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"Der Idiot" gehört zu den bekanntesten Romanen Fjodor Dostojewskis. Die Geschichte des Fürsten Myschkin, der für ungefähr ein halbes Jahr sein Schweizer Refugium verlässt und in die Petersburger Gesellschaft gerät, zählt zu den ganz großen Werken der Weltliteratur. In seiner naiven, unkonventionellen Art erkennt der Fürst geradezu hellsichtig die Menschen in ihren Boshaftigkeiten, ihren persönlichen und sozialen Spannungen und Widersprüchen und ihrem daraus resultierenden Leid, fällt aber auch immer wieder auf feingesponnene Intrigen herein.

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Produktbeschreibung
"Der Idiot" gehört zu den bekanntesten Romanen Fjodor Dostojewskis. Die Geschichte des Fürsten Myschkin, der für ungefähr ein halbes Jahr sein Schweizer Refugium verlässt und in die Petersburger Gesellschaft gerät, zählt zu den ganz großen Werken der Weltliteratur. In seiner naiven, unkonventionellen Art erkennt der Fürst geradezu hellsichtig die Menschen in ihren Boshaftigkeiten, ihren persönlichen und sozialen Spannungen und Widersprüchen und ihrem daraus resultierenden Leid, fällt aber auch immer wieder auf feingesponnene Intrigen herein.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2020

Affenzirkus menschlicher Abgründe

DARMSTADT Alle auf der Bühne tragen transparente Plastikmasken: Es wird viel geschrien, geweint und gesungen in Andreas Merz-Raykovs Bühnenfassung von Dostojewskijs Roman "Der Idiot" am Hessischen Staatstheater.

Von Matthias Bischoff

Man braucht reichlich Geduld an diesem Theaterabend in Darmstadt. Als wäre es nicht schon zeitraubend genug, einzeln und unter Angabe von Adresse und Telefonnummer das Theater zu betreten, streikt kurz vor der Premiere auch noch der eiserne Vorhang im Kleinen Haus, so dass der Beginn von Andreas Merz-Raykovs Bühnenfassung von Fjodor M. Dostojewskijs 900-Seiten-Roman "Der Idiot" sich um eine halbe Stunde verzögert. Danach sind drei Stunden reine Spieldauer plus Pause zu bewältigen. Das Staatstheater, so scheint es, will beweisen, dass man auch in der gegenwärtigen Situation mit großem Ensemble ein vollwertiges Theatererlebnis bieten kann.

Ganz ignorieren lässt sich das Virus natürlich bei so vielen Personen auf der Bühne nicht. Alle tragen transparente Plastikmasken vor dem Mund, wenn gegessen und getrunken wird, werden sie kurz abgenommen, nach einer Weile fallen die kleinen Gesten, die ja längst auch den Alltag bestimmen, gar nicht mehr auf. Und da in der Welt, die Andreas Merz-Raykov aus dem gigantischen Gesellschaftspanorama Dostojewskijs destilliert hat, viel geschrien, geweint und gesungen wird, ist der Schutz für Darsteller und Publikum mehr als sinnvoll.

Denn es geht mitunter recht wüst zu auf der von einem großen Betonrechteck dominierten Drehbühne (Bühne und Kostüme Jan Hendrik Neidert und Lorena Díaz Stephens), die im zweiten Teil zur Showtreppe mit Neonlichtgeflacker mutiert. Das ist ebenso minimalistisch wie eindrucksvoll, notwendiges Mobiliar wird sichtbar herein- und wieder hinausgetragen, ebenso wie der lebendige, sehr brave Schoßhund der Familie Jepantschin. Die Bühne dreht sich über weite Strecken des Abends, alles bleibt im Fluss, eine Reihe bizarrer und gnadenlos überzeichneter Gestalten zieht vorüber, ein Gruselkabinett menschlicher Schwächen und Abgründe.

