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Über einen Zeitraum von sechsunddreißig Jahren schrieb Wolfgang Koeppen Briefe an seine um einundzwanzig Jahre jüngere Frau Marion. Es sind berühre Dokumente der Liebe und Fürsorge, aber auch der Angst und Resignation, und sie tauchen Marion Koeppen in ein völlig neues Licht. Denn anders als bisher wahrgenommen, erscheint in diesen erstmals veröffentlichen Briefen nicht die alkoholkranke Ehefrau als Ursache für die anhalte Schreibkrise, sondern sie werfen die Frage auf: Ist es nicht Marion, der Wolfgang Koeppen Inspiration und Anregung verdankt, und hat sein literarisches Verstummen nicht ganz…mehr

Produktbeschreibung
Über einen Zeitraum von sechsunddreißig Jahren schrieb Wolfgang Koeppen Briefe an seine um einundzwanzig Jahre jüngere Frau Marion. Es sind berühre Dokumente der Liebe und Fürsorge, aber auch der Angst und Resignation, und sie tauchen Marion Koeppen in ein völlig neues Licht. Denn anders als bisher wahrgenommen, erscheint in diesen erstmals veröffentlichen Briefen nicht die alkoholkranke Ehefrau als Ursache für die anhalte Schreibkrise, sondern sie werfen die Frage auf: Ist es nicht Marion, der Wolfgang Koeppen Inspiration und Anregung verdankt, und hat sein literarisches Verstummen nicht ganz andere als private Gründe? Koeppens Briefe und die erhaltenen Gegenbriefe der Ehefrau zeigen eine für beide Seiten belaste, aber dennoch unauflösbare Verbundenheit:"denn ich liebe ja dich, du Einzigartige, Sonderbare, unverwechselbare, dich Märchenwesen, trotz allem, so wie du bist".

Außerdem dokumentiert dieser Briefband die Entstehung einiger der bekanntesten Texte Wolfgang Koeppens, wieDas Treibhaus, Nach Rußland und anderswohin, Amerikafahrt, Jug, und er eröffnet einen neuen Blick auf das Verhältnis zwischen Koeppen und seinen Verlegern, sei es nun Henry Goverts, Alfred Andersch oder Siegfried Unseld.
Autorenporträt
Wolfgang Koeppen, geb. am 23. Juni 1906 in Greifswald, starb am 15. März 1996 in München. Nach einem elfjährigen Aufenthalt in Ortelsburg (Ostpreußen) kehrte er 1919 nach Greifswald zurück. Aus finanziellen Gründen musste er vom Gymnasium auf die Mittelschule wechseln, von der er ohne Abschluss abging. Danach versuchte er sich in ganz unterschiedlichen Berufen: in einer Buchhandlung, im Stadttheater in Greifswald. Als Hilfskoch kam er nach Schweden und Finnland, in Würzburg arbeitete er als Dramaturg. 1927 ließ er sich in Berlin nieder, wo er 1931 zwei Jahre als fest angestellter Redakteur beim Berliner Börsen-Courier arbeitete. Er schrieb Reportagen, Feuilletons, auch erste literarische Arbeiten entstanden. 1934 erschien sein erster Roman. Im selben Jahr siedelte er in die Niederlande über. Er kehrte 1938 nach Deutschland zurück und arbeitete ab 1941 für die Bavaria-Filmgesellschaft in Feldafing am Starnberger See, 1945 siedelte er nach München über.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2008

So bin ich der Abtrünnige, das kann nicht gutgehen

Der Briefwechsel zwischen Wolfgang Koeppen und seiner Ehefrau Marion ist ein erschütterndes menschliches Dokument seelischer Nöte - aber es war nie für die Augen der Nachwelt bestimmt.

