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Franz Kafka. Bilder aus seinem Leben - Wagenbach, Klaus
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Eine Neuausgabe der Standard-Bildmonographie von Klaus Wagenbach, der sein in über fünf Jahrzehnten entstandenes riesiges Bildarchiv (mit über 1000 Photos) geöffnet hat. So lernen wir durch neu aufgefundene Photos nicht nur die Tänzerin Eduardowa, die Schauspielerin Tschissik oder die Salondame Fanta kennen, sondern auch Kafkas Professoren Anton Marty und Hans Gross, seinen Vorgesetzten Dr. Robert Marschner und seine Großmutter Julie.Und wieder sind Berufsutensilien und Alltagsgegenstände mit dabei: die Ohropaxschachtel gegen den Lärm und die runde Sicherheitshobelwelle gegen Unfälle. Die…mehr

Produktbeschreibung
Eine Neuausgabe der Standard-Bildmonographie von Klaus Wagenbach, der sein in über fünf Jahrzehnten entstandenes riesiges Bildarchiv (mit über 1000 Photos) geöffnet hat. So lernen wir durch neu aufgefundene Photos nicht nur die Tänzerin Eduardowa, die Schauspielerin Tschissik oder die Salondame Fanta kennen, sondern auch Kafkas Professoren Anton Marty und Hans Gross, seinen Vorgesetzten Dr. Robert Marschner und seine Großmutter Julie.Und wieder sind Berufsutensilien und Alltagsgegenstände mit dabei: die Ohropaxschachtel gegen den Lärm und die runde Sicherheitshobelwelle gegen Unfälle. Die Soenecken-Feder und die Schreibmaschine. Und neue Bilder von Fabriken in Kafkas >rayon< Nordböhmen.»Der beste Bildband über Kafka.« [DIE ZEIT]
Autorenporträt
Klaus Wagenbach, 1930 in Berlin geboren, Gründer des gleichnamigen Verlages, ist nach eigenem Bekunden >>Kafkas dienstälteste Witwe>>. Seit den frühen fünfziger Jahren interviewte er Zeitzeugen (von Max Brod über Felix Weltsch bis Hugo Bergmann), förderte neue Zeugnisse, Akten und Photos zutage, promovierte 1957 über Kafka, initiierte auf der Kafka-Konferenz in Berlin 1966 die Kritische Kafka-Ausgabe, lenkte die Aufmerksamkeit auf >Kafkas Fabriken> und verfasste zahlreiche Bücher zur angemessenen Erdung Kafkas. Wagenbach ist Honorarprofessor der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.05.2008

