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Rudolf Loch zeichnet ein bewegendes Bild des vergeblichen Ringens Kleists um Daseinsbewältigung und vermittelt damit einen Begriff von der Modernität dieses Autors. Sein Werk wird als Versuch beschrieben, neuartige Erfahrungen, Charaktere und Konflikte gestalterisch zu fassen.Kenntnisreich, detailliert, eng verwoben mit Dokumenten, (Selbst-)Zeugnissen und den Ergebnissen der biografischen und literaturwissenschaftlichen Forschung und zugleich spannend und kurzweilig erzählt der frühere Direktor der Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte in Frankfurt (Oder) Rudolf Loch die Lebens- und…mehr

Produktbeschreibung
Rudolf Loch zeichnet ein bewegendes Bild des vergeblichen Ringens Kleists um Daseinsbewältigung und vermittelt damit einen Begriff von der Modernität dieses Autors. Sein Werk wird als Versuch beschrieben, neuartige Erfahrungen, Charaktere und Konflikte gestalterisch zu fassen.Kenntnisreich, detailliert, eng verwoben mit Dokumenten, (Selbst-)Zeugnissen und den Ergebnissen der biografischen und literaturwissenschaftlichen Forschung und zugleich spannend und kurzweilig erzählt der frühere Direktor der Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte in Frankfurt (Oder) Rudolf Loch die Lebens- und Werkgeschichte Heinrich von Kleists (1777-1811). Das mit sinnvoll illustrierenden Abbildungen versehene Buch versucht die Lebensgeschichte wie auch die schriftstellerischen und journalistischen Arbeiten des zu Lebzeiten weitgehend erfolglosen Außenseiters, der heute als »einer der größten, kühnsten, höchstgreifenden Dichter deutscher Sprache« (Thomas Mann) gilt, als Ausdruck seiner persönlichen Zerrissenheit zu fassen, die zugleich die Zerrissenheit seiner Zeit spiegelt. Unfähig, sich als aufgeklärtes, selbst-denkendes Subjekt den Zumutungen eines preußischen Staatsamtes zu unterwerfen oder auch nur anzupassen, suchte Kleist nach Wegen, eine selbstbestimmte Existenz zu führen. Wie und woran dies immer wieder scheiterte, führt Loch eindrücklich und einleuchtend vor Augen. Sein Kleist-Buch verführt darüberhinaus auch dazu, Kleist selbst vor dem Hintergrund des hier aufgespannten Kontexts wiederzulesen.
Autorenporträt
Rudolf Loch, geb. 1940, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Berlin, baute 1966-1969 die Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte in Frankfurt (Oder) auf, deren Direktor er bis 1994 war. Publikationen vor allem zu Kleist und Büchner.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2004

Mehr Liebe, als recht ist
Zwei Biographien beleuchten Leben und Werk Heinrich von Kleists

Jeder Biographie Heinrich von Kleists haftet zwangsläufig etwas Taschenspielerisches an, denn die überlieferten Fakten sind karg, und was der Biograph aus dem einen Ärmel zieht, hat man schon oft im anderen verschwinden sehen. Kleist galt bei Lebzeiten als wunderliches Subjekt, um das mancher einen großen Bogen machte, er starb bekanntlich früh, lebte in Zeiten des Krieges, die für Dokumentationszwecke nicht eben günstig sind, und tat das Seinige, um Spuren zu verwischen. Helmut Sembdner zog die Konsequenz und beschränkte sich in seinen "Lebensspuren" auf die harten Fakten der Überlieferung, die er minutiös zusammentrug.

Rudolf Loch, der langjährige Direktor der Kleist-Gedenkstätte in Frankfurt an der Oder, wählte einen anderen Weg. In seiner Kleist-Biographie unternimmt er mit großem Einfühlungsvermögen, gesundem Menschenverstand und erstaunlicher Spitzfindigkeit den Versuch, aus dem spärlichen Material Funken zu schlagen. Man merkt dem Buch an, daß es von einem geschrieben wurde, der einen guten Teil seines Lebens in gedanklicher Auseinandersetzung mit dem preußischen Dichter verbrachte. Für Loch stehen der daseinssüchtige Künstler, der elektrisierende Zeitgenosse und unorthodoxe Denker im Mittelpunkt, nicht der tragische Mythos eines Menschen, dem auf Erden nicht zu helfen war.

