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"Knips mal Mariechen" ruft der Schriftsteller, wann immer seine treue Freundin ein Foto für ihn machen soll. Maries Schnappschüsse haben es in sich, denn ihre alte Agfa-Box zeigt mehr als die Wirklichkeit - sie kann in die Vergangenheit und die Zukunft schauen, Wünsche und Ängste in Szene setzen. Viel später sitzen die acht Kinder des berühmten Schriftstellers beisammen, längst erwachsen geworden. Im lebhaften Dialog lassen sie das Leben ihrer komplizierten Familie Revue passieren, und jeder erinnert sich auf seine Weise an den Vater, die Kindheit, an Maries Wunder-Box und ihre verblüffenden Bilder.…mehr

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Produktbeschreibung
"Knips mal Mariechen" ruft der Schriftsteller, wann immer seine treue Freundin ein Foto für ihn machen soll. Maries Schnappschüsse haben es in sich, denn ihre alte Agfa-Box zeigt mehr als die Wirklichkeit - sie kann in die Vergangenheit und die Zukunft schauen, Wünsche und Ängste in Szene setzen. Viel später sitzen die acht Kinder des berühmten Schriftstellers beisammen, längst erwachsen geworden. Im lebhaften Dialog lassen sie das Leben ihrer komplizierten Familie Revue passieren, und jeder erinnert sich auf seine Weise an den Vater, die Kindheit, an Maries Wunder-Box und ihre verblüffenden Bilder.

Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Grass, GünterGünter Grass, 1927 bis 2015, wurde in Danzig geboren und war Schriftsteller, Bildhauer und Graphiker. 1999 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2008

Noch mehr Kinder, irgendwo

Günter Grass schreibt sein Leben weiter: "Die Box" heißt das Buch, in dem die Kinder sprechen und der Dichter den Pascha spielt

Was ist denn da los? Ein neues Buch von Günter Grass liegt seit Freitag in hohen Stapeln in den Buchhandlungen des Landes, und es hat noch gar keine Aufregung gegeben. Keinen Skandal, keine Vorabverrisse, keine Vorabhymnen, gar nichts. Nicht mal eine ganz normale Rezension. Sind die Kritiker müde geworden? Ist das Buch so langweilig? Hat es noch keiner gelesen? Sind alle noch im Urlaub? Interessiert das keinen mehr? Müssen wir uns Sorgen machen?

Es ist aber wohl einfach nur Folge eines Tricks des Verlages, der die Sperrfrist für Rezensionen auf den 29. August festlegte - eine Woche nach Beginn des Verkaufs. Was man, je nach Blickwinkel, als Witz oder als Frechheit betrachten kann, denn sobald man ein Buch kaufen kann, kann selbst der Verlag des Nobelpreisträgers niemandem verbieten, seine Meinung dazu zu äußern. Wahrscheinlich hat sich Günter Grass gewünscht, dass die Leser, seine Leser, eine Woche lang, unbehelligt von bösen Worten der Kritiker, in Ruhe sich selbst eine Meinung über den neuen Roman bilden können. Es ist also einfach nur ein weiteres, kleines Kapitel in der unendlichen Geschichte "Grass und die Kritik" oder, wie er es nennen würde: "Alle Kritiker (im neuen Roman immer nur ,die Zeitungsfritzen') gegen Grass". Und diese Geschichte ist nun wirklich ermüdend; wir gehen schnell an ihr vorbei zum neuen Buch.

Es heißt "Die Box" und ist die Fortsetzung des autobiographischen Romans "Beim Häuten der Zwiebel", der vor zwei Jahren erschienen ist und durch die darin von Grass bekannte SS-Mitgliedschaft so einen großen Wirbel verursacht hat. Man wundert sich etwas, dass so schnell schon eine Fortsetzung erscheint, endete doch das letzte Buch recht lustlos so: "So lebte ich fortan von Seite zu Seite und zwischen Buch und Buch. Dabei blieb ich inwendig reich an Figuren. Doch davon zu erzählen, fehlt es an Zwiebeln und Lust."