Von Heinrich Detering

Sollen wir das mit ansehen? "Mir wird der Anblick von Samstag unvergeßlich bleiben, du, wie du am Boden lagst, flehtest, hilf mir doch, und die Grenze jeder Hilfe überschritten war." Sind Sätze wie diese an uns adressiert? "So vegetiere ich dahin, schlafe manchmal in deinem Bett, onaniere ein bisschen und denke an dich." So schreibt "dein Ungeheuer", und ihr "Kopernikus" bekennt: "Ich wollte, du wärest hier. Ich würde die obszönsten Dinge mit dir treiben." Als das "Ungeheuer" präsentiert sich im einverständigen Rollenspiel dieses ehelichen Briefwechsels Marion Koeppen, die liebevolle und geistreiche, die depressive und übermütige, die alkohol- und schließlich auch tablettensüchtige Ehefrau Wolfgang Koeppens. Die intime Korrespondenz umspannt die Jahre von 1946 bis zu ihrem Tod 1984 - ein menschliches Dokument von Rang, das nicht an uns gerichtet ist.

Die Publikation privater Dokumente aus dem Leben großer Schriftsteller stellt ja nicht erst dann ein Problem dar, wenn deren Tod erst wenige Jahre zurückliegt oder wenn, wie hier, ein anderer Mensch in seiner verletzbarsten Nacktheit einbezogen ist. Aber selten wird das moralisch Anfechtbare einer unbeirrbaren Leserneugier, die sich als Philologen-Interesse ausgibt, so grell sichtbar wie hier. Wenn Schriftsteller wie Platen oder Thomas Mann ihre Tagebücher der Nachwelt testamentieren, dann schicken sie, bei aller Vertraulichkeit ihrer Aufzeichnungen, doch eine Flaschenpost an eine Zukunft, deren Reaktionen sie sich schon ausmalen: "heitere Entdeckungen dann". Wer aber in der Gewissheit schreibt, dass das Geschriebene nur für die vertrautesten Augen bestimmt und ihnen allein vorbehalten bleibt, wer sich in den Schilderungen körperlicher Vorgänge, in Liebesbekenntnissen und Anklagen nur vor diesen Augen entblößt, der kann, indem er postum ins Scheinwerferlicht gestellt wird, noch postum verletzt werden. Also erfahren wir Koeppen-Aficionados nun alles, was wir immer schon gierig, neugierig wissen wollten und was uns nicht das Geringste angeht. Wir sehen Marions lesbische Liebesverhältnisse von Kopernikus eifersüchtig und geduldig kommentiert; wir verfolgen, wie er ihr brieflich die Tablettendosis zuzuteilen versucht, die ihm noch vertretbar erscheint, und wie er dennoch der "Gewißheit des Unglücks" nicht entkommen kann; wir sehen den Kampf mit den Depressionen, die auf beiden Seiten bis zur Lebensmüdigkeit gehen können, die wiederkehrenden Albträume von Elend, Absturz und Tod und "das Gespenst der Pleite". Und wir werden Zeugen einer Liebe von großer Zartheit noch dort, wo sie beide mit ihren Kräften am Ende sind, einer Liebe, die noch in der tiefsten Verzweiflung Sätze ermöglicht wie: "Es ist wunderbar mit dir. Ich kann es garnicht fassen."

Nach einer Lesereise ironisiert Koeppen sich "als Exhibitionist der Traurigkeit", es geniert ihn. Diese Ausgabe zwingt ihm den Exhibitionismus auf. Dass Marion Koeppen dabei durch die Titelformulierung eine Art Koautorschaft zugeschrieben wird, wirkt da ebenso unangemessen wie der Umstand, dass sie durch das Titelzitat und das Umschlagfoto eben doch zum Objekt gemacht wird, dass es, sehr im Gegensatz zu den Briefen selbst, nicht um sie geht, sondern um ihn: um sein Leiden an ihr, seinen Blick auf sie. In ihren Briefen zeigen die beiden Liebenden sich einander derart schutzlos und ausgesetzt, dass man beim Lesen manchmal wegschauen möchte vor Scham, weil man unvermittelt ins Innerste eines fremden Lebens blickt. Der Respekt, mit dem beide einander begegnen, steht im Gegensatz zur faktischen Respekt- und Schamlosigkeit, mit der die Briefe veröffentlicht werden. "Wenn Sie sich für den Suhrkamp Verlag entscheiden", lässt Siegfried Unseld den Goverts-Autor Koeppen 1959 wissen, "so sollen Sie in ihm eine geistige Heimat haben, in der Ihre Arbeiten gut und lebendig aufgehoben sind." Der Brief findet sich unter den vielen informativen Materialien, die den philologisch vorzüglichen Kommentar bereichern; er wirft Fragen auf.

