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Es brennt. Mordechai Gebirtig, Vater des jiddischen Liedes - Seltmann, Uwe von
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Wenn die Geschichte anders verlaufen wäre und nicht Millionen Juden mitsamt ihrer Kultur vernichtet worden wären, so der italienische Künstler Rudi Assuntino, wäre der jiddische Dichter Mordechai Gebirtig heute so populär wie die Gershwin-Brüder. Gebirtig, auch der »Vater des jiddischen Liedes« genannt, wurde 1942 im Krakauer Ghetto von Nationalsozialistenermordet. Doch rund 170 seiner Gedichte und Lieder haben die Shoah überlebt. Heute wie damals sind sie ein bedeutendes Zeugnis jüdisch-europäischer Kultur und werden weltweit von namhaften Künstlern gesungen und interpretiert.Gebirtigs…mehr

Produktbeschreibung
Wenn die Geschichte anders verlaufen wäre und nicht Millionen Juden mitsamt ihrer Kultur vernichtet worden wären, so der italienische Künstler Rudi Assuntino, wäre der jiddische Dichter Mordechai Gebirtig heute so populär wie die Gershwin-Brüder. Gebirtig, auch der »Vater des jiddischen Liedes« genannt, wurde 1942 im Krakauer Ghetto von Nationalsozialistenermordet. Doch rund 170 seiner Gedichte und Lieder haben die Shoah überlebt. Heute wie damals sind sie ein bedeutendes Zeugnis jüdisch-europäischer Kultur und werden weltweit von namhaften Künstlern gesungen und interpretiert.Gebirtigs bekanntestes Lied S'brent (Es brennt) war während der NS-Zeit die inoffizielle Hymne jüdischer Widerstandskämpfer, heute wird es in Israel zu jedem Holocaust-Gedenktag angestimmt. Es brennt ist die erste deutschsprachige Biografie Mordechai Gebirtigs - eine Pionierarbeit und ein Buch gegen das Vergessen. Viele Lieder Gebirtigs werden hierfür das erste Mal ins Deutsche übertragen. Aus Archiven in Europa, Israel und den USA hat Autor Uwe von Seltmann zahlreiche neue Entdeckungen zu Leben und Werk des Krakauer Poeten zusammengetragen. Liedbeispiele, Fotos, Zeitdokumente und Faksimiles illustrieren dieses Buch und machen es für Einsteiger wie Kenner zu einer faszinierenden Reise ins Jiddischland.
Autorenporträt
Uwe von Seltmann, geboren 1964 in Müsen, lebt seit 2007 als freier Publizist, Dokumentarfilmer und Rechercheur vor allem in Krakau. In den vergangenen 15 Jahren wurde er zu rund 600 Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen in Europa, Israel und den USA eingeladen. Er hat neun Bücher verfasst oder herausgegeben, die sich vor allem mit den familiären, gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der NS-Zeit auf die Gegenwart befassen, z. B. das Standardwerk Schweigen die Täter, reden die Enkel (2004). Er ist Regisseur und Co-Produzent des jiddischen Dokumentarfilms Boris Dorfman ¿ A mentsh (2014).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2019

Reise ins Jiddischland
Uwe Seltmann erzählt von Mordechai Gebirtig

Inmitten des Warschauer Gettos gab es eine Apotheke, deren Besitzer, Tadeusz Pankiewicz, kein Jude war. Die Bezeichnung "inmitten" ist wörtlich zu verstehen, denn die "Apotheke zum Adler", so ihr Name, lag an einem Platz, der Mittelpunkt des Gettos war. Während der Razzien und Deportationen suchten dort immer etliche Menschen Zuflucht, doch auch an "friedlichen" Tagen schauten viele vorbei, um ein Medikament zu kaufen, sich über die Situation auszutauschen oder eine Nachricht, einen Brief, einen wertvollen Gegenstand auf die "arische" Seite bringen zu lassen. Manche kamen erst abends, wenn es im Getto etwas ruhiger wurde. "Ich erinnere mich an einen sehr netten Abend", hielt Pankiewicz später in einem Buch fest, "den ich zusammen mit Neumann in der Apotheke verbrachte. Er war mit Herrn Gebirtig gekommen, einem bekannten jüdischen Volksdichter. Gebirtig rezitierte sein wunderbares Gedicht ,Es brennt'. Zwei Jahre später wurde dieses Gedicht zum Kampflied der Aufständischen im Warschauer Getto (. . .) ,Dieses Gedicht habe ich mit meinen Tränen geschrieben', sagte er zu mir, , ,denn ich habe beim Schreiben geweint wie ein Kind'."

