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Vorsichtig schauend, tastend, sich der Dinge erst vergewissernd, unternimmt Peter Handke es, über zwei Jugoslawien-Durchquerungen während des Krieges zu sprechen. Sein Text, dessen beide Teile jeweils unmittelbar nach den Reisen entstanden sind, zeigt ihn als genauen Beobachter, als einen poetischen Beschwörer der kleinen Ereignisse, als Mitleidenden mit den Menschen an den Orten des Geschehens.

Produktbeschreibung
Vorsichtig schauend, tastend, sich der Dinge erst vergewissernd, unternimmt Peter Handke es, über zwei Jugoslawien-Durchquerungen während des Krieges zu sprechen. Sein Text, dessen beide Teile jeweils unmittelbar nach den Reisen entstanden sind, zeigt ihn als genauen Beobachter, als einen poetischen Beschwörer der kleinen Ereignisse, als Mitleidenden mit den Menschen an den Orten des Geschehens.
Autorenporträt
Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit in Österreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen. Zwischen 1954 und 1959 besucht Handke das Gymnasium in Tanzenberg (Kärnten) und das dazugehörige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im März 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschließenden Prüfung abgebrochen, erscheint sein erster Roman Die Hornissen. Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks Publikumsbeschimpfung in Frankfurt am Main in der Regie von Claus Peymann. Seitdem hat er mehr als dreißig Erzählungen und Prosawerke verfasst, erinnert sei an: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970), Wunschloses Unglück (1972), Der kurze Brief zum langen Abschied (1972), Die linkshändige Frau (1976), Das Gewicht der Welt (1977), Langsame Heimkehr (1979), Die Lehre der Sainte-Victoire (1980), Der Chinese des Schmerzes (1983), Die Wiederholung (1986), Versuch über die Müdigkeit (1989), Versuch über die Jukebox (1990), Versuch über den geglückten Tag (1991), Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994), Der Bildverlust (2002), Die Morawische Nacht (2008), Der Große Fall (2011), Versuch über den Stillen Ort (2012), Versuch über den Pilznarren (2013). Auf die Publikumsbeschimpfung 1966 folgt 1968, ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgeführt, Kaspar. Von hier spannt sich der Bogen weiter über Der Ritt über den Bodensee 1971), Die Unvernünftigen sterben aus (1974), Über die Dörfer (1981), Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land (1990), Die Stunde da wir nichts voneinander wußten (1992), über den Untertagblues (2004) und Bis daß der Tag euch scheidet (2009) über das dramatische Epos Immer noch Sturm (2011) bis zum Sommerdialog Die schönen Tage von Aranjuez (2012) zu Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße (2016). Darüber hinaus hat Peter Handke viele Prosawerke und Stücke von Schriftsteller-Kollegen ins Deutsche übertragen: Aus dem Griechischen Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides, aus dem Französischen Emmanuel Bove (unter anderem Meine Freunde), René Char und Francis Ponge, aus dem Amerikanischen Walker Percy. Sein Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Die Formenvielfalt, die Themenwechsel, die Verwendung unterschiedlichster Gattungen (auch als Lyriker, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur ist Peter Handke aufgetreten) erklärte er selbst 2007 mit den Worten: »Ein Künstler ist nur dann ein exemplarischer Mensch, wenn man an seinen Werken erkennen kann, wie das Leben verläuft. Er muß durch drei, vier, zeitweise qualvolle Verwandlungen gehen.« 2019 wurde Peter Handke mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2000

Wem die Standuhr schlägt
Die vielen Töne des Peter Handke · Von Thomas Wirtz

"Du kannst nicht auf Dauer Feind deiner Zeit bleiben." Peter Handke, so will es dieser selbstmahnende Satz glauben machen, ist in der Gegenwart angekommen: als einverständiger Zeitgenosse und unser aller Augenblicksteilhaber. Obwohl ein resignierender Ton mitschwingt, weil der ausgezeichnet einsame Widerstand nicht länger weiterzuleben ist, scheint der Satz sich über seine Kapitulation zu trösten: Vorbei soll es sein mit der versuchten Dauermüdigkeit, vorbei mit poesievoller Wiederholung und Leere, vorbei mit der Stille eines geglückten Tags. Mit geöffneten Augen, so sagt es der Satz, wolle er nun vorangehen, ein Schritt haltender Freund der Zeit, Arm in Arm mit allen gemeinsamen Stunden: Peter Handke, ein Zeitmitläufer. Was für eine Überraschung! Was für ein Schrecken!

Wer nun fürchtet, der bisher unbewegte Dichter, der Standuhrmensch Peter Handke, lebe in nachbarschaftlichem Schulterschluss mit der Gegenwart, habe sein Reihenhaus neben anderen Tagesgeschäftlern bezogen, der irrt zum Glück. Denn Handke hat die Zeitrechnung ohne sein Ich gemacht. Das Ich, das mit den anderen Reihenhäuslern samstäglich Rasen schneiden will, hat nichts gemein mit dem Juke-Box-Ich, dem Ich-bin-aller-Gegenwart-Feind-Ich. Beide teilen keine Jägerzaungrenze, denn beide reden je für sich an himmelweit getrennten Orten. Es gibt nicht den einen Peter Handke, der verlautbarend für alle diese Handkes sprechen darf, keinen Anmaßer, der das große Wort in aller anderen Rede schwingt. Peter Handke lässt sich von niemandem dreinreden, nicht einmal von sich selbst. Und das ist gut so.

