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Anton Kuh ist längst wieder mehr als nur ein Geheimtip für Kenner der österreichischen Literatur. Zahlreiche seiner scharfzüngigen Essays und Feuilletons wurden in den letzten Jahren neu ediert, zuletzt der Band "Der unsterbliche Österreicher". Nun liegt endlich sein entschieden wichtigster und zugleich umfangreichster Essay in einer hervorragend erläuterten und dokumentierten Edition vor: "Juden und Deutsche", zuerst erschienen in Berlin 1921.Dieser Essay ist ein fulminanter Beitrag zu einer Debatte, die in Deutschland und Österreich zwischen 1900 und 1933 geführt wurde. In seiner kritischen…mehr

Produktbeschreibung
Anton Kuh ist längst wieder mehr als nur ein Geheimtip für Kenner der österreichischen Literatur. Zahlreiche seiner scharfzüngigen Essays und Feuilletons wurden in den letzten Jahren neu ediert, zuletzt der Band "Der unsterbliche Österreicher". Nun liegt endlich sein entschieden wichtigster und zugleich umfangreichster Essay in einer hervorragend erläuterten und dokumentierten Edition vor: "Juden und Deutsche", zuerst erschienen in Berlin 1921.Dieser Essay ist ein fulminanter Beitrag zu einer Debatte, die in Deutschland und Österreich zwischen 1900 und 1933 geführt wurde. In seiner kritischen Analyse des deutschen Judentums unterzieht er die beiden gängigen Positionen - die der Assimilation und die des Zionismus - gleichermaßen einer witzigen und polemischen Kritik, dies aber von einem denkbar ungewöhnlichen Standpunkt aus: Nicht nur von Ludwig Börne und Friedrich Nietzsche, sondern vor allem von Otto Gross' anarchistischer Überbietung der Psychoanalyse her argumentierend, stellt
er diesen "bürgerlichen" Versionen des modernen Judentums eine antibürgerliche entgegen, eine nach Kuh allerdings genuin jüdische Moderne: die der Diaspora. Was er emphatisch als moderne "Sendung des Judentums" beschwörte, besteht im Widerstand gegen alle verfestigten bürgerlichen Werte und Normen, und im Gegenzug dazu in einer universalen Verbrüderung der Menschheit mit expressionistischem Gestus. Der Band enthält nicht nur Kuhs Essay, sondern dokumentiert auch die kontroverse Debatte, die er vor allem in Prag und Berlin auslöste, den Orten, wo Kuh seinen Essay um 1920 in aufsehenerregenden Reden vorgetragen hatte - mit einem vielfach bescheinigten Talent als "Stegreifredner" (Tucholsky). An dieser Debatte beteiligten sich u.a. Max Brod, Felix Weltsch und Johannes Urzidil in Prag und Robert Weltsch in Berlin. Die sehr hilfreiche und hervorragend recherchierte Einleitung von Andreas Kilcher erklärt neben Kuhs Essay und seinen Voraussetzungen wie der anarchistischen Psychoanalyse von Gross auch diese nachfolgende Debatte, die nicht nur die große historische Bedeutung von Kuhs Essay deutlich macht, sondern auch der gegenwärtigen Diskussion ein Licht aufsetzen könnte."Anton Kuh ist [...] auf seinem allerpersönlichsten eigenen Wege zur Bejahung seines Judentums gelangt, auf seine revolutionäre Art, die alles Lügenhafte, Pappdeckelne, Lebensunechte dort, wo sie es findet, bekämpft. Der Schrei dieses Outsiders möge gehört werden." (Max Brod)
Autorenporträt
Andreas B. Kilcher, geboren 1963; Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte in Basel und München; Promotion in Basel und Jerusalem; von 1993 bis 1996 wissenschaftlicher Assistent für Neuere deutsche Literatur in Basel; Professor für neuere deutsche Literatur in Tübingen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.08.2003

Selbsthass als Befreiung
Anton Kuhs furiose Streitschrift „Juden und Deutsche”
Es gibt Bücher, die sollte man nicht nur lesen. Man sollte auch versuchen, sie zu hören. Dies Buch des in Wien geborenen, einer Prager jüdischen Familie entstammenden Journalisten Anton Kuh (1890 bis 1941) ist ein solches Buch. „Juden und Deutsche. Ein Resumé” (1921) ist aus Vorträgen herausgewachsen, die Kuh zwischen 1918 und 1920 u.a. in Prag, Berlin, Wien hielt. Im Sprachgestus des „Höre, Israel!”, den der junge Walther Rathenau um 1900 für die Propaganda der Assimilation genutzt hatte, erteilte er dem Zionismus eine ebenso radikale Absage wie den Hoffnungen, nachdem so viele deutsche Juden auf den Schlachtfeldern geblutet hatten, würde sich ihre Assimilation vollenden lassen.
