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Im Bewusstsein der Leser ist Wolfgang Koeppen (1906-1996) in erster Linie ein Nachkriegsautor - bekannt geworden durch eine Romantrilogie in den fünfziger Jahren, ein Kritiker der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, eine Reiseschriftsteller, schließlich der berühmte Schweiger: ein Mythos in der Literaturgeschichte der Bundesrepublik. Koeppen verstummte literarisch, weil er seinen immer wieder annoncierten "großen Roman" nicht beenden konnte, der seine widerspruchsvolle Lebensgeschichte während des Dritten Reichs und kurz danach literarisch darstellen sollte. Die vorliegende Werkbiografie des…mehr

Produktbeschreibung
Im Bewusstsein der Leser ist Wolfgang Koeppen (1906-1996) in erster Linie ein Nachkriegsautor - bekannt geworden durch eine Romantrilogie in den fünfziger Jahren, ein Kritiker der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, eine Reiseschriftsteller, schließlich der berühmte Schweiger: ein Mythos in der Literaturgeschichte der Bundesrepublik. Koeppen verstummte literarisch, weil er seinen immer wieder annoncierten "großen Roman" nicht beenden konnte, der seine widerspruchsvolle Lebensgeschichte während des Dritten Reichs und kurz danach literarisch darstellen sollte. Die vorliegende Werkbiografie des unbekannten Koeppen von den publizistischen Anfängen bis zur Nachkriegstrilogie, die Rekonstruktion seines Lebens und Schreibens, wird andeuten, warum Koeppen mit seinem "großen Roman" scheiterte.
Autorenporträt
Prof. Dr. Jörg Döring lehrt als Juniorprofessor für Neuere deutsche Literatur und Medien an der Universität Siegen und ist Leiter des Teilprojekts 'Media Geography' am SFB/FK 615 'Medienumbrüche' an der Universität Siegen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Das ungeschriebene Leben
Schriftsteller im falschen Film: Jörg Dörings spektakuläre Studie über Wolfgang Koeppen im Dritten Reich / Von Wolfgang Schneider

Mit seinem lange erwarteten und dann doch nicht mehr geschriebenen Roman wurde der große Verstummer Wolfgang Koeppen zum lebenden Mythos des deutschen Literaturbetriebs. Jetzt hat sich eine aufwendige Studie dieses bedeutenden Nicht-Werkes angenommen. Es handelt sich keineswegs um Philologie im luftleeren Raum, sondern um die Rekonstruktion des Stoffes, den Koeppen zur Verarbeitung vorgesehen hatte: seine eigene widerspruchsvolle Lebensgeschichte in den Jahren des "Dritten Reichs". Aus den überlieferten Fragmenten und Handlungsskizzen läßt sich ersehen, wie nah er an der eigenen Biographie entlangschreiben wollte. Diesem Roman auf der Spur, bietet Jörg Döring die bisher gründlichste Erkundung des Autors in den Jahren 1933 bis 1948.

Nie wurde Koeppen ein Parteigänger Hitlers, aber er wollte auch nicht als Gegner des Regimes gelten, denn zum Helden war der Melancholiker nicht geschaffen. Vielleicht hatte er dem NS-Staat anfangs sogar gewisse Perspektiven zugestanden. Aber viel mehr als der Nationalsozialismus beschäftigte ihn in diesen Jahren "Eine unglückliche Liebe", wie der Titel seines ersten, stark autobiographischen Romans von 1934 lautete. Das Unglück hatte einen Namen: die junge jüdische Schauspielerin Sybille Schloß, ein Gelegenheitsfotomodell, unerreichbar für den immer ein wenig verstört wirkenden Koeppen, der mit masochistischer Geduld eine Abfuhr nach der anderen kassierte und die angehimmelte Frau auch im Roman Sybille nannte.