Der Heilige und seine Hobbys
Der Grundriss des Lebens: Die Ausstellung „Kafkas Welt” im Münchner Literaturhaus
Die Ausstellung „Kafkas Welt”, die von heute an im Münchner Literaturhaus zu sehen ist, ist über einem Grundriss aufgebaut, der dem der elterlichen Wohnung in der Prager Niklasstraße entspricht. Darüber hat der Kurator Armin Kratzert ein hölzernes Gerüst errichten lassen, in dessen Fächer 140 schwarz-weiße Fotografien in kleinen Formaten gestellt sind – Dokumente aus Vita und Umgebung des Schriftstellers.
Doch so sehr diese Bilder von der großen Stadt Prag, von Reisen nach München und an den Gardasee, nach Weimar und Travemünde berichten: Der Raum ist vorgegeben, und er ist klein, und immer wieder kehrt der Blick zu den Schriftzügen auf dem Boden zurück, die im Grundriss die einzelnen Räume markieren, zum „Bad”, zu „Kafkas Zimmer”, zum „Mädchenzimmer” – und zu „Gregors Zimmer” und zum „Schlafzimmer Ehepaar Samsa”. Der Kurator hat das Ineinander von Lebenswelt und literarischer Erfindung bei Kafka zum Programm erhoben: Die elterliche Wohnung habe dem räumlichen Arrangement in der „Verwandlung” offenbar als Modell gedient, und auf diese Vermischung von Dichtung und Wahrheit soll es hier ankommen.
Ach, Kafka fuhr Motorrad?
Die 140 Fotografien dieser Ausstellung stammen aus der Sammlung des Ludwigsburger Germanisten Hartmut Binder, die, aus Anlass des 125. Geburtstages von Franz Kafka am 3. Juli, in der vergangenen Woche in Gestalt eines Bildbandes erschienen sind (Hartmut Binder: Kafkas Welt. Eine Lebenschronik in Bildern. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 656 Seiten, 68 Euro). Weit über tausend Dokumente hat der Gelehrte im Verlauf mehrerer Jahrzehnte zusammengetragen, in einer gigantischen Anstrengung, deren rauschhafte Züge in Volumen und Gewicht dieses Buches unverkennbar sind. Hin- und Rückweg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz sind darin verzeichnet, anhand eines historischen Stadtplans und zeitgenössischer Fotografien von Häusern und Marktszenen, Rechnungen und Polizistenporträts.
Wenn Franz Kafka im Januar 1913 an seine Verlobte Felice Bauer schreibt, er habe das Russische Ballett gesehen, so kann Hartmut Binder ein Bildnis der Tänzerin Lydia Kyast und eine Rezension in der Deutschen Zeitung Bohemia vorlegen. Dass Franz Kafka gern beim Fußball zusah, wird hier ebenso verzeichnet wie seine Erfahrungen als Motorradfahrer. Und bis ins Kleinste geht es hinunter, bis zum Groll des Freundes Max Brod darüber, dass sich Franz Kafka bei einer Verabredung zum Tennis verspätete – weil er, wie er behauptete, drei Stunden für seine Toilette gebraucht habe.
Eine solchermaßen rückhaltlose Versenkung in die Lebensumstände eines Schriftstellers hat etwas tief Zwiespältiges. Es steckt viel philologische Entdeckerfreude darin, die Lust, nicht nur einem Künstler, sondern auch einem Werk auf die Spur zu kommen. Und zugleich ist da etwas Unangenehmes, Indiskretes, Ameisenhaftes, das sich in Privates und Privatestes bohrt und die Dichtung verdunkelt, um den Körper des Dichters in allen Facetten auszuleuchten. Gewiss, diese Neugier war auch Franz Kafka nicht fremd, überhaupt nicht, und mit großer Begeisterung nahm er am Leben anderer Schriftsteller teil, urteilte misstrauisch über Johann Wolfgang Goethes Bett in Weimar, beschäftigte sich mit August Strindbergs diabolischem Mantelkragen. Mit Leib und Seele war auch er, buchstäblich, der Literatur verbunden. Aber das Noble und das allzu Gewöhnliche liegen hier eng beieinander, und es ist schwierig, die Balance zu halten. Wenn es Hartmut Binder gelingt, dann durch seinen völligen Verzicht auf die Interpretation, durch die ausnahmslose Beschränkung auf Fundstücke und Belegstellen – und durch die Fülle des Materials, die das alte, schwarze Prag auferstehen lässt. Und doch denkt sich der Leser zuweilen, der frühere Franz Kafka, das zur Maske gewordene Gesicht mit den großen Augen und den abstehenden Ohren, der Dichter ohne Welt sei ihm vielleicht lieber gewesen als der lebensfrohe junge Mann mit seinen Bordellbesuchen.