Ein Märchen

Das ging also schnell, dass die Lust wiederkam und Grass sein Leben weiter fortgeschrieben hat. Er hat es anders, ganz anders fortgesetzt, als es mit der "Zwiebel" begann. Die Grundidee zur Fortsetzung findet sich aber schon darin, zwanzig Seiten vor dem Schluss schrieb er: "Und so könnte ein Märchen beginnen, das nicht ich geschrieben habe . . .". "Aber noch schreiben werde", könnte man jetzt hinzufügen, denn "Die Box", das neue Buch, ist jenes Märchen, ein Märchen aus dem Leben des Schriftstellers Günter Grass, geschrieben aus der Perspektive seiner Kinder. Und es beginnt, klassisch, so: "Es war einmal ein Vater, der rief, weil alt geworden, seine Söhne und Töchter zusammen - vier, fünf, sechs, acht an der Zahl -, bis sie sich nach längerem Zögern seinem Wunsch fügten."

Das Buch selbst hat dann aber gar nicht so viele märchenhafte Züge. Nur die geisterhafte Fotografin Marie, die im wirklichen Leben Maria Rama hieß und der das Buch gewidmet ist, und deren alter Fotoapparat, jene titelgebende "Box", sind Märchenhelden des Romans. Auf der anderen Seite sind es die sehr realen, wenn auch nicht unter ihren wirklichen Namen auftauchenden Kinder des Dichters, die sehr lebensnah ihre Vatergeschichten erzählen, mal liebevoll, meist distanziert und immer wieder knapp am großen Vater-Tribunal vorbeischrammend. Der Vater hat zum Geschichten-Erzählen gerufen, und die Kinder kommen. Nicht immer alle, mal diese, mal jene, wer gerade Zeit hat, wer gerade erzählen will, wer etwas loswerden muss über "Vatti", wie die meisten ihn nennen. Insgesamt neunmal treffen sie in den neun Kapiteln des Buches zusammen. Immer lädt ein anderes Kind ein. Es wird gekocht an jedem Anfang und getrunken während der Treffen, mal trüber Apfelsaft, mal Cidre, mal Rotwein, Vater hat Mikrofon und Aufnahmegerät bereitgestellt, und es geht los: "Von jetzt an haben die Kinder das Wort."

Und es beginnt ein schönes, sonderbares, eigenwilliges, ein für Günter Grass ungewöhnlich leichtes Buch. Denn "Die Box" ist ein Buch ohne Mission, ein Buch ohne Auftrag, ein Buch, das nicht als Transportmittel einer Botschaft missbraucht wird. Und in dem auch kein verschämtes Bekenntnis so lange mit Adjektiven und Partizipialkonstruktionen umstellt wird, bis der Autor hoffen kann, dass es nicht weiter auffallen wird. Nein, "Die Box" ist nicht mehr als die Geschichte des Patriarchen Günter Grass in den Jahren 1959 bis 1995, wie seine Kinder sie sehen. Oder nein, natürlich: wie Günter Grass glaubt, dass seine Kinder sie sehen.

Die Geschichte des Dichters Günter Grass läuft eher so nebenher. Die Titel seiner Werke werden erwähnt und die Motivsuche vor jedem Neubeginn. Und da kommt jene Marie ins Spiel. Marie und ihre Box. Es ist eine Wunderbox, ein uralter Agfa-Fotoapparat, der den Zweiten Weltkrieg in einem von Bomben zerstörten Haus auf wundersame Weise überdauerte. Und seitdem ist es eine Box mit übersinnlicher Kraft. Die Fotografin erklärt: "Meine Box macht Bilder, die gibts nicht. Und Sachen sieht die, die vorher nicht da waren. Oder zeigt Dinge, die möchten euch im Traum einfallen. Ist allsichtig, meine Box. Muß ihr beim Brand passiert sein. Spielt verrückt seitdem."

