Nachrichtenagentur Beta, Julija Bogoeva, herausgegeben hat, enthält eine eindrucksvolle – wegen der Grausamkeit des Geschilderten streckenweise kaum erträgliche – Dokumentation des so genannten Krstic-Prozesses in Den Haag.
Die über weite Passagen ungekürzt wiedergegebenen Aussagen überlebender Opfer des Massakers, darunter ein UN-Blauhelmsoldat, ein Mitglieds eines Exekutionskommandos, eine Psychotherapeutin und weitere Zeugen, sowie die Plädoyers von Anklage und Verteidigung und schließlich das Urteil selbst belegen, dass dem Haager Tribunal gelungen ist, was einst in Nürnberg im Hinblick auf die Nazi-Verbrechen gefordert wurde: Dass „diese unfassbaren Ereignisse durch eine klare und öffentliche Beweiserhebung nachgewiesen werde müssen, damit niemand jemals am tatsächlichen Geschehensablauf zweifeln kann”. Das ist das Mindeste, was die Welt den Opfern eines Völkermordes schuldig ist.
Radislav Krstic, ein General der bosnischen Serben, war im August vergangenen Jahres vom Haager Tribunal als erster Angeklagter wegen des schwersten aller Verbrechens verurteilt worden: wegen Völkermordes. Am Ende des 17 Monate währenden Prozesses sagte der Vorsitzende Richter Almiro Simoes Rodrigues zu dem Angeklagten: „Sie sind schuldig des Mordes an Tausenden bosnischen Muslimen. Sie sind schuld an dem unvorstellbaren Leid der bosnischen Muslime. Sie haben sich des Völkermords schuldig gemacht, General Krstic.” Und dann folgte ein Satz, der mit fast biblischer Wucht erklärt, was die Schuld eines Menschen bedeutet: „Im Juli 1995 haben Sie, General Krstic, in das Böse eingewilligt.”
Zeuge O. sagt aus
Die nun vorliegende Dokumentation kann nur einen Bruchteil der Verhandlungsprotokolle dieses Schlüsselprozesses der Weltjustiz wiedergeben. Doch die beispielhaft ausgewählten Passagen genügen, um dem Leser einen ergreifenden Eindruck vom größten Massenmord auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg und von der Arbeit des ersten Weltstrafgerichts der Geschichte zu vermitteln. Das Buch protokolliert etwa die Aussage eines seinerzeit 17-jährigen Muslimen, der als geschützter Zeuge unter dem Kürzel „Zeuge O” in Den Haag auftrat. Der junge Mann war zunächst mit Hunderten anderen Bosniaken aus Srebrenica in die umliegenden Wälder geflohen, hatte sich dann serbischen Truppen ergeben, um schließlich nach einem mehrtägigen Martyrium in einem überfüllten Lastwagen auf einem Hinrichtungsgelände anzugelangen. „Ich glaube nicht, dass ich Angst hatte. ... Und als wir unseren Platz gefunden hatten, sagte jemand: Legt euch hin. Und als wir anfingen hinzufallen, nach vorn, waren sie hinter uns, und das Schießen fing an. ... Die Gewehrsalven gingen weiter, und die Leute fielen um. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte. Sie brachten immerzu mehr Leute. ... Aber als sie fertig waren, haben sie gelacht.”
Der Junge überlebte zwischen Toten – und behielt Kraft und Mut, um nach Den Haag zu kommen und im Angesicht des Serbengenerals Krstic Zeugnis zu leisten. Am Ende seiner Schilderung sagte der Zeuge O: „Es war systematisches Morden. Die, die das organisiert haben, verdienen nicht, in Freiheit zu leben. Und wenn ich das Recht und den Mut hätte, würde ich im Namen all der Unschuldigen und all der Opfer denjenigen vergeben, die die Erschießungen vorgenommen haben; denn sie waren irregeleitet.”
In General Krstic ist der erste der Organisatoren zu 46 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die zwei Männer aber, die die größte Schuld an dem Massaker tragen, sind mehr als sieben Jahre nach der Tat immer noch in Freiheit. Es sind dies der Ex-Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadzic und sein einstiger Generalstabschef, Ratko Mladic. Dass die internationalen Truppen in Bosnien diese beiden Männer während der vergangenen Jahre nicht gefasst und nach Den Haag überstellt haben, ist ein Skandal.
Der sorgfältig zusammengestellte Band von Bogoeva und Fetscher enthält im Anhang auch einen Bericht Kofi Annans. Darin bekennt der Generalsekretär der Vereinten Nationen, die Einnahme der UN-Schutzzone Srebrenica und die Massenmorde an Zivilisten gehörten zu „den dunkelsten Stunden der Vereinten Nationen”. Srebrenica werde die UN für immer verfolgen. Ein vergleichbares Bekenntnis sind General Krstic und seine Hintermänner schuldig geblieben. STEFAN ULRICH
Die killing fields von Srebrenica wurden von Experten der Vereinten Nationen untersucht; zu Tage brachten sie skelettierte Leichen – und machten damit ein Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes sichtbar.
Foto:
Reuters
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Bei seinem Prozess vor dem Haager Gerichtshof gestand der bosnisch-serbische General Radislav Krstic unter der erdrückenden Last der Beweise, dass das Massaker in Srebrenica, bei dem im Juli 1995 mehr als 7.000 Muslime ermordet wurden, stattgefunden hat. Nun haben die Reporterin des Belgrader Radiosenders B 92 Julija Bogoeva und die deutsche Balkan-Korrespondentin Caroline Fetscher das Krstic-Verfahren auszugsweise in einem nach Ansicht von Rezensentin Heike Hänsel "hervorragend edierten Band" dokumentiert. Wie Hänsel darlegt, zeichnen die beiden Herausgeberinnen neben dem Prozess auch das gesamte Schreckensbild so nach, wie es das Gericht zu rekonstruieren versuchte. "Sie belegen noch einmal", hebt Hänsel hervor, "dass alle Akteure der internationalen Gemeinschaft, vor allem das niederländische Blauhelm-Bataillon, sich als unfähig zur Intervention erwiesen." Neben Auszügen der Anklage, der Abschlussplädoyers und der Urteilsbegründung enthält der Band die forensische Beschreibung der Hinrichtungsstätten, der Gräber und der Leichen; als Kronzeugen kommen zwei Überlebende der Massaker ausführlich zu Wort. Entstanden ist für Hänsel eine "gelungene" und "zugleich quälend zu lesende Dokumentation", die den Massenmord von Srebrenica bestätigt.

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