Offenbar ahnte Mordechai Gebirtig, beziehungsweise Mordche Bertig, wie sein richtiger Name lautete, früher als manch anderer, welches Leid seinem Volk bevorstand: Das besagte Lied, jiddisch "S'brent", schrieb er nämlich bereits 1936, nach blutigen Zusammenstößen zwischen Polen und Juden in Przytyk bei Radom. Als drei Jahre später der Krieg ausbrach, machte er sich auch in Bezug auf seine eigene Zukunft bald keine Illusionen mehr. Mit dem Gedicht "Bleib gesund mir, Krakau!" von 1940 verabschiedete er sich von der Stadt. Nachdem er sich eine Weile im benachbarten Dorf Lagiewniki versteckt hatte, wurde er 1941 gezwungen, ins Krakauer Getto umzuziehen, dort wurde er bei einer Aussiedlungsaktion im Oktober 1942 auf offener Straße erschossen. Einen Monat später kam auf die gleiche Weise Bruno Schulz in Drohobycz ums Leben; drei Monate zuvor trat Janusz Korczak in Warschau seinen Todesmarsch nach Treblinka an.

Über das Leben der beiden anderen jüdischen Schriftsteller wurde schon viel geschrieben, in Gebirtigs Fall hingegen war das biographische Material bislang recht bescheiden, obwohl er heute gern als "Vater des jiddischen Liedes" apostrophiert wird. Nun hat Uwe von Seltmann, ein in Krakau lebender deutscher Publizist und Dokumentarfilmer, ein Buch vorgelegt, mit dem er versucht, diese Lücke zu schließen. Seine Vertrautheit mit der Stadt dürfte ihm den Zugang und die Arbeit sehr erleichtert haben. Hier wurde Gebirtig 1877 geboren, hier debütierte er 1905 in der Zeitung "Socjaldemokrat" und ließ vom jüdischen Bund, dessen Mitglied er war, die erste Sammlung seiner Werke (1920) herausbringen. Und auch die Publikation des nächsten Bandes, "Meine Lieder" (1936), obwohl nicht in Krakau erschienen, war seinen dortigen Freunden zu verdanken.

Dabei war Gebirtig nur ein bescheidener Tischler, der sich seine Lieder abends, nach der Arbeit, ausdachte; er beherrschte nicht einmal Notenschreiben, um die Musik, die er dazu komponierte, ohne fremde Hilfe aufzuzeichnen. Dennoch wurden seine Lieder überall, wo es Juden gab, schnell bekannt - vor allem natürlich in Kazimierz. Gebirtigs wachsende Bekanntheit war aber auch auf seine eigenen Interpretationen der Lieder zurückzuführen.

Gebirtigs Lebensgeschichte wird von Uwe von Seltmann auf eindrucksvolle Weise erzählt, mit unzähligen Details, die er in Archiven gefunden hat, mit vielen Fotos, Dokumenten und Faksimiles, mit Liedern und Gedichten, die hier teilweise erstmals in deutscher Übersetzung präsentiert werden. Und dennoch passt die Bezeichnung Biographie zu diesem vierhundert Seiten starken, großformatigen Band nur bedingt. Es ist vielmehr eine literarische "Reise ins Jiddischland", wie Seltmann es selbst bezeichnet, die von seiner Entwicklung und deren politischen Hintergründe, von seinen sozialen Verhältnissen, den Sitten, der Sprache und Atmosphäre erzählt. Eine lange Reise, denn der Autor folgt seinem Hang zum übergenauen Erzählen und ausgiebigen Zitieren. Die typographischen Einfälle des Verlages, mikroskopische Kursivschrift und weiße Buchstaben auf buntem Hintergrund eingeschlossen, sind dabei nicht unbedingt hilfreich.

Wer nur etwas mehr über Mordechai Gebirtig erfahren möchte, der muss deshalb ein wenig Geduld mitbringen, um sich durch dieses Text-Bild-Mosaik durchzuarbeiten. Wer es aber tut, wird danach nicht nur Gebirtigs Geschichte kennen, sondern auch "Jiddischland" als Facette der europäischen Kultur nähergekommen sein.

MARTA KIJOWSKA.

Uwe von Seltmann: "Es brennt". Mordechai Gebirtig, Vater des jiddischen Liedes.

Homunculus Verlag, Erlangen 2018. 400 S., Abb., geb., 38,- [Euro].

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