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Als Ömer bei einer Fahrt auf dem Bosporus Macide erblickt, durchfährt es ihn wie ein Blitz: Er kennt diese Frau bereits! Macide bricht alle Brücken hinter sich ab, verlässt ihre Familie und zieht zu ihm in seine Kammer. Eine Weile leben die beiden selig in ihrer eigenen Welt. Doch dann melden sich die Dämonen in Ömer: Zweifel, Unsicherheit, Verlockungen. Wirre Kaffeehaus-Intellektuelle ziehen ihn in gefährliche Abenteuer.
Sabahattin Ali war ein Bahnbrecher der türkischen Literatur. Sein Roman ist eine Liebeserklärung an Istanbul und seine Bewohner. Die junge Republik hat das Oberste
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Produktbeschreibung
Als Ömer bei einer Fahrt auf dem Bosporus Macide erblickt, durchfährt es ihn wie ein Blitz: Er kennt diese Frau bereits! Macide bricht alle Brücken hinter sich ab, verlässt ihre Familie und zieht zu ihm in seine Kammer. Eine Weile leben die beiden selig in ihrer eigenen Welt. Doch dann melden sich die Dämonen in Ömer: Zweifel, Unsicherheit, Verlockungen. Wirre Kaffeehaus-Intellektuelle ziehen ihn in gefährliche Abenteuer.

Sabahattin Ali war ein Bahnbrecher der türkischen Literatur. Sein Roman ist eine Liebeserklärung an Istanbul und seine Bewohner. Die junge Republik hat das Oberste zuunterst gekehrt. In den Kneipen, Tanzsälen, Konzert-Cafés, Kinos, dunklen Werkstätten, Märkten und Straßen begegnen sich Luxus und Armut, Absteiger und Neureiche.
Autorenporträt
Sabahattin Ali, geboren 1907 in Gümülcine (im heutigen Nordgriechenland), gilt als Großmeister der türkischen Prosa, seine Werke gehören zu den Klassikern der literarischen Moderne. Er war Herausgeber von satirischen und literarischen Zeitschriften, wurde jedoch aufgrund seiner sozialkritischen Positionen immer wieder verhaftet. Beim Versuch, nach Bulgarien zu fliehen, wurde Sabahattin Ali am 2. April 1948 ermordet. Die genauen Umstände seines Todes hat man nie ganz klären können.

Ute Birgi-Knellessen, geboren 1938, verbrachte viele Jahre in Istanbul. Nach der Übersiedelung in die Schweiz 1980 studierte sie Islamwissenschaft und Vorderasiatische Archäologie in Bern und arbeitet seither als freie literarische Übersetzerin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.12.2007

Leuchtkäfer im Dunkeln
Der große Istanbul-Roman von Sabahattin Ali
Das türkische Erziehungsministerium hat jüngst in eine Liste mit hundert Lektüreempfehlungen für die Schule erstmals Sabahattin Ali aufgenommen. Eine späte Wiedergutmachung, denn jahrzehntelang wurde dieser Autor von offizieller Seite totgeschwiegen. Nur die türkische Linke hat ihn wegen seiner engagierten Erzählweise geschätzt und als „türkischen Gorki” bezeichnet. Erst in den letzten Jahren wurde er als einer der ersten sozialkritischen türkischen Schriftsteller zu einer Art Leitfigur.
Sabahattin Ali war der Sohn eines Offiziers. Die frühen Jahre der Republik unter Kemal Atatürk erlebte er als Student und Lehrer, veröffentlichte seine ersten Erzählungen in Literaturzeitschriften, ging Ende der 1920er Jahre als Stipendiat nach Berlin, lernte Deutsch und übersetzte nach seiner Rückkehr in die Türkei unter anderem Lessings „Minna von Barnhelm”, Chamisso und Rilke ins Türkische. Wie seine Zeitgenossen Aziz Nesin, Yasar Kemal und der etwas ältere Nazim Hikmet geriet er immer wieder in Konflikt mit der repressiven Staatsgewalt. Mehrfach verbüßte er Haftstrafen. Sein Leben war grausam kurz, und es fand ein tragisches Ende. Der ständigen Verfolgung durch die Obrigkeit müde, zermürbt von Zensur und Publikationsverboten entschloss sich Sabahattin Ali 1948 zur Flucht über die türkische Grenze nach Bulgarien. Bei diesem Fluchtversuch wurde er ermordet, wahrscheinlich von der türkischen Geheimpolizei. Er war 41 Jahre alt. Er hinterließ einen Gedichtband, fünf Bände mit Erzählungen und drei Romane. Im Ganzen gesehen: eines der markantesten Werke der zeitgenössischen türkischen Literatur.
Es ist das große Verdienst der Türkischen Bibliothek im Unionsverlag, uns nun endlich mit einem Hauptwerk Sabahattin Alis bekannt zu machen, mit dem 1940 veröffentlichten Roman „Der Dämon in uns”. Ort der Handlung ist Istanbul in den späten 30er Jahren. Mit kurzen Beobachtungen, beiläufigen Pinselstrichen in einem Gesamttableau – der Passagier, der Ömer, dem Helden, in einem Fährschiff gegenüber sitzt, liest eine armenische Zeitung; Ömers Vermieterin ist eine griechische Wirtin – entsteht das Bild einer kosmopolitischen Stadt.