Auf den Bildern, die Marie mit dieser Kamera machen kann, sieht man also mal Dinge aus der Vergangenheit, mal Dinge aus der Zukunft, mal eine erträumte Wirklichkeit des Fotografierten, und manchmal bildet sie einfach ab, was alle sehen können. Sie ist also - und mit der Box auch ihre Besitzerin - ein poetisches Bild für die Inspiration des Dichters. Er streift mit ihr oft tagelang über die Schauplätze seiner Romane, lässt sie knipsen und knipsen, aber der Apparat lässt sich nicht zwingen. Manchmal, wie im Vorfeld des Wiedervereinigungsromans "Ein weites Feld", musste besonders mühsam und langwierig geknipst werden, bis die Motive aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft endlich zusammenfotografiert waren.

Und Marie ist auch die Verbindung zwischen der Dichtung des Vaters und dem Leben, den Wünschen und Träumen der Kinder, denn auch für sie steht der Wunderapparat immer wieder zur Verfügung. Und wenn ein Wunsch, ein großer, kleiner Kinderwunsch wie ein eigner kleiner Hund zum Beispiel erst mal auf das Wunderpapier gebannt wurde, wird es meist auch nicht mehr lange dauern, bis er womöglich Wirklichkeit geworden sein wird.

Vorbild jener Marie ist wie gesagt die echte Fotografin Maria Rama, die 1997 gestorben ist und die die Familie Grass, den Patriarchen vor allem, über Jahrzehnte hin begleitet und immer wieder fotografiert hat. Die Figur liest sich im Buch recht beunruhigend, eine Art Stalkerin mit Familienanschluss. Eine unendlich große Verehrerin des Dichters, die womöglich auch einmal seine Geliebte war. 1973 hatte Günter Grass ihr zum ersten Mal ein Buch gewidmet, mit Fotos von ihr, verfremdet, bemalt, verändert von ihm, und ein Gedicht auf sie, gleich zu Beginn: "Mariazuehren". Ein Gedicht über das Staunen und die Natur. "Jetzt bin ich fünfundvierzig und immer noch erstaunt."

Doch von möglichen Geliebten ist sie nur eine unter vielen im neuen Bekenntnisbuch von Günter Grass. Es gibt da neben den Müttern seiner Kinder, Anna Grass, Veronika Schröter, der Mutter eines lange Jahre geheim gehaltenen Kindes, und seiner jetzigen Frau Ute immer und immer wieder Andeutungen anderer Liebschaften. "Und auch die Liebe erprobte als Irrläufer abseitige Wege, ging fremd." Schreibt der Dichter, und in der Mitte deutet er an: "Vielleicht gibts noch mehr Kinder irgendwo . . ."

Aber acht sind ja auch schon eine ganze Menge, zwei davon brachte Frau Ute mit in die Ehe. Es sind also genau genommen von ihm, so weit bekannt, nur sechs, aber die zwei später Hinzugekommenen gehören unbedingt und ohne Unterschied dazu, schreibt Grass. Er gefällt sich als abrahamesker Patriarch. Als "Pascha", wie die Kinder meinen; und sind sich einig, "daß son Paschabild mit ihm in der Mitte ganz oben auf seiner Wunschliste stand".

Das Umgangssprachliche, das scheinbar unverfälscht Gesprochene, das man in diesem Zitat erkennt und das als Stilwille weite Teile des Buchs durchzieht, nervt auf Dauer leider doch sehr und schmälert die Freude am Buch. Immer wieder enden die Sätze im Nirgendwo: ". . ." Dazu kommt eine Jugendsprache, wie sie eben klingt, wenn ein Achtzigjähriger sie sich ausdenkt: "Mann, war geil, was da drauf war."

Eine Mexikanerin

Das Rührendste an diesem Buch, das Schönste, Traurigste und Ehrlichste daran ist aber ohnehin etwas anderes. Es ist das Ringen des Vaters um die Liebe seiner Kinder. Es ist das Wissen um all das Unausgesprochene in einer Familie, und um wie viel mehr in einer so zerstückelten Familie wie seiner. All die stummen Vorwürfe wünscht sich der Dichter endlich ausgesprochen: "Unausgesprochenes liegt in der Luft. Nur langsam fädeln die Geschwister sich in die Wirrnisse ihrer Kindheit, reden rückfällig, sind mal aufgekratzt, mal übellaunig, bestehen darauf, noch immer verletzt zu sein." Er pendelte von Frau zu Frau, kehrte zurück, bis am Ende sogar eine Mauer durch das Familienheim gezogen wurde. Hier er und seine Ruhe, seine Bücher, seine Frauengeschichten, sein gigantisches Ego, dort ein Teil der Familie. Andere Teile an anderen Orten. "- Haben wir damals nicht mitgekriegt, Nana. Ich mein die Geschichte zwischen unsrem Vater und deiner Mutter. - Soll schon angefangen haben, lange bevor das Haus geteilt wurde. - Zwischen der einen und der nächsten noch zwischendurch ne andere . . . - Hat echt nicht richtig getickt, der Alte!"