Dabei steht außer Frage, dass diese Briefe streckenweise von beträchtlicher literarischer Qualität sind, ganz abgesehen von der Aufschlusskraft für die Werkgeschichte von den Nachkriegsromanen bis zu den Filmtexten. Da gibt es beklemmende Traumsequenzen, prägnante Beobachtungen von den durch Koeppens Bücher berühmt gewordenen Reisen nach Frankreich, Russland, Amerika. Trotz seiner auch hier obligaten Melancholiebekundungen zeigt Koeppen sich hier über weite Strecken in bester Erzähllaune, erscheint der Melancholiker als Humorist. Da ist ein Besuch bei Joseph Breitbach in Paris, "von Kafka erfunden"; da entfalten Szenenfolgen vom Ozeandampfer eine lapidare Komik ("hier und dort wurde gekotzt, Aufwärter kamen mit Eimer und Sägespänen. Zum ersten Mal auf dieser Reise war ich etwas vergnügt"), und manchmal kondensieren sich die Beobachtungen zu Kürzestgeschichten, so etwa in New Orleans: "Sonntagmorgen. Trinker. Schwarze Trinker. Schwarze Bar. Ich wurde nicht bedient. That's the law, das ist das Gesetz - dies kurz angebunden, unfreundlich. Bar nebenan für Weiße. Weiße Trinker." Tatsächlich hätten manche Briefe sich ohne weiteres in einer Auswahl präsentieren lassen, allen voran diese Reiseschilderungen. Immer wieder zeigt sich Wolfgang Koeppen hier als findiger Liebhaber der Randbezirke, der Außenseiter, der Gescheiterten und Versager; ihnen gilt seine Hingabe. Auch die großen Dichter sind ihm nahe, sobald sie sich als unverkäuflich erweisen. "In einem Buchladen", schreibt er in Zürich, "Bücher und Bilder von Gide, Proust, Claudel, Malraux, Roger Martin du Gard. Verkauften sie sich? Nein, sie verkauften sich nicht. Sie hätten sich nie auf diese Reise begeben, und sie sind meine Brüder."

Er hingegen ist im Auftrag unterwegs, als meinte er, Zürich zum Beispiel sei eine tiefere Stadt: "So bin ich der Abtrünnige. Das kann nicht gutgehen." Weil der poète maudit dem eigenen Erfolg misstraut, weil er sich selbst nicht anders denn als einen der elenden Skribenten zu akzeptieren vermag, sucht er das Unglück im Glück. So erscheint Marion denn, in seinen wie in ihren eigenen Briefen, als Protagonistin einer halb erträumten, halb erlebten Baudelaire-Welt - "einer in Feuer getauchten Sündflut" gleich jenem Gewitter, in dem Koeppen diese Metapher einfällt.

