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6 Kundenbewertungen

Verfolgter, Schmuggler, Häftling, Dieb, Matrose, Kämpfer, Retter. Die Geschichte eines Helden.
Noah Klieger war 13, als er sich während der deutschen Besatzung Belgiens einer jüdischen Untergrundorganisation anschloss und half, jüdische Kinder in die Schweiz zu schmuggeln. Noah Klieger war 16, als er im Morgengrauen als Häftling in Auschwitz ankam, bei Minusgraden. Noah Klieger hatte noch nie geboxt, als am Tag seiner Ankunft im Konzentrationslager gefragt wurde, ob sich Boxer unter den Häftlingen befänden und seine Hand nach oben ging. Die tägliche Sonderration Suppe für die Mitglieder der…mehr

Produktbeschreibung
Verfolgter, Schmuggler, Häftling, Dieb, Matrose, Kämpfer, Retter. Die Geschichte eines Helden.

Noah Klieger war 13, als er sich während der deutschen Besatzung Belgiens einer jüdischen Untergrundorganisation anschloss und half, jüdische Kinder in die Schweiz zu schmuggeln. Noah Klieger war 16, als er im Morgengrauen als Häftling in Auschwitz ankam, bei Minusgraden. Noah Klieger hatte noch nie geboxt, als am Tag seiner Ankunft im Konzentrationslager gefragt wurde, ob sich Boxer unter den Häftlingen befänden und seine Hand nach oben ging. Die tägliche Sonderration Suppe für die Mitglieder der Boxstaffel von Auschwitz ließ ihn lange genug überleben. Noah Klieger war 20, als die Konzentrationslager befreit wurden. Er hat drei Todesmärsche und vier Konzentrationslager überlebt in einer Zeit, in der ein Wort, eine gehobene Hand oder ein Schritt den Tod bedeuten konnten oder das Leben. Auch in den dunklen, eiskalten Stunden fand er Hoffnung, fand er Kämpfer für den Widerstand gegen die Deutschen, fand er Verbündete, die mit ihm Kartoffeln stahlen, fand er einen Arzt, der ihm das Leben rettete, fand er List und Glück und einen letzten Laib Brot.

Takis Würger erzählt die Lebensgeschichte des Noah Klieger - von seiner Kindheit im Frankreich der 1920er Jahre, seinem Überleben in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten bis zu seinem Engagement für die Staatsgründung Israels. Der Bericht eines großen Lebens - atemberaubend gut erzählt. Eine Geschichte, die nicht vergessen werden darf.
Autorenporträt
Sharon Kangisser Cohen ist Herausgeberin der Zeitschrift Yad Vashem Studies und Leiterin des Eli and Diana Zborowski Centre for the Study of the Aftermath of the Holocaust am Internationalen Institut für Holocauststudien in Yad Vashem. Sie ist ehemalige wissenschaftliche Leiterin der Abteilung für Oral History des Avraham Institute of Contemporary Jewry an der Hebräischen Universität Jerusalem, wo sie auch Vorlesungen über Holocaust-Studien hält. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den Nachkriegserfahrungen von Holocaust-Überlebenden, insbesondere mit Zeugnissen und Berichten von Überlebenden. In »Finding Their Voices« (2005) untersuchte sie, was Überlebende motivierte oder daran hinderte, von ihren Erfahrungen während der Kriegsjahre zu erzählen. Ihre jüngste Veröffentlichung »Testimony and Time: Holocaust Survivors Remember« (2014) vergleicht sie frühere und jüngere Berichte von Holocaust-Überlebenden. Sharon Kangisser Cohen publiziert auch in wissenschaftlichen Zeitschriften und ist Mitherausgebern von »Europe in the Eyes of Survivors of the Holocaust«. Der Essay von Sharon Kangisser Cohen in ¿Noah¿ wurde von Stephanie Singh ins Deutsche übersetzt. Alice Klieger, 1967 geboren, ist die Nichte Noah Kliegers und hat ihn auf vielen seiner Reisen begleitet, auf denen er als Zeitzeuge von Auschwitz berichtete. Sie ist Noah Kliegers letzte Blutsverwandte.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension

Rezensentin Anna Prizkau hält Takis Würgers Bericht über das Leben und Überleben des Juden Noah Klieger für groß. Einfach, weil Würgers Wiedergabe der Erlebnisse Kliegers in Auschwitz und auf der Exodus 47 literarisch wirken, echt, kraftvoll, nicht kitschig, wie Prizkau findet. Die Absicherungsgesten in den Nachworten findet die Rezensentin überflüssig. Wer den allgegenwärtigen Tod auf den Todesmärschen so beschreiben kann, lakonisch, als etwas Beiläufiges, das den Leser gerade deshalb direkt berührt, braucht dergleichen nicht, meint sie.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.02.2021