Und so gehen die Vorwürfe weiter. Keine Zeit zum Spielen; immer nur in der Vergangenheit gelebt; immer nur am Schreibtisch; es zählte für ihn nur, was sich erzählen ließ. Und immer wieder "die ganze Nazischeiße rauf und runter". Gegen Ende fragt der verunsicherte Vater, "wem von den Geschwistern es besonders lästig gewesen sei, einen berühmten Vater zu haben", doch da bekennen alle, dass der Ruhm sie am wenigsten gestört habe. Tochter Lara erinnert sich stolz, dass sie einmal zwölf Autogrammkarten des Vaters gegen eine von Heintje tauschen konnte.

Es ist eine Mexikanerin, die Ehefrau eines seiner Kinder, die die wilde Brut zwischendurch zur Mäßigung des Tribunals aufruft. Das sei ja eine "sehr deutsche Tischgesellschaft" hier; und sie fügt an: "Haltet nicht Gericht über euren Vater. Seid froh, daß es ihn noch gibt."

Doch das hilft nur kurz. Der Schmerz über die immer wieder neu zerrissene Familie ist groß und bleibt groß. Auch wenn der Vater vor vielen, vielen Jahren die Frau fand, "bei der er Ruhe fand", und langsam, ganz langsam sich eben doch so etwas wie eine Familie zusammenfindet, mit einer Art Vertrauen des Zusammenbleibens. Doch im Buch inszeniert Grass immer wieder den drohenden Boykott des ganzen Buchprojekts durch seine Kinder. Der mächtige Vater, die Kinder als seine Geschöpfe, im Buch und in der Wirklichkeit. "Laß uns da raus!", rufen sie, und er erkennt: "Sie wollten nicht mehr nach seinen Worten."

Es ist eine traurige Geschichte, mit einer Art Harmonie und vielen Lügen und Geheimnissen am Ende, Verletzungen, eine Geschichte, die nur wenig hilft. Aber es hilft ja alles nichts: "Jetzt hofft der unzulängliche Vater, daß die Kinder ein Einsehen haben. Denn weder können sie sein Leben, noch er ihres wegstreichen, wie ungelebt einfach wegstreichen . . ."

Niemand kann das. Auch kein Vater Grass. Er kann es nur zu einer Geschichte runden. So rund wie lange keine mehr.

VOLKER WEIDERMANN

Günter Grass: "Die Box". Steidl 2008, 211 Seiten, 18 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.08.2008

