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Tagebucheintragungen, Briefe, Autobiographien berichten von acht großen Musikerinnenkarrieren: Clara Schumann, Amy Fay, Mathilde Verne, Adelina de Lara, Clara Haskil, Lili Kraus, Rosalyn Tureck und Moura Lympany.

Produktbeschreibung
Tagebucheintragungen, Briefe, Autobiographien berichten von acht großen Musikerinnenkarrieren: Clara Schumann, Amy Fay, Mathilde Verne, Adelina de Lara, Clara Haskil, Lili Kraus, Rosalyn Tureck und Moura Lympany.
Autorenporträt
Eva Rieger, Musikwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Genderforschung, Filmmusik und Musikpädagogik, lebt in Liechtenstein. Eva Rieger, Musikwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Genderforschung, Filmmusik und Musikpädagogik, lebt in Liechtenstein.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.1995

Qualen der Kindheit
Wie das Leid vererbt wird: Kinder des Holocaust sprechen

Wolf H. Wagner: Wo die Schmetterlinge starben. Kinder in Auschwitz. Dietz Verlag Berlin, Berlin 1995. 247 Seiten, 60 Abbildungen, 29,80 Mark.

Kinder des Holocaust sprechen. Lebensberichte. Aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann. Reclam Bibliothek Band 1511, Leipzig 1995. 347 Seiten, 14 Abbildungen, 22,- Mark.

Alwin Meyer: Die Kinder von Auschwitz. Lamuv Verlag, Göttingen 1995. 240 Seiten, 112 Abbildungen, 29,80 Mark.

André Stein: Versteckt und vergessen. Kinder des Holocaust. Aus dem Amerikanischen von Sabine Steinberg. Europa Verlag, Wien und München 1995. 351 Seiten, 39,80 Mark.

Wer auf den Straßen Israels in den Gesichtern älterer Europäer liest, stößt oft auf Qualen der Kindheit. Viele werden mit ihrer Vergangenheit in den nationalsozialistischen Lagern kaum fertig; manche haben die Leiden einer gewaltsam isolierten Seelenwelt ihren schon in Israel geborenen Kindern ungewollt vererbt. Bisweilen liegt für diese die erste Chance zur Bewältigung darin, daß die Eltern den Schmerz auf sich nehmen, offen über ihre Erfahrungen in den nationalsozialistischen Lagern berichten.

Die Bücher, die jetzt immer zahlreicher erscheinen, halten solche fest. Solche Bücher sperren sich gängigen Methoden der Buchkritik. Sie sind eine Last; ihre Lektüre macht die Tage bitter. Es wird nicht einmal das Typische darin berichtet, sondern die Ausnahme des Überlebens. Meist sind ihr Thema die Schuldgefühle, welche die Davongekommenen gegenüber den Toten plagen. Verfolgung, Enteignung, Transport, "Selektion", der SS-Trupp, der die Familien nach Alter und Geschlecht auseinanderknüppelt; kein Kuß, kein Abschied, ein Tod ohne Würde für die meisten und ein unwürdiges Leben für Arbeitsfähige: dies Geschehen kann von den Opfern kaum erzählt werden. Dazu bedürfte es der Distanz. Doch das Erinnern rührt den Schmerz auf, führt zu Tränen, Wut oder Starrheit. Die meisten Kinder verloren in Auschwitz ihren Glauben an die Menschen und klammerten sich hinfort an Tiere oder Gegenstände oder nur noch an sich selbst. Nur wenige wie Cordelia Edvardson oder Ruth Klüger machten aus ihrem Erinnern Literatur. Davon ist in den vier vorliegenden Bänden nicht die Rede.

Wolf Wagner wurde durch Filmaufnahmen sowjetischer Frontkameraleute eines Zuges von 180 geretteten Kindern aus dem Lager Auschwitz angeregt, die mittlerweile Erwachsenen aufzusuchen. Er sah diesen Film über die Fabrik des Todes im Museum des heutigen Oswiecim und fand nicht weit davon entfernt die ersten Familien von Überlebenden. Man sei der Ansicht gewesen, "daß uns die Deutschen kulturell näherstünden als die Russen", erfährt Wagner. Man habe sich nicht vorstellen können, was in Auschwitz geschah, habe trotz vieler Gerüchte bis zuletzt den Gedanken an Tod und Gas von sich gewiesen. Wagner erfährt von der Scheinwelt des Ghettos in Theresienstadt, wo die Nazis den Juden vorübergehend ein Gran an Würde ließen. Von 87000 Häftlingen, die dann von dort in regelmäßigen Transporten in die Todeslager kamen, überlebten nur 3000. Von den 15000 Kindern entkamen 100 der Hölle.

Immer wieder bezieht sich Wagner selbst in die Gespräche ein, fügt Fakten hinzu oder berichtet, wie schwer es ihm gefallen sei, Fragen zu stellen und das Grauen zu begreifen. Auf so einen Mittler wird in den Lebensberichten der "Kinder des Holocaust" verzichtet. Die mehr als 60 Zeugen sprechen mehr für das duldsame Papier. Vielfach werden dabei die Wunden nicht aufgedeckt, sondern mit Erklärungspflastern verhüllt. Wer wollte dagegen Einwände wagen? Jerzy Ficowski trug 1992 entscheidend dazu bei, daß sich in Polen eine "Gesellschaft der Kinder des Holocaust" gründete, die das Geschehen nicht nur dokumentiert, sondern auch zur "Pflegefamilie" jener wurde, die allein in der Welt blieben und womöglich auch noch - von Fremden adoptiert - Namen und Herkunft in der Schoah verloren. Nicht nur einmal wird berichtet, wie schwer es Überlebenden gemacht wurde, sich wieder in ihrer alten Heimat Ostmitteleuropas zurechtzufinden. Oft war nach der Niederlage der Nazis ein Antisemitismus erst gewachsen, wie ihn die Juden vor der Eroberung durch die Deutschen nicht erfahren hatten.