Licht und Luft bringt er schon in die im östlichen Frankfurt verbrachte Kindheit. Man wird daran erinnert, daß die größte preußische Warenmesse in der Stadt zu Hause war, erfährt von der täglichen Mittagstafel im reformfreudigen Kommandantenhaus, die Kleists Vater regelmäßig besuchte, von abendlichen Professorenzirkeln, zu denen sich die Gebrüder Humboldt gerne einfanden, aber auch von "800 in Frankfurt lebenden verwahrlosten und bettelnden Soldatenkindern".

Fleisch setzen unter Lochs Feder auch andere Perioden in Kleists an Ortswechseln reicher Laufbahn an. Das sind vor allem die Zeiten des Glücks: die Geburt des Dichters im Berner Autorenkreis um Heinrich Gessner und Heinrich Zschokke, in die der Paris-Flüchtige wie eine Bombe einschlägt; oder die persönlich so quälende, aber für die Entfaltung seines ins Absurde getriebenen Kanzleistils entscheidende Periode als Assessor an der Königsberger Domänenkammer: Sie wird von Loch ausführlich gewürdigt und für die Werkdeutung fruchtbar gemacht. Schließlich die gesellschaftlich befreienden und beruflich verheißungsvollen zwei Jahre in Dresden, wo Kleist gemeinsam mit Adam Müller Buchhändlerpläne schmiedet, ein Gegenjournal zur Weimarer Klassik herausgibt und in den führenden Salons umschwärmt wird.

Manche seiner Herzensaffären werden durch plausible Kombination der Daten neu beleuchtet, nicht zuletzt die Verwicklungen im Hause Wieland, wo der Dichter der jüngsten Tochter Luise den Hof machte und mehr, als dem Vater lieb war, gefiel: "Vermutlich", wagt Loch einen kühnen Schluß, "hatte Kleist die Ahnungslose, in ihren erotischen Reizen aber bereits Erblühte, verführt, hatte jedenfalls ,mehr Liebe gefunden, als recht ist'." Der Biograph glaubt Kleists Rolle in dieser Liebschaft im Grafen F ..., dem Draufgänger in der "Marquise von O ...", gespiegelt zu finden - eine nicht reizlose Überlegung. Immer wieder gelingt es Loch, von lebensgeschichtlichen Konstellationen aus Schlaglichter auf das Werk zu werfen. Weniger lobenswert ist seine Manie, alle Dramen und Novellen an Ort und Stelle nachzuerzählen.

Für die rasche Orientierung in Kleists Werk und Leben empfiehlt sich daher die von interpretatorischen Kapricen absehende Monographie Klaus Müller-Salgets. Hier erhält der Leser Zugang zu neueren Deutungsansätzen, was bei Loch nicht immer der Fall ist. Daß etwa der Kleist-Editor Roland Reuss in vielen Aufsätzen mit dem Vorurteil über den Realisten Kleist gründlich aufgeräumt hat, findet selbst dort keine Erwähnung, wo Loch, wie im "Bettelweib von Locarno", zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Und auch Ruth Klüger, die für eine Neueinschätzung der in den weiblichen Figuren reflektierten Kleistschen Sexualität Entscheidendes geleistet hat, wird nur en passant gestreift. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil Loch durch seine sensible Ortung des Nexus zwischen Leben und Literatur immer wieder Interessantes zur Diskussion hinzuzufügen hat - nur scheut er diese eben, und das ohne Grund.