An die Nachgeborenen
Nach dem Skandal: Takis Würger erzählt das
Leben des Shoah-Überlebenden Noah Klieger
Takis Würger hat eine Laufbahn hingelegt, die einem Journalisten viel Glaubwürdigkeit einbringt. Er volontierte bei der Abendzeitung in München, ist also die Ochsentour durchs Lokale und den Boulevard gegangen. Danach war er auf der Henri-Nannen-Journalistenschule und wurde Redakteur im Gesellschaftsressort des Spiegel, einem in der Branche viel beachteten Ort für Reportagejournalismus. Seinen Texten merkt man inzwischen zwei häufige déformations professionelles an: ein arg nervöses Verhältnis zur Bedeutung des eigenen Tuns und eine Leidenschaft für die starke Vereinfachung von Gedanken und Sätzen. Ein halbes Jahr bevor die gefälschten Reportagen von Claas Relotius Ende 2018 auch die Arbeitsweise seines Hamburger Ressorts in Misskredit brachten, wechselte Würger innerhalb des Spiegel zum Kulturteil.
Da beschrieb er dann etwa, wie die Schriftstellerin Inger Maria Mahlke an ihrem Roman „Archipel“ arbeitete, für den sie später den Deutschen Buchpreis bekam. Andere Preise hatte sie schon, aber Würger merkte an: „Trotz dieser Preise ist Mahlke dem breiteren Publikum nicht sonderlich bekannt.“ Würgers eigener Debütroman „Der Club“ war 2017 bei Kein & Aber erschienen und ein Überraschungserfolg. In seiner Reportage zeigte er sich fassungslos, dass eine Frau wie Mahlke ganze Romane für so wenige Leser schreibt, der letzte Satz war: „Sie ist Schriftstellerin, sie hat kaum Geld, niemand rastet aus, wenn ihr neues Buch im Laden steht, aber sie ist eine, und vielleicht ist das genug.“ So in sich kreisende Sätze sind Würgers Stil.
Sein zweiter Roman „Stella“ erschien 2019 bei Hanser und war spürbar dazu gedacht, viele Leute ausrasten zu lassen. Eine schwüle Liebesgeschichte zwischen einem fiktiven Schweizer, der aus unklaren Gründen 1942 nach Berlin geht, und sich dort in die titelgebende Frau verliebt, die auf einer historischen Figur beruht: Die Jüdin Stella Goldschlag versuchte in der Nazizeit, sich und ihre Eltern vor der Deportation zu retten, indem sie versteckte Juden bei der Gestapo denunzierte.
Die Geschichten Verfolgter zu erzählen, die aus Angst vor der Vernichtung durch die Deutschen selbst zu Mittätern wurden, ist die schwierigste Aufgabe der Erinnerungsliteratur. In „Stella“ fungierte die Fragwürdigkeit der weiblichen Hauptperson vor allem als Extrakick eines erotischen Plots, und Würgers kurze Sätze scheiterten an der Verantwortung, die er sich mit dem Stoff aufgeladen hatte: „Es gibt Schuld“, lautete platterdings die Erkenntnis des Buches. Der Roman instrumentalisiere leichtfertig die Schicksale Stella Goldschlags und ihrer Opfer, befanden die Kritiker mehrerer Zeitungen. Seine Fans verteidigten Würger leidenschaftlich, es kam zum Literaturskandal. Goldschlags Nachlassverwalter prangerten die Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte an.
Würgers drittes Buch „Noah“ erscheint jetzt im zu Random House gehörenden Penguin-Verlag. Er erzählt darin von dem Shoah-Überlebenden Noah Klieger, und es ist kein Skandal. Eher ein langes Protokoll monatelanger Gespräche: „Noah hat mir seine Geschichte erzählt. Er hat sie, wie sie hier steht, gelesen und redigiert“, schreibt Würger im Nachwort, einem von dreien, mit denen er sich gegen Vorwürfe wie beim letzten Mal absichert. Ein anderes ist von Alice Klieger, der letzten lebenden Verwandten Noah Kliegers, ein drittes trägt die Holocaust-Forscherin Sharon Kangisser Cohen über die Bedeutung der Oral History und der Zeugenliteratur bei.
Noah Klieger schloss sich in den Dreißigerjahren in Belgien dem jüdischen Widerstand an und half Kindern bei der Flucht. 1942 wurde er verhaftet und über das Lager Mechelen nach Auschwitz gebracht. Er überlebte die Vernichtung nur um ein Haar. Nach der Befreiung half er, die Auswanderung jüdischer Überlebender nach Palästina zu organisieren, und stieg 1947 selbst auf die Exodus, das schrottreife, überfüllte Flüchtlingsschiff, das durch eine harte Schlacht mit britischen Zerstörern berühmt wurde, die die Immigranten vom damaligen Mandatsgebiet Palästina fernhalten sollten. Kaum in Haifa angekommen, wurden sie nach Europa zurückverfrachtet, auf der Fahrt entging Klieger noch einmal knapp dem Tod. Schließlich kam er doch an und wurde nach der Gründung Israels ein bedeutender Journalist der Zeitung Yedioth Acharonoth.
2018 ist er mit 93 Jahren gestorben, und es ist ja unabweisbar dringend, dass wenn die Zeitzeugen der Naziverbrechen nicht mehr leben, nachfolgende Generationen die Erinnerung wach halten müssen. Noah Klieger hätte der Hilfe Würgers indes nicht unbedingt bedurft. Er war ein engagierter Zeitzeuge, es gibt viele Interviews mit ihm und seinen autobiografischen Band „Zwölf Brötchen zum Frühstück: Reportagen aus Auschwitz“, der 2010 im mittlerweile nicht mehr existierenden Verlag Wolf Jobst Siedler erschien. „Das Buch hatte damals kaum jemand interessiert“, schrieb Würger in einem Text im Spiegel, mit dem er jetzt sein eigenes Buch bewarb: „Es ist schon seit Jahren nicht mehr lieferbar.“ Es wäre womöglich ein sinnvollerer Dienst an Kliegers Lebenserinnerungen gewesen, daran etwas zu ändern.
Zumal Würgers Stil literarisch weiter ein Problem ist. Sein Buch „Noah“ besteht aus Sätzen wie: „Der Marsch dauerte zehn Tage. Nachts schlief Noah auf der Erde. Ab und zu schoss ein SS-Mann einem Menschen neben ihm in den Kopf.“ Die Verkürzung dient dem Schock, und um der Unmittelbarkeit willen geizt Würger viel stärker als Klieger in seinem eigenen Buch mit Kontextwissen, sodass man über die Vernichtungslager und im zweiten Teil über die Alija Bet entweder schon alles wissen muss, um die Geschichte zu begreifen, oder viel googeln. Ob diese Form wie intendiert die Erinnerung an ein atemberaubendes Schicksal in die Zukunft rettet, oder die Verbrechen des 20. Jahrhundert doch eher abstrakt werden lässt in den Augen der Nachgeborenen, bleibt eine beunruhigende Frage.
MARIE SCHMIDT
Diesmal sichert sich
Würger mit drei Nachworten
gegen Kritiker ab
Takis Würger: Noah.
Von einem, der überlebte. Penguin, München 2021. 188 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2021