Lange hatte es ja so ausgesehen, als gäbe es über den Autor dieses relativ schmalen, scheinbar in hohem Maße autonomen Werks nur schmerzlich wenig zu sagen, als wären die Zeugnisse aus diesem Leben, wenn es denn je viele gegeben haben sollte, fortgewischt worden mit dem alten Europa – ein Umstand, der dieses Werk noch bedeutender, noch hermetischer wirken ließ. Das Wenige, das es dennoch gab, und nicht zuletzt die zwei, drei Porträts, mit denen Franz Kafka ikonisch wurde für die Schrecken des zwanzigsten Jahrhunderts, verwandelte sich in seltenes Strandgut. Ein jedes Stück wurde viel wertvoller, als es, unter anderen Umständen, lebenspraktisch wie kulturgeschichtlich je hätte werden können.
Zwei Motive waren es, die das Symbolische an diesem Leben mit immer neuer Energie versorgten: Zum einen das schon religiöse Verhältnis zu diesem Schriftsteller, einem „Heiligen”, wie Max Brod früh erklärte – und damit recht hatte, denn keinen anderen Schriftsteller gibt es, bei dem das Manifeste und das Geheimnisvolle so ineinander liegen wie bei Franz Kafka. Der Magie ist mit den Mitteln der Wissenschaft schlecht beizukommen, so dass die Philologie in der Reliquie immer auch einen Ausweg sucht.
Das andere Motiv ist die Psychoanalyse, im engeren und weiteren Sinne, die immer neuen Stoff in diesem Werk fand. Wie oft hat sie sich an diesen Erzählungen und Fragmenten abgearbeitet, wie viele Briefe des Vaters an den Sohn, wie viele Ratschläge an Franz Kafka, eine Verbesserung seiner Einstellung zum Leben betreffend, wurden verfasst? Auch die Psychoanalyse begünstigt den Reliquienkult. Und es kam noch etwas hinzu: das Jüdische an Franz Kafka, der Holocaust, der, in einem ebenso großartigen wie hilflosen Versuch der ideellen Wiedergutmachung, eine philologische Geschichtswissenschaft, einen Museumsbetrieb und eine Kulturgeographie ins Leben rief, die ihre Aufgabe darin erkannten, die Spuren der Verschwundenen nachzuzeichnen. Franz Kafka ist der Dichter des großen Bruches, der sich in Europa durch das zwanzigste Jahrhundert zieht, und er ist es in einem Maße, dass alles, was von ihm und über ihn bewahrt werden konnte, den Glanz des Geretteten annahm.
Als Klaus Wagenbach in den fünfziger Jahren begann, den Wegen Franz Kafkas nachzugehen und die Zeugnisse dieses Lebens zusammenzusuchen, die wenigen überlebenden Verwandten zu befragen und alte Alben nach Fotografien zu durchforschen, stieß er als erster in den Bereich des Profanen vor, das sich hier wie bei jedem Heiligen mit dem Wunderbaren mischt – nicht weil es ihm widerspräche, sondern weil das Heilige das Profane durchdringt wie die Radioaktivität jeden beliebigen Stoff.
Der muntere Kinogänger
Der im Umgang mit Franz Kafka längst zur Konvention gewordene Hinweis auf seine Tüchtigkeit und Munterkeit vor allem in jungen Jahren, auf seine Leidenschaft für das Kino und das Radfahren, ist weniger eine Befreiung von einer möglicherweise als Pflicht empfundenen Bewunderung für etwas Erhabenes als vielmehr dessen Verschmelzung mit der Lebenspraxis. Klaus Wagenbachs Buch „Franz Kafka. Bilder aus seinem Leben”, das bei seinem ersten Erscheinen im Jahr 1983 ein völlig neues, weil lebensnahes Bild des Schriftstellers darbot, ist in diesen Tagen in einer überarbeiteten und erweiterten Ausgabe erschienen (Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2008. 256 Seiten, 39 Euro). Von seinem ursprünglichen Reiz hat es nichts verloren.
Gar nicht überraschend ist es, dass Hartmut Binder und Klaus Wagenbach, die Baumeister von Franz Kafkas Lebenswelten, im Lauf der Jahrzehnte zu Konkurrenten, ja zu Gegnern wurden. Wer unter welchen Umständen welche Fotografie erhielt, wer sich von wem inspirieren ließ – solche Fragen werden zu sehr grundsätzlichen Angelegenheiten. Ein jeder hält das von ihm Gerettete in die Höhe und verlangt nicht nur, dass man sein Finden als Urheberrecht respektiert, sondern auch, dass seine Reliquien bewundernswerter seien als die des anderen.
Gewiss, dieser Streit ähnelt nicht nur von ferne den Auseinandersetzungen um die Gebeine des heiligen Nikolaus. Ein Schaden aber kann durch diesen Konflikt kaum entstehen. Denn wenn ein jeder dieser beiden meint, etwas ganz Besonderes in Händen zu haben, so hat ein jeder dieser beiden damit auch besonders recht.THOMAS STEINFELD
Literaturhaus München: „Kafkas Welt. Sein Leben in Bildern”. Bis 3. August. Kontakt: 089 - 29 19 34 27.
Im September 1907 wurde in Prag das Café Arco eröffnet. Es entwickelte sich schnell zum Treffpunkt der Künstler, zuerst der Maler, dann auch der Literaten. Franz Kafka wurde hier durch Max Brod eingeführt. Foto: Hartmut Binder
Blauäugig: Kafka als Gymnasiast. Foto: H. Binder
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2008