Wenn diese vollständige Ausgabe etwas Gutes bewirken kann, dann - und wir wollen annehmen, dass diese Überlegung sie hervorgebracht hat - ein neues Verständnis für den, sagen wir ruhig: existentiellen Ernst von Koeppens Positionen und Konflikten, die weithin und lange im Verdacht des bloß Posenhaften standen. So wenig sich die Schreibschwierigkeiten monokausal aus dem Ehedrama ableiten lassen (oder umgekehrt), so eng sind beide hier doch offensichtlich miteinander verbunden. Es ist nichts von selbstgefälligem Posieren in diesen Briefen, auch nicht von Larmoyanz, eher schon von jenem Selbst- und Weltverhältnis, das einer der Koeppenschen Lieblingsdichter auf die Formel gebracht hat, "dass mir auf Erden nicht zu helfen war". Da sind das gierig herbeigesehnte Schreiben und der Überdruss daran, der schon früh erwacht und in den Zeiten des wachsenden Erfolgs bis zum Ekel gehen kann. Zu verfolgen, wie der Zwang zur großen Form bei diesem Autor, dem das kleine Format leicht von der Hand geht, zur Obsession wird, das ist kaum weniger bedrückend als die Geschichte seiner Ehe. Fortwährend quält ihn der Anblick des Schreibtisches, des weißen Papiers, treibt er sich an und endet bei der Erkenntnis, "dass dies alles nutzlos ist". Unseld droht die Engelsgeduld zu verlieren, Buchhändler drängen, Koeppen notiert sein auswegloses Ostinato: "Das Buch, das Buch, das Buch." Dabei schreibt er in ebendiesen Jahren ja fortwährend - essayistische und erzählerische Arbeiten, aus denen Marcel Reich-Ranicki dann den Band "Die elenden Skribenten" zusammengestellt hat und die in der Werkausgabe zwei stattliche Bände füllen - abgeschlossene und fragmentarische Texte, die zu Koeppens großartigsten gehören. Vollendete Fragmente, nur eben kein Roman.

In diesem vermeintlichen Mangel aber ist ein Grund für diese Ausgabe zu vermuten. Was dem Romancier die Sprache verschlug, hat den Briefschreiber nicht ruhen lassen; also muss nun das eine für das andere eintreten. Am Ende werden selbst die häuslichen Notizzettel "in Auswahl erstmals gedruckt", als gäbe es ein Anrecht der Öffentlichkeit, auch noch zu erfahren, wie die Eheleute Koeppen sich zwischen Küche und Schlafzimmer verständigt haben. In einem der letzten Texte, in denen Koeppen das Sterben seiner Frau vergegenwärtigt, bittet er in der Klinik-Leichenhalle die Krankenschwester ausdrücklich, ihn wenigstens für fünf Minuten mit der Toten allein zu lassen. Wir Koeppen-Leser aber bleiben dran, sehen zu und lesen mit, noch jetzt, in diesem Augenblick der äußersten Einsamkeit.

- Wolfgang und Marion Koeppen: "trotz allem, so wie du bist". Briefe. Hrsg. von Anja Ebner. Mit einem Nachwort von Hans-Ulrich Treichel. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 457 S., Abb., geb., 32,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.02.2009