Denn der Verlautbarungs-Handke ist laut und ein wenig arg vulgär, er ist, wie der andere, stille Handke in seinem Buch "Am Felsfenster morgens" geschrieben hat, "blind vor Absicht". Der pöbelnde Handke ist ein Prolet des gesprochenen Worts, ein Selbstvergröberer, dem keine Zote zu derb ist, als dass man ihr nicht noch ein wenig Dreck hinterherwerfen kann. Sein Interview-Extemporieren über den "Bundesheerkretin", der "eine goldene Schokolade auf seine Fresse bekommen" hat, "weil er einen angeblichen Heckenschützen umgebracht hat", ist ein solches Schimpfschleudern. Dafür schämt sich der stille Handke schon immer vorauseilend, weil er dem anderen nicht den Mund verbieten konnte: "Im Reden tue ich, fast immer, etwas, was ich nicht bin." Dann steht die Zote trotzig und entfremdend zwischen beiden, lässt sich nicht aus der skandalisierten Welt schaffen, und der eine Peter Handke ist mit sich so uneins, dass einen das Erbarmen anfällt und man nicht weiß, wohin man schauen, hören oder lesen soll.

Vielleicht in das jüngste Buch "Unter Tränen fragend", das einer Bußübung für alle vorherigen Anzüglichkeiten gleichkommt, einem geduldigen Wiedererlernen des viel sagenden Schweigens. Es erzählt von den beiden Fahrten, die Handke im April des letzten Jahres am Beginn des Kosovo-Kriegs nach Serbien unternommen hat. Eigentlich, so könnte man nach dem ersten Lesen meinen, gibt es darin nur wenig, das nicht schon aus der "Winterlichen Reise" bekannt wäre: die Autofahrt durch eine uralte Gedächtnislandschaft, das Horchen auf die unendlich langsamen geologischen Verschiebungen, die der politischen Hast auf der Erdoberfläche keine Ruhe mehr geben können, das Lob der serbischen Gastfreundschaft, die Klage über das zerfallene Neunte Land, das Einsinken des Schreckens in Bombenkratern. All das ist vertraut von früheren Pilgerfahrten in das Land der Kindheit, von Zeitreisen in eine ungeschiedene Welt. Und doch hat sich in den Nuancen, die Handke zu lesen gelehrt hat, etwas verändert.

Wohltuend blasser geworden ist das Selbstbildnis vom Reisenden als Märchenheld, der ausgezogen war, das träumende Sehen zu lernen. Diese Poetik des Einsammelns unverbrauchter Dinge, die mit dem Anachronismus ein wenig kokettierte und sich zuweilen einen künstlichen Bart vorband, ist verschwunden. Und verloren hat sich der Sirenenton der Medienschelte, der so penetrant wie manche der beanstandeten Schlagzeilen war. Zwischen gedämpfter Selbstverzauberung und beruhigter Zeitungslektüre tritt nun eine intensive Gelassenheit hervor - "Dramatisiere nicht" -, die diesem Buch seine unscheinbare Dauer geben wird. Die etwas beklommene Weinerlichkeit des Titels verliert sich dann im ausgenüchterten Bericht.

Dieser Peter Handke braucht keine verlegenen Anhänger, weil er Leser haben wird. Überwunden ist damit der Irrtum, Gegenwärtigkeit mit dem schrillen Kommentar zu verwechseln. Wer etwas auf Literatur hält, sollte sich an den Peter Handke des Buchs halten und den anderen, mikrofonfressenden überhören. Nur so verdient Handkes Satz seine Unbescheidenheit und wird zur Wahrheit: "Es war ein Moment der Weltgeschichte, und ich habe diesen Moment für immer schön gemacht."

Peter Handke: "Unter Tränen fragend". Nachträgliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, März und April 1999. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 158 S., geb., 32,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

In einer sehr ausführlichen Rezension versucht sich Ina Hartwig mit fairen Mitteln Handkes Bericht seiner zweiten Jugoslawienreise zu nähern, obwohl ihr manchmal anzumerken ist, wie schwierig sie dies findet. Nicht, dass es ihr an Argumenten fehlt, aber wie will man einem "hasserfüllten Bewohner eines Elfenbeinturms", der allerorts nur Feinde wittert, mit Argumenten begegnen? So stellt sie zunächst den Unterschied zu Handkes erstem Serbienberichts heraus: Damals habe Handke vor allem den westlichen Medien einseitige Berichterstattung vorgeworfen. Diesmal präsentiere er sich jedoch zunehmend als "Kriegsdeuter", der sich auch mit Partisanen beschäftigt. Dabei wirft Hartwig ihm eine unangebrachte Vermischung von Partisanentum im Zweiten Weltkrieg und den Geschehnissen während des Kosovo-Krieges vor. Und anstatt seine Kritik beispielsweise am gebrochenen UN-Vetorecht anzusetzen, was leicht gewesen wäre, gebe sich Handke dubiosen Verschwörungstheorien hin: Die USA wollten Jugoslawien vernichten etc., eine Annahme, die Handke jedoch weder begründen noch beweisen könne. Handke passe seine "egozentrischen Assoziationen" seiner Feindbild-Denkweise entsprechend an, so Hartwigs Diagnose.

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