Die Schichten der Istanbuler Gesellschaft werden porträtiert. Es gibt die Studenten und die Professoren, es gibt den verarmten oft aus Anatolien zugewanderten Mittelstand, der nicht weiß, wohin er gehört, zur Moderne oder noch zur Tradition. Einmal sagt Ömer über seine Tante und ihre Tochter Smiha: „Auch in ihrem Inneren lag gleichsam die fromme Besmele-Kalligraphie neben der Platte mit dem neuesten westlichen Schlager.” Es gibt schließlich die Schmarotzer, die Emporkömmlinge, die Sabahattin Ali auch in seinen anderen Romanen mit Verachtung überzieht, und es gibt eine Clique von jungen Verschwörern, Kommilitonen von Ömer, die pan-türkische, sehr nationalistische Ziele verfolgen.
In der Türkei wurde „Der Dämon in uns” deshalb zunächst auch als politischer Schlüsselroman gelesen. Aber aus heutiger Sicht steht im Zentrum dieses Romans nicht ideologische Polarisierung, sondern die anrührende Geschichte einer großen Liebe und ihres raschen Verfalls. Ömer, ein Student der Philosophie, Existenzialist avant la lettre, ein zunächst durchaus sympathischer „Spinner” mit hochtrabenden Plänen, lernt Macide auf einem Bosporus-Dampfer kennen, eine junge Frau aus der Provinzstadt Balikesir, die in Istanbul das Musikkonservatorium besucht.
Eine Bootsfahrt der beiden auf dem Bosphorus im Mondschein ist der magische Höhepunkt dieser Liebe. Sabahattin Ali schildert meisterhaft die Stimmung, die die jungen Liebenden umgibt: „Die Stadt, die das Meer mit seiner undefinierbaren Farbe von drei oder gar vier Seiten umarmte und einem riesigen Leuchtkäfer glich, erschien ihnen in der Dunkelheit doppelt so groß wie am Tag. Dröhnender Lärm wie von einer großen Fabrik in der Ferne brummte in ihren Ohren. Die Brücke teilte das Meer, das sich ins Goldene Horn ergoss, und glich einem brilliantenbesetzten Armband am Arm einer Negersklavin. Alles war an seinem Platz und vollkommen wie die Zeichnung eines großen Meisters. Selbst die Scheinwerfer der Dampfschiffe, die mit ihrer kalten weißen Zunge die Meeresoberfläche ableckten, verbanden sich harmonisch mit dem trüben Licht der armseligen Laternen an den kleinen Booten.”
Aber der Liebeszauber verfliegt schnell. Nachdem Macide ihre Verwandten verlassen und zu Ömer gezogen ist, und beide ohne Papiere „geheiratet” haben, tritt eine schnelle Entfremdung ein. Ömer kann keine feste Bindung ertragen. Er schiebt alle Verstimmungen auf den „Dämon” in sich, und so werden die Risse in dieser versponnenen Liebe immer größer. Das junge Paar hat Geldprobleme. Macide, die die Provinz hinter sich gelassen hat und durch Schulbildung und ihr Studium eine junge selbstbewusste moderne Frau geworden ist, lehnt Ömers Freunde ab, aufdringliche und aufgeblasene Intellektuelle, denen sich Ömer durch eine Erpressungsaffäre immer stärker ausgeliefert hat. Sie fühlt sich zu Bedri hingezogen, ihrem früheren Klavierlehrer, dem sie bei einem Wohltätigkeitskonzert in einem „Gazinosu” in Istanbul unerwartet wieder begegnet.
Dieser Bedri ist der Gegenpol zu Ömer, ein Mann, der in sich ruht und einen sehr präzisen Traum von einer künftigen gerechteren Gesellschaft hat. Gegen Ende des Romans landet Ömer im Gefängnis und legt vor Bedri, der ihn besucht, eine Generalbeichte ab: „Da ich nicht wusste, was ich wirklich wollte oder nicht wollte, hingegen jederzeit bereit war, für meine wenig lobenswerten Taten und Worte einen Sündenbock zu erfinden, erfand ich den Dämon in mir. Alles wofür ich nicht selbst Verantwortung übernehmen wollte, bürdete ich diesem Dämon auf, und statt mir selbst ins Gesicht zu spucken, glaubte ich, dadurch auch noch ein Anrecht auf Verständnis und liebevolle Behandlung zu besitzen.” Er bittet Bedri, sich Macide anzunehmen: „Stellt Euch vor, ich sei nicht mehr auf der Welt.” Das ist das offene Ende des Romans und der Leser kann vermuten, dass Bedri und Macide zueinander finden werden.