Kopernikus und sein dunkler Planet
„Das Unheil ist schon fortgeschritten”: Wolfgang Koeppen und Marion Koeppen in ihren Briefen, Telegrammen und Notizzetteln
Der atlantische Ozean gefiel Wolfgang Koeppen nicht, als er im Frühjahr 1958 auf dem französischen Passagierschiff Liberté nach Amerika reiste. An seine Frau schrieb er am 25. April: „Aus der Nähe betrachtet, sieht er recht unheimlich aus, bleifarben, schwer, wogend natürlich und unendlich und sehr, sehr böse, unter einem Schauerhimmel. Dass die Griechen nicht schon Amerika entdeckt haben, schreibe ich nicht ihrer Unfähigkeit, sondern ihrer Klugheit zu. Warum sollten sie das freundliche, menschliche Mittelmeer verlassen und sich in Bereiche begeben, die doch wohl dem Orkus angehören?” Fünf Tage später gab er in Amerika ein Telegramm auf: „GRUSS AUS NEUYORK KOPERNIKUS.”
In jedem anderen Buch hätte Kopernikus, der den Orkus überwunden und die Neue Welt betreten hat, das Zeug zu einer literarischen Figur. In diesem nicht. Wohin auch immer dieser Kopernikus reist, wie hartnäckig auch immer er darauf setzt, dass der lastende Schauerhimmel endlich aufreißt, dem Orkus seines prosaischen, gänzlich unliterarischen Unglücks entkommt er nicht. Kopernikus, so heißt er seit dem letzten Kriegsjahr, getauft in einem jener Namensspiele, wie sie von frisch Verliebten gern gespielt werden. Ende 1943 hatte er Marion Ulrich, die Tochter des Münchner Rechtsanwaltes Dr. Wolfgang Ulrich und der Kommerzienratstocher Luise Ulrich (geb. Schneider-Dörffel) kennengelernt, als er für die Bavaria in München an einem Drehbuch arbeitete.
Damals war Marion Ulrich noch nicht ganz siebzehn, Wolfgang Koeppen 37 Jahre alt. Im gutbetuchten Elternhaus der Minderjährigen, in dem die Nonchalance der Schwabinger Künstlerszene den Ton angab, hatte man nichts gegen die Verbindung. In den stürmischen Briefen, in denen der Ältere um die Jüngere wirbt und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt, wird die Logik des bürgerlichen Ehevertrags auf den Kopf gestellt: „Wenn du dich mir nicht gibst, soll dich keiner haben. Schläfst du mit mir, kann alle Welt mit dir schlafen.” Die beiden heirateten im November 1948 auf dem Standesamt München I.
Da war das Unglück noch jung, aber es hatte eine große, jahrzehntelange Zukunft. Die Geschichte der in Nachkriegszeit geschlossenen Ehe war über weite Strecken die Geschichte der sich gegen alle Versuche der Einhegung und Zähmung erfolgreich behauptenden Alkoholkrankheit (und bald mit ihr verschränkten Tablettensucht) Marion Koeppens. Diese Geschichte lässt sich nun bis ins Detail nachlesen.
Denn in diesem Buch sind die vielen Briefe versammelt, die Wolfgang Koeppen, nachdem er Kopernikus geworden war, an seine Frau und die vergleichsweise wenigen, die sie ihm geschrieben hat. Dazu undatierte Notizzettel, mit denen die beiden auch dann schriftlich kommunizierten, wenn sie in der gemeinsamen Wohnung waren, und schließlich Prosaskizzen von Koeppen über seine Frau, darunter Aufzeichnungen, die nach ihrem Tod im April 1984 unmittelbar nach dem Besuch in der Leichenhalle verfasst wurden: „ein schönes, fast edles, ruhiges gesicht, von der fleischlichkeit schon entblößt, die feinen wimpern und brauen über den zugedrückten augen.”
Die Philologie hat in diesem Buch ganze Arbeit geleistet. Sie lässt keinen Zettel unediert, löst alle Anspielungen auf, erläutert alle auftretenden Figuren. So kann, wer will, nun erfahren, wie die lesbische Geliebte Marion Koeppens hieß, die 1972 als Taxifahrerin ermordet wurde, und in welche Worte Wolfgang Koeppen seine gelegentlich auflodernde Eifersucht fasste.