Bemerkenswert sind Lochs Ausführungen zur ersten Welle eines preußischen "Feminismus"; ein Lächeln hingegen dürfte sein romantisches Frauenbild erregen, das Kleists Käthchen mit einer Aureole der Rührung versieht und Kunigunde der "falschen, bloß kosmetisch gestützten Weiblichkeit" zeiht. Geradezu komisch erscheint es, wenn der DDR-Germanist die sozialistische Elle an den preußischen Absolutismus legt, vom "Antikapitalismus" Adam Müllers handelt oder erläutert, daß die "soziale Determiniertheit" der Befreiungskriege Kleist "ein Rätsel geblieben" sei. Aber solche Anachronismen fallen angesichts der vielen, restituierten Lebensfasern nicht weiter ins Gewicht. So ist der Leser ganz Ohr, wenn Rudolf Loch darauf hinweist, daß auch die dem Wahnsinn verfallenen, Kirchenlieder grölenden Bilderstürmer aus der "Heiligen Cäcilie" ein Pendant im letzten Akt der Biographie des genialen Frankfurters besitzen. Der bestand im legendären Doppelsuizid des Dichters mit Henriette Vogel. Loch weist darauf hin, daß es "vor allem alte Choräle und Psalmen" waren, die das Paar in den letzten Wochen pflegte: "mit Kirchenmusik steigern sich beide ins Emphatische". Das Finale am Wannsee war nur die letzte Episode einer atemlosen Existenz, die sich Satz für Satz ihr eigenes Drehbuch schrieb.

INGEBORG HARMS.

Rudolf Loch: "Kleist". Eine Biographie. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. 542 S., 52 Abb., geb., 37,- [Euro].

Klaus Müller-Salget: "Heinrich von Kleist". Reclam Verlag, Ditzingen 2002. 359 S., br., 8,60 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.04.2003