„Jude! -- prüfe den Vorgang in deinem Gemüte, wenn du dieser Laut- oder Letternfolge begegnest!” So beginnt der Text. Er ist eine elliptische Streitschrift nicht nur über das Verhältnis von Deutschen und Juden, sondern zugleich über das Verhältnis beider Völker zu sich selbst. Der eine Brennpunkt der Ellipse ist der Selbsthass der Juden, mehr als ein Jahrzehnt vor Theodor Lessings Schrift „Der jüdische Selbsthass” (1930). Kuhs Ziel ist die Kernfusion und Umwandlung beider Varianten in revolutionäre Energie. Die sorgfältig gemachte Neuauflage von „Juden und Deutsche” stellt Kuh in den Echoraum, in dem er agierte. Ein kundiges Vorwort des Herausgebers informiert ausführlich über seine intellektuelle Physiognomie, über seine Nähe zum Prager Literatenmilieu um Franz Werfel, Max Brod und Franz Kafka, zudem über die Verbindungslinien zwischen dieser Streitschrift und Kuhs Frontalangriff auf Karl Kraus, der Wiener Stegreifrede „Der Affe Zarathustras” vom 25. Oktober 1925. Darin ist Kraus die pathologische Personalunion aus jüdischem Selbsthass und orthodoxrabbinischer Schriftfixierung, der ewig pubertierende Sohn der ewigen jüdischen Familie.
Attacke auf Thomas Mann
Als Anton Kuh und Franz Kafka im Jahre 1917 gemeinsam im Nachtzug von Budapest nach Prag fuhren, saß der Arzt und Psychoanalytiker Otto Gross (1877 bis 1920) mit im Abteil. Er war der Sohn des Strafrechtlers Hans Gross, bei dem Kafka vor 1905 Vorlesungen gehört hatte. Im Jahr 1913 hatte der prominente Vater den Sohn, der dadurch prominent wurde, in Berlin verhaften und als „gefährlichen Geisteskranken” in eine österreichische Irrenanstalt verbringen lassen. Otto Gross spracht mit Kuh und Kafka über sein Zeitschriftenprojekt „Blätter zur Bekämpfung des Machtwillens”. Es hätte der anarchistisch-revolutionären Ausdeutung der Psychoanalyse als radikaler Kulturkritik dienen sollen, die im Zentrum der Lehren des jungen Gross stand.
Kuhs Polemik gegen die patriarchalisch strukturierte Familie als Wurzel sowohl des deutschen wie des jüdischen Elends der Söhne ist Otto Gross nachhaltig verpflichtet. Den jüdischen Monotheismus lässt er aus der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies der sexuellen Freiheit und des Mutterrechts hervorgehen. In Scham, Selbsthass und „Unnaivität” der Söhne und der in den „Harem der Ehe” eingesperrten Töchter ist das revolutionäre Potential der Befreiung vom Joch der Väter (und Schriftgelehrten) verpuppt. So intellektualistisch, mit sich selbst zerfallen und unglücklich zeichnete Kuh den Typus des modernen Westjuden, dass manche zionistische Leser ihre eigene Kritik an der Assimilation darin zu erkennen meinten. Über die lebhaften Reaktionen auf die Vorträge wie das Buch unterrichtet der Anhang mit den Rezensionen von Max Brod, Berthold Viertel, Felix und Robert Weltsch, Johannes Urzidil u. a.