Es gibt in diesem Buch zahlreiche Passagen, die auf das literarische Werk Koeppens verweisen. Die Briefe, die er aus Frankreich, aus Amerika oder aus Russland schreibt, lassen sich neben die literarischen Reisebeschreibungen legen, die er für die Verlage und Rundfunkstationen verfasst, die seine Reisen finanziert haben. Die durchgängig in trüber Stimmung verfassten Briefe, die er aus der Klausur in einem dunklen, in einem ehemaligen Luftschutzbunker untergebrachten Hotel aus Stuttgart schreibt, während er den Roman „Das Treibhaus” (1953) zu Ende bringt, klingen wie Gefängnisbriefe. Ein großer Porträtessay entsteht in den Briefen an Marion während der Atlantiküberfahrt: der Bericht, in dem Koeppen seine Pariser Begegnungen mit dem überaus kultivierten und kompromisslos frankophilen Schriftsteller Joseph Breitbach schildert.
Es ist ein Selbstporträt in eigener Sache, der Blick in eine Schriftstellerexistenz, in der im Übermaß und mit großer Selbstverständlichkeit vorhanden ist, was Koeppen ständig fehlt: Geld. So wenig er in seinen Briefen über den Inhalt etwa des „Treibhaus” schreibt, so verlässlich zeichnet er – auch in seinen im Kommentar mitgeteilten Briefen an Redakteure wie Alfred Andersch – alle Ausgabenkurven auf und nicht zuletzt die unerschwinglichen Preise jener Kostüme, die er Marion gern schenken würde.
Alle literarischen Elemente dieses Buches aber können gegenüber dem Sog der Alkoholkrankheit, die aus jedem unschlüssigen Sanatoriumsaufenthalt gestärkt hervorzugehen scheint, keine Souveränität gewinnen. So steht dieses Buch an der Seite des 2006 erschienenen Briefwechsels zwischen Wolfgang Koeppen und seinem Verleger Siegfried Unseld, in dem die ins Delirium abgleitende Marion Koeppen, die alle Sorge und Energie ihres Mannes bindet, immer wieder als Rivalin der Literatur auftritt.
Als Wolfgang Koeppen im März 1996 in München starb, war er berühmt nicht nur wegen der Romane, die er in den fünfziger Jahren geschrieben, sondern auch wegen des Romans, den er in den folgenden Jahrzehnte nicht geschrieben hatte. Gegen die Versuchung, Marion Koeppen und den nicht geschriebenen Roman ins Verhältnis von Ursache und Wirkung zu rücken, hält Hans-Ulrich Treichel im Nachwort dieses Bandes zu Recht fest: „Was und wieviel Koeppen ohne seine lebenslange Bindung an Marion geschrieben hätte, wissen wir nicht.”
Dass er über Jahrzehnte ein Schriftsteller gewesen sei, der nichts geschrieben hat, stimmt im Übrigen durchaus nicht. Neben dem Fragment „Jugend” (1976) gelangen Koeppen – nicht immer gleich gut– zahlreiche journalistische Auftragsarbeiten. Dieses traurige Buch aber handelt nicht vom Gelingen oder Misslingen von Literatur, sondern vom dunklen Planeten, der über das Leben seiner Frau herrschte und gegen den Kopernikus machtlos war.LOTHAR MÜLLER
WOLFGANG KOEPPEN / MARION KOEPPEN: „trotz allem, so wie du bist”. Briefe. Herausgegeben von Anja Ebner. Mit einem Nachwort von Hans-Ulrich Treichel. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 457 Seiten, 32,80 Euro.
„Ich habe schlecht geschlafen, weil ich mit Liebe, Angst, Rührung, Verzweiflung an dich dachte”
Marion Koeppen und Wolfgang Koeppen Foto: Suhrkamp Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Will man, darf man das lesen?", fragt Rezensent Rolf Michaelis angesichts des intimen Briefwechsels zwischen Wolfgang Koeppen und seiner Frau, um sogleich zu antworten, dass es richtig sei, "diese Schreie" zu hören, da sie erklärten, unter welch qualvollen Bedingungen Koeppens großartiges Werk, seine "gleißenden Texte" entstanden seien. Grund der Beschämung ist der intime Ton, wie Zitate in der Rezension nahelegen. Aber auch die extreme, "liebevoll-zerstörerische" Beziehung zwischen dem Autor und seiner jungen Frau selbst, die da in schonungloser Deutlichkeit aus den Briefen heraufsteigt, und deren "bedrückende Teilnahme" diese Texte dem Leser ermöglichen, der gleichzeitig zum Zeugen der emotionalen Finsternis in der Nachkriegszeit wird.

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