Die Zustimmungsmaschine
Günter Grass, die „Box” und das unheimliche Prinzip des Kuddelmuddels
Zur Welt der Märchen gehören Tische, die sich selber decken, und Stöcke, die zu tanzen beginnen. Darüber reibt sich mancher die Augen und denkt, es gehe hier nicht mit rechten Dingen zu. Geht es aber. Denn die Dinge handeln im Märchen, auch wenn sie Kapriolen schlagen, nach dessen Gesetz. Nie gerät durch sie die Welt unheilbar aus den Fugen. Den Figuren mögen sie übel mitspielen, einem aber kommen ihre Verwandlungskünste verlässlich zupass: dem Erzähler.
Der Schriftsteller Günter Grass ist seit je mit den Märchen im Bunde, ob er von Kartoffelfeldern bei Danzig erzählt oder vom Fischer und seiner Frau. Sein neues Buch beginnt so: „Es war einmal ein Vater, der rief, weil alt geworden, seine Söhne und Töchter zusammen – vier, fünf, sechs, acht an der Zahl –, bis sie sich nach längerem Zögern seinem Wunsch fügten. Um einen Tisch sitzen sie nun und beginnen sogleich zu plaudern, jeder für sich, alle durcheinander, zwar ausgedacht vom Vater und nach seinen Worten, doch eigensinnig und ohne ihn, bei aller Liebe, schonen zu wollen.”
Das Buch heißt „Die Box. Dunkelkammergeschichten” (Steidl Verlag, Göttingen 2008. 217 Seiten, 10 Abb., 18,– Euro). Die Box ist immer dabei, wenn die Kinder über ihren Vater plaudern. Es ist eine Kastenkamera der Firma Agfa, die Anfang der dreißiger Jahre auf den Markt gekommen war. Ihre Besitzerin stammt aus Masuren, heißt „Mariechen” und erzählt – oder besser: jemand erzählt nach ihrem Tod, was sie einst erzählte – gleich auf den ersten Seiten, wie sie und ihr Mann, der Fotograf Hans, in Berlin ausgebombt wurden und vom Fotoatelier nichts übrigblieb: „Das ganze Archiv verschmurgelt. Die Lampen nur noch Schrott. Nur die Box blieb übrig, weiß nicht, warum.”
Günter Grass hat seinem Buch eine Widmung vorangestellt: „In Erinnerung an Maria Rama”. Und so könnte es scheinen, als wäre die Box, die er auf den Umschlag seines Buches gezeichnet hat und die ihm den Titel gibt, die Kamera der Fotografin Maria Rama (1911 bis 1997), die über Jahrzehnte hinweg das Leben des Autors und seiner Familie begleitete, deren Fotografien in jeder Grass-Biographie zu finden sind. Aber wie die Fotografin als himmelfahrendes „Mariechen” in dieses Buch eingeht, so ist darin auch ihre Kamera von Beginn an zur Märchenfigur verwandelt, zur „Zauberbox”, zur „Wünschdirwasbox”.
Über dieses Wunderding verfügt längst nicht mehr Maria Rama, sondern nur noch der Erzähler, der Familienvater. Er legt seinen Geschöpfen in den Mund, was Mariechen über ihre Kamera sagt (und er selbst über sein Erzählen sagen könnte): „Meine Box macht Bilder, die gibts nicht. Und Sachen sieht die, die vorher nicht da waren. Oder zeigt Dinge, die möchten euch nicht im Traum einfallen. Ist allsichtig, meine Box. muß ihr beim Brand passiert sein. Spielt verrückt seitdem.”
Man kann das auch so sagen: Diese Kamera ist von den Bombennächten und Feuerstürmen der Geschichte versengt. Aber sie ist nicht dafür geeignet, Dokumentaraufnahmen zu machen. Was sie zeigt, wirkt „wie aus alten Bilderbüchern gesprungen”. Sie ist mit dem Epischen im Bunde, nicht mit dem Historischen, mit dem Flunkern und Schwindeln, nicht mit dem Zeugnisablegen, dem Rechenschaftgeben. Kurz, sie verdankt ihre Zauberkräfte der Hitze der Zeitgeschichte. Aber der Wunsch, dem sie helfen soll, ist: der Zeitgeschichte zu entkommen.
Als Günter Grass im Sommer 2006 sein Buch „Beim Häuten der Zwiebel” veröffentlichte, war bald nur noch von einem die Rede: von seiner lange verschwiegenen Mitgliedschaft in der Waffen-SS. In der Debatte über das Buch spielten die Zeithistoriker eine Schlüsselrolle. Wie wahrscheinlich war seine Version des Eintritts in die Organisation? Wo genau befand sich die Division Frundsberg in den letzten Kriegsmonaten, was weiß man über ihre Bewegungen? Vor allem aber: Wie verhielt sich diese Waffen–SS-Episode zur Lebensgeschichte des erwachsenen Autors Günter Grass in der Bundesrepublik?