Alwin Meyer greift für seine Dokumentation 13 Leben heraus. Er läßt die Zeugen berichten und untermalt mit Abbildungen ihre Beiträge. Wagner untergliedert hingegen seine Berichte nach den Stationen des Schreckens: Transport, Ankunft im Lager, Selektion, Tod - oder Befreiung. Damit lassen sich Verdopplungen vermeiden; andererseits war gerade diese sich wiederholende Prozedur der Entmenschlichung eben die Wirklichkeit. Die Schoah wiederholte sich millionenmal, an jedem einzelnen, sie machte aus den Kindern Alte übers Jahr.

So wenige haben überlebt, daß sich in den vier Büchern manche Namen wiederholen. "Was ist das, sterben?" fragt ein Kind nach seiner Befreiung und wundert sich über Sarg und Blumen. Ein würdiges Sterben kennt es nicht. "Wer hat ihn totgeschlagen?" fragt es nach und sucht nach Blutspuren und Wunden. Yehuda Bacon - er überwand Auschwitz durch Malerei und lebt in Jerusalem - erinnert sich an die Gedanken, die ihn bewegten, als er später einen Leichenzug sah: "Sind diese Leute wahnsinnig, um eines Leichnams willen solche Geschichten zu machen?"

Alle Überlebenden hatten das Problem, daß sie nach ihrem Lagerleben eine Perspektive finden mußten. Das Leben danach ist das Thema André Steins. Er hat es in "Versteckt und Vergessen" an zehn Familienschicksalen vorgestellt. Er erzählt von Kindern, die von ihren Eltern rechtzeitig bei Freunden oder vertrauenswürdigen Bekannten, aber auch bei Fremden versteckt worden waren. Als Betroffener und Psychotherapeut hat der Verfasser Leidensgenossen befragt und dabei auch an sich eine Wandlung bemerkt. 1991 trafen sich etwa 1500 überlebende Kinder. "Ich fuhr als Waise hin, kehrte aber mit einer großartigen Belohnung zurück - ich besaß jetzt 1500 Schwestern und Brüder; ich fuhr als Mann hin, den noch immer jene unbeirrbare Dunkelheit aus der Fassung bringen konnte, und kehrte mit Licht in meinem Herzen zurück."

Stein berichtet von unterschiedlichen Schicksalen. Manches Kind kam in gute Familien, fühlte sich so aufgenommen und geborgen, daß die Rückkehr der Eltern nach der Befreiung zum Identitätsproblem für das Kind wurde. Jetzt sollten plötzlich dieser "unglückliche Onkel", diese "verhärmte Frau" Vater und Mutter sein? Jetzt sollte das Kind plötzlich als Jude fühlen, nachdem es sich in der christlichen Kirche wohl gefühlt hatte? Andere litten noch auf Jahre hinaus darunter, daß sie, auf kleinstem Raum versteckt, von der Gnade Fremder abhängig waren, die ihnen deutlich machten, daß ihre Entdeckung auch für die "Retter" Lebensgefahr bringen würde, was jede Boshaftigkeit gegenüber dem Kind zu rechtfertigen schien. "Noch ein Huster, und Du kommst in die Hundehütte." Oder das Schuldgefühl der älteren Schwester, der die "lästige, jüngere" zur Betreuung übergeben ist und die dann zusehen muß, wie sie aus dem Ghetto in den Tod transportiert wird. "Ich werde nie vergessen, wie meine arme kleine Schwester die Arme ausstreckte und niemand kam, um sie zu retten."

Stein resümiert, daß viele der versteckten Kinder - so wie er - helfende Berufe ergriffen hätten. Sofern ihre Eltern mit der Befreiung wiedergekommen seien, hätten die oft ihre Fähigkeit verloren, den Schmerz der Kinder wahrzunehmen: Sie seien zu Waiseneltern von Waisenkindern geworden. In der Schule waren sie durch ihre Qual "älter" als die Gleichaltrigen; in der Synagoge fühlten sie sich als Fremde. Das Judentum ihrer Eltern war für sie zunächst einmal nur Symbol von Schwäche. Die Scham lastet auf ihnen: Wer mußte statt meiner sterben? Neue Länder boten eine Chance zum Vergessen. Israel aber sei zunächst eine Enttäuschung gewesen, schreibt Stein. "Die Israelis hatten weder Verständnis noch Mitleid mit etwas, das sie als Folge von Schwäche und Feigheit ansahen."

Heute ist das endlich anders. In "Amcha" gibt es eine starke Organisation, die sich der Seelenqualen nach Auschwitz annimmt. Wo die Opfer, etwa in Amerika oder Australien, in einem Menschenmeer der Teilnahmslosigkeit oder freundlichen Fremdheit leben, läßt sich das Leid verstecken. Doch wenn es überwältigend in den Tag einbricht, bleibt man allein. Stein: "Wir fühlen uns an vielen Orten daheim, aber kein Ort ist ein wirkliches Zuhause. Aus unserer Kindheit vertrieben und unfähig, woanders Wurzeln zu schlagen, pendeln wir ständig zwischen Exilen hin und her." JÖRG BREMER

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