Es wäre interessant zu ergründen, aus welchen Quellen der Dämon sich speist, der Ömer beherrscht. Vielleicht kannte Sabahattin Ali einige Romane der „schwarzen Romantik” der Jahrhundertwende, aus Frankreich, aus Belgien. Aber wahrscheinlicher ist, dass er die deutschen Romantiker gelesen hat, Friedrich Schlegel, Novalis, Clemens von Brentano. Sie alle hatten eine scharfe Witterung für das Abgründige der menschlichen Bestrebungen und zogen auch noch aus den Gefahren des Nihilismus einen speziellen Genuss. Jean Paul: „Ach, wenn jedes Ich sein eigener Vater und Schöpfer ist, warum kann es nicht auch sein eigener Würgengel sein?”.
„Der Dämon in uns”, in der blendend genauen Übersetzung von Ute Birgi-Knellesen, präsentiert sich als dicht beobachtender, stark psychologisierender Roman. Die Handlung tritt gegenüber langen inneren Monologen und Selbstanalysen zurück. Erstaunlich ist der grenzenlose Subjektivismus von Ömer, des negativen Helden des Roman. Was wurde in den dreißiger Jahren sonst in Europa geschrieben? Wir denken an Alfred Döblin, an Jakob Wassermann, vielleicht auch an die Franzosen George Bernanos und François Mauriac. Sie alle schrieben Romane, in denen das Böse im Menschen und der Kampf mit der Sünde Hauptthemen sind, in denen übersensible, krankhafte lebensuntüchtige Charaktere auftreten. Auch Ömer ist solch ein lebensuntüchtiger Held, der sich selbstquälerisch durch das Leben schlägt. Nazim Hikmet, der Sabahattin Alis ersten Roman „Yussuf aus Kuyucak” sehr schätzte, warf dem „Dämon in uns” vor, die gesellschaftlichen Ursachen der Krise des Individuums Ömer nicht deutlich beschrieben zu haben.
Erika Glassen, die Mitherausgeberin der Türkischen Bibliothek, hat sicherlich Recht, wenn sie die avantgardistische Dimension dieses Werkes für die türkische Romanliteratur gerade in dem „grenzenlosen Subjektivismus und der differenzierten Analyse der Innenwelt eines Individuums” sieht. Gerade die Identitätskrise des Helden macht den Roman aktuell, weil die bedrückende geschichtliche Phase, in der Ali diesen Roman geschrieben hat, bis heute fort wirkt. Für den Einzelnen in der Türkei geht es weiterhin um das Finden einer Identität, die zwischen Tradition und Moderne, zwischen Dorf und Stadt, Religion und Fortschritt zerrieben zu werden droht.
Heute betrachtet man in der Türkei Sabahattin Ali als einen Meister der Sozialkritik, als luziden und mutigen Analytiker, und somit einen Bahnbrecher der neuen türkischen Literatur – als so etwas wie einen Vorfahren von Orhan Pamuk. Sabahattin Ali hatte nicht nur ästhetischen Mut, sondern auch den Mut eines aufgeklärten Bürgers. In allen seinen Romanen übt er Kritik an der selbstgefälligen Volks- und Realitätsferne der bürokratischen Elite, die er als faul und korrumpierbar darstellt. Über dies zeichnet er in seinen reiferen Werken ein neues freieres Frauenbild. So ist auch Macide der anziehendste Charakter in diesem Roman. Die Frauen sind bei Ali das stärkere Geschlecht. So hält er der von einem unhinterfragten, selbstverständlichen Machismo geprägten türkischen Kultur den Spiegel vor. Das war und ist immer noch von großer Brisanz. JOACHIM SARTORIUS
SABAHATTIN ALI: Der Dämon in uns. Roman Aus dem Türkischen von Ute Birgi-Knellesen. Unions Verlag, Zürich 2007. 352 Seiten,19,90 Euro.
„Alles war an seinem Platz und vollkommen wie die Zeichnung eines großen Meisters”
„Um für meine Taten und Worte einen Sündenbock zu haben, erfand ich den Dämon in mir”
Sabahattin Ali, auch genannt „Der türkische Gorki” Foto: Unionsverlag
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Monika Carbe begrüßt die deutsche Ausgabe von Sabahattin Alis 1940 erschienenen Roman "Der Dämon in uns", der nun als siebter Band der verdienstvollen Türkischen Bibliothek des Unionsverlags vorliegt. Sie würdigt das Werk als sozialkritischen Roman, der ungeschminkt das Leben in Istanbul in den 1930er Jahren einfängt und in einer klaren, unprätentiösen Sprache so realistisch schildert, dass es "sinnlich erfahrbar" wird. Im Mittelpunkt des Romans sieht sie die große Liebe zwischen dem Philosophiestudenten Ömer und der Mathematikstudentin Macide, die an der Unentschiedenheit Ömers, aber auch an Geldsorgen und Existenzangst zerbricht. Instruktiv findet Carbe auch das Nachwort von Erika Glassen, das Sabahattin Ali in die türkische Literaturgeschichte einordnet und über seine Einstellung gegen den Nationalsozialismus informiert.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein höchst moderner Roman, der manche überraschen dürfte.« Tobias Hierl Buchkultur