Schon wieder Schoa? Ja, jetzt aber anders
Takis Würger erzählt vom Überleben

Man hört auf einmal Hemingway. Und das ist ein Skandal, denkt man, während man sich an den Amerikaner, an seine melancholisch-männliche Erzählerstimme einfach erinnern muss, obwohl man einen Deutschen liest und nicht mal einen Roman, auch keine Reportage. "Noah. Von einem, der überlebte" ist ein Bericht. Trotzdem wird "Noah" spätestens nach neunzig Seiten zur Literatur und nicht nur zur Imitation, zu keiner Ich-schreibe-jetzt-wie-Ernest-Pose. Denn dieses Buch hat seine eigene Kraft, Stärke, Reduktion, die einen plötzlich zwingen, an Hemingway zu denken. Das liegt auch an den rauhen Männern, von denen der Amerikaner oft erzählte. Im Buch des Deutschen sind es Bill Bernstein mit den roten Locken, Jossi "der Bomber" Harel und John Stanley Grauel, der Priester ist und immer Brandy trinkt. Sie lebten wirklich. Wie alle Helden und Verbrecher, die in "Noah" auftauchen, sterben, kämpfen, morden.

Der Deutsche, der von ihnen erzählt, ist Takis Würger, der Journalist und Schriftsteller, der vor zwei Jahren einen Roman über eine ganz andere Art des Überlebens im Holocaust geschrieben hatte. Es ging damals - based on a true story - um eine jüdische Nazi-Kollaborateurin, die primitiv und schön war, und um einen jungen Schweizer, der sie liebte. "Stella", so hieß das Buch, war ein Bestseller, obwohl es schwach und schwierig war; moralisch und vor allem literarisch. Denn es poetisierte die Schoa; naiv und kitschig. Jetzt und in "Noah" aber ist alles anders. Es ist nicht einmal ein Roman, es sind die aufgezeichneten Erinnerungen eines Überlebenden. Das steht schon auf der ersten Seite: "Im Frühjahr des Jahres 2018 in Tel Aviv sitzt ein alter Mann unter einem Kumquatbaum im Garten eines Hochhauses und erzählt seine Geschichte. Sie geht so:" Der alte Mann heißt Noah Klieger, der sich in Auschwitz für einen Boxer ausgab, um zu leben.