Döring hat die heute Neunzigjährige in New York interviewt. Derart begehrt zu werden, habe ihr natürlich geschmeichelt, verrät sie nicht ohne schmunzelnde Koketterie: "Aber den Wolfgang, den wollte ich partout nicht, den hättest du mir um den Bauch binden können . . . Er war ein guter Freund." In sublimierter Romanform stieß Koeppens Leidenschaft auf mehr Gegenliebe. In späteren Jahren arbeitete Frau Schloß in der deutschen Abteilung einer New Yorker Buchhandlung; immer wenn ein Kunde nach einer "True-Romance-Story" fragte, habe sie "Eine unglückliche Liebe" empfohlen: "Wer weiß, vielleicht bin ich ja diejenige, die das Buch weltweit am meisten verkauft hat."

Ersatzweise ließ sich Koeppen auf eine Affäre mit der Frau eines SS-Offiziers ein, wie man dem Erzählfragment "Zwart Water" in autobiographischer Lesart entnehmen kann. Um der Bedrohung durch den Gehörnten auszuweichen, ging er ins freiwillige "Exil" nach Holland. Die Kritiken der "Unglückliche Liebe" ließen ihm eine Rückkehr dann nicht geraten erscheinen. Zwar war der Roman durchaus unpolitisch, aber linientreue Rezensenten fanden immer noch zuviel Dekadenz: "schwächliche Kreaturen" und Weimarer "Bordellatmosphäre". Auf der anderen Seite setzte die emigrierte Linke Koeppen unter Druck, indem sie ihn als einen der ihren outete, der aus Anpassungsgründen in harmlose Liebesthematik ausgewichen sei.

So blieb er bis 1938 in Holland, und zur Depression dieser Jahre trug erneut Sybille Schloß bei. Er lud sie zu sich ein; sie kam und eroberte im Sturm - allerdings nicht ihn, sondern den Sohn seiner Gastgeber, der bis dahin als homosexuell gegolten hatte. Bald wurde geheiratet, Koeppen stand daneben, wieder einmal "von Traurigkeit gelähmt". Immer dringlicher wünschte er sich, nach Deutschland zurückzukehren. Koeppen wollte sich nicht als Schriftsteller kompromittieren und bemühte sich um Arbeit beim deutschen Film.

Hier widerlegt das Buch einige Legenden, zu denen Koeppen einen guten Teil selbst beigetragen hat. Zunächst hatte er nämlich deutlich mehr im Sinn, als sich bloß "klein" zu machen und "unterzustellen". Nicht ein namenloser Zuarbeiter wollte er sein, wie er es sich später gutschrieb, sondern eine Art Autorenfilmer; er war ambitioniert und setzte künstlerische Hoffnungen auf das Kino. In aller Klarheit beweist das ein langer Koeppen-Brief aus dem Nachlaß von Herbert Ihering. Der Kritiker hatte mittlerweile einen leitenden Posten bei einer Filmgesellschaft. Im Juli 1938 wandte sich Koeppen mit seinen Ideen an ihn. Bemerkenswert, wie dem scheinbaren Einzelgänger beruflich immer wieder ein Netzwerk von Freunden zur Verfügung stand, zum größten Teil bereits in der Zeit der journalistischen Anfänge geknüpft.

Der Alltag in der Filmindustrie machte seine Pläne allerdings zunichte. Später versicherte er, er habe bewußt schlecht geschrieben, um seine Drehbücher unbrauchbar zu machen, keines sei verfilmt worden. Offenbar war es nicht leicht, schlecht genug zu schreiben - Döring weist nach, daß es Koeppen-Filme gegeben hat. Der Unterhaltungsfilm während der NS-Zeit war nicht so harmlos, wie seine Mitarbeiter nachträglich gern behaupteten; gerade die leichte Muse hatte weltanschauliche Klischees zu befördern. Koeppen schrieb neben "Heiterem" wie einer alpenländischen Liebesgeschichte im Holzfällermilieu das Drehbuch für eine verbiederte und zugleich ideologisch aufgeladene Verfilmung von Kellers "Romeo und Julia auf dem Dorfe".

Mit einer zweifelhaften Berühmtheit wie dem "Jud Süß"-Darsteller Ferdinand Marian war er befreundet. Vor allem aber hat er mehr verdient, als man denken sollte. Die angeführten Dokumente belegen allein für das Jahr 1943, in dem Koeppen in einem Starnberger Keller untergetaucht sein will, ein Einkommen von 20 000 Reichsmark, für 1944 immerhin noch fast die Hälfte; das Lebensminimum betrug knapp 1500 Reichsmark. Der "Keller", in den er sich erst im Herbst 1944 zurückzog, entpuppt sich als Souterrain mit Seeblick in einem Starnberger Tennishotel. Koeppen gehörte nicht zur mondänen Gesellschaft, aber war ihr Beobachter am Rand.