Der junge Fürst Myschkin, der aus einem Schweizer Sanatorium kommend in die Sankt Petersburger Gesellschaft gerät, gilt in dieser von Dostojewskij mit größter psychologischer Raffinesse und schonungsloser Klarheit gezeichneten Welt nicht nur wegen seiner Epilepsie als "Idiot", sondern weil er in dem Gewimmel der Zyniker und Hysteriker der Einzige ist, der moralischen Maßstäben genügt.

Andreas Merz-Raykov hat für diese Außenseiterperspektive eine schlagend überzeugende schauspielerische Lösung gefunden: Jessica Higgins spielt Myschkin als zugleich ungläubig staunenden und angesichts des Gefühlschaos um ihn herum am Ende wieder in Isolation versinkenden Menschen. Sie steht nahezu ununterbrochen auf der Bühne, wird in all die Liebeshändel und Intrigen hineingezogen, kann aber angesichts der grenzenlosen Ich-Bezogenheit ringsum mit Güte und Hilfsbereitschaft nichts bewirken.

Andreas Merz-Raykov hat sich klug darauf beschränkt, das üppige Personal des Romans auszudünnen und die Handlung auf wenige Figuren zu beschränken. Natürlich steht die verzweifelte und tragisch endende Hass-Liebes-Verwirrung zwischen Rogoschin (Daniel Scholz), Nastassja Filippowna (Marielle Layher) und Gawrila Iwolgin (Robert Lang-Vogel) im Mittelpunkt, im zweiten Teil dann die Amour fou zwischen Myschkin und Aglaja Jepantschina (Edda Wiersch). Hier schöpft Andreas Merz-Raykov das satirische Potential des Stoffes bis an die Schmerzgrenze aus. Denn in der raschen Abfolge der gegenseitigen Angriffe, Liebesschwüre und Hassattacken kommt beim Zuschauer nur der Eindruck an, einem Haufen von rasend gewordenen Egomanen zuzuschauen. Wer in diesem Affenzirkus wen betrügt, wer sich erschießt oder jemanden ersticht, spielt da kaum noch eine Rolle.

Hier geht Merz-Raykov sogar noch einen Schritt weiter und dekonstruiert Dostojewskij von Grund auf. Auf einmal nämlich fallen die Schauspieler aus ihrer Rolle, Hans-Christian Hegewald, der die Warwara Iwolgina verkörpert, beklagt sich auf einmal darüber, was für ein frauenverachtender Text dies doch sei, kurzerhand verlassen die Schauspielerinnen die Bühne, die für ihre "toxische Männlichkeit" angegriffenen Schauspieler ziehen ihre Kostüme aus und stehen in hautfarbenen Trikots da. Nur das beherzte Eingreifen der Inspizientin sorgt für das Weiterspielen.

Das ist ein wunderbarer Einfall, der zusammen mit einigen weiteren Anspielungen, mit Floskeln wie "boah, ey!" und eingestreuten russischen Schlagereinlagen den Eindruck verstärkt, dass es Merz-Raykov weniger um eine Schneise durch den ohnehin inkommensurablen Romankosmos ging als um eine Meta-Auseinandersetzung mit dem Konzept des psychologischen Realismus Dostojewskijs unter besonderer Berücksichtigung seiner Misogynie, wie auch ein Beitrag im Programmheft dies nahelegt.

Das dekonstruktivistische Konzept steht aber leider in einem unauflöslichen Widerspruch zum Interesse des Zuschauers. Wenn all die widersprüchlichen, brutal ichbezogenen Menschen, die toxischen Männer ebenso wie die hysterischen Frauen, als Auswurf einer problematischen Schriftstellerphantasie gezeigt werden, fällt es mehr als schwer, das Ganze ernst zu nehmen und den sich im Kreis drehenden Handlungspartikeln mitfühlend zu folgen. Das macht aus dieser ambitionierten, bewusst tragikomischen Theaterfassung des "Idioten" auch beim Zuschauer ein Wechselbad der Gefühle.

NÄCHSTE VORSTELLUNG

am 13. September um 18 Uhr.

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