Die allersprödeste Biographie einer exzentrischen Person
Der fatale Hang zum Allgemeinmenschlichen: Rudolf Loch lässt Heinrich von Kleist an Gefühlskräften und Eigensinnigkeit zu Grunde gehen
Heinrich von Kleist hat in seinem Leben wenig ausgelassen: Er erkundet in Paris den neuesten Stand der Wissenschaften, um sich dann für ein Leben als Bauer zu entscheiden; er schickt Goethe „auf den Knien meines Herzens” seine „Penthesilea”, um den Olympier dann zum Duell zu fordern; er versucht, 1803 bei den französischen Truppen zur Invasion Englands anzuwerben, und kämpft später entschlossen wie kein Zweiter gegen Napoleon. Schließlich sitzt er am Wannsee und beendet sein Leben aus Widersprüchen durch einen Doppelselbstmord mit Henriette Vogel – Friedrich de la Motte Fouqué hielt Kleist für „einen der herrlichsten Selbstmörder, die es je gegeben hat”, Friedrich Wilhelm III., mit weniger Sinn für spektakuläre Abgänge ausgestattet, sah darin vor allem einen Angriff auf die „Religiosität und Sittlichkeit im Volke” und auf den „Glauben an das einstimmige Zeugniß jedes unverdorbenen Herzens”.
Kleists Leben scheint aus einer Reihe von seltsamen Ereignissen zu bestehen, und warum sollten sich nicht die Desaster der Dramen und Erzählungen auf dieses Leben abbilden lassen? Rudolf Loch, der 1978 bereits bei Reclam Leipzig eine Kleist-Biographie vorgelegt hat, macht sich dies zum Programm: Angesichts der „kargen Überlieferung der äußeren Lebenstatsachen Kleists war es naheliegend, das Werk Kleists auf lebensgeschichtlich Bedeutsames hin zu befragen”. Zeichnen nicht abrupte Umschwünge und Entscheidungen den Autor und dessen Figuren wie die Marquise von O... oder den Prinzen von Homburg gleichermaßen aus? Gleicht Kleist in der Unbedingtheit seines Handelns nicht Michael Kohlhaas? Und sollte Kleist im „Amphitryon” nicht seine Angst verarbeitet haben, als fünftes Rad am Wagen der Weltgeschichte überflüssig zu sein?
Tatsächlich funktioniert Kleists Leben ein wenig wie seine Schauspiele und Erzählungen: Mit großer Energie strebt er auf Katastrophen zu, deren Lösung geheimnisvoll bleibt: Wie macht Penthesilea das eigentlich mit dem aus Gefühlen geschmiedeten Dolch? Was meint Alkmene mit ihrem finalen „Ach”? Oder aufs Leben bezogen: Was wollte Kleist im Jahr 1800 auf seiner Würzburger Reise? Wie war das mit seiner Kant-Krise?
Vielleicht und Gewiss
Kleist war ein Virtuose der Geheimniskrämerei. Dies, verbunden mit fehlenden oder vernichteten Quellen, gehört zu den Herausforderungen für eine Kleist-Biographie. Loch kennt den neuesten Stand der Forschung. Er referiert Deutungsansätze, auch einander widerstrebende. Wo es keine Belege gibt, spekuliert er nicht haltlos, und wenn, dann wird dies immer auch als Spekulation markiert. So bewegt sich die Darstellung – zumal bei der Jugendgeschichte – oftmals im „Wahrscheinlichen” und „Angenommenen”. Nüchtern breitet er aus, was die Kleist-Exegeten zu bieten haben. Freilich muss man oftmals den rund 100 Seiten starken Anhang heranziehen. Wenn bei der Würzburger Reise die gängigen Hypothesen vorgestellt werden, dann finden sich die Erklärungen, die Gründe und Vermutungen dafür nicht im Haupttext, sondern in den Anmerkungen. Und selbst wenn Loch sich dann in einem Absatz kurz mit der verbreiteten Meinung befasst, Kleist habe sich in Würzburg einer „Operation” unterziehen wollen, dann bleibt zunächst unklar, welcher Art diese Operation denn gewesen sein könnte, warum Kleist dafür nach Würzburg reisen und warum das alles insgeheim ablaufen musste.
Diese ungewöhnliche Verbannung relevanter Informationen in den Apparat macht zwar den Lesevorgang etwas mühseliger, sie wäre aber nicht weiter schlimm, wenn sich dahinter nicht ein fataler Hang zum Allgemeinmenschlichen verbergen würde. Bei Loch wird Kleist nicht zu einer historischen, sondern allenfalls zu einer exzentrischen Persönlichkeit, auch wenn er das Material für einen geschichtlichen Begriff dieses eigentümlichen Lebenslaufs zur Verfügung stellt.
In seinen Briefen aus Paris etwa scheint Kleist einen Vorgriff auf moderne Großstadterfahrung zu bieten. Loch dagegen weist zwar auf die literarischen Vorlagen hin, auf Rousseaus Zivilisationskritik oder auf Goethes „Leiden des jungen Werthers”, behandelt diese durchliterarisierte Erfahrung dann aber doch als authentisches Erlebnis. Gleiches gilt für die Behandlung sozialer Verhältnisse: Nach dem Tod seiner Eltern habe Kleist beispielsweise Ärger mit dem Rest der Familie gehabt, wodurch, so Loch, das „alte Bild von der Familie als Hort von Offenheit und Verständnis” gestört worden sei. Aber welches „alte Bild” könnte das sein? Sollten wir an den für Kleist so bedeutsamen Ödipus denken? Oder an die Welt des bürgerlichen Trauerspiels? Die auf emotionaler Nähe basierende Familiarität ist erstens eine sehr junge Erscheinung und zweitens von Beginn an ein von Leichen übersätes Feld.