Kafkas Welt in einem Kästchen
Er besitzt die größte Sammlung von Porträts und Reliquien des Schriftstellers: Ein Besuch bei Klaus Wagenbach

Im Sommer 1950 hat sich Klaus Wagenbach verliebt. Er war damals Lehrling in der Herstellungsabteilung des S.-Fischer-Verlags, und sein Lehrer Fritz Hirschmann gab ihm ein braunes, schäbig gedrucktes Buch in die Hand. Er sollte den Umfang schätzen, man wollte es neu herausbringen. "Bub, schätz das mal!", hat Hirschmann zu Wagenbach gesagt. Und der junge Klaus Wagenbach begann, zunächst die Buchstaben und dann die Zeilen zu zählen, und las mechanisch die erste: "Jemand musste Josef K. verleumdet haben", und es dauerte nicht lange, da war es um Klaus Wagenbach geschehen. Eine Liebe begann, die wie jede große Liebe wuchs und wuchs und weiterwächst, bis heute.

Da sitzt Klaus Wagenbach, 78 Jahre alt, legendärer Verleger, der 1965 mit dem Geld, das er aus dem Verkauf einer Wiese seines Vaters erlöste, seinen eigenen Verlag gründete und diesen vor einigen Jahren an seine wesentlich jüngere Frau übergab. Er geht immer noch jeden Tag in den Verlag. Aber nur noch als Lektor und Berater. Tief versunken sitzt er jetzt auf dem Sofa in seiner Charlottenburger Wohnung, mit einem Kästchen auf dem Schoß. Es sind jede Menge Pergamenttütchen in dem Kästchen. Und in jedem Tütchen steckt ein Foto. Er hat die umfangreichste Sammlung von Kafka-Porträts auf der ganzen Welt und nicht nur das, auch Familienbilder, zeitgenössische Aufnahmen von Kafkas Wohn- und Aufenthaltsorten, den Kliniken und Erholungsheimen, Fotos der von Kafka inspizierten Fabriken, der Urlaubsorte. Ein Heft seiner Berichte aus der Zeit bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt. Den Wetzstein seines Großvaters, der Metzger war. Alles, alles hat Klaus Wagenbach zeit seines Lebens gesammelt. Kafkas Welt, in einem Kästchen. Und regelmäßig präsentiert er seinen Stolz in einem Buch. 1983 ist die längst legendäre Bildmonographie von Klaus Wagenbach zum ersten Mal erschienen. In diesen Tagen veröffentlicht der Verlag eine erneut um 103 Bilder erweiterte Neuausgabe. 696 Abbildungen sind jetzt darin. Ein Lebens-Foto-Album, wie es das für kaum einen zweiten Schriftsteller gibt.