Zur wachsenden Verbitterung, mit der Grass damals die Debatte verfolgte, trug ein Umstand offenkundig bei. Er hatte literarische Gründe für sein langes Schweigen über die SS-Episode geltend gemacht und von seiner Skepsis gegenüber der Form der Autobiographie gesprochen. Aber darauf ging kaum jemand ein. Er hatte geglaubt, im Zitat des barocken „Simplicius Simplicissimus”, im Märchenton und im Anklingenlassen von „Hänschen klein, ging allein . . . ” einen Weg gefunden zu haben, den eigenen Lebensstoff so zu verwandeln, dass der jugendliche Soldat, von dessen Verirrungen er als Ich-Erzähler kopfschüttelnd berichtete, an die Seite seiner epischen Geschöpfe rückte.
Und nun wurde er behandelt, als hätte er doch dem alten Pakt von Autobiographie und Bekenntnis Tribut gezollt, den „Confessiones” des Augustinus, den „Confessions” von Rousseau. Er scheute vor diesem Modell zurück wie der Teufel vor dem Weihwasser, und was machten die „Zeitungsfritzen”? Sie sprachen von seinem „Geständnis” und setzten ihn auf die Anklagebank. Und weil er eine Figur der Zeitgeschichte ist, saß Grass vor allem als Figur der Zeitgeschichte auf der Bank, dem mit belegbaren Fakten und mit Dokumenten der Prozess gemacht wurde: als Kritiker historischer Schuld, der es versäumt hatte, sich selbst zu kritisieren.
Entschlossener noch als in dem Buch „Beim Häuten der Zwiebel” hüllt Grass nun in „Die Box” den autobiographischen Stoff in eine Form, die ihn der historisch-faktischen Kritik entzieht. Keinen Rivalen gibt es hier für den herbeizitierten Märchenton, keinen Rivalen für die Vaterstimme, in die alle Kinderstimmen münden: „Weil aber unser Väterchen keine Ruhe fand, lief er seiner Neuen davon, worauf er nicht wußte, wohin mit seinem angefangenen Buch . . . ” „Worauf ihm beim Suchen noch eine Frau ein Mädchen schenkte . . . ”.
Pat und Jorsch, Lara und Taddel,, Jasper und Paul, Lena und Nana – sie sind schon nach wenigen Seiten versammelt, und wer will, mag diese Kinderschar und ihre vier Mütter mittels der einschlägigen Grass-Biographien mit der realen „zusammengestückten Familie” des Autors vergleichen und die Klarnamen herausfinden. Oder die Wohnorte herausfinden, an denen sich die Kinder kapitelweise versammeln. Oder er mag sich fragen, was die realen (erwachsenen) Kinder von der Kindersprache halten, die ihnen hier in den Mund gelegt ist. Aber all das wäre ein sehr müßiges Spiel.
Denn es mag hier zwischen Wewelsfleth und der Niedstraße in Berlin-Friedenau noch so sehr von wiedererkennbaren Personen und Realien wimmeln – das literarische Projekt dieser Box wird davon nicht berührt: Es zielt drauf ab, die empirische Familie, der es seinen Stoff verdankt, in eine reine Märchenfamilie zu verwandeln. Was immer aber in Märchenfamilien geschieht, führt am Ende zum Einverständnis mit der erzählten Geschichte.
Dieses Einverständnis mit dem Dargestellten ist das Prinzip, das Günter Grass in seinen beiden letzten Büchern dem Prinzip der Autobiographie entgegenstellt. Weder an die bohrende Unruhe der rousseauistischen Selbstbefragung noch an die wechselseitige Durchdringung von Dichtung und Wahrheit, historischem und poetischem Ich macht er Zugeständnisse. Die Zauberbox ist eine Zustimmungsmaschine. Das fällt auch deshalb auf, weil ihr Stoff, die kleinbürgerliche Familie, in der modernen Literatur nicht minder mit den Katastrophen, dem Unglück und den Verletzungen im Bunde ist als das dunkle Zentrum der Zeitgeschichte, der Krieg. Und es fällt auf, weil der politische Autor Grass als Figur der Kritik, des Nicht-Einverständnisses berühmt geworden ist.
