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Zeit ihres Lebens vermag die Mutter nichts zu erzählen von ihrem Leid in Auschwitz, während sich die Tochter ihre ganz eigene filmische und künstlerische Sprache erarbeitet, ein Leben in Paris und New York sucht und findet. Als die Mutter schließlich gebrechlich ist, protokolliert sie die ihnen gemeinsam verbleibende Zeit. Im wiederkehrenden Lachen der Mutter, dem Rhythmus der Tage und Nächte erinnert sich die Tochter an ihr eigenes Leben, blickt auf entscheidende Freundschaften und Liebschaften zurück.
Meine Mutter lacht changiert zwischen nüchternem Journal und zärtlicher Anrede, fragiler
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Produktbeschreibung
Zeit ihres Lebens vermag die Mutter nichts zu erzählen von ihrem Leid in Auschwitz, während sich die Tochter ihre ganz eigene filmische und künstlerische Sprache erarbeitet, ein Leben in Paris und New York sucht und findet. Als die Mutter schließlich gebrechlich ist, protokolliert sie die ihnen gemeinsam verbleibende Zeit. Im wiederkehrenden Lachen der Mutter, dem Rhythmus der Tage und Nächte erinnert sich die Tochter an ihr eigenes Leben, blickt auf entscheidende Freundschaften und Liebschaften zurück.

Meine Mutter lacht changiert zwischen nüchternem Journal und zärtlicher Anrede, fragiler Auseinandersetzung und intimem Selbstgespräch und ist das schmerzhafte Zeugnis mehrerer Abschiede: ein Schlüssel zum Werk der großen Filmemacherin und ein ergreifendes Stück autobiographischer Literatur.
Autorenporträt
Chantal Akerman (1950-2015) war eine belgische Filmregisseurin, Autorin und Künstlerin. Ihr international breit rezipiertes Werk von mehr als 40 Kurz- und Langfilmen brach durch eine völlig neuen Bildsprache mit dem gewohnten Erzählkino. In ihren häufig Frauen porträtierenden Filmen werden Dokumentarisches und Fiktion, Komisches und Tragisches, Selbsterfahrung und Fremderkundung mit einer sanften Rigorosität behandelt. Ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter und kurz nachdem sie ihren ebenfalls ihrer Mutter gewidmeten Dokumentarfilm No Home Movie (2014) beim Festival von Locarno präsentiert hatte, nahm Chantal Akerman sich das Leben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2022

Der Horror des Holocausts lauert unter der Routine des Alltags

Die belgische Filmemacherin Chantal Akerman hat in ihrem Buch "Meine Mutter lacht" die letzten Monate vor dem Tod ihrer Mutter dokumentiert, die Auschwitz überlebte, aber nie darüber sprach.

Von Maria Wiesner

Lachen ist nicht immer ein Ausdruck von Fröhlichkeit; Lachen kann auch ein Mittel der Verteidigung sein. Dann wehrt es ab, worüber man nicht reden möchte. "Ich höre auf ihr Lachen", schreibt Chantal Akerman zu Beginn ihres Buchs "Meine Mutter lacht". "Sie lacht wegen nichts. Dieses Nichts ist viel. Manchmal lacht sie sogar am Morgen. Sie wacht müde auf, aber sie wacht auf und beginnt den Tag." Ist das Lachen der Mutter ihrer guten Laune geschuldet? Ist sie froh darüber, dass sie mehrmals aus dem Krankenhaus wieder nach Hause durfte? Dass sie trotz einer gebrochenen Schulter, mangelndem Appetit und zahlreichen Gebrechen noch immer von ihren Töchtern und den Pflegerinnen als "stark" beschrieben wird, nachdem sie doch sogar den Holocaust überlebt hatte, aber nie darüber reden will?

Die belgische Regisseurin Chantal Akerman hat sich in ihrem Filmschaffen immer wieder an diesem Thema abgearbeitet. Die enge Beziehung zur eigenen Mutter war schon 1976 Inspiration für ihren Dokumentarfilm "News from Home", in dem sie in langen Einstellungen Szenen aus New York festhielt und dazu Briefe ihrer Mutter vorlas, die sie ihr zu Beginn der Siebzigerjahre geschrieben hatte, als sie für ein paar Jahre in der amerikanischen Stadt lebte. Auch in Akermans Performance "A Family in Brussels" (1998) fand sich die Stimme ihrer Mutter dann wieder.

Und als hätte sie damit ihr Werk auch beschließen wollen, drehte Chantal Akerman 2015 den Dokumentarfilm "No Home Movie", in dem sie Gespräche mit ihrer Mutter kurz vor deren Tod mit Smartphonekameras festhielt. "Ich filme alle, Mama", sagt die Regisseurin dort einmal auf die Frage ihrer Mutter, warum sie sie aufnehme, "aber dich filme ich mehr als andere." Und sie hat nicht nur gefilmt, sie hat gleichzeitig Tagebuch geführt und versucht, am nun endlich auf Deutsch vorliegenden Buch zu schreiben, das als Komplementärstück zu Akermans letztem Film gesehen werden kann.

Erzählerisch bedient die Autorin sich im Schreiben ähnlicher Techniken wie im filmischen Erzählen. Ihre Sprache ist nüchtern, verzichtet auf Metaphern und andere Sprachbilder, bricht die Syntax aufs Einfachste herunter und entwickelt aus dieser Schlichtheit einen poetischen Sog. Wie viel Arbeit in diesem Minimalismus, dieser Reduzierung aufs Wesentliche steckt, lassen die feinen Nuancen erahnen, wenn Formulierungen sich wiederholen, neue Zusammenhänge darstellen und Perspektiven plötzlich wechseln. So springt die Ich-Erzählung manchmal von der Tochter in die Rolle der Mutter, die nun ihrerseits auf die Tochter blickt und über deren Leben nachdenkt, es mit den eigenen Erwartungen an das Kind abgleicht.