Takis Würger traf Noah Klieger jeden Tag, sprach mehrere Monate mit ihm. Klieger hatte vor seinem Tod das Buch gelesen, korrigiert, und genauso ist es jetzt auch erschienen. Das steht in einem der gleich drei Nachworte. Sie aber sind unwichtig und klingen wie leere Alles-ist-richtig-recherchiert-Erklärungen, anscheinend sollen sie das Buch absichern. Doch die Angstgesten sind überflüssig. Schließlich geht es um Noah, geboren 1925 in Straßburg, Noah, der keine Angst kennt, keine Angst hat. Nicht mal in dieser Bar in Belgien - dort beginnt seine Story. Noah ist noch ein Teenager, doch schon ein Menschenschmuggler. Er hilft Juden über die Grenze in die Schweiz. Am Tag, an dem er sich selbst rausschmuggeln will, erwischen ihn die Deutschen. "Als Noah in das Lager gefahren wurde, wurde ihm zum ersten Mal bei einer Zugfahrt nicht übel durch das Ruckeln", berichtet Takis Würger ohne ein Wort zu viel, ein Wort zu wenig. Das Lager heißt Auschwitz III.

In kurzen, schnellen Sätzen, die schildern, nicht erzählen, erfährt man, wie Noah im Lager lebt und überlebt, wie dort und auf den Todesmärschen Menschen sterben. Das ist die Stärke dieses Buches; den Tod zu zeigen, wie ihn Noah sieht - als etwas Beiläufiges, Gewöhnliches, Normales. Zum Beispiel so: "Die Projektile trafen Perez in den Rücken. Er fiel auf den Sack mit dem Brot und war tot. Noah ging weiter zum Bahnhof." Oder so: "Neben Noah erfror ein Mensch und fiel um. Dadurch war etwas mehr Platz." Ständig stirbt jemand, wird ermordet. Und es ist gut, wie Takis Würger darüber in schneller, starker Lakonie erzählt und dass er von so vielen Toten schreibt. Denn wenn man heute zu Jahrestagen immer und immer wieder Interviews mit Schoa-Überlebenden in Zeitungen, in Magazinen liest, sieht man am Ende doch das Überleben. Aber die Wahrheit ist: Sechs Millionen sind ermordet worden, also beinahe ein ganzes Volk, mehr als die wenigen, die überlebten.

Spätestens jetzt muss man sich fragen: Mit welchen Mitteln kann man heute vom Holocaust erzählen, wenn man ihn selbst nicht erlebt hat? Mit Lyrik, klar, denn sie bezieht sich szenisch, punktuell auf das Geschehene. Mit einem Roman geht es nur, wenn man tatsächlich ein Jahrhundertautor ist. Das aber versucht Takis Würger gar nicht erst zu sein. Ein Glück. Und er beweist mit "Noah" trotzdem, dass ein Bericht auch Literatur sein kann. Da gibt es Szenen, die so groß sind, dass man auf einmal einen Puls hört, Hoffnung schmeckt. Wie die Begegnung mit Artem, der vor Auschwitz mal Profischwimmer war und dessen Frau und Tochter gleich nach der Ankunft in Birkenau im Gas ermordet worden sind. Artem will jetzt mit Noah im Löschwasserbecken des Lagers schwimmen gehen. Noah will das nicht, er will nur eins: nicht sterben. Artem erklärt ihm, dass sie sich selbst beweisen könnten, dass sie noch Menschen sind, wenn sie nur ein paar Bahnen ziehen. "Noch Menschen?", denkt jetzt Noah. "Graue Wesen mit aufgedunsenen Gesichtern am Morgen und hohlen Gesichtern am Abend. Gestalten, die nach 20 Minuten im Krematorium zu zwei Händen Asche zerfielen. Konnten Nummern Menschen sein?"

Sie gehen schwimmen.