Zu Unrecht wird der Erzähler Grass meist unbesehen dieser Figur der zeithistorischen Opposition und Kritik an die Seite gestellt. Hier jedenfalls, in „Die Box” erreicht der Erzähler den Zenith der Zustimmung zur Welt und sich selbst. Aus der Entwicklerflüssigkeit seiner Agfa-Box ist alles Ätzende getilgt. Dem heimlichen Zentrum der Analogie von Fotografie und Erinnerung in der modernen Literatur, etwa bei Marcel Proust, steht er ganz fern. Dort hatte sich in die Spanne zwischen Belichtung und Entwicklung einer Fotografie etwas Geheimnisvolles, Unverfügbares eingenistet. Und die wichtigsten Erfahrungen waren in der mémoire involontaire, der unverfügbaren Erinnerung aufbewahrt. Bei Grass ist die Agfa-Box das Instrument nicht nur des Patriarchen der Familie, sondern zugleich des Herrschers über das Familienalbum.
In diesem Familienbuch saugt der freundliche Begriff „Kuddelmuddel” alle scheiternden Ehen, alles Ungemach und alles Ungemach zeitweilig verleugneter Kinder an ihrem Verleugnetwerden auf. Der Wahlkämpfer Günter Grass geistert als „Walkämpfer” durch die Phantasien seiner Kinder, deren Stimmen, vom Vater komponiert, unermüdlich am Anekdotenteppich der Familienmythologie weben, ob es um den Hund Joggi geht, der U-Bahn fahren konnte, diesen oder jenen Jugendstreich, diese oder jene unglückliche Jugendliebe – und immer wieder um die Bücher des Vaters, deren Figuren und Schauplätze, von Mariechens Box herbeigezaubert, seinen Frauen und Kindern gleichberechtigt an die Seite treten.
Wie Ostereier sind Anspielungen auf die Bücher des Autors Grass auf und um den Anekdotenteppich verstreut, von den von den „Hundejahren” und „Katz und Maus” über „Örtlich betäubt” und das „Tagebuch einer Schnecke”, bis zum „Butt”, der „Rättin” und „Ein weites Feld”. Das hat seinen guten Sinn. Denn dieses Buch macht dem Grass-Leser ein Angebot zur freundlichen Übernahme. Er kann sich, wenn er will, vom Autor adoptieren lassen und am fortan Familienleben teilnehmen. Wem das gelingt, der wird an diesem Buch seine große Freude haben. Wer aber zum Adoptionsangebot sagt „Ich möchte lieber nicht”, dem wird dieses Märchen, je länger er darin voranschreitet, um so unheimlicher. Denn in diesem Märchen ist auf ewig Vatertag. LOTHAR MÜLLER
Das ganze Archiv verschmurgelt. Die Lampen nur noch Schrott
Der Leser kann sich, wenn er will, vom Autor adoptieren lassen
Günter Grass neben einem seiner Bilder, fotografiert von „Mariechen” mit der Zauberbox. Foto: Maria Rama
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Roman Bucheli, der schon Günter Grass' erstem Memoirenband, "Beim Häuten der Zwiebel" nichts abgewinnen konnte, empfindet auch die Fortsetzung "Die Box", in denen die Jahre nach Erscheinen der "Blechtrommel" bis Ende der 90er Jahre behandelt werden, als Grass den Literaturnobelpreis bekam, als reines Ärgernis. Der Autor hat als erzählerischen Einfall seinen acht Kindern das Wort erteilt, die in unüberbietbarer Schnoddrigkeit nun allerlei Belangloses über ihren Vater kundtun, mokiert sich der Rezensent. Dazu durchzieht noch die Kamera der langjährigen Grass-Freundin Maria Rama - eine geheimnisvolle "Agfa-Box", die Vergangenes, Zukünftiges, "Verborgenes und Verschwiegenes" ablichtet - die Lebenserzählung und erfüllt hier die Funktion einer Art "Über-Ich", so Bucheli wenig begeistert. Am meisten genervt hat ihn offenbar die "alberne Sprache", die den Kindern in den Mund gelegt wird und die er als bemühte "Anbiederung" an den Alltagsjargon empfindet. Vor allem aber will es ihm scheinen, dass im entschlossenen "Abarbeiten" der Lebensgeschichte die Form bei Grass mächtig gelitten hat.

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