An anderer Stelle wechselt die Erinnerung an einen Internetflirt in den Duktus von Social-Media-Nachrichten: Satzzeichen verschwinden, Zitate stehen nackt ohne Anführungszeichen, die sonst so strenge Ordnung ist von der Nachlässigkeit der Internetsprache aufgeweicht.

Wie schon in ihren Filmen nimmt Akerman die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem, zwischen Fiktion und Realität fließend wahr. Ihre Ideen speisen sich aus dem eigenen Erleben, den eigenen Erinnerungen, der eigenen Wahrnehmung. Ihre Kunst setzt diese Eindrücke zu neuen, allgemeingültigen Aussagen zusammen. Wenn sie in ihren Spielfilmen immer auch kurz selbst zu sehen ist und in ihren Dokumentarfilmen immer auch poetische Brüche einbaut - die Gespräche mit der Mutter in "No Home Movie" etwa werden von Aufnahmen einer Fahrt durch die Wüste unterbrochen -, so gesellt sie dem Buch nun Bilder ihrer Filme hinzu, die in Wechselwirkung mit dem Geschriebenen treten.

Die Beschwerde der Mutter, ihre Tochter erzähle nie etwas von ihren Reisen und ziehe sich dabei obendrein nur irgendwelche Krankheiten zu ("Sie passt nie auf, deswegen passieren ihr ständig Sachen wie Bandwürmer oder gemeine Viren wie in Kambodscha"), wird beispielsweise unterbrochen durch eine doppelseitige Szene aus Akermans Film "Jeanne Dielman". Die titelgebende Protagonistin, eine verwitwete Hausfrau, sitzt im grünen Schlafzimmer am Schminktisch und richtet sich die Haare. Wie eine ironische Antwort steckt das Bild zwischen dem Beschwerdemonolog der Mutter, als wolle es sagen: Auch so hätte mein Leben aussehen können, hätte ich es nicht der Kunst gewidmet. Zugleich verweist das Foto auf den Erfolg der Regisseurin, brachte ihr "Jeanne Dielman" doch den internationalen Durchbruch, als der Film 1975 in der "Director's Fortnight" des Festivals von Cannes gefeiert wurde. Noch heute benennen Filmemacher wie Sophia Coppola, Gus van Sant oder Kelly Reichardt "Jeanne Dielman" als ein Werk, das ihr eigenes Schaffen maßgeblich geprägt hat.

Gerade weil Akerman die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem, zwischen Fiktion und Realität gern verwischte, sollte die Lektüre von "Meine Mutter lacht" nicht der Versuchung erliegen, nach Spuren für den tragischen Tod der Autorin und Filmemacherin zu suchen. Im Oktober 2015 nahm Akerman sich kurz nach dem Tod ihrer Mutter das Leben. Die Erzählerin im Buch spricht über Depression, über Klinikaufenthalte, über die Wechselwirkungen der Medikamente. Sie spricht aber auch über ihre Beziehungen, erzählt von Gewalt durch die Partnerin, erinnert sich an Freundschaften, die Jahrzehnte überdauerten. Und sie erzählt von Eifersucht, denn auch die kann von einem Lachen ausgelöst werden: "Eigentlich ein Glück, dass sie nicht mitgekommen war, denn beim Abendessen vor der Hochzeit habe ich mit einem jungen Mann gelacht, er hat mich zum Lachen gebracht. Nur das. Es hätte ihr nicht gefallen."

Dieses Lachen der erzählenden Tochter spiegelt das Lachen der Mutter vom Anfang wider. Es ist kein Lachen aus reiner Freude. Es ist ein "Lachen auf dem Vulkan", denn unter der Fröhlichkeit lauert bereits die Katastrophe, das Wissen um den bevorstehenden Tod der Mutter. Aus der bricht dann doch noch eine Bemerkung über die Lager heraus, die sie überlebte, in denen ihre jüdischen Eltern jedoch ermordet wurden. Die Worte schlagen unvermutet in die Routine ein, erschüttern den Alltag, in dessen ruhigem Strom die Erzählung zuvor schwamm. Auch das ist eine Technik, die Akerman über Jahrzehnte verfeinert hat.

So erzählt die Künstlerin vom Trauma Holocaust, das sich auch in der zweiten Generation der Überlebenden noch fortsetzt, auf ihre eigene Art. Sie zeigt, dass es wie eine leise Melodie unter jeder Alltagshandlung liegt und sich selbst in einem Lachen verstecken kann.

Chantal Akerman: "Meine Mutter lacht".

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Diaphanes Verlag, Zürich 2022.

208 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Eine "Liebesspurensuche" nennt Rezensentin Manuela Reichart dieses Buch der Filmemacherin Chantal Akerman über die letzten Jahre mit ihrer Mutter, die den Holocaust überlebt hat. Sie leidet zunehmend unter Alterserscheinungen, braucht immer mehr Hilfe, für die Tochter ist das schwer auszuhalten, schreibt Reichart, auch von Suizidgedanken ist die Rede, die Akerman 2015 letztlich auch in die Tat umgesetzt habe. Die Rezensentin verneigt sich vor der Fähigkeit der Autorin, Gegenwart und Vergangenheit einfühlsam miteinander zu verknüpfen und dabei sowohl über ihre Mutter als auch über sich selbst zu schreiben.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Der Ton ist knapp und von einer Nüchternheit, hinter der sich gewaltige, nicht nur historische, Räume öffnen.« Esther Buss, Jungle World