"Mich aber interessierten gerade die Lebensumstände (wie immer, wenn man sich in jemanden verliebt) dieses seltsamen Heiligen", hat Klaus Wagenbach einmal geschrieben. Etwas verschämt, in die Klammer hinein, hat er den Kern seiner Wahrheit geschrieben. Und es kam damals noch etwas hinzu, als seine Liebe begann und sein Sammeln. Bei den deutschen Germanisten herrschte, mehr noch als heute, das Dogma der "Werkimmanenz". Nur das Werk zählte, und sonst nichts. Die Germanisten, die 1933 in Scharen in die NSDAP eingetreten waren und bereitwillig die Bücher "undeutscher" Autoren verbrannt und aus ihren Bibliotheken verbannt hatten, pflegten mit gutem Grund die Lehre vom reinen Text ohne störende biographische und politische Zusatzinformationen. "Je brauner, desto werkimmanenter", sagt Klaus Wagenbach auf seinem Sofa.

Grund genug für Wagenbach, das Gegenteil zu wollen. Als ihm sein Lehrer kurz darauf ein Kafka-Porträt schenkte, das Foto, das bald schon das berühmteste Abbild des Prager Schriftstellers werden sollte, da war der Grundstock der Sammlung gelegt, der Urgrund der Sammelleidenschaft von Klaus Wagenbach geweckt. Der S.-Fischer-Verlag hatte das Porträt damals mächtig bearbeitet, eine Art Heiligenschein drum herum gespritzt. Das Geheimnis Kafka ließ sich so gut als Legendenfigur mit leuchtendem Seherblick vermarkten.

Das Originalporträt, das Wagenbach jetzt kurz aus einem Pergamenttütchen zieht, ist ganz klein und zeigt das Gegenteil eines strahlenden Sehers. Es wurde im Oktober 1923 im Kaufhaus Wertheim in Berlin aufgenommen und ist das Bild, das wir alle kennen, das wahnsinnig traurige Porträt eines schwerkranken Mannes mit eingefallenen Wangen, acht Monate vor seinem Tod. In dem Band ist es seitengroß aufgezogen, die Knicke des Originals treten stark hervor. Authentizität, Wahrheit, das Leben, das Leiden, wie es war. Darum geht es hier, darum geht es dem Sammler.

Immer wieder ist er schon früh nach Prag gereist, um Lebensspuren Kafkas zu finden. Wie schwer war das Forschen damals, als Kafka eine Unperson in der sozialistischen Tschechoslowakei gewesen ist. "Ich habe gesagt, dass ich über Kisch forsche", sagt Wagenbach jetzt, "das war ideal, denn Kisch war Kommunist, und da sein Name auch mit ,K' beginnt, konnte ich in den Archiven in aller Ruhe recherchieren." Und er erzählt die Geschichte, wie er, nachdem er das sogenannte Familiantenbuch der Kafkas gefunden hatte, in das Dorf Wossek, in dem Kafkas Großvater als Fleischhauer gearbeitet hatte, gefahren ist. Die Dorfbevölkerung versammelte sich um den jungen Forscher aus dem Westen, und erst nach einiger Zeit des Unverständnisses meldete sich schließlich ein kleiner Herr, der zu jenem Zeitpunkt das Haus von Kafkas Großvater bewohnte. "Und im Triumphzug begleitete mich das ganze Dorf bis zum Kafka-Haus." Später hat er noch das Grab des Großvaters auf dem jüdischen Friedhof entdeckt, der als letzter Jude dort begraben wurde. Und er fand auch: das Schloss. Lange waren die Forscher sich uneinig gewesen, welches Schloss das Vorbild zum Roman gewesen sein könnte. Doch als Wagenbach nun das Schloss dort oben über dem Dorf Wossek sah, war klar: das ist das Schloss, das ist der ewig unerreichte, unerreichbare Ort. Die Beschreibung aus dem Roman stimmte fast bis ins letzte Detail hinein. Eine alte Frau sagte zu ihm: "Wissen Sie, das Schloss, es hatte eine übermäßige Administration." Das erzählt Klaus Wagenbach noch heute lachend, als hätte er es eben zum ersten Mal gehört.