In dem strategischen Parallelogramm, das Kuh zwischen den Deutschen und den Juden konstruiert, sind die Deutschen das jüngere Brudervolk der Juden, unnaiv, hyperreflexiv, tatgehemmt wie diese. Der Hass zwischen beiden ist Brüderhass. Vor allem aber: Wie die Juden sind die Deutschen nicht nur vom Hass der anderen Völker, sondern zugleich vom Selbsthass gezeichnet. Dafür steht Nietzsche, „wenn er etwa vor Freude aufhüpfen möchte, weil ihn die Kellner der Turiner Gastwirtschaften für keinen Deutschen halten – wer wäre da noch anders an seiner Stelle denkbar als ein Jude?”
Die Juden, so Kuh, müssen sich mit dem Selbsthass der Deutschen verbünden, um die jüngeren Brüder zugleich mit sich selbst zu befreien. Sie müssen das Nietzsche-Element stärken, statt sich als Bewunderer Kants und Goethes anzudienen. Sie müssen zudem die Versöhnung von Nietzsche und deutschem Selbsthass attackieren. So rückt der Thomas Mann der „Betrachtungen eines Unpolitischen” ins Visier. Selten dürfte um 1920 die politische Kritik an Manns Preußen-Verehrung so deutlich mit der Diagnose unterdrückter Homosexualität verbunden gewesen sein wie in Kuhs Attacke auf den „Rayon der apollinischen Verquältheit”, auf dem sich die „Verzichter” bewegen: „Die Kunstwahrheit geht ihnen über die Bettlüge, aus der sie sie bestreiten. Friedrich der Große floh vor sich in den Siebenjährigen Krieg. Thomas Mann floh zu Friedrich dem Großen.” In Kuhs Parallelogramm ist Thomas Mann der unfreie Bruder von Karl Kraus.
LOTHAR MÜLLER
ANTON KUH: Juden und Deutsche. Herausgegeben und mit einer Einleitung von Andreas B. Kilcher. Löcker Verlag, Wien 2003. 205 Seiten, 19,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Manche Bücher sollte man auch hören können, seufzt Lothar Müller. Das vorliegende beispielsweise, das sich aus Vorträgen des Wiener Journalisten Anton Kuh (1890 bis 1941) zusammensetzt, die vom Herausgeber kundig kommentiert werden und somit den intellektuellen Raum ausloten, in dem Kuh als Gegenfigur zu Karl Kraus agierte. Kuh entstammte einer jüdischen Prager Familie und hat sich besonders mit dem Verhältnis von Juden und Deutschen auseinandergesetzt, aber ebenso, betont Müller, mit dem Verhältnis beider Völker zu sich selbst. Juden wie Deutsche seien für Kuh vom Selbsthass gezeichnet, erklärt der Rezensent. Die Wurzel dieses Übels habe für Kuh in der patriarchalisch strukturierten Familie gelegen. Kraus sei insofern für Kuh der Inbegriff von jüdischem Selbsthass, orthodoxer Schriftfixierung und ein lebenslänglich Pubertierender gewesen, der sich aus der familiären Umklammerung nicht frei machen konnte. Auch Kuhs Stegreifrede "Der Affe Zarathustras", in der er Kraus direkt angriff, ist in dem Band enthalten. Kuh, erläutert Müller, ging es um ein Zusammenschluss von Juden und Deutschen, sie sollten ihren Selbsthass in revolutionäre Energie umwandeln. In diesem Sinn galt es für Kuh, das Nietzscheanische Element zu stärken und der Verquältheit eines Thomas Mann eine Absage zu erteilen, umreißt Müller den intellektuellen Horizont Kuhs, den er erstaunlich weitsichtig findet.

© Perlentaucher Medien GmbH
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