Laut Loch muss Kleist „als ein Mann mit erheblichen sexuellen Problem erscheinen”: Kleist hatte bekanntlich nicht nur mit Frauen, sondern auch mit Männern seine Beziehungsprobleme. Berühmt sind die Szenen der Verkleidungen und Verkennungen in seinen Werken, und weil seine Schwester Ulrike bisweilen gern Männerkleidung getragen hat, gibt es dazu sogar ein realgeschichtliches Gegenstück. Da Kleist dann zudem noch brieflich von „mädchenhaften Gefühlen” angesichts des badenden Freundes Ernst von Pfuel berichtet, muss der Biograph natürlich der sexuellen Orientierung Kleists nachgehen: „Waren hier homoerotische Gefühle im Spiel? Kleist war Mitte zwanzig, voll sinnlicher Bedürfnisse und doch gezwungen, noch immer abstinent zu leben. Oder gab es fließende Übergänge zum Bisexuellen?” Schließlich bescheidet uns Loch mit einem Fremdzitat und der These, dass „wirklich große Künstler eben nicht nur auf eine Weise ‚lieben‘” – ganz abgesehen von den Anführungszeichen: Warum verknüpft Loch nicht die biographischen Details mit den Ausführungen zur Geschlechterkultur um 1800 in den Anmerkungen? Warum informiert er uns nicht über die frühromantischen Verwirrungen der Geschlechtergrenzen oder über die Vorstellungen von den Gefühlsbindungen zwischen Männern, die die pädagogische Antikenrezeption vermittelt?
Bei allem Detailreichtum bleiben die Zeitläufte eigentümlich blass. Zum Eindruck einer nur schematischen Vergegenwärtigung von Kleists Leben trägt dabei sicherlich auch die äußerst spröde Diktion Lochs bei. Da „dürfte in Kleist das Bewusstsein entstanden sein, er habe hinsichtlich seiner Bildung gegenüber Gleichaltrigen Nachholbedarf”; „kulturelle Betätigungsformen der Zeit” werden „gepflegt”; die gescheiterten Bemühungen um Luise von Linckersdorf führen „zu einer gewissen Irritation hinsichtlich der Beurteilung einer Partnerin”; oder Kleist sieht sich „heimgesucht von einer nicht unbegründeten Furcht vor Vereinnahmung”. Darüber hinaus erfahren wir nichts über den Theater- und Literaturbetrieb, in den Kleist seine Dramen und Erzählungen einbringt, oder kaum etwas über Struktur und Funktionsweisen des zeitgenössischen Journalismus, in dem Kleist seine Zeitungs- und Zeitschriftenprojekte lancieren will. In welcher Kommunikations- und Verhaltenskultur bewegt sich Kleist, der Fachmann für Missverständnisse und Fehldeutungen?
Irgendwie nicht glücklich
Die Fluchtlinien des Kleist-Bildes laufen auf den in sich zerrissenen Außenseiter zu, der gegen die repressiven Zeitverhältnisse kämpft. Dass Kleist irgendwie nicht recht glücklich war, dass ihn eine bestimmte Neigung zum Überspannten und Exaltierten charakterisiert, dass sein Verhältnis zur Obrigkeit nicht ungetrübt gewesen sein dürfte und er ein gewisses Problem mit geregelten Beziehungen gehabt hat, das alles lassen seine Werke erwarten, und Loch bestätigt diese Erwartung. Er spannt Kleist in das Epochenviereck von vernünftiger Aufklärung, moderner Wissenschaftlichkeit, degenerierter Adelskultur und staatlicher Unterdrückung ein, um ihn dann an Gefühlskräften und Eigensinnigkeit zu Grunde gehen zu lassen. Bringt uns das einen Menschen näher, der sich auf den Tod mit Klopstocks überspannten Jenseitsphantasien und Cervantes Windmühlenkämpfer „Don Quichotte” vorbereitet hat?
STEFFEN
MARTUS
RUDOLF LOCH: Kleist. Eine Biographie. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. 540 Seiten, 37 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Gerhard Neumann sieht in Rudolf Lochs Kleist-Biografie den Versuch, das "Faktische des Lebensganzen" und die "Deutung des Lebenswerkes" zu verknüpfen. Loch argumentiert laut Neumann am Faden von Kleists Briefen entlang. Wo es keine unmittelbaren Quellen gebe, suche der Autor den Weg über das Umfeld der ungeklärten Ereignisse, etwa der Pädagogik der Zeit, Kleists Erzieherin, Kleists das Schweizer Umfeld und so weiter. "Viel Neues" fördere Loch dabei mit seiner Beschreibung von Kleists Studium der Kameralwissenschaften in Königsberg zu Tage, freut sich Neumann: "ein minutiöses kulturhistorisches Porträt der komplexen Situation zwischen Finanz- und Rechtswissenschaft, Gewerbe, Militär und Polizei." Neumann hebt hervor, dass Loch von den Bruchstellen in Kleists Leben ausgeht, wobei er dem Gedanken eines Gleichgewichts zwischen Lebensereignis und Kunstwerk verpflichtet bleibt. Auffallend findet er insgesamt die "Spannungslosigkeit" zwischen "vorzüglich recherchierten Fakten" auf der einen und den "leidenschaftslos und mit dem Charme der Trockenheit vorgetragenen Deutungsansätzen der Werke" auf der anderen Seite.

© Perlentaucher Medien GmbH