Bei seinem zweiten Besuch in Wossek hat er auch eine seiner erstaunlichsten Reliquien bekommen. Wagenbach war damals mit Kafkas Nichte Vera Saudková ins Dorf gereist, um die ältesten Dorfbewohner zu befragen. Einer der Interviewten brachte zum Gespräch zwei Geschenke mit: einen Wetzstein und ein Messer. Beide aus dem Besitz von Kafkas Großvater, der Fleischhauer war. Das Messer bekam die Nichte, Wagenbach den Wetzstein, den er jetzt bedächtig hin und her wiegt in seiner Hand. Er sieht ein bisschen aus wie ein urzeitliches Handy. Auf der Stirnseite ist in hebräischen Schriftzeichen das Wort "koscher" eingraviert. Der Stein fungierte auch als Stempel, mit dem der örtliche Rabbiner das geschlachtete Fleisch kennzeichnen konnte.

Wenn man nun aber als Nichtsammler wohl etwas ungläubig auf das wunderliche Utensil blickt, beeilt sich Wagenbach gleich, alle Zweifel zu zerstreuen. Erstens sei das tatsächlich ein Wetzstein, der ausschließlich von Fleischhauern benutzt wurde. "Zweitens war Jakob Kafka damals der einzige Fleischhauer weit und breit." Das muss als Beweis genügen.

Und er zeigt das Foto einer Sicherheitshobelwelle, verstaut in einem schmucken Schutzbehälter, mit dem der Unfallverhütungsagent Kafka damals durchs Land gereist sei. Und Ohropax "gegen den Lärm der Welt" und Fotos, Fotos, Fotos. Die wunderschönen Knabenbilder mit dem Bürstenschnitt und das eine mit einer Niete, mit der es am Schülerausweis befestigt war. Alle werden kurz hervorgeholt; Sekunden später schon verschwinden sie wieder in den transparenten Tütchen.

Einen Schockmoment gab es auch im Leben des Kafka-Sammlers Wagenbach. Einen ganzen Schuhkarton mit wohl achtzig Kafka-Bildern hatte er vor vielen Jahren gefunden. Der Besitzer des Kartons erlaubte ihm, so viele er wollte mitzunehmen. Wagenbach nahm acht. Von den anderen Bildern wurde nie mehr etwas gesehen, gehört oder gefunden. Auf irgendeinem Prager Dachboden müssen sie eigentlich noch sein. Was für ein Traum, diesen Karton eines Tages noch zu finden. Und einen neuen, einen endgültigen, einen letzten Bildband zu machen.

VOLKER WEIDERMANN

Klaus Wagenbach: "Franz Kafka - Bilder aus seinem Leben". Wagenbach-Verlag, 253 Seiten, 39 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zwei Bände, die miteinander nicht minder konkurrieren als es die einander nicht in Liebe zugeneigten Verfasser tun, stellt Hubert Spiegel in Parallelrezension vor. Beider Ehrgeiz, die Welt, in der Kafka lebte, als Kafka-Welt vorzustellen, ist, so Spiegel, nicht zu übersehen. Obwohl es vieles in beiden Büchern und also zweimal gibt, sind die Unterschiede doch sehr prägnant. Während Hartmut Binder in "Kafkas Welt. Eine Lebenschronik in Bildern" zur totalen Erfassung des Lebens neigt und kein noch so abgelegenes Faktum abgelegen lassen sein mag, präferiert Wagenbach - wie ganz offenkundig der Rezensent auch - die Prägnanz. Wesentliches fehlt in Wagenbachs Kafka-Band ganz sicherlich nicht und im Verzicht aufs Unwesentliche sei der Verfasser schön souverän. (Was man mit Mangel an Ernsthaftigkeit aber auf gar keinen Fall verwechseln dürfe.) Es kommt dazu, dass von den beiden Bänden, die hier besprochen sind, dieser hier derjenige ist, der dem Auge und auch den Händen mehr schmeichelt. Offiziell zieht der Rezensent keinen vor, dass seine heimliche Vorliebe aber diesem gilt, ist schwer zu überlesen.

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