Ging es auch um die Bewältigung eigenen Schuldempfindens, wenn er sich 1948 literarisch in die Rolle des Holocaust-Opfers versetzte, indem er den Überlebensbericht Jakob Littners bearbeitete? Der Wiederveröffentlichung als Koeppen-Roman im Jahr 1992 ("Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch") folgte ein Literaturstreit um die wahre Autorschaft des Buches, der bis heute andauert. Eine synoptische Lektüre von Roman und Vorlage, deren Existenz Koeppen in seinem raunenden Vorwort zur Neuausgabe verschwiegen hat, bildet das interpretatorische Kernstück der Arbeit. Im Detail werden die Umarbeitungen vorgeführt, die aus dem Bericht eine Dokumentarfiktion Koeppens machen. Vor allem das unerschütterliche Gottvertrauen und die schlichte Schicksalsergebenheit Littners müssen ihm auf die Nerven gefallen sein. Er läßt die zunächst ungläubige, assimilierte Littner-Figur erst in der Nacht des Erdloch-Verstecks zu Gott finden.

Döring verzichtet auf den moralisierenden Zeigefinger, der immer wieder erhoben wurde, wenn alte Texte oder Dokumente auftauchten, die nicht ganz zu Koeppens eigener Darstellung seines "untergestellten" Lebens passen wollten. Es geht ihm nicht darum, einen geachteten Autor als Mitläufer zu diskreditieren. Die Rekonstruktion des biographischen Materials, vom Liebesdesaster über die verunglückte Emigration bis zum durchlavierten Leben im "Dritten Reich", soll letztlich die Frage beantworten, warum es nicht zum geplanten Werk kam. Je mehr Koeppen in den Ruf geriet, ein Autor zu sein, der wie kein anderer die Verdrängungsgesellschaft der Bundesrepublik literarisch darstellte, desto schwerer mag es für ihn selbst geworden sein, die eigene Vorgeschichte erzählbar zu machen. Das ist die plausible Schlußfolgerung der Studie, deren Gründlichkeiten in der ersten Hälfte manchmal entbehrlich erscheinen, sich aber in der zweiten um so mehr bewähren. Am Ende vermißt man nur eins: den Roman, den Koeppen nicht geschrieben hat und der sein bester hätte werden können.

Jörg Döring: " . . . ich stellte mich unter, ich machte mich klein . . ." Wolfgang Koeppen 1933-1948. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main und Basel 2001. 358 S., br., 48,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Wolfgang Schneider lobt eine "aufwendige Studie", die sich dem "bedeutenden Nichtwerk" Wolfgang Koeppens angenommen hat, dem Werk nämlich, dass der "große Verstummer" nicht mehr geschrieben habe. Dabei handele es sich "keineswegs um Philologie im luftleeren Raum", wie uns der Rezensent glaubhaft versichert, sondern" um die Rekonstruktion des Stoffes, den Koeppen zur Verarbeitung vorgesehen" hatte: die eigene, widerspruchsvolle Lebensgeschichte im dritten Reich. Diesem Roman auf der Spur biete Döring "die bisher gründlichste Erkundung des Autors" in den Jahren 1933 bis 1948. Das geht von der Auffindung der unglücklich geliebten Sybille Schloß, die als Jüdin nach New York emigrieren musste, bis hin zur Widerlegung einiger Legenden, zu denen Koeppen selbst beigetragen habe. So sei er nicht nur mit "Jud-Süß"-Darsteller Marian befreundet gewesen, sondern habe auch in der Filmindustrie mehr verdient, "als man denken sollte". Der Rezensent lobt, dass Döring "auf den moralisierenden Zeigefinger" verzichtet und so der Blick auf einen Autor frei wird, der "wie kein anderer die Verdrängungsgesellschaft der Bundesrepublik darstellte" und wohl auch selbst verkörperte.

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