Danach wird Noah krank, kommt auf die Todesmärsche, dann in ein anderes Lager. Der Krieg endet, und Noah fährt nach Belgien, später nach Frankreich, wird wieder Menschenschmuggler: Jetzt bringt er Juden auf Schiffe, die illegal nach Palästina fahren. Das Land ist da noch ein Mandatsgebiet der Briten, die Einreise von Juden erlauben Quoten, und die sind niedrig. Doch Tausende, die den Holocaust überlebten, wollen nicht länger in den Ländern der Täter und Kollaborateure leben und ziehen auf verbotenen Wegen nach Tel Aviv und Haifa. 1947 will Noah auch nach Palästina, will sich schon wieder selbst rausschmuggeln. Und da kommen dann diese Momente, die einen an Hemingway erinnern, aber an einen anderen, einen von heute. Denn dann beginnt der stärkste Teil des Buchs. Er spielt auf der "President Warfield". Es ist das Schiff, das auf der Fahrt seinen Namen ändert und zur Legende wird: zur "Exodus 47".

Weil Noah viele Sprachen spricht, wird er ein Crewmitglied. Die Crew, das sind sehr junge Männer, die meisten sind ehemalige amerikanische Soldaten, die die KZs gesehen haben und deshalb wissen, warum Juden aus Europa weg- wollen und wegmüssen. Noah freundet sich mit Bill an, mit dem "Bomber" Jossi und dem Priester John, der später mit französischen Grenzpolizisten so lange Brandy trinkt, bis die den Zionismus doch für eine "feine Sache" halten. Das Schiff legt ab. Auf offener See verfolgen die "Warfield" mehrere britische Zerstörer. Sie kreisen um das Schiff mit 4500 Überlebenden. Ihnen begegnet Noah auf Deck immer wieder, hört ihren Geschichten zu, hört von ihren Hoffnungen und Ängsten. Dann kommt es zu dem Angriff. Die britischen Zerstörer kesseln das Schiff ein, Soldaten entern es. Sie schießen. Die jüdischen Flüchtlinge verteidigen sich mit Konservendosen. Ein Waisenkind wirft mit Orangen nach den Briten, daraufhin zieht einer seine Waffe, feuert dem Jungen ins Gesicht. Den atemlosen Kampf schildert jetzt Takis Würger wie ein erfahrener Erzähler - mit schweren Spannungsbögen und starken Konstruktionen.

Dennoch weiß man, wie alles endet, wenn man die "Exodus"-Geschichte kennt: Die Briten übernehmen das Schiff. Es legt in Haifa an. Die Juden werden auf drei Gefangenenschiffen verteilt und dann zurückgeschickt nach Frankreich. Sie weigern sich, von Bord zu gehen. Drei Wochen lang. Deshalb bringen die Briten die Flüchtlinge nach Hamburg. In Deutschland werden die, die Nazi-Deutschland überlebten, brutal vom Schiff gezerrt, getragen und in DP-Lager gebracht.

Das Schicksal schlägt Noah auf seiner Fahrt nach Frankreich noch einmal ins Gesicht. Doch das sollte jeder selbst lesen. Überhaupt sollte jeder "Noah" lesen. Warum? Weil wir uns an den Holocaust erinnern müssen? Nein, so eine Antwort wäre vollkommen unliterarisch, moralisierend, falsch. Außerdem kommt es selten vor, dass jemand, der ein Buch über den Holocaust gelesen hat, dann automatisch zu einem entschlossenen und echten Anti-Antisemiten wird und auf einmal ganz anders über die Groß- und Urgroßeltern denkt. Bücher verändern nicht die Welt. Doch wenn sie gut sind, erzählen sie so von der Welt, dass man zumindest etwas fühlt.

Nach "Noah" fühlt und riecht man frische Luft, da es in diesen Zeiten, in denen man zu oft nur Schlimmes, Böses über Israel in deutschen Zeitungen, Zeitschriften und im deutschen Fernsehen hört, beinah befreiend ist, die alte, harte, traurige Geschichte der "Exodus" noch mal zu lesen. Was wiederum nicht heißt, dass man "Noah" nur lesen sollte, um ein Freund Israels zu werden. Das will der Autor nicht, sein Buch soll niemanden erziehen. Denn Aktivismus zerstört Kunst immer, er macht sie tot und leblos. Doch "Noah" ist ein Buch, das atmet und dessen Autor einen neuen Weg gefunden hat, vom Alten, von der Vergangenheit zu sprechen. Und das genügt, denn das ist schon sehr viel. Es ist ein großes Buch.

ANNA PRIZKAU

Takis Würger: "Noah. Von einem, der überlebte". Penguin, 188 Seiten, 20 Euro

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»Noah, das seine Überlebenserzählung dokumentiert, sei vielen, vor allem jungen Lesern ans Herz gelegt.« Michael Brenner, Jüdische Allgemeine