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Vom Grund aus
Perlende Prosa: Adalbert Stifters „Brigitta”
Es empfiehlt sich, Stifters Prosa zumindest bei der ersten Bekanntschaft in einem Buch einmal laut zu lesen, um die sprachlichen Feinheiten klarer wahrzunehmen und daraus folgend den unvergleichlichen Genuss der Stifter-Lektüre auszukosten. Eine schönere deutsche Prosa als Stifter hat niemand geschrieben; flüchtig betrachtet aber, wirkt sie umständlich. Ihr Leser findet Zugang, wenn er das Tempo zügelt und sich auf Sätze einlässt, die über viele Zeilen perlen und ihre ganze Herrlichkeit nur dem preisgeben, der das eigenwillig gesetzte Komma, das Semikolon, den Gedankenstrich mitliest.
Stifter ist manchmal von Regeln der Rechtschreibung seiner Zeit abgewichen, was sich beispielsweise in der gelegentlichen Getrenntschreibung von gewöhnlich zusammenhängenden Wörtern zeigt: „Eben so (!) fühlen wir uns manchmal zu einem hingezogen, den wir eigentlich gar nicht kennen ...” Stifter betont das „so” als auf etwas Hinweisendes und nuanciert derart den gesamten Satzklang. Man kann diesen Formen im Lesen gut folgen. Stifter erzählt musikalisch, rhythmisch wie Lyrik.
Zwei Sprechplatten mit Lesungen der Erzählung „Brigitta” sind nun im Stifter-Jahr erschienen. Karl Menrad liest einen von der Edition GoyaLit verkrüppelten Text: ungefähr halb so lang wie das Original - Stifter war diesem Verlag nur eine Platte wert. Dreist wird die Verstümmelung auf der Verpackung verschwiegen. Das ist nun kein Stifter-Text mehr. Stifter machte keine überflüssigen Worte, die man ohne Verlust herausredigieren könnte. Teilweise wurden um der Kürzung willen Sätze umgestellt. Es findet sich in „Brigitta”, worin es auch um den Acker, den Weinbau, den gepflegten Wald geht, eine Maxime, der Stifter ebenso im Schreiben folgte: Man müsse die Dinge, wenn man wirklich Früchte von ihnen haben wolle, „vom Grund aus betreiben und die andern, die darin arbeiten, bedeutend zu übertreffen suchen”. Stifter schrieb vom Grund aus. Wenn er eine Zimmereinrichtung im einzelnen zeigt, vermittelt er etwas vom Charakter ihres Besitzers sowie von der Sichtweise der Figur, durch die er in ein Haus blickt, und jeder Tupfer bildet schließlich in Farbe und Form das Bild. Diese Genauigkeit kürzen, um Stifters Werk dem Tempo der Gegenwart anzupassen und es für die Flüchtigen und Eiligen konsumierbar zu machen, heißt, sich an diesem Werk zu versündigen. Denn es ist eben das genaue Hinschauen und Nachfühlen, das Stifter lehrt.
Menrad nun, an sich mit schöner Stimme begabt, liest gegen den Text, mit eigener, textferner Interpunktion - und fehlerhaft: aus einem „eigentlichen Glanz der Kuppel des Himmels” macht er einen „einheitlichen”.
Die zweite Lesung ist zwar vollständig, aber bei aller oberflächlichen Korrektheit nicht gut genug, um als befriedigend gelten zu können. Der Sprecher Christian Brückner lässt es am Eifer um Genauigkeit und Sorgfalt fehlen, die Stifters Texte so eindringlich erscheinen lassen. Dies ist gewissermaßen auch ein natürliches Problem, da in den Texten die Mundart mitschwingt. Stifter war Österreicher, und der Ton seiner Texte ist tief, voll, beseelt, während Brückner eher fistelt und Nachsilben verschluckt. Dazu spricht er hochdeutsch, während in Stifters Texten der österreichische Dialekt zumindest anklingt: in „Haide” statt „Heide” beispielsweise. Aus „eilf” Uhr macht Brückner kurzerhand „elf”, und die „Gestütte” werden „Gestüte”. Zu „kömmt” statt „kommt” langt es gerade noch. Brückner fehlt es vielleicht an Verwandlungsfähigkeit, um sich in einen Text hineinzudenken, der schon vor einhundertsechzig Jahren vielen Lesern altmodisch erschien.
Diese beiden Platten verhärten durch ihre unverzeihlichen Mängel das Vorurteil gegen Stifter, er sei „schwierig”. Gerade „Brigitta” ist eine der leidenschaftlichsten Erzählungen, die sich flüssiger liest als etwa der eintausend Seiten umfassende „Witiko”. Sie wäre ein guter Einstieg in das Gesamtwerk. Hier klingt beispielsweise die manchmal geradezu komische Sehnsucht nach der Perfektion an, nach jener herrlichen Welt: voller Aufmerksamkeit gegen den Menschen und sein bildendes Handeln, die Stifter im berühmten „Nachsommer” zu einem großen Werk ausformte. „Brigitta” betet die selbstlose Liebe an und ihre Früchte. Dem gegen Ende der Erzählung fast atemlos mitgerissenen Leser jagen Schauerwellen über den Rücken. Dem Hörer dieser Platten nicht.
MARTIN Z. SCHRÖDER
ADALBERT STIFTER: Brigitta. Erzählung. (Stark gekürzt) gesprochen von Karl Menrad. GoyaLit, Hamburg 2005, 1 CD, 72 min., 12,95 Euro.
ADALBERT STIFTER: Brigitta. (Ungekürzt). Gesprochen von Christian Brückner. Edition Parlando, 2005, 2 CD, 150 min